Vorab möchte ich einmal betonen, dass ich jedem dankbar bin, der sich den nachfolgenden Text durchliest.
Ich bin schon seit langer Zeit stiller Zuhörer und empfinde dieses Forum als einen Ort der Sicherheit für Menschen, die Probleme haben.
Da dies das erste Mal ist, dass ich meine Problematik in öffentlicher Form niederschreibe, bitte ich, eventuelle Verständnisprobleme zu entschuldigen und würde mich dann über entsprechende Nachfragen freuen.
Dieser Text beginnt mit den Anfängen und beschreibt hierbei den Anfang meiner Erkrankung.
Zum Ende hin erkläre ich dann meinen heutigen Zustand.
Mein Name ist Moritz und ich bin 20 Jahre alt und werde seit nun etwa 10 Jahren von meiner eigenen Psyche verängstigt und bedrängt.
Meine Problematik begann also mit etwa 10 Jahren, mit der Angst vor Bakterien und Keimen, woraus sich ein Waschzwang entwickelte, der nicht nur meine Haut, sondern auch das eigene Wohlbefinden in Mitleidenschaft gezogen hat.
Aus diesem lästigen Waschzwang wurde dann der Zwang, sich andauernd die Zähne zu putzen, aus Angst vor Karies oder einer daraus resultierenden Wurzelentzündung.
Nun begann das erste Mal, dass sich ein bestimmtes Programm in meinem Kopf abspielte.
Ich fing an, mir aufzuschreiben, dass ich mir die Zähne geputzt habe - zusätzlich machte ich auf diesen Zettel ein Fleck von Zahnpasta in der jeweiligen Spalte, als eine Art tagesaktuelle Unterschrift.
Dieses Ritual änderte sich im Laufe der Zeit etwas, nahm aber (was ich damals nicht wusste) einen großen Teil meines Lebens ein.
Parallel zu diesem Zwang war zum damaligen Zeitpunkt mein Fokus auf dem Lesen von Sachbüchern, vor allem aber auf Medizinischen Fachbüchern.
Dadurch, dass ich über Jahre gelesen habe, wie Krankheiten auf den Organismus wirken, war ich dann mit 12 oder 13 Jahren meinen Gedanken hilflos ausgesetzt.
Überall lauerten potenzielle Gefahren. Gefahren, die andere nicht erkannten, sondern nur ich.
Gefahren, die eigentlich gar keine Gefahren sind - Für mich aber eine existenzielle Bedrohung darstellen.
Primär ging es hierbei um Tollwut und die möglichen Ansteckungsgefahren, sodass ich mich fortan nur noch hiermit beschäftigte.
Ich las Bücher, Artikel und hörte mir über das Internet Vorträge zum Welttollwuttag an.
Während dieser Langzeitrecherche stolperte ich über das Thema Fledermäuse und die Tollwut. Ein Thema, dass mich seitdem nicht mehr loslässt und mein Leben zu einem Albtraum macht.
Ich ließ mich in Folge dessen mehrmals gegen Tollwut impfen, da ich mir einbildete, dass ich von einer Fledermaus gebissen wurde.
Die Angst nahm aber nicht ab, sondern wurde dadurch bestärkt.
Mittlerweile weiß ich, bedingt durch meine Therapie, dass man die Angst nur weiter bekräftigt, aber nicht eliminiert. Doch damals als 15 Jähriger Jugendlicher war es nur schwer, im Gefühlschaos der Hormone irgendeinen rationalen Gedankengang zu fassen.
Nun entwickelte ich eine Strategie, diese Gedanken zu beruhigen und ich begann damit, den schlimmsten Fehler meines Lebens zu begehen.
Ich fing an, alles zu fotografieren (mit dem Handy), was in irgendeiner Art eine Fledermaus sein könnte.
Egal wie groß, Hauptsache Schwarz und auf dem Boden - Das war das, was ich mir vor die Kameralinse holte.
Jeder Spaziergang, jeder Meter war von nun an eine Qual. Ich verbrachte Stunden damit, Fotos auszuwerten und alles Erdenkliche, was auf dem Boden lag, zu betrachten, nur um dann auszuschließen, dass es sich nicht um eine Fledermaus handelte.
Fotografierte ich die Dinge nicht, dann hatte ich immer diese Unruhe und Unsicherheit, getreu dem Motto:
,,Was, wenn dort eine Fledermaus lag, du auf den Boden gefasst hat und Sie dich gebissen hat.``
Ich malte mir die verrücktesten Dinge aus: Fledermäuse, die fluguntauglich waren und mit Tollwut infiziert waren, würden weit verstreut auf dem Boden liegen und förmlich nur darauf warten, mich zu attackieren.
