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Ich wende mich heute mal mit einer Frage an euch, zu der ich hier noch nichts finden konnte.
Dabei interessiert es mich, ob es nur mir so geht, oder diese Gefühle öfters bei Angstpatienten auftritt.

Ich leide seit dem Kindergartenalter (durch angeborene Erkrankungen und traumatische Erlebnisse, hatte da leider echt viel Unglück) immer wieder phasenweise an psychischen Problemen, d.h. starken Ängsten sowie psychosomatischen Symptomen.

Ab und zu verfalle ich in depressive Episoden, die ich dann oft medikamentös behandeln muss. Das habe ich so alle 2 Jahre mal für ein paar Monate.
Momentan ist es besonders schlimm und ich probiere gerade, wieder auf die Beine zu kommen.

Ich bin mittlerweile 20, reflektiere also viel mehr als beispielsweise im Kindesalter und bei dem Versuch, bewusst positiver zu denken (hat meine Psychiaterin empfohlen) ist mir aufgefallen, dass diese ganze Angst und das Unwohlsein so tief mit mir und meiner Persönlichkeit verankert ist und es seit Jahren der Mittelpunkt meines Lebens ist, dass es mir Angst macht, wenn es mir mal gut geht.

Schon als Kind sagte ich dann immer zu meiner Mutter wenn ein Tag mal gut verlief „Ich habe das Gefühl irgendwas schlimmes passiert gleich“.
Als würde ich nicht glauben, dass es mir mal gut gehen könnte, dass ich mal angstfrei leben könnte.

Wenn ich über etwas anderes rede oder meine negativen Gedanken umlenke, herrscht in mir stundenlang eine unfassbare Unruhe, als würde ich alles aufstauen aber irgendwie nie ausbrechen.
Ich meditiere fast täglich und versuche jeden Tag aktiv zu sein, aber das baut den Stress auch nicht so richtig ab.

Bin momentan auch in medikamentöser Behandlung, die quasi betäubt aber nicht die negativen Bauchgefühle, die teilweise Entfremdung usw eliminiert, die jetzt auftreten, da ich versuche dieses Denkmuster, dass ich seit Jahren habe plötzlich völligen umzuändern und ich mich dadurch völlig fremd und komisch fühle.

Ich glaube es braucht auch Zeit, sich dann an die neuen Dinge im Leben zu gewöhnen, aber alles fühlt sich unvertraut und komisch an, trotzdem mache ich weiter, da ich sicher bin, dass es auf Dauer anders nicht weiter geht.

Meine Frage ist nun: kennt ihr das? Dass man sich nicht gut fühlen „darf“?
Dass die Angst größer wird, wenn ihr das Gefühl habt, ihr könnt gerade nicht drüber reden, wenn viele Menschen in eine Konversation verwickelt sind und ihr quasi das Gefühl habt, eure Angst darf jetzt mal kein Mittelpunkt der Unterhaltung sein?
Als würde sie sich von der Aufmerksamkeit ernähren (was sie bestimmt auch indirekt tut) und mit jedem Bisschen wie sie in den Hintergrund geschoben wird, immer stärker wird? Als würde sie nicht erlauben wollen, dass man mal an etwas anderes denkt oder jemand anderes mal „dran ist“ mit seinen Problemen oder Sorgen.

Ich hoffe der Text ist nicht zu lang, ich dachte nur, dass eine möglichst präzise Beschreibung wahrscheinlich am hilfreichsten ist, um mein Anliegen bestmöglich vorzutragen.

21.09.2024 08:41 • 21.09.2024 x 2 #1


8 Antworten ↓


@jnnkm guten Morgen und willkommen hier im Forum! Krass, dass du das jetzt schreibst, denn diese Gedanken habe ich auch seit ein paar Wochen. Und ja mir geht es auch so, zu denken wenn was gut läuft, dann passiert gleich was schlimmes.
Das hat mich zu der Frage gebracht, wer bin ich denn noch ohne meine angststörung? Oder auch was bleibt von mir übrig wenn das weg ist?
Du bist mit deinen 20 Jahr schon ordentlich reflektiert, ich wusste das damals nicht einzuordnen was bei mir passiert und bin komplett in Überlebensstrategien gegangen, ohne überhaupt noch wirklich was zu fühlen. Bleib dran an deiner Frage, ich finde dir wichtig und ich bin mehr als doppelt so alt wie du.
Liebe Grüße

A


Es darf mir nicht gut gehen- Kennt ihr das?

