Ich weiß nicht wirklich, ob ich dies im richtigen Forum schreibe, da ich meine Situation persönlich als zu komplex empfinde um sie irgendwo einzuordnen. Aus demselben Grund fällt es mir auch schwer einen Einstieg in das zu finden, was ich über mich berichten will.
Möglicherweise ist es daher am besten, wenn ich vorab einige Punkte stichwortartig abarbeite, um einen Grundriss über mein Leben und meine Ängste zu liefern:
- Ich bin 27 Jahre alt und wohne noch bei meiner Mutter
- Ich hatte bisher weder Sex noch eine Freundin
- Seit dem Abschluss meines Studiums vor drei Jahren habe ich keinen Job
- Ich verlasse immer seltener die Wohnung, in diesem Jahr erst fünfmal. Es kam unter anderem schon zweimal vor, dass ich drei Monate lang nicht aus dem Haus ging.
- Der Kontakt zu Bekannten und (ehemaligen) Freunden ist praktisch vollständig abgebrochen. Lediglich alle paar Monate treffe ich mich mit Freunden aus meiner Schulzeit
- Ich habe keinen Führerschein, weil ich drei Wochen vor der Prüfung abgebrochen habe
- Ich kann meinen Körper nicht ertragen
Wenn man diese Dinge als Außenstehender liest, ist der erste Gedanke vermutlich „Was für ein Loser!“. Vermutlich bin ich das auch, aber ich war nicht immer so. Im Grunde fing mein Leben recht vielversprechend an. Ich war sehr sportlich, spielte im Fußballverein, war sehr gut in der Schule und hatte viele Freunde, mit denen ich mich fast täglich getroffen hatte. Ich würde sagen, dass ich etwas bis zum 15. Lebensjahr ein glückliches und recht normales Kind war…
Den ersten Knackpunkt, der mir bewusst ist, hatte ich zu dieser Zeit aber schon erlebt. Als Zehnjähriger wurde ich gezwungen, mit meinem Vater (der sich von meiner Mutter geschieden hatte, als ich drei Jahre alt war) in den Urlaub zu fahren. Ich weiß heute gar nicht mehr, wieso ich mich dermaßen dagegen gesträubt hatte, aber durch diesen Urlaub entstand die erste richtige Angst in meinem Leben, nämlich woanders als bei mir zu Hause zu schlafen. Bis dahin war dies für mich überhaupt kein Problem gewesen, ich hatte oft Nächte bei Freunden verbracht. Danach ging das nicht mehr. Auch Klassenfahrten oder Zeltlager waren für mich nicht mehr möglich. Im Laufe der Jahre hat sich das gebessert, so dass ich mit 16 Jahren z.B. wieder an einer Klassenfahrt teilgenommen hatte, aber es war immer ein Gefühl von Unbehagen dabei, wenn ich nicht in meinem eigenen Bett schlafen konnte und dieses Gefühl ging nie vollkommen weg.
Mit dem Einsetzen der Pubertät setzte ein neues Problem ein, das zwar praktisch jeder kennt, aber bei mir im Laufe der Zeit immer schlimmere Züge bekommen hatte: ich fing an, mich mit meinem Äußeren auseinanderzusetzen. Anfangs war dies vermutlich noch ziemlich normal, ich hasste meine Pickel, ich fand meinen P. zu klein und so weiter. Natürlich fing ich auch an mich für Mädchen zu interessieren, aber richtigen Kontakt hatte ich zu keinem. Ich glaube, anfangs war mir das aber auch gar nicht so wichtig, da ich eh die meiste Zeit mit Freunden auf dem Fußballplatz verbracht habe. Ich dachte vermutlich, irgendwann wird es schon dazu kommen. Doch es kam nicht dazu. Die Jahre vergingen und es hatte sich immer noch nichts ergeben. Mir wurde die Situation zunehmend peinlich und ich fing an, an mir selbst zu zweifeln. Ich litt immer mehr unter meinen Pickeln und fand immer mehr an mir, was ich eklig und abstoßend fand. Mittlerweile gibt es wohl keinen Körperteil bzw. kaum einen Quadratzentimeter, den ich nicht verabscheue. Ich entwickelte einen sehr starken Spiegelzwang, ständig laufe ich von einem Spiegel zum nächsten, untersuche meinen Körper aus allen möglichen Perspektiven…und kann das, was ich sehe, nicht ertragen. Dazu kommen noch Dinge wie, dass ich meine Stimme und meine Aussprache hasse. Ich bilde mir ein, dass mich keiner verstehen kann, wenn ich spreche. Andere Menschen sagen mir, dass ich ganz normal oder sogar gut aussehe und dass man mich verstehen kann, aber ich kann das nicht nachvollziehen. Ich bilde mir z.B. das, was ich im Spiegel sehe, ja nicht ein!
