Hallo Cathy,
die meisten Antidepressiva haben auch eine Zulassung für Angststörungen, einige auch für die Schmerzbehandlung o.ä. Deshalb können sie problemlos auch nicht-depressiven Patienten verschrieben werden. Und auch ohne Zulassung hat der Arzt die Möglichkeit, das off-label zu tun, muss es dann aber ggf. begründen.
Zitat von Cathy: Und wie wissen wir, ob das Medikament wirkt, wenn der Patient gar nicht weiß, was das Medikament in seinem speziellen Fall bewirken soll?
Ganz naiv: Es soll die geschilderten Symptome lindern. Wenn es das tut, wirkt es.
Zitat von Cathy:Und wieso geht Herr Dr. Psychater davon aus, dass der Patient, den er gerade das erstemal vor sich hat, so mir nichts, Dir nichts ein Psychopharmaka einnimmt, die gegen Depressionen eingesetzt werden? Ich versteh schon den Zusammenhang zwischen Angststörung und Depressionen und auch den Zusammenhang zwischen Depressionen und Ängsten und physischer Symtomatik- aber würden weniger Depressionen auch all die anderen (physischen) Symptome mindern, bzw. verschwinden lassen?... ich würd mich einfach nur fragen hat der mir das jetzt verschrieben weil er meint meine Ängste und Symptome werden durch Depressionen verursacht/verstärkt oder hat der mir das jetzt verschrieben um erstmal ein Symptom zu behandeln?...
S.o.: Ein möglicher Zusammenhang zwischen Angst und Depression spielt hierfür keine Rolle. ADs lindern Ängste oder körperliche Beschwerden nicht über eine Besserung einer zugrunde liegenden Depression, sie wirken vielmehr direkt auf das Neurotransmittersystem, das Ängste und/oder Beschwerden vermittelt. Witzigerweise scheinen besonders die modernen ADs gegen Depressionen selbst gar nicht so toll zu wirken...
Zitat von Cathy:Die direkte Angst an einem Hirntumor zu erkranken, kann so ein Medikament natürlich nicht ausradieren...
Ausgerechnet das ist denkbar. SSRI (und SNRI) sind die einzigen Medikamente, die gegen solche Zwangsbefürchtungen tatsächlich wirksam sind. Wenn es richtig gut läuft, wird Nikhil keinen Gedanken mehr an Hirntumore verschwenden, wenn es normal läuft, wird er sich zumindest nicht mehr so darin verbeißen.
Zitat von Cathy:Wieso warten denn soviele Patienten monatelang auf einen Termin beim Psychater und wieso dürfen dann Hausärzte (die die Patienten ja oft besser kennen und regelmäßiger sehen) nicht auch Therapien verschreiben...Dro. ja, Therapien und Anwendungen nein...was fürn Humbug
Aber das dürfen Hausärzte doch... Nur bei Reha-Anträgen und stationären Einweisungen verlangen die Kostenträger i.d.R. den Facharzt. Nur, wenn es wirklich darum geht, eine Therapie z.B. durch eine geeignete Medikation zu begleiten, sollte sich der Psychiater besser auskennen. Im Zweifelsfall ist er einfach qualifizierter, um eine Differentialdiagnose zu stellen. Mitunter nimmt er psychische Probleme auch ernster und erkennt die Phänomene, die dem Hausarzt vielleicht einmal vor 20 Jahren im Praktischen Jahr begegnet sind. Hinter Angstbeschwerden können schließlich ganz andere Störungen stecken als Angststörungen oder Depressionen.
Zitat:rein von der Tatsache ausgehend, dass Nikhil schon im August das Land für längere Zeit verläßt...wozu hat er ihm dann überhaupt ein Medikament verschrieben, dass - wenn ich das hier öfter mal lese - ja wohl eher als Langzeitantidepressivum in Kombination mit anderen Medis und/oder anderen Behandlungen verschrieben wird...und welches auch je nach Befinden oder Notwendigkeit über einen längeren Zeitraum eingestellt angepaßt werden sollte (wenn ich die Berichte einiger Mitglieder hier lese)...oder ist das ein Medikament, dass schnell wirksam auch zur kurzfristigen Behandlung eingesetzt wird?
Nein, das muss man schon was länger nehmen, und es dauert auch ein paar Wochen, bis es wirken kann. Bis zu Nikhils Abreise könnte man feststellen, ob er es verträgt und ob es wirkt, und man könnte sich an die richtige Dosis rantasten, ggf. noch ein anderes Medikament ausprobieren. An sich ist es aber ein Medikament, das als einziges Medikament verschrieben wird. Wenn es hilft, sollte idealerweise kein weiteres nötig sein. Und dann würde Nikhil es für die Dauer seines Indienaufenthaltes nehmen, um stabil zu bleiben - denn voraussichtlich besteht in dieser Zeit nicht die Gelegenheit einer Psychotherapie. Es ist schon irgendwie Flickwerk, aber da kann man dem Arzt m.E. keinen Vorwurf machen. Ich nehme an, dass er sich den Prioritäten seines Patienten anpasst, und in dessen Planung passt derzeit keine Psychotherapie.
Zitat von Cathy:Ja ebend, aber genau das fand doch hier statt...Hausarzt hat eine ziemlich spezifische Diagnose gestellt Angststörung(auf welcher Grundlage auch immer - vielleicht hat er aber auch nur Nikhils Selbstdiagnose rangezogen?) und daraufhin wurden ihm vom Facharzt Antidepressiva verschrieben...
