Ich habe heute meine erste Dosis von Sertralin 25 mg eingenommen und wollte mit euch meinen bisherigen und weiteren Lebensweg hierbei teilen.
Mit voller Hochmut und Tatendrang fing ich dieses Jahr meine Vollzeitstelle an.
Ich freute mich,dass endlich der nervige Abschnitt meines Langzeitstudiums vorbei war und ich mich endlich auf ein neuen Abschnitt meines Lebens befand. Daher ging ich zum Psychiater und gemeinsam entwarfen wir einen Plan mein Sertralin (150mg) auszuschleichen, das ich bereits seit 2016 nahm. 7 Jahre also schon.
Der neue Abschnitt entpuppte sich aber als Alptraum.
Meine Freundin machte aufgrund von Bindungsängsten mit mir Schluss.
Ich verlor viele Freunde, weil diese nach dem Studium umgezogen waren und war deswegen einsamer.
Gleichzeitig merkte ich, dass ich es gar nicht gewohnt war 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Der Alltag änderte sich total.
Dennoch:
Ich hielt aber weiter daran fest mein Antidepressiva auszuschleichen, weil ich von meiner Stimmung her noch sehr stabil war.
Beim Absetzen merkte ich besonders viele positive Effekte. Mein Kinn wurde markanter, weil ich abnahm. Gefühle waren intensiver. Ich konnte aufeinmal bei traurigen Szenen in Filmen leichte Tränen bekommen. Herzhafter lachen und meine Errektionsstörungen verschwanden. Ich fühle mich nicht mehr in Watte gepackt und konnte jedes Gefühl intensiver ausleben, wie Wut, Freude und Trauer. Das gefiel mir sehr.
Juli:
Bei der letzten Dosissenkung also von 25 mg auf 0 mg merkte ich aufeinmal leichte Trauer.
Das war direkt nach meinem Geburtstag. Ich hörte ein Lied aus der Kindheit und musste irgendwie weinen.
Am nächsten Tag hielt die Trauer weiter an, als ich mit einem Freund spazieren ging. Auch mit Antidepressiva hatte ich noch traurige Tage, wenn ich mal mit dem Stress übertrieben hatte. Daher dachte ich mir nicht viel dabei.
Eine Woche später:
Ich saß am späten Nachmittag in meinem Büro und musste an meinem Elternhaus (260 km entfernt) denken. Ich vermisste aufeinmal stark meine Eltern. Das ganze freute mich, weil ich solche Gefühle eig. nicht so richtig hatte. Immer fand ich es schade, dass ich meine Familie nicht so vermisste wie diese mich. Lag es daran, dass meine Gefühle nun richtig wieder erwachten?
September
Bei einem Arbeitsausflug mit meiner Arbeitsgruppe spürte ich zum ersten mal richtige Unruhe und Angst. Ich konnte nicht richtig den Grund fassen und versuchte dem Gefühl nicht besondere Beachtung zu schenken. Die Unruhe hielt aber an den ganzen Tag und wurde am Nachmittag weniger. Ich erkannte die Symptome von meiner Angstörung und Depression im Jahr 2016. Was war genau los mit mir? Die Unruhe und Angst hielt noch 3 Tage an und ebbte immer wieder gegen Nachmittag ab.
Ich versuchte Gegenmaßnahmen einzuleiten. Ich packte mir die Tage voll mit Freizeitaktivitäten und versuchte soviel wie möglich mit Freunden zu machen, damit ich nicht zu oft an die Angst dachte. Leider waren viele Freunde nicht mehr in meiner Stadt, sodass ich dann zu meinen Eltern fuhr. Dort flüchtete ich auf Verabredungen und Familienfeiern.
Ich entschied mich innerhalb der Woche zwischen meinem Elternhaus (NRW) und meiner Stadt (Niedersachsen) zu pendeln.
Die Tage an denen es mir gut ging (angstfrei) wurden immer weniger. Ich drehte mein soziales Leben mehr auf. Irgendwann brachte es mir nichts mehr. Leider merkte ich hierbei, dass das Glück und die Lebensfreude im Inneren von mir immer weniger wurden. Als würde ich langsam ertrinken.
Es kamen Tage dazu an denen ich einen Nervenzusammenbruch hatte. An solchen Tagen rief ich meine Schwester (Bezugsperson) an, die auch Erfahrungen mit depressiven Symptomen gemacht hatte. Das Weinen half mir von der Anspannung runter zu kommen. Sie empfahl mir Therapeutentermine herauszusuchen. Ich bekam nur Absagen.
Oktober
Ich saß an meinem Arbeitslaptop und ging E-Mails durch.
Die Unruhe war mein täglicher Begleiter geworden. Ich merkte nun, dass es Tage gab wo einfach gar nichts mehr funktionierte. Wo ich so starke Unruhe hatte, dass ich nicht still sitzen konnte. An anderen Tagen konnte ich es gerade noch so aushalten.
Beim Lesen meiner Mails und Deadlines überkam mich aufeinmal eine sehr tiefe Angst. Meine Backen kribbelten. ich spürte so ein starkes Ziehen in meinem Magen und die Panik wurde stärker. Ich stand auf und ging das Zimmer auf und ab. Das half immer etwas. Meine Gedanken überschlugen sich. Was ist das? . Wie soll ich so arbeiten?. Was soll ich nun machen?. Wie geht das weg?. Wird es schlimmer. ?.
Ich saß mich wieder hin, um der Angst nicht viel Raum zu geben. Dann kam mir ein Gedanke Ich halte es nicht mehr aus.
Ich schloss meinen Arbeitslaptop und meldete mich zum ersten Mal krank.
Heute, 27. Oktober: TAG 0
Meine Symptome haben sich weiter verschlechtert. Einfache Dinge wie Duschen oder Reden fällt mir schwer. In den letzten Tagen war meine Unruhe/Panik nicht so stark.
In der Zwischenzeit haben sich paar Gegenmaßnahmen ergeben. Ich habe endlich eine Verhaltenstherapeutin gefunden, die mich wöchentlich therapieren kann. Zudem war ich heute bei meinem Psychiater. Der war ziemlich geschockt, dass ich mich nicht an unsere Vereinbarung die Antidepressiva wieder höher zu dosieren, sobald es mir schlechter gehen sollte, gehalten hatte. Ich bekam auch eine Diagnose: Wiederkehrende schwere Depressive Episode
Der Psychiater trug mir auf wieder das Sertralin einzuschleichen. Ich soll mit 25 MG starten und alle 4 Tage um 25 MG steigern bis auf 150 MG. 150 MG war bei mir damals die Dosis, die mir geholfen hatte 2016.
Ich teilte dem Psychiater mit, dass ich Angst vor den Nebenwirkungen habe. Letztes Mal wurde meine Angst und die Unruhe nämlich durch das Sertralin schlimmer, bevor es besser wurde.
Daher habe ich nun TAVOR bekommen, welches ich jeden Morgen mit 0,5 MG nehmen soll.
Ich werde euch berichten, wie es die Tage nun weiter läuft.
27.10.2023 16:42 • • 03.11.2023 #1