Diese Angst war fortan mein engster Vertrauter.
Leider blieb es nicht dabei, sondern mein Kopf fing an, immer Kreativere Szenarien zu kreieren, mit dem Ziel mich mental zu deformieren.
Es schlich sich dann die nächste Angst ein.
Die Angst vor der Sonne und der UV-Strahlung - Primär die Angst, in die Sonne geguckt zu haben und deshalb zu erblinden.
Ich ging nicht mehr aus dem Haus - nur noch bei Nacht. Was sich aufgrund der nachtaktiven Fledermäuse aber nicht unbedingt als einfach herausstellte.
Tagsüber verbrachte ich in den Räumen, die auf der Sonnenabgewandten Seite lagen. Morgens war ich im Raum, mit dem Fenster in Richtung Westen. Mittags im Raum, dessen Fenster in Richtung Norden zeigte.
Gelang mir dies nicht, so dunkelte ich die Räume ab und verbrachte meine Zeit in einem abgedunkelten Raum.
Es ging ab dort dann damit los, dass ich mir Augenkrankheiten einbildete, die ich damit begründete, dass die UV Strahlung schon bleibende Schäden hinterließ.
Parallel dazu zog ich von Zuhause aus, etwa 100 Kilometer entfernt, um meine Ausbildung zu beginnen.
Ich war damals 16 Jahre alt und wohnte fortan alleine.
Meine Ausbildung machte ich in einem Beruf, bei dem man jährlich zu einer Tauglichkeitsuntersuchung muss, die dann jeweils etwa einen Tag dauert, bei dem man einem kompletten Check Up unterzogen wird, um die Sicherheit aller beteiligten Personen zu gewährleisten.
Vor Beginn meiner Ausbildung musste ich mich auch einem Psychologischen Test unterziehen, der mit einer hohen Durchfallquote verbunden war, aufgrund der hohen Ansprüche der charakterlichen Eignung.
Zum Schutz meiner Privatsphäre möchte ich an dieser Stelle nicht auf meinen genauen, erlernten Beruf eingehen, da man sonst Rückschlüsse zu meiner Person ziehen könnte.
Bevor ich fortfahre und den obigen Exkurs in einen kausalen Zusammenhang bringe, möchte ich erwähnen, dass ich mittlerweile aufgrund meiner psychischen Gesundheit in keinem sicherheitsrelevanten Bereich mehr arbeite. Deshalb besteht und bestand zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung anderer Menschen (!).
Da ich nun also Angst vor bleibenden Schäden an den für mich wichtigsten Sinnesorganen hatte, begann die Angst um meine Zukunft.
Ich besuchte einen Augenarzt nach dem anderen, immer mit dem Ergebnis, dass keine Schäden festzustellen seien.
Ich glaubte aber trotzdem daran, dass meine Augen geschädigt seien und somit konnte ich mich nicht mehr des Lebens erfreuen und hatte Angst vor der Zukunft.
Ich dachte, dass ich blind werde und dann meinen Job verliere.
Parallel dazu brauchte ich ab nun immer ein Handy bei mir, um meine Schritte fotografisch festzuhalten.
Wo war ich, wann war ich wo und lag da eine Fledermaus, die mich eventuell gebissen hat?
Hatte ich eine Sonnenbrille auf? Lag unterwegs eventuell eine Spritze, in die ich eingetreten bin und deshalb nun HIV bekommen werde?
All diese Zwangsgedanken kreisten in meinem Kopf und ich filmte von nun an jeden Meter in meinem Leben.
Ohne ging es nicht mehr.
Im Jahr 2022 wartete dann das Ende meines vorherigen Lebens - Ein Jahr, in dem sich alles ändern sollte.
Im Februar 2022 war ich mit ehemaligen Freunden an einer Bahnstrecke unterwegs und mein damals bester Freund wollte sich sein Leben nehmen.
Ich rannte ihm hinterher und holte ihn von den Gleisen und er lag in meinen Armen.
Wir saßen in einer Pfütze im Regen, hinter uns die Bahnstrecke und ein Zug fuhr an uns vorbei.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich einen Atemalkoholwert von etwa 1,9 Promille, war jedoch voll ansprechbar und bei klarem Bewusstsein.
Ich trank damals, mit 16 und 17 Jahren fast täglich Alk., in großen Mengen, um meinen Kopf von diesen Gedanken zu betäuben.
Ich konnte damals fast nicht aus meinem Haus gehen, filmte mein komplettes Leben und Alk. war mein Ausweg aus dieser schweren Phase.