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@jnnkm

Das ist wirklich interessant, was du schreibst. Ich empfinde sehr ähnlich, wobei es bei mir überwiegend mit einer alltäglichen Frage zusammen hängt - wie geht es dir.

Wenn es mir nicht so toll geht, sage ich das. Auch wenn es mir widerstrebt, überhaupt die Frage zu beantworten.

Aber wehe, es geht mir gut. Das kommt mir nicht über die Lippen, das zu sagen. Der Grund : Ich fürchte, dass ich es damit verschreiben, und es mir danach nicht mehr gut geht. Und ja, dass auch etwas Schlimmes passiert.
Also lautet meine Antwort auf diese Frage stets so: Jaaa, es geht irgendwie, muss ja. Auch, wenn es mir gut geht, ich Bäume ausreißen könnte, mit mir im Reinen bin und die Welt umarmen könnte.

So richtig dahinter bin ich nicht gekommen womit das alles bei mir gekoppelt ist. Warum kann ich es nicht sagen oder zeigen?

Aktuell versuche ich aber aus dieser Schleife heraus zu kommen. Ich da sage und zeige, wenn es mir gut geht - aber auch wieder bis zu einem gewissen Grad.

Mich würde mal wirklich interessieren, ob es noch mehr Menschen gibt, denen es so oder so ähnlich geht wie uns. Ich denke nämlich, dass dieses Muster wohl wirklich in der Kindheit erlernt worden ist. Weil eben so vieles während dieser sensiblen Phase erlernt wird. Vielleicht ist es eine Art des Selbstschutzes? Aber wovor eigentlich?

Also ich habe es nicht exakt so wie ihr, aber ähnlich.

Bei mir ist es das magische Denken. Also grundsätzlich darf es mir nur dann gut gehen, wenn nicht irgendjemand anders mein Glück gerade braucht. Sprich, wenn meine Eltern zB in den Urlaub fahren, darf es mir in der Zeit nicht gut gehen, weil ich Angst habe, dass wenn es mir gut geht, sie Pech haben.
Klingt total wirr, aber vielleicht kann es ja jemand nachempfinden, der Gedankengang ist nämlich ein ähnlicher.
Auch bei mir schon seit der Kindheit erlernt.

Zitat von Lerchen:
Der Grund : Ich fürchte, dass ich es damit verschreiben, und es mir danach nicht mehr gut geht. Und ja, dass auch etwas Schlimmes passiert.


Das habe ich bspw. auch. Das ich Angst habe, mich an den komfortablen Zustand des Glücks zu gewöhnen aus Angst, das er wieder weg geht und es mir wieder sehr schlecht geht. Dadurch kann man die guten Momente nicht genießen.

Zitat von Horizon:
Das habe ich bspw. auch. Das ich Angst habe, mich an den komfortablen Zustand des Glücks zu gewöhnen aus Angst, das er wieder weg geht und es mir wieder sehr schlecht geht. Dadurch kann man die guten Momente nicht genießen.

Ja, das beschreibt dieses Gefühl sehr gut. Wobei ich, wie gesagt, mir immer mehr und öfter nun die guten Momente bewusst eingestehe und gönne. Es ist aber ein Prozess und sehr tagesabhängig. Mal läuft es bereits besser, mal scheine ich aber wieder keinen Millimeter voran zu kommen.

@Lerchen du sprichst mir total aus der Seele.
Exakt so geht es mir auch. Es ist mühsam, aber ich denke, dass wenn man einen langen Atem hat und es trotz aller Rückschläge immer wieder probiert, es langfristig echt was bewirken kann.

