App im Playstore
Pfeil rechts

Hallo,
meine Ängste habe ich in einem Vorstellungsthread beschrieben und weiß weiterhin nicht, wo sie einzuordnen sind. Aber egal, bei meiner folgenden Frage geht es sowieso um eine allgemeines Thema.

Was haltet ihr von der Behauptung, dass psychische Erkrankungen und eben auch Ängste auch deshalb aufrecht erhalten werden, weil die Erkrankten einen Krankheitsgewinn daraus ziehen? (Ist mir kürzlich wieder in einer Broschüre über Angst wieder begegnet... aber ich habe das schon oft gehört/gelesen.)

Ich kann mit dieser Behauptung nichts anfangen, obwohl ich schon oft darüber nachgedacht habe. Bei meinen Ängsten ist es so:

- entweder ich führe die Aktivitäten trotz meiner massiven Ängste aus oder stehe entsprechende angstbesetzte Situationen halt irgendwie durch (und erleide dabei eben all die unangenehmen und belastenden bekannten Angstsymptome von äußerster Angespanntheit, extreme Nervosität, Unwohlsein, Schwitzen, Herzrasen, Magen-Darmproblemen, Kurzatmigkeit etc.).

- oder ich kann in bestimmten Situationen um Unterstützung bitten, so dass die Angst gemindert wird oder gar nicht auftritt (was aber meistens auch sehr unangenehm ist)

- oder ich vermeide bestimmte angstbesetzte Aktivitäten/Situationen und ärgere mich darüber, dass mein Leben beschränkt und blockiert ist und ich nicht wirklich frei über meine Aktivitäten entscheiden kann.

Wo soll denn da ein Krankheitsgewinn liegen?

Ich werde ja wegen meiner Ängste von niemandem betütelt und gehätschelt (und wenn, dann würde ich das ja ziemlich blöd finden). Selbst wenn ich jemandem um Hilfe bitte, finde ich diese Bitte (und die dazugehörige Erklärung: Sorry, aber ich habe solche Angst) eher ziemlich peinlich. Über die Hilfe bin ich dann froh, aber ich möchte sicher nicht darauf angewiesen sein. Vor allem stoße ich bei solchen Hilfebitten doch auf ziemliches Unverständnis, Kopfschütteln und vielleicht das eine oder andere Grinsen. (In einer beruflichen Situation bat ich mal in meiner Not einen Kollegen um Hilfe. Der unterstützte mich zwar, lachte aber über mich, erzählte die Begebenheit gleich am nächsten Tag im Team herum und macht noch nach Jahren mir gegenüber Anspielungen auf die Situation. Naja, klar, ich lebe damit. Aber Krankheitsgewinn kann man so was doch wirklich nicht nennen.)

Also: Was haltet ihr von dieser Behauptung vom Krankheitsgewinn, dessentwegen man seine Ängste in Wirklichkeit nicht aufgeben will?

Viele Grüße
Magnolie

15.11.2012 12:32 • 17.11.2012 #1


8 Antworten ↓


Bei dem Wort ,,Angstgewinn kommt mir der Gedanke, dass man durch eine irrationale Angst ein tieferliegendes Problem verdrängen könnte und somit den Gewinn hat, sich nicht damit befassen zu müssen.

Bei genauerem Überlegen könnte das wohl der Grund allgemein für irrationale Ängste sein.

Ich bin nicht betroffen, denke mir aber, dass man an irrationale Ängste nicht nur mir einer Verhaltenstherapie und Konfrontation herangehen sollte, sondern auch in sich schauen, tiefenpsychologisch, psychoanalytisch vielleicht.

Je genauer man sich kennt, desto mehr kann man denk ich mal auch selbst tun, während man auf Wartelisten steht z. B.. Überhaupt würde ich Psychologen nur als Hilfestellung sehen, um die eigenen speziellen Überlegungen mit den hergebrachten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vergleichen und um Denkanstöße zu geben.

Ich empfehle, ein Angsttagebuch zu schreiben, in dem man alle Gedanken zu den Ängsten festhält. Und auch welche, die vielleicht gar nichts damit zu tun haben und einfach zeitgleich einfallen. Und die einzelnen Situationen in denen Ängste auftreten möglichst genau zu beschreiben, damit man danach Gesetzmäßigkeiten herausarbeiten kann oder sogar was wirklich dahintersteht.