Nun ging es dann, inklusive Polizei und Rettungswagen, ins Krankenhaus.
Am nächsten Tag fühlte ich das erste Mal diese Leere.
Es war nichts mehr da.
Keine Freude, keine Trauer und keine Wut.
Es war unheimlich still in mir, doch das war nur die Ruhe vor dem Sturm.
Ich ging in folge dessen zu einem Arzt, der mich zwei Wochen krankschrieb mit der Diagnostik:
Psycho Vegetative Dystonie.
Infolgedessen fühlte ich mich immer leerer, der Antrieb verließ mich, meine Freude verschwand und ich konnte nicht mehr schlafen.
Meine Mitmenschen sahen, wie sich ein geliebter Mensch innerhalb von ein paar Wochen komplett änderte und er nicht mehr der war, der er früher einmal war.
Ich begann dann damit, einen Psychologen aufzusuchen, mit dem ich meine Problematik besprach.
Ich fühlte mich kurzzeitig besser, doch gab mir mein Suchtgedächtnis zu verstehen, dass es an der Zeit wäre, zurück in das alte Leben zu treten.
Dies tat ich dann auch - Ich trank und *beep* in einem vorher noch nie da gewesenen Ausmaß, sodass ich dann nach ein paar Monaten im Oktober 2022 die Reißleine zog.
Ich ging zu einem Psychiater, erklärte ihm meine gesamte Krankengeschichte und es wurde zusätzlich zu meiner Angststörung, der Zwangsstörung, nun noch eine Mittelgradige Depression diagnostiziert.
Nun begann ich damit, Mirtazapin (30MG) Abends zu nehmen und ich begann eine Therapie.
Ich machte Fortschritte - hörte damit auf zu *beep* und Alk. zu trinken.
Ich machte nun jeden Tag Sport, fing damit an gesund zu leben und zu essen.
Kein Fastfood mehr, keine Fertiggerichte, sondern nur frisch gekochtes Essen.
Dies zahlte sich dann auch aus.
Ich bestand meine Zwischenprüfung als Jahrgangsbester und beruflich ging es deutlich aufwärts.
Leider jedoch nur beruflich.
Meine Zwänge kreisten wie ein Vogel um seine Beute und irgendwann erfolgte der Angriff auf meine Psyche.
Meine Tage sahen nun wie folgt aus:
-Filmen, ob ich mir die Zähne geputzt habe
-Filmen, wie ich das Haus verlasse (Tür verschlossen)
-Filmen, wie ich zur Arbeit laufe (Fledermäuse, Spritzen)
-Filmen, wie ich ich laufe, um ausschließen zu können, dass ich auf den Kopf gefallen bin und nun einer Hirnblutung zu Opfer fallen könnte.
-Filmen, wie ich einen Stecker in die Steckdose stecke, um sicherzugehen, dass ich keinen Stromschlag bekommen habe und dementsprechend eine Herzrhythmusstörung
-Filmen, wie ich eine Flasche öffne, um sicherzugehen, dass dort kein Alk. drin ist.
-Filmen, wie ich mir die Hände wasche, um sicherzugehen, dass ich mir die Hände gewaschen habe.
-Filmen, welche Farbe mein Urin hat, um eine Blasenentzündung auszuschließen
-Filmen, ob Blut im Stuhl ist, aus Angst vor einer Blutung im Bauchraum.
-Filmen, wie ich mir Deo auftrage, weil ich mir sonst einreden würde, dass ich es inhaliert hätte.
-Filmen, wie ich Gemüse wasche, aus Angst davor, dass ich es nicht gewaschen hätte und nun die Gifte essen würde.
-Filmen, wie ich mein Geschirr wasche, weil ich mir sonst einrede, ich hätte es dreckig in den Schrank gestellt.
-Filmen, wie ich dusche, weil ich mir sonst einrede, dass ich nicht geduscht habe.
-Filmen, wie ich meine Wohnung putze, da ich mir sonst einrede, dass ich die Wohnung nicht geputzt habe.
Sport war von nun an nicht mehr möglich, aus Angst vor einer Herzmuskelentzündung.
Ich redete mir ein, dass ich erkältet bin und wenn ich jetzt Sport machen würde, dann würde ich sterben.
Ich rannte nun also von Arzt zu Arzt, da ich nur bei kleinster Anstrengung dachte, dass ich eine Herzmuskelentzündung bekommen könnte.
Deshalb Filme ich auch, wenn ich spazieren gehe, um im Nachhinein sicher sein zu können, dass ich nicht gerannt bin.
Außerdem filme ich ebenfalls das Einkaufen, um sicherzugehen, dass mich niemand angehustet oder angeniest hat, um sicherzustellen, dass ich nicht krank werde.