Zitat von jnnkm:
Meine Frage ist nun: kennt ihr das? Dass man sich nicht gut fühlen „darf“?
Dass die Angst größer wird, wenn ihr das Gefühl habt, ihr könnt gerade nicht drüber reden, wenn viele Menschen in eine Konversation verwickelt sind und ihr quasi das Gefühl habt, eure Angst darf jetzt mal kein Mittelpunkt der Unterhaltung sein?
Als würde sie sich von der Aufmerksamkeit ernähren (was sie bestimmt auch indirekt tut) und mit jedem Bisschen wie sie in den Hintergrund geschoben wird, immer stärker wird? Als würde sie nicht erlauben wollen, dass man mal an etwas anderes denkt oder jemand anderes mal „dran ist“ mit seinen Problemen oder Sorgen.


Nein, ich kenne es nicht, aber vielleicht kann ich trotzdem etwas zu deinem Thema beitragen.
Du hast beschrieben, dass es sich für dich nicht gut anfühlt, wenn in einem Gespräch deine Ängste nicht das Gesprächsthema sind. Du hast auch von Aufmerksamkeit gesprochen, d.h. in dem Moment in dem du von deinen Ängsten erzählen kannst und sie das Gesprächsthema sind wird dir Beachtung geschenkt. Jeder Mensch möchte gesehen und beachtet werden. Das ist wichtig für das Wohlbefinden.

Und jetzt eine fiktive Szene:

Eine Unterhaltung ist im Gange und du bist dabei.

„Wie geht es dir?” fragt dein/e Sitznachbar/in dich.

(du bist im Moment in einer guten Phase)

Wie könnte dann sich das Gespräch weiterentwickeln?

Anscheinend hast du bisher ein verlässliches Gesprächsthema, d.h. ein Gesprächsthema, bei dem dir der Stoff nicht ausgeht, gehabt. Das Thema ist zwar sehr unerfreulich aber immerhin hast du Aufmerksamkeit und Beachtung bekommen, was gut ist. Dementsprechend verständlich ist es, dass du das auch weiterhin bekommen möchtest.

Jetzt geht es dir aber „blöderweise” gerade gut oder zumindest nicht schlecht. Dein bisheriges Gesprächsthema ist damit gerade nicht verfügbar oder zumindest nicht aktuell.

Ist das ein Problem? Ich glaube nicht, weil in dir viel mehr steckt als deine Ängste und Probleme. Deine Gedanken zu dem was um dich herum passiert, deine Wünsche, Interessen und Pläne für die Zukunft, Musik, Kultur und Politik etc. Es gäbe so vieles über das du dich unterhalten kannst und womit du wie die anderen Gesprächspartner auch Beachtung bekommst. Vielleicht steht du dann mit deinen Problemen nicht mehr im Mittelpunkt, aber das heißt ja nicht, dass du keine Beachtung mehr bekommen würdest.

Es ist nur eine Hypothese und natürlich kann sie unzutreffend sein: Wäre es möglich, dass du in der Vergangenheit immer dann Aufmerksamkeit bekommen hast, wenn es dir schlecht ging, aber ansonsten eher weniger? Falls das so wäre, wäre es eine mögliche Erklärung dafür, dass es dir nicht gut gehen darf. Denn wenn es dir gut geht, wirst du nicht (mehr so sehr) beachtet.

Zitat von jnnkm:
Meine Frage ist nun: kennt ihr das? Dass man sich nicht gut fühlen „darf“?

Nein. Ich kenne nur, dass ich mich nicht zu sehr darüber freuen kann oder es am besten gar nicht thematisieren und darüber nachdenken darf, weil ich es dann kaputtmachen könnte.

Hallo jnnkm,

Dein Thema kenne ich aus persönlicher Erfahrung nicht sehr genau.
Allerdings habe ich schon mit sehr vielen Menschen darüber gesprochen und möchte Dein
Empfinden als überwiegend normal, also sehr häufig, bezeichnen.

Zitat von jnnkm:
und bei dem Versuch, bewusst positiver zu denken (hat meine Psychiaterin empfohlen) ist mir aufgefallen, dass diese ganze Angst und das Unwohlsein so tief mit mir und meiner Persönlichkeit verankert ist und es seit Jahren der Mittelpunkt meines Lebens ist, dass es mir Angst macht, wenn es mir mal gut geht.


