Sich seinen Ängsten stellen
Doris Wolf beantwortet Fragen zum Thema
Psychotherapeutin Autorin
Dr. Doris Wolf
Die Psychotherapeutin Dr. Doris Wolf studierte an der Universität in Mannheim Psychologie. Ihre Spezialgebiete sind die Überwindung von Ängsten und Phobien, Trennungs- und Trauerbewältigung, der Umgang mit Schuldgefühlen, Einsamkeit und Übergewicht.
Woran erkenne ich, dass meine Ängste krankhafte Züge annehmen?
Gibt es so etwas wie eine Checkliste?
Von krankhafter Angst können wir dann sprechen
- wenn die Angstzustände unangemessen intensiv und zu häufig auftreten,
- wenn sie zu lange anhalten,
- wenn sie belasten und starkes Leiden verursachen,
- wenn sie zur Vermeidung wichtiger Aktivitäten führen,
- wenn sie wesentliche Einschränkungen im Leben verursachen.
Es gibt viele unterschiedliche Angststörungen, die alle mit charakteristischen Denkmustern, körperlichen Reaktionen und Verhaltensweisen einhergehen. Um erste Hinweise darauf zu bekommen, unter welcher Störung man leiden könnte, gibt es spezielle Angsttests. Die genaue Diagnose sollte aber durch einen Psychotherapeuten oder Psychiater erfolgen.
In welchen Fällen ist die Einnahme eines Antidepressivums angezeigt?
Antidepressiva sind dann sinnvoll, wenn Betroffene in Folge ihrer Angststörung eine Depression entwickelt haben und/oder so stark beeinträchtigt sind, dass sie ohne Medikamente nicht an einer Psychotherapie teilnehmen könnten. Manchmal können durch die Medikamente die Lernfähigkeit verbessert und ein Rückfall vermieden werden.
Birgt die Therapie einer Angststörung mit Hilfe von Medikamenten auch Gefahren wie Nebenwirkungen oder Abhängigkeiten?
In der Behandlung von Angststörungen werden in Abhängigkeit von der jeweiligen Angststörung unterschiedliche Medikamente eingesetzt, die mehr oder weniger starke Nebenwirkungen haben und abhängig machen können. Bei Beruhigungsmitteln besteht beispielsweise die Gefahr einer Abhängigkeit. Die bei der Behandlung von Angststörungen am häufigsten eingesetzten Medikamente sind Antidepressiva. Sie machen nicht körperlich abhängig, aber Betroffene müssen gewöhnlich eine Durststrecke mit vielen Nebenwirkungen überwinden. Zudem muss die Behandlung langsam ausgeschlichen werden, da sich beim Absetzen erneut Nebenwirkungen zeigen können.
Generell kann sich eine medikamentöse Behandlung ungünstig auf den Therapieerfolg auswirken. Nach Absetzen der Medikamente kann sich die Angststörung wieder verschlechtern. Dies kann daher kommen, dass Medikamente nur eine Krücke sind und die körperlichen Symptome lindern. Wir lernen durch die Medikamente nicht, mit der Angst umzugehen und diese zu kontrollieren. Wir entwickeln kein Vertrauen in uns und unseren Körper, denn wir wissen nie, ob die Verbesserung auf die Medikamente oder auf uns selbst beziehungsweise die Psychotherapie zurückzuführen ist. Wenn Medikamente eingenommen werden sollte eine begleitende Psychotherapie stattfinden.
Wie kann ich am besten mit Ängsten umgehen? Wie bekommt man eine Angststörung am schnellsten in den Griff?
Eine Angststörung zeigt sich in unserem Denken, unseren Gefühlen, körperlichen Reaktionen und in unserem Verhalten. An jedem dieser Bereiche können wir gezielt ansetzen. Ob und was bei jedem Einzelnen greift, muss man letztendlich selbst herausfinden beziehungsweise zusammen mit einem Psychotherapeuten erarbeiten.
Für viele Betroffene haben sich beispielsweise folgende Strategien bewährt:
- positive Selbstinstruktionen Wir können uns durch negative Gedanken noch ängstlicher machen oder im Gegensatz durch positive Gedanken die Angst abbauen. Die folgenden Selbstinstruktionen können uns bei der Bewältigung einer Situation helfen: Ich schaffe das., Ich bin nicht in Lebensgefahr, oder Die Angst geht vorüber.
- Überprüfung unserer Gedanken
Krankhafte Angst entsteht beispielsweise wenn wir uns einreden, dass etwas gefährlich ist, obwohl es nicht gefährlich ist, oder das wir beim Ausmaß der Gefahr übertreiben oder unsere Bewältigungsfähigkeiten unterschätzen. Indem wir unsere Angstgedanken überprüfen und die Situation so bewerten, wie sie wirklich ist, können wir unsere Angst abbauen.
