Ich glaube, dass eine Konfrontatonstherapie gut helfen kann, dass man gleichzeitig aber auch das Denken umstellen muss.
Wenn etwas Anderes wichtiger oder dringender ist als die Angst, kann man sie ganz leicht und rasch überwinden. Beispiel: Ich litt Jahrelang an extremer Höhenangst. Mir wurde schon schwindlig, wenn ich auf ein Schemelchen steigen musste, um eine Glühbirne auszuwechseln. Stühle oder sowas gingen gar nicht, Leitern erst Recht nicht.
Dann hab ich dieses Frühjahr mein Zimmer renoviert, und um die Decke streichen zu können hätte ich eben auf eine Leiter klettern müssen.
Das wollte ich aber nicht.
Bzw. ich dachte, ich könnte es nicht.
Also hab ich mich darauf eingestellt, auf meine Mutter zu warten, die das dann für mich machen sollte. Da hätte ich aber noch 6 Stunden warten müssen, bis sich was tut.
Ich wollte aber in dem Moment die Veränderung unbedingt und dringend, ich wollte ein neues Zimmer haben und ich wollte endlich fertig sein mit dem Streichen.
Also bin ich kurzerhand selber auf die Leiter geklettert, erst zaghaft und langsam, dann von Mal zu Mal immer schneller.
Inzwischen kann ich einfach so auf Leitern und Stühle und Hocker steigen, ich hab überhaupt keine Angst mehr davor.
Also erst Überwindung, sich ein Ziel setzen, etwas, was dringender und wichtiger ist als die Angst -und dann üben und konfrontieren.
Anderes Beispiel: Ich litt nach dem Tod meines Vaters an Panikattacken, musste aber gleichzeitig auch mein Abi schreiben. Die Attacken waren entsetzlich, aber das Abi war einfach wichtiger, dringender. Also hab ich mich in die Prüfungen gesetzt trotz Panikattacken. Ich litt also 3-6 Stunden lang an Schwindel, Übelkeit, Herzrasen, Derealisationsgefühlen -aber hab durchgehalten. Weil ich wusste: Egal, wie schlimm es auch wird, du kommst hier nicht raus. Aufstehen und weggehen -das geht nicht.
Also hab ich die Prüfungen durchgestanden und rasch erkannt: Man kann die angst aushalten, und obwohl sie sich entsetzlich anfühlt, kann sie nicht wirklich etwas an meiner Zielsetzung ändern.
Ab dem Zeitpunkt hatte ich nie mehr so schlimme Panikattacken, mittlerweile sind sie ganz weg.
Verstehst du, was ich meine?
Zunächst einmal musst du dir ein festes Ziel setzen, dir wirklich klar machen: JA, ich habe die Wahl. JA, ich kann etwas verändern.
Mal dir aus, wie cool du reagieren könntest, wenn du weniger sensibel wärst.
Wenn du von Vornherein, wie du sagst, an einer Heilung (was ja irgendwie auch passiv klingt und wenig Aktivität impliziert) zweifelst, dann wird es auch sehr schwer, eine Verbesserung deiner Situation zu erzielen.
Denn die Verbesserung, die du dir wünschst, die muss wichtig sein, und sie muss vor Allem real und greifbar werden in deinem Kopf.
Denn das ist sie auch.
Jede Verbesserung geht aber nur mit Veränderung einher.
In deiner speziellen Situation habe ich das Gefühl, dass du dich sehr über Lob und Tadel Anderer definierst. Das führt dann dazu, dass dich das emotional stark erregt, wenn du Lob oder eben Tadel von Anderen erfährst. Dadurch wirst du freilich auch sehr empfindlich und da sind dann auch die Ängste nicht mehr weit.
Du solltest deinen Blickwinkel ändern.
Dich selber mehr in den Mittelpunkt stellen.
DU bist es, der dein Leben misst.
Du selbst bestimmst, was gut war und was nicht, du selbst definierst dich.
Nicht die Anderen, sondern Du.
Versuche, das zu verinnerlichen, versuche, dich selber mehr ins Zentrum deines Lebens zu rücken.
Wenn dir z.B. jemand sagt: Du bist blöd!
Dann kannst du kurz darüber nachdenken, aber es braucht dich nicht zutiefst zu erschüttern, denn du weißt ja (hoffentlich), dass es nicht stimmt
Wenn jemand sagt: Heute hast du auf der Arbeit echt nur schei. verzapft! -dann kannst du das als Genörgel abtun, wenn du für dich selbst weißt, dass du heute dein Bestes gegeben hast.
Am Ende des Tages ist nur eine Meinung wichtig, und zwar die Eigene.
Wenn man in den Spiegel schauen und sagen kann: Ja, ich hab heute Alles richtig gemacht, ich hab mein Bestes gegeben und ich hab genau so gehandelt, wie ich es als gut empfinde -dann ist Alles okay.
Eine dritte Meinung, ein fremder Mensch, die haben da gar nichts zu suchen.
Auch hängst du, denke ich, gedanklich zu sehr an deiner Erkrankung. Immerhin hast du schon eingesehen, dass du sie nicht ändern kannst -das ist gut! Jetzt musst du lernen, die Einschränkung als ein Teil von dir anzunehmen. Sie gehört zu dir dazu wie deine Haarfarbe, deine Augenfarbe oder dein Daumenabdruck.