Nach meinem Wissen und meiner Überzeugung wird es hoffentlich nicht in Deiner Persönlichkeit verankert sein.
Aber wie Du es beschreibst, ist es sehr tief in Deinem unterbewussten Denken verankert.
Deine Persönlichkeit und Deine unterbewussten Gedanken sind aber unterschiedliche Dinge.
Deine Persönlichkeit wirst Du wohl kaum verändern können. Du bist und bleibst immer so, wie Du bist.
Und so bist Du auch gut so. Deine unterbewussten Gedanken kannst Du jedoch mit viel Zeit und üben verändern, wenn Du das ganz, ganz fest möchtest.

Zitat von jnnkm:
Schon als Kind sagte ich dann immer zu meiner Mutter wenn ein Tag mal gut verlief „Ich habe das Gefühl irgendwas schlimmes passiert gleich“.
Als würde ich nicht glauben, dass es mir mal gut gehen könnte, dass ich mal angstfrei leben könnte.


Dies klingt für mich nicht außergewöhnlich. In Dein Unterbewusstsein scheinst Du irgendwann mal etwas
selbst eingespeichert zu haben. Und das ist: Eine Erwartungshaltung.
Es kann jederzeit einmal etwas Schlimmes passieren! Ich habe es so oft erlebt! Das hat mir
dann immer so sehr weh getan. Und ich konnte es nie verhindern!

Kann das ungefähr so gewesen sein?
Falls ja, wartest Du ja jeden Tag bis zum Abend darauf, dass noch etwas Unangenehmes passieren wird.

Als Gegenmaßnahme versuchen die Menschen, die sich diese Erwartungshaltung auch selbst
eingespeichert haben, möglichst wenig ausgelassen zu freuen. Damit man keinen Schreck bekommt,
wenn es wieder knallt.

Nun kennt unser Unterbewusstes Denken aber keine Logik. Das unterbewusste Denken
versteht auch überhaupt nichts.
Es wiederholt nur das, was wir Menschen da selbst über
Jahre hineingespeichert haben.
Handelt also immer ohne darüber nachzudenken.
Zum Nachdenken und um etwas zu verstehen, haben wir einen zweiten Teil im Gehirn.
Das ist unser Bewusstes Denken.
Unser bewusstes Denken kann erkennen und verstehen, dass Du heute nicht mehr in derselben
Situation bist wie als Kind.
Das kann unser Unterbewusstses Denken nicht erkennen.

Dies bedeutet: Als Kind konntest Du dich nicht wehren, nicht verteidigen.
Als erwachsene Frau hast Du nun völlig andere Voraussetzungen. Du bist nie mehr so
abhängig, wie Du es als Kind warst. Deshalb darfst Du jetzt auch anders denken, ohne
dass Dir gleich etwas passiert.


Zitat von jnnkm:
Bin momentan auch in medikamentöser Behandlung, die quasi betäubt aber nicht die negativen Bauchgefühle, die teilweise Entfremdung usw eliminiert, die jetzt auftreten, da ich versuche dieses Denkmuster, dass ich seit Jahren habe plötzlich völligen umzuändern und ich mich dadurch völlig fremd und komisch fühle.


So läuft das meistens ab, wie Du es beschreibst. Zuerst sollen Medikamente Deinen Angstpegel herunterregeln.
Nun kann es Dir gelingen, Deine Denkmuster zu Deinem Vorteil zu verändern.

Zitat von Horizon:
Das habe ich bspw. auch. Das ich Angst habe, mich an den komfortablen Zustand des Glücks zu gewöhnen aus Angst, das er wieder weg geht und es mir wieder sehr schlecht geht. Dadurch kann man die guten Momente nicht genießen.


Im täglichen Leben finde ich es völlig normal, dass sich immer wieder mal gute, erfolgreiche Momente und
schlechte, also angstbeladene und belastdende Momente abwechseln.
Ziel des Lebens sollte es werden, etwas mehr gute als weniger erfreuliche Momente erleben zu dürfen.
Dafür müssen wir möglichst jeden Tag, jeden Monat und jedes Jahr etwas tun.
Von allein kann man kaum zufrieden leben.

Viele Grüße
Bernhard





Mira Weyer
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