Werde ich nämlich krank, dann bekomme ich eine Herzmuskelentzündung, so mein Kopf.
Außerdem filme ich es, wenn ich aus dem Haus gehe, da ich panische Angst vor Rattengift habe.
Sehe ich irgendwo eine Rattenfalle, dann rede ich mir ein, dass ich davon etwas verschluckt habe und ich bekomme in Folge dessen dann Verdauungsstörungen und Bauchschmerzen.
Deshalb filme ich das Ganze, um diesen Situationen nicht hilflos ausgesetzt zu sein und die Kontrolle zu haben.
Außerdem stelle ich Dinge vor meine Haustür, von innen, mache davon ein Foto als Vergleichsbild.
Bevor ich also meine Wohnung verlasse, dann mache ich noch ein Foto.
Sind nun die beiden Fotos und der abgestellte Gegenstand identisch, also an der gleichen Stelle, dann weiß ich, dass ich das Haus nicht verlassen habe.
Ich filme jeden Schritt in meinem Leben aus Angst vor den albernsten Dingen.
Ich habe außerdem etwa 60 Tausend Screenshots auf meinen Festplatten, da ich jede Website und meinen Verlauf Screenshote, damit ich weiß, dass ich nicht verbotenes gemacht habe.
Mache ich das nicht, dann rede ich mir ein, dass dort irgendwo etwas verbotenes war und ich dann ins Gefängnis muss, meinen Job und meine Familie verliere, obwohl ich weiß, dass ich eigentlich alles richtig gemacht habe.
Insgesamt habe ich etwa 500 Tausend Fotos und Videos in den letzten Jahren angefertigt.
Zurzeit besitze ich drei Handys, wovon ich immer zwei mit genügend freiem Speicherplatz mitnehme, um mein Leben zu filmen.
Das Leben, was ich führe, ist geprägt von Schuldgefühlen, Angst davor, etwas falsches gemacht oder gesagt zu haben und vor allem davor, dass mich irgendetwas gebissen hat und ich nun Tollwut bekomme.
Logischerweise leidet darunter meine Stimmung und somit hat sich die Anfangs diagnostizierte Mittelgradige Depression nun manifestiert, sodass ich ein leeres Leben führe, dessen Inhalt daraus besteht, unnötige Mengen an Datenmüll zu produzieren.
Mein Leben ist nicht wie das eines gesunden Menschen, denn egal wo ich bin, egal was ich mache, die Angst ist immer mit dabei.
Um die Angst zu bezwingen fertige ich Fotos und Videos an, die einem die Freude in jeder Situation nehmen.
Man macht sich nur noch Gedanken über genug freien Speicherplatz und darüber, wie man möglichst verdeckt filmen kann.
Nachdem ich im April dann einen neuen Psychiater aufgesucht habe, hat dieser mir Sertralin verschrieben, wovon ich nun 100 MG morgens nehme.
Parallel dazu setzte ich meine Therapie ganz normal fort.
Ich hoffe, dass der Text soweit verständlich war.
Ich entschuldige mich für das Ausholen und den Umfang des Textes, jedoch ist meiner Meinung nach eine ganzheitliche Beobachtung in meinem Falle besonders wichtig, da es eine Entwicklung über ein Jahrzehnt gibt.
Oben genanntes ist nicht alles, was mich in meinem Leben einschränkt, es ist noch vieles mehr passiert, dass würde hier aber den Rahmen zu sehr sprengen.
Aus dem oben genannten Text lasse ich ganz bewusst das Thema Suizid und Suizidgedanken außenvor, um hier niemanden zu triggern, möchte an dieser Stelle auch erwähnen, dass mich diese Gedanken im Laufe meiner Erkrankung auch schon oft heimgesucht haben, ich diesbezüglich aber offen mit meinem Therapeuten kommuniziere und diese Gedanken mittlerweile kontrollieren kann.
Falls es jemandem von euch schlecht geht, dann sucht euch Hilfe und versucht an euch zu arbeiten.
Kleine Schritte sind auch Schritte, so sagt es mein Therapeut.
Suizid ist keine Lösung, sondern eine Qual für die Menschen, die euch Lieben.
Im Januar diesen Jahres habe ich dann meine Ausbildung als Jahrgangsbester bestanden und in Folge dessen ein Angebot für ein Stipendium bekommen.
Beruflich läuft es gut, wäre da nicht der Kopf.
Ich bedanke mich für das Lesen und wünsche euch allen ein schönes Wochenende.
Mit freundlichen Grüßen Moritz
29.06.2024 15:41 • • 12.07.2024 x 1 #1