@Venlafaxi Vielleicht hilft es Dir, wenn ich nochmal die essentiellen Erkenntnisse meines Absetzweges beschreibe - das wird jetzt etwas länger. Wen es nicht interessiert - bitte überspringen
Meine Quitessenz aus der ganzen Misere - und jetzt wirst Du wahrscheinlich genervt aufstöhnen - ist, dass es tatsächlich zum großen Teil am persönlichen Mindset liegt, wie Du durch das Absetzen durchkommst. Ich wollte das während dessen auch nicht glauben und habe mich mit Händen und Füßen gegen diese Erkenntnis gewehrt. Aber mein Therapeut war da wesentlich weiser wie ich und ihm ist es auch zu verdanken, dass ich es da durch geschafft habe. Aber mal von Anfang an:
Ich war auf Mirtazapint, 22,5 mg. Meine Psychiaterin war von der Fraktion Ihr Gehirn wird lebenslang die Botenstoffe brauchen. Diese Sichtweise war mir von Anfang an befremdlich. Mittlerweile wankt die Serotonin-Mangelhyothese ja gewaltig. Für mich war es eigentlich immer logisch, dass, wenn ich mit einem Medikament in den Gehirnstoffwechsel einschleiche, es starke Nebenwirkungen sowohl gibt, wenn ich etwas hinzfüge, als auch wenn ich etwas weglasse. Aber während die Symptome beim Einschleichen ganz normal sind und von jedem Psychiater auch thematisiert werden, soll es beim Ausschleichen solche Symptome nicht geben. Das leuchtete mir nie wirklich ein. Außerdem merkte ich sehr schnell, dass ich von dem Medikament zwar unglaublich zunahm, es bei mir aber keine Wirkung zeigte. Nicht mal die berühmte schlafanstoßende Wirkung gab es bei mir.
Ich hatte zwei Absetzversuche, die gescheitert sind. Das erste Mal hatte ich zu schnell reduziert. Das zweite Mal habe ich die Absetzsymptome schon unterbewusst erwartet und gefürchtet - und prompt traten sie dann auch ein. Am Schlimmsten war für mich dieses Gefühl, dass es nie wieder gut wird und dass ich es nie schaffe, die Dinger komplett abzusetzen - ich habe das Gefühl Vernichtungsgefühl genannt.
Ich mache ja eine Körperpsychotherapie und hatte vorher schon zusammen mit meinem Therapeuten verschiedene Wahrnehmungs-, Atem- und Energieübungen trainiert. Als ich es dann zum dritten Mal probiert habe, hat mein Therapeut mit mir erst einmal ganz gezielt Energieübungen trainiert, die das vegetative Nervensystem beruhigen und mir damit gezeigt, dass ich durchaus in der Lage bin, auf die Absetzsymptome einzuwirken und sie abzumildern. In aktuen Absetzphasen hat er mich immer mal zwischendurch mit einem Termin eingeschoben, weil diese Übungen zum damaligen Zeitpunkt mit ihm zusammen besser klappten und nachhaltiger waren, als wenn ich sie allein machte. Zu dem Zeitpunkt war es so, dass ich nach einem Absetzschritt erst einmal ein paar Tage nichts merkte, bevor es nach ca. einer Woche losging. Das dauerte dann ein paar Tage, und dann ging es wieder. Dann bin ich mind. 4 Wochen auf der neuen Dosis geblieben, bevor ich weiter reduzierte.
Der nächste Arbeitsschritt meines Therapeuten war, mich mental auf das Absetzen einzustellen. Ich regte mich jedes Mal fürchterlich auf, wenn ich von der Psyiatrin kam und sie mich wieder als bekloppt hinstellt, weil das, was ich da erlebte, ja gar nicht sein könne und ich das Medikament doch einfach lebenslang nehmen sollte. Ein Medikament, dass keine Wirkung bei mir hatte! Hier im Forum kommt immer der Rat: Auf jeden Fall mit dem Arzt absprechen! Niemals im Alleingang absetzen! Was aber, wenn man beim Arzt komplett gegen Wände rennt? Wenn man weiß, das das Medikament nicht der Weg ist? Dann steht man im Regen. Als ich dann das Buch von Peter Ansari entdeckt hatte, hat mein Therapeut es auch gelesen. Und mich anschließend darin bestärkt, auf mein Bauchgefühl zu hören und meinen eigenen Weg und meinen eigenen Umgang mit dem Reduzieren zu suchen.
Er machte mir klar, dass ich dem Medikament eine viel zu große Macht über mich einräume. Und dass ich mit dem Gedanken: Morgen reduziere ich wieder, und dann geht es mir nächste Woche wieder schlecht! mir eine todsichere, selbsterfüllende Prophezeiung baue. Er sagte: Sie, und nur sie entscheiden, wie es weitergeht. Wenn Sie mit dem nächsten Schritt warten wollen, machen Sie das. Wenn sie ihn vorziehen wollen, machen sie das. Wenn Sie nach dem Reduzieren merken, dass es diesmal nicht so gut geht, dosieren sie wieder ein Stück auf. Wenn Sie irgendwann merken, dass Sie das Medikament weiter nehmen wollen, dann machen Sie das. Und wenn Sie dann irgendwann nochmal die Entscheidung treffen, zu reduzieren, dann machen Sie das. Aber ziehen Sie es auch durch, wenn Sie eine Entscheidung getroffen haben. Stehen Sie dazu. Lassen Sie sich von niemandem da rein reden. Und bringen Sie den Kritiker in Ihrem Kopf zu schweigen und sagen Sie ihm immer wieder, dass Sie sich für diesem Weg entschieden haben, und dass Sie diesen Weg weitergehen.
Und so sind wir Schritt für Schitt gemeinsam da durch gegangen. Absetzschritt, Auffangen der körperlichen Symptome, Stabilisierung, mentale Einstimmung auf den nächsten Schritt. Und was soll ich Dir sagen - bei den letzten Absetzschritten hatte ich so gut wie keine Absetzsymptome mehr. Nachdem ich in die Selbstwirksamkeit gekommen bin und dem Medikament die Macht über mich entzogen habe.
Das Medikament ist gewissermaßen ein Spiegel des Umgangs mit unserer psychischen Erkrankung. So wie wir die Sichtweise auf das Medikament ändern, so ändern wir auch die Sichtweise auf unsere Erkrankung.
Allerdings muss ich auch noch erwähnen, dass ich dann nochmal in eine sehr schwierige Phase gerutscht bin, nachdem ich das AD komplett abgesetzt hatte. Dann brach sich der innere Kritiker Bahn, dem ich sowieso nie was Recht machen kann. Die Stimme im Kopf, dass ich es ohne Medikament nicht schaffe, wurde immer lauter. So laut, dass ich irgenwann davon überzeugt war, dass sie Recht hat. Ich war schon kurz davor, mir wieder ein Rezept zu holen. Doch mein Therapeut schaffte es auch hier, mich zu überzeugen, dass nicht das fehlende Medikament die körperlichen Symptome erzeugte, sondern ich selbst, durch die permanenten, erschöpfenden Diskussionen mit meinem inneren Kritiker. Wir konzentrierten uns dann einige Wochen darauf, den Kritker leiser zu drehen (zum Schweigen bringen kann man ihn leider nicht), bis ich die Tatsache, dass ich sehr gut ohne Medikament leben kann, wirklich und wahrhaftig akteptiert und verinnerlicht hatte.
Ich hoffe, dass Dir vielleicht der ein oder andere Gedanke von mir weiterhilft.