- Einsatz von Vorstellungsübungen
Statt uns wie beim Sorgen Katastrophen auszumalen, malen wir uns aus, wie wir eine Situation erfolgreich meistern.
- Veränderung unserer Atmung und Muskelanspannung
Angst geht mit beschleunigter Atmung und Muskelanspannung einher. Durch gezielte Atem- und Entspannungstechniken können wir die Angst deshalb auch reduzieren.
- bewusste Konfrontation
Wir meiden gewöhnlich die Situationen, die wir mit Angst verknüpfen. So erhalten wir die Angst am Leben. Umgekehrt können wir durch eine gezielte Konfrontation mit der Situation die Angst abbauen. Hierbei können wir so vorgehen, dass wir mit der leichtesten Situation beginnen und uns schrittweise an die schwierigste Situation herantasten, oder wir können uns sofort mit der schwierigsten Situation konfrontieren.
- Achtsamkeitstraining
Wenn wir Angst haben, dann beobachten wir beispielsweise unsere Körperreaktionen, bewerten sie als peinlich oder bedrohlich, kämpfen gegen sie an oder malen uns Katastrophen aus. Im Achtsamkeitstraining lernen wir, unsere Gedanken, Gefühle und Empfindungen einfach nur zu beobachten, ohne sie zu bewerten oder dagegen anzugehen.
Den Angstabbau unterstützen können wir auch durch allgemeinen Stressabbau, tägliche körperliche Aktivität, ausreichend Schlaf, Verzicht auf Alk., Nikotin und Kaffee sowie eine regelmäßige gesunde Ernährung.
Wenn ich Ängste erfolgreich überwunden habe: Wie schütze ich mich am besten vor einem Rückfall?
Am besten ist es, in Übung zu bleiben und immer wieder in die Situationen zu gehen, vor denen man Angst hatte. Vorstellungsübungen können darüber hinaus dabei helfen, sich die neuen Denk- und Verhaltensweisen einzuprägen. Eine Atem- oder Entspannungstechnik sollte zu einem täglichen Begleiter werden. Auch der Besuch einer Selbsthilfegruppe oder das Führen eines Tagebuches über die Erfolge kann uns dabei helfen, die Fortschritte zu erhalten. Es ist auch hilfreich, sich Warnsignale zu notieren, die darauf hinweisen, wieder ins alte Muster zu fallen. So kann man dann schnell eingreifen.
Generell ist sehr wichtig, behutsam mit Körper und Seele umzugehen, für ausreichend Ruhephasen und positive Erfahrungen zu sorgen.
Was bringt der Besuch einer Selbsthilfe-Gruppe und wie kann ich eine solche Gruppe finden?
Selbsthilfegruppen sind sinnvoll
- weil die Mitglieder uns Mut machen, uns mit unserer Angst zu konfrontieren,.
- weil wir von anderen Betroffenen lernen können,
- weil wir unsere Hilflosigkeitsgefühle abbauen können,
- weil wir dort Unterstützung und Verständnis von anderen Betroffenen bekommen,
- weil wir uns durch den Besuch bereits mit unserer Angst konfrontieren,
- weil wir erleben, dass es anderen ähnlich geht,
- weil wir unseren Therapieerfolg aufrechterhalten können.
Was kann ich tun, wenn es in der Nähe keine Selbsthilfe-Gruppe gibt?
In Zeiten des Internets können wir über ein Angstforum Kontakt zu anderen Betroffenen aufnehmen. Auch hier kann man sich gegenseitig unterstützen, Mut zusprechen, trösten und Erfahrungen austauschen. Lediglich der direkte Kontakt und der Weg zum Treffpunkt der Selbsthilfegruppe fallen weg.
Es gibt einiges an Ratgeber-Literatur bei Angststörungen – wann machen diese Bücher Sinn?
Ratgeber-Literatur bei Angststörungen ist sehr sinnvoll. Viele Betroffene erfahren überhaupt erst durch eine solche Lektüre, dass sie unter einer Angststörung leiden. Das Wissen darüber, was man hat, ist der erste Schritt aus der Angst. Darüber hinaus kann man erkennen lernen, wie man sich selbst seine Angst erzeugt, sie verstärkt und aufrecht erhält. Wer nur unter einer leichten Angststörung leidet, bekommt durch ein gutes Ratgeber-Buch auch genügend konkrete Hilfestellungen, um seine Angst alleine zu überwinden. Bei schweren und über lange Jahre bestehenden Angststörungen, die mit großer Vermeidung verknüpft sind, ist gewöhnlich darüber hinaus eine psychotherapeutische Unterstützung notwendig.
Infobox
Dr. Doris Wolf
Am Oberen Luisenpark 33
Psychotherapeutin Autorin
68165 Mannheim
Telefon: 0621 415741
Zurüch zu: Agroraphobie - Wenn Angst krank macht
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