A


Krankheitsgewinn bei Ängsten?

x 3


Aufmerksamkeit
keine Verantwortung übernehmen müssen

da geht es hauptsächlich darum wenn der Patient keinerlei Notwendigkeit sieht seine Situation zu veränderen.
Der Kranke möchte eben in seiner Rolle bleiben.

Hallo Sommerblüte und liebe,

danke für eure Erläuterungen, die mich aber nicht so recht überzeugt haben. Sorry, wenn ich das einfach so schreibe.

Nehmen wir einmal an, ein Mensch hat vor Katzen Angst. (Ich nicht... aber könnte es ja geben.)

Schon seit vielen Jahren. In seiner Kindheit wurde er mal von der Katze seiner Kusine am Arm gekratzt. Aber auch schon vor diesem Vorfall war er kein Katzenfreund und ging eher auf Abstand. Die Angst kann er genau definieren: Er weiß genau, wann sie auftritt, wie sie auftritt und was für Gefühle und Gedanken sie in ihm auslöst. Er besucht also keine Leute, die Katzen haben. Aber natürlich begegnen ihm irgendwo draußen unterwegs da und dort mal Katzen. Prompt sind seine Angstreaktionen da. Da er sich schon gründlich mit seiner Phobie auseinander gesetzt hat, Bücher dazu gelesen hat und sie auch mal Thema in einer Therapie war, sie sich aber nur unmerklich reduziert hat, lebt der Mensch jetzt eben damit.

- Inwiefern könnte die Katzenphobie ein Ablenkungsmanöver von tieferliegenden Problemen sein? Die Angst ist ja doch ziemlich zeitlich begrenzt und ließe diesem Menschen noch genug Zeit, um andere Probleme nachzudenken.

- Aufmerksamkeit? Naja, sagen wir mal, er ist bei einem Freund eingeladen, der neuerdings eine Katze besitzt und offenbart ihm das Problem. Ok, das bringt dem ängstlichen Menschen vielleicht mal 5 Minuten Aufmerksamkeit und die Versicherung, dass die Katze bei seinem Besuch in ein Zimmer oder in den Garten gesperrt wird. Das war's dann aber auch schon mit der Aufmerksamkeit. (Und noch dazu ist diese doch eher unangenehm. Ich kenne jedenfalls keine/n, der/die sich gerne mit seinen Ängsten brüstet und damit gern im Mittelpunkt von Gesprächsrunden steht. Ist ja schon schlimm genug, wenn man einmal eine Person ins Vertrauen gezogen wird und diese einen in der Folge nur noch auf das Angstthema anspricht - so als hätte man sonst keine Persönlichkeit mehr...)

- Keine Verantwortung übernehmen müssen? Auf welche Art von Angst könnte das zutreffen? Bei dem Beispiel von der Katzenphobie nur insofern, als der ängstliche Mensch sich wohl keine Katze als Haustier halten wird und somit auch keine Verantwortung dafür tragen muss. Aber das geht Millionen von Nicht-Haustierhaltern auch so - ganz ohne Tierphobie. Und sonst muss der ängstliche Mensch ja trotzdem Verantwortung in seinem Leben übernehmen, also zum Beispiel pünktlich zu Terminen kommen, auch wenn er am Ende einer Straße, die er durchqueren muss, eine Katze gesehen hat und sich nicht recht vorbeitraut.

- In seiner Rolle bleiben? Welche besondere Rolle wird ihm denn durch die Angst zuteil?

Sorry, aber ich kann weiterhin kein überzeugendes Argument für einen Krankheitsgewinn durch Ängste sehen.

Deshalb meine Frage: Was haltet ihr von dieser Behauptung? Haltet ihr sie für zutreffend? Konntet ihr in eurem Leben schon mal Situationen erleben, in denen eure Ängste euch irgendeinen Vorteil (also Gewinn) gebracht hätten? Oder könnt ihr euch solche Situationen zumindest vorstellen? Oder aber weist ihr, die Idee, dass Ängste einen Krankheitsgewinn mit sich bringen, weit zurück?

Viele Grüße
Magnolie

PS: Naja, kann natürlich sein, dass diese Frage niemand sonst interessiert.