Ein weitere Angst, die mein Leben stark bestimmt, ist die Versagensangst. Schon seit ich denken kann, wollte ich alles immer so gut wie möglich machen und habe mir nie eingestanden, etwas nicht perfekt zu können. In der Schule war es für mich eine halbe Katastrophe, wenn ich mal keine eins geschrieben hatte und auch beim Fußball, eigentlich meine große Leidenschaft, quälten mich immer wieder Versagensängste. Nicht nur einmal hatte ich mich krank gestellt, wenn ich dem Druck, gut spielen zu müssen, nicht mehr standhalten konnte. Generell bin ich bei praktisch allem, was ich tue, sehr ich-bezogen. Ständig fühle ich mich von anderen beobachtet und fürchte mich davor, mich vor ihnen zu blamieren oder ihnen zu zeigen, dass ich nicht perfekt bin. Ich fühle mich im Mittelpunkt, hasse es aber im Mittelpunkt zu stehen. Ich ging immer öfter dazu über, Situationen, die mir Angst machen, zu meiden. Beispielsweise brach ich die Fahrschule ab, weil ich mit dem Druck nicht mehr klarkam. Ständig habe ich mir Situationen im Kopf durchgespielt, die während der Fahrprüfung passieren könnten, dass ich mich völlig überfordert fühlte. Aber das Meidungsverhalten beschränkte sich nicht auf so „große“ Dinge wie die Führerscheinprüfung, auch im alltäglichen Leben fing ich immer mehr an, mir Situationen im Kopf durchzuspielen, bis ich mich zu sehr davor fürchtete, mich ihnen zu stellen. So wurden Banalitäten wie Einkaufen im Laufe der Jahre eine zunehmende Hürde.
Verschlimmert hat sich mein Leben insbesondere durch das Ende der Schule. Bis dahin war ich zumindest ständig unter Leuten, es gab viele Mitschüler, mit denen ich mich gut verstand. Danach brach der Kontakt zu den allermeisten von ihnen aber sehr schnell komplett ab. Und da meine sozialen Hemmungen und Ängste zu diesem Zeitpunkt schon recht stark waren, fiel es mir sehr schwer neue Menschen kennenzulernen. Ich wurde zunehmend einsamer, was meine sozialen Ängste nur noch verschlimmerte. Dies führte wiederum dazu, dass ich mich noch mehr mit mir selbst und meinem Körper auseinandersetzte, ich mich noch hässlicher fühlte, so dass es mir noch schwerer fiel, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Es war ein Teufelskreis entstanden, aus dem ich nicht mehr herauskam, sondern der mich wie ein Strudel immer tiefer in sich hineinzog.
Seitdem ich vor drei Jahren das Studium beendet habe, ist mein Leben als solches nicht mehr zu bezeichnen. Es ist nur noch ein Dahinvegetieren, quasi ein verfrühtes Warten auf den Tod. Ich sehe keinen Weg mehr daraus, traue mir nichts mehr zu und habe eigentlich vor allem Angst, was sich außerhalb der mutmaßlich sicheren Wände dieser Wohnung abspielt. Und mit jedem Tag wird die Situation aussichtsloser. Nachts wache ich häufig mit Panikattacken auf, in denen mir bewusst wird, dass alles um mich herum real ist. Mein Leben findet im Grunde nur noch in meinem Kopf statt, aktives Handeln, Selbständigkeit und Selbstverantwortung scheinen mir hingegen unerreichbare Ideale zu sein.
14.06.2011 16:48 • • 18.06.2011 #1