Angststörung ist im Grunde noch recht unspezifisch, aber allein mit den Angaben in Nikhils Eingangspost gerechtfertigt. Die Diagnostik ist eigentlich nur eine Sammlung von Symptomen, wenn für eine Störung laut ICD-10 genug (und die richtigen) zusammenkommen, wird die Diagnose gestellt. Aber: Nikhil schreibt auch von morgendlicher Müdigkeit, und so ein Morgentief ist typisch für Depressionen, während es in der Beschreibung keiner Angststörung vorkommt. Das hätte der Facharzt m.E. weiter abklopfen müssen, außerdem, welche Beschwerden die belastendsten sind. Auch wenn es für seinen Behandlungsvorschlag sicher keinen Unterschied gemacht hätte, ob nun Depressionen oder Ängste vorliegen, muss man bedenken, dass es bei Depressionen zur Suizidalität kommen kann. Eine solche Entwicklung wird man aber eher dann im Auge behalten, wenn man (auch) Depressionen diagnostiziert hat. Und ausschließen kann man eine bestimmte (Zusatz-)Diagnose nur, wenn man den Patienten ein wenig eingehender befragt hat. Außerdem hat er natürlich völlig ungenügend über die Behandlung sowie über Behandlungsalternativen (falls ihm welche einfallen) aufgeklärt.
Zitat von Cathy:Ich glaube kaum Jemand erwartet, auch nicht von nem Facharzt, dass dieser innerhalb 10 Minuten eine psychologische Diagnose erstellen oder bestätigen kann - schon weil auch viele Patienten mit Sicherheit erstmal selbst nur diffuse Angaben machen können, nervös sind etc oder aber sich schon selbst ne Diagnose zusammen gehäkelt haben - genau deswegen versteh ich diesen Schnellschuss mit den Medis nicht...ich meine letztlich ist Nikhil das ganze letzte Jahr ohne Antidepressiva klar gekommen (sollte das nicht auch bedacht werden?)...und hat da, wenn ich das richtig deute auch bei diesem Termin nicht aufgedreht, oder stand kurz vor nem Zusammenbruch...
Wenn man im Alltag noch funktioniert, ist es normal, sich nicht voller Elan auf die Bearbeitung von Ängsten zu stürzen, aber trotzdem (
unvorwurfsvoll!): Nikhil ist seine Problematik seit einem Jahr bekannt - vielleicht nicht,
was er hat, aber
dass er was hat. Und entweder hat sich das verschlimmert, oder ihm dämmert jetzt, dass es in Indien ein ernsthafteres Problem werden könnte als hier. Da sehe ich den ärztlichen Schnellschuss als einen Versuch, ihm noch auf die Schnelle zu helfen, denn - vorausgesetzt, es ist wirklich und ausschließlich etwas Psychisches - für alle anderen denkbaren Maßnahmen ist es jetzt zu spät.
Zitat von Cathy:Was könnte er denn jetzt noch tun bzw. unternehmen? Ich frag mal einfach bei Dir nach, ich hoffe das ist ok...könnte Nikhil theoretisch auch mal im nächsten Krankenhaus (mit der psychologischen/psychatrischen/neurologischen) Station vorsprechen um dort mal neurologisch oder/und von einem Psychologen durchgechekt zu werden und wenn auch nur per Fragebogen? Könnte ihn dorthin sein Hausarzt für eine ambulante Untersuchung überweisen? Natürlich können die ihm auch nicht von eine auf die andere Stunde von seinen Ängsten und Symptomen befreien...aber so würde er sich ersparen (die Zeit hat er auch gar nicht) jetzt nochmal zu zwei drei anderen Ärzten zu laufen, bzw. da erstmal einen zu finden der noch Termine frei hat...
Nikhil kann immer mit akuten Beschwerden, seien sie neurologischer Art oder einfach akute Angst, in die Notaufnahme. Ich bezweifle aber, dass das neue Erkenntnisse bringen wird. Wenn die neurologische Abklärung noch nicht stattgefunden hat, wäre eine Überweisung ans Krankenhaus zwecks MRT sicher möglich und sinnvoll. Zur Psycho-Diagnostik: Manche Krankenhäuser haben psychiatrische oder psychotherapeutische Ambulanzen, wegen der Häufigkeit dieser Erkrankungen sogar oft auf Angststörungen spezialisiert. Da kann man auch zeitnah einen Termin zur Diagnostik und Beratung bzgl. weiterer Therapie bekommen. Was mir aber gerade als sinnvollere Möglichkeit einfällt: Nikhil ist Student, und Universitäten haben i.d.R. psychologisch-psychotherapeutische Beratungsstellen - beileibe nicht nur für von Prüfungsangst geplagte Studenten. Die können ihm vielleicht noch auf die Schnelle sogar psychotherapeutisch den Weg zeigen und ihm ein paar Tipps mitgeben. Außerdem werden Stipendiaten vor Ort ja auch ein bisschen betreut - vielleicht kann man von hier aus einen Ansprechpartner organisieren und/oder die Lage sondieren. An wen er sich im Notfall wenden kann etc.
Mehr kann man m.E. nicht tun. Ich an Nikhils Stelle würde aber nach dem Indienaufenthalt unbedingt eine Psychotherapie einplanen. Denn auch wenn er das AD nimmt und es toll gegen die Ängste wirkt, sind die Rückfallquoten bei solchen Befürchtungen ohne Psychotherapie sehr hoch.
Liebe Grüße
Christina