Das mit der Katzenphobie war kein gutes Beispiel dafür. Beim Krankheitsgewinn geht es dabei eher um Panikerkrankungen oder Hypochondrie. Jemand der ständig irgendwelche Krankheitssymptome hat und ständig Angst davor hat, an einer schlimmen Krankheit zu leiden und ständig denkt, sein letztes Stündlein hätte geschlagen, bekommt normalerweise sehr viel Aufmerksamkeit von der Familie und von Ärzten.
Auch Leute, die z.B. wegen Panikattacken alleine nicht aus dem Haus gehen können, stehen oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, weil immer jemand da sein muss, der ihnen hilft, der sie begleitet oder Sachen für sie erledigt. Da sind oft auch Dinge dabei, die niemand gern erledigt und man hat mit der Angsterkrankung sozusagen einen Vorwand, diese Sachen nicht machen zu müssen. Oder wenn immer jemand anders Sachen für einen macht, kann man selbst keine Fehler machen und entzieht somit der Verantwortung. Das sind jetzt nur mal ein paar konkrete Beispiele.

Hallo Magnolie,

Ängste begleiten mich schon seit frühester Kindheit an bis heute und ich kann da auch nur für mich sprechen, also das sich bisher keine Vorteile dadurch ergeben hatten für mich. Auch habe ich es nicht so erlebt, aufgrund meiner Angst etwa mehr Aufmerksamkeit erfahren zu haben durch Angehörige z.B. Im Gegenteil, ich fühlte mich sogar von einigen aus meiner Umgebung eher im Stich gelassen bzw. noch mehr in die Enge gedrängt. Ich bin aber heute froh, mein Leben trotz der ganzen Umstände bis jetzt gemeistert zu haben und ein selbständiges Leben zu führen ohne auf jemand anders angewiesen zu sein. Dazu muss ich sagen, das hatte ich mit Hilfe meiner Therapie geschafft und dafür bin ich sehr dankbar.

Liebe Grüße

Es ist ja nicht bei jedem der Fall, dass ein Kranheitsgewinn besteht. Aber wenn ja, dann ist es so, wie ich es beschrieben habe. Es gibt Angsterkrankte, die ihre Ängste unbewusst weiterschüren, weil ihnen ohne sie keine Beachtung geschenkt würde.

Hallo Finja, hallo Schlaflose,

danke für eure Beiträge!

Zitat:
Ich bin aber heute froh, mein Leben trotz der ganzen Umstände bis jetzt gemeistert zu haben und ein selbständiges Leben zu führen ohne auf jemand anders angewiesen zu sein.


Super, gratuliere.

@Schlaflose: Danke für deine Erklärung und die Beispiele. Ok, dann gilt die Behauptung vom Krankheitsgewinn also eher nur für bestimmte Arten von Angst.

Zitat:
Jemand der ständig irgendwelche Krankheitssymptome hat und ständig Angst davor hat, an einer schlimmen Krankheit zu leiden und ständig denkt, sein letztes Stündlein hätte geschlagen, bekommt normalerweise sehr viel Aufmerksamkeit von der Familie und von Ärzten.


Ja, so ist das zumindest in der Komödie Der eingebildete Kranke von Molière schon dargestellt. In dieser Komödie will der Protagonist tatsächlich die Aufmerksamkeit seiner Umgebung an sich binden. Aber ob das immer so ist? Ist das nicht ein Klischee, das gerade dieser Art von Angststörung zugeschrieben wird? (Fällt mir gerade beim Nachdenken so ein.)

Ob durch erhöhte Aufmerksamkeit der Mitmenschen bei Hypochondern tatsächlich ein Krankheitsgewinn entsteht, hängt wahrscheinlich zum einen von der Persönlichkeit des Hypochonders ab (leidet er/sie eher still vor sich hin oder muss die ganze Welt von seinem/ihrem Missbefinden erfahren?) und zum anderen von den Angehörigen und wie sehr sie sich in die Ängste mit hineinziehen und sozusagen anstecken lassen.

Viele Grüße
Magnolie

Zitat von Schlaflose:
Es ist ja nicht bei jedem der Fall, dass ein Kranheitsgewinn besteht. Aber wenn ja, dann ist es so, wie ich es beschrieben habe. Es gibt Angsterkrankte, die ihre Ängste unbewusst weiterschüren, weil ihnen ohne sie keine Beachtung geschenkt würde.


Das kann schon manchmal der Fall sein.

@ Magnolia

Dankeschön





Prof. Dr. Borwin Bandelow
App im Playstore