Aber -und das ist sehr wichtig- sie macht dich nicht aus!
Du hast es nicht nötig, dich über die Krankheit zu definieren.
Du bist, unabhängig davon, auch ein eigenständiger Mensch.
Ich kann deine Angst gut verstehen; ich selber sehe z.B. sehr schlecht, im Dunkeln bin ich so gut wie blind. Da ich aber mit meinen 22 Jahren trotzdem gerne weg gehe und dann erst Nachts nach Hause komme, hatte ich oft Probleme damit, das vor Anderen zu zeigen, hatte Angst, dass meine Schwäche von Anderen bemerkt werden könnte und sie mich auslachen würden. Dieser Satz hat mir damals sehr geholfen:
Das ist ein Teil von dir, aber es macht dich nicht aus.
Mein Charakter, der macht mich aus. Die Krankheit aber ist in Wahrheit viel nichtiger, als ich es wahrhaben wollte.
Irgendwann hab ich einfach mal auf dem Nachhauseweg gesagt, dass ich im Dunkeln so gut wie blind bin, dass ich sehr schlecht sehe, und dass es mich unsicher macht. Seitdem nehmen mich Freundinnen oder Freunde auf dem Nachhauseweg einfach an der Hand oder haken sich unter. Mir gibt das Sicherheit, wir haben trotzdem gemeinsam viel Spaß, und ich habe vor Allem erkannt, dass das, was ich als vermeintliche Schwäche gesehen habe, mich für Andere eher liebenswert und besonders macht.
Und genau so ist es bei dir auch.
Deine Merkschwäche ist zwar ein Teil von dir, aber es ist ein Aspekt, den du nicht ändern, den du dir nicht aussuchen kannst. Wie eine zu große Nase oder ein krummer Finger oder ein komisch geformtes Muttermal. Du musst sie einfach akzeptieren und das Beste draus machen. Es ist keine Schwäche, es ist nichts, wofür man sich schämen muss.
Du hast sie zwar, aber sie definiert dich nicht.
Tatsächlich kenne ich ein Mädchen, das auch oft Diskussionen und Gesprächen nicht gut folgen kann. Sie sagt dann oft völlig unpassende Dinge zur falschen Zeit -und wir lachen dann immer gemeinsam herzlich darüber. Trotzdem mögen wir sie alle sehr gern, denn sie ist ein herzensguter, gütiger und hilfsbereiter Mensch. Dass man ihr eben öfters mal Dinge erklären muss, die Andere sofort verstehen, stört uns alle überhaupt nicht. Im Gegenteil: Es macht sie besonders, es macht sie liebenswert.
Kurzum: Gib die Hoffnung nicht auf, Finde sie wieder.
Nimm dich so an, wie du bist.
Sieh die Krankheit nicht als Schwäche, sondern als etwas, das dich besonders macht.
Ich glaube, wenn du das schaffst, dann verschwindet zeitgleich auch die Angst vor Ablehnung. Wer sich selber als Gesamtpaket akzeptieren kann, der wird auch von Anderen sehr positiv aufgenommen.
Und wer mit sich selbst im Reinen ist, der ist auch standfester und weniger anfällig für Kritik von Außen.
Denn: Keiner ist perfekt. Manch ener hat vielleicht eine krumme Nase, der andere sieht nicht besonders gut, und du kannst dir eben Dinge nicht so gut merken. Ist doch egal. Unterm Strich sind wir alle Menschen mit Stärken und Schwächen und Eigenschaften, die uns die Natur gegeben hat und die wir nicht ändern können.
Du solltest vielleicht sogar eine gute Verhaltenstherapie suchen, vielleicht hilft es dir, gemeinsam mit dem Therapeuten zu üben, wie man mit Kritik und Lob maßvoll umgeht, wie man mehr zu sich selber findet und nicht so abhängig ist von der Meinung Anderer.
Du könntest dir auch dein persönliches Mantra schreiben, nach dem Motto: Ich bin gut, so wie ich bin, und kein Andrer kann da mitreden oder Meine Krankheit ist keine Schwäche, sondern eine Besonderheit oder Ich muss nur vor mir selber gerade stehen können -eben Alles, was du glauben willst, aber wohl noch nicht so recht verinnerlicht hast.
Zeitgleich nutzt es vielleicht wirklich, wenn du dir durch Konfrontation eine dickere Haut zulegst. Vielleicht einfach mal von Freunden deine Stärken und Schwächen aufzählen lassen und so nach und nach ein dickeres Fell entwickeln. Oder mal in der Fußgängerzone absichtlich stören und auffallen, indem man z.B. recht langsam geht oder mitten im Weg stehen bleibt. Wenn dich dann die vorbeihetzenden Leute mit verachtenden Blicken oder Genörgel strafen und du dir dabei denken kannst: Pah, ist mir egal! -dann bist du vermutlich nicht mehr zu sensibel für diese Welt.
Jedenfalls steht es in deiner Macht, etwas zu verändern, du kannst etwas bewirken.
Aber dazu braucht es Veränderung und die muss von dir ausgehen.
Einfach mal Alles ausprobieren, was man sich vorstellen kann.
Manches hilft, andres ist nutzlos. Aber solange man probiert, bewegt man sich vorwärts
Alles Gute,
Pilongo
21.11.2009 10:17 •
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