Zitat von Sophia9: ...meinst du mit dauerhafter Distanz Kontaktabbruch?
Oder ist es auch ausreichend auf Distanz zu gehen indem man sich nicht mehr sieht, aber noch schreibt wenn auch sehr bedürftig?
Bedürftig? Oder meintest Du vielleicht
dürftig (also im Sinne von oberflächlich)?
Als Außenstehender kann ich
Dir die Entscheidung bzgl. vollständigem Kontaktabbruch leider nicht abnehmen. Ich kann Dir nur schildern, wie es bei mir seinerzeit lief:
Meine damalige Partnerin und ich waren an einen Punkt gelangt, wo es eigentlich für beide nur noch Stillstand gab. Beide hatten wir Probleme mit Depris, wie sich im Laufe unserer Beziehung zeigte. Wir konnten weder miteinander noch ohne einander. Im Schach würde man es eine Patt-Situation nennen. Wir standen uns gegenseitig komplett im Weg und wollten aber auch den anderen nicht verlieren, da wir das Gefühl hatten, dann würde alles zusammenbrechen.
Als es wirklich unaushaltbar wurde, vereinbarten wir einen vollständigen Abbruch für 3 Monate und wollten uns dann wieder treffen und schauen, wie es uns ergangen ist. Bereits nach 3
Wochen kürzten wir die Sache ab und sagten uns im Guten ade...
Ich habe mich notwendigerweise viel mit (meinen) Süchten beschäftigen müssen und habe dabei auch einiges über meine sozialen Beziehungen gelernt. Darum habe ich oben bewusst das Wort Missbrauch verwendet und denke, das ist es auch, was Hotin eine große Gefahr nennt. Wir neigen in Beziehungen dazu, eine Rolle zu übernehmen. Je nach Partner rüttelt man sich im Laufe der Jahre dann wie in einem Karton der (durch´s Leben) geschüttelt wird in die für einen vermeintlich (!) passende Ecke.
Die Gefahr hierbei ist, dass wir, wenn wir nicht achtsam sind, aus dieser Ecke nicht mehr herauskommen. Die anderen Ecken sind dann vielleicht belegt und ich habe nur wenig Ahnung von diesen Ecken. Meinem Partner geht es vielleicht ganz genauso. Das begrenzt dann beide. Die eigentliche
Zuneigung (welche m. E. bei jeglicher Partnerwahl sowieso im voraus zu hinterfragen wäre!) ist dann der Kitt der verfahrenen Situation. Wir betreiben dann, flapsig formuliert, geistige bzw. entwicklungstechnische Inzucht - mit den entsprechenden Folgen.
Bezüglich Distanz: Stell Dir mal vor, Du wärst
psychisch Alk. (die meisten Alk. sind das nämlich). Du kommst an den Punkt wo Du merkst, Du verlierst allmählich vollständig die Kontrolle. Du beschließt daher, nichts mehr zu trinken. Würdest Du Dir dann in diesem Zuge den Kühlschrank mit Bi er und Schn aps bestücken?
Eine langjährige Beziehung läuft vor allem auch auf
geistiger Ebene ab und dazu gehört
insbesondere Gesagtes bzw. Geschriebenes - denn daraus ergibt sich unser Denken und ergo unser Fühlen. Und unser Erleben, unser
Ich-und-Welt-Empfinden ist doch nichts anderes als Denken und Fühlen (von Sinneseindrücken).
Der Grund, weshalb man vor einem totalen Kontaktabbruch solch große Angst hat, ist vielseitig. Vor allem, ganz banal: man hat Entzugserscheinungen! Die Ge
wohnheit, stets ein Feedback zu geben und zu bekommen ist, wie der Name schon andeutet, eine
Wohnstatt (unseres Ichs). Und wer nie aus der Wohnung raus kommt, kennt nix anderes!
Doch: nur wer es wagt, zuerst mal in eine andere Wohnung oder gar ins
Freie zu treten kann
sich (ver-)ändern! Für eine neue Perspektive braucht es einen anderen Standpunkt. Es genügt nicht, nur den Kopf woanders hin zu drehen, denn dabei verändert man nur die
Objekte auf die man blickt. Es ist das
Subjekt, das sich bewegen muss.
Wenn ein Partner wegfällt, fällt nicht ein Teil von einem selbst weg, sondern es entsteht eine
freie Fläche (um es bildlich auszudrücken).
Wenn das Feedback des Partners oder das Feedback an den Partner wegfällt, entsteht ein
freier Geistesraum, in dem - vielleicht seit langem erstmals wieder - freie,
interne Dialoge möglich sind. Wir sollten keine Angst vor diesen inneren Gesprächen haben. Sie mögen längere Zeit benötigen um Einsichten zutage zu fördern aber idR sind dies dann auch sehr
wesentliche.
Es kann sein, dass Du erst im Zuge der Abstinenz die Notwendigkeit einer professionellen Begleitung (Coaching, Therapie) erkennen kannst. Oft zeigen sich in der Entwöhnungsphase die subtileren, fundamentaleren Aspekte, die zu bearbeiten sind. Und genau da beginnt eigentlich erst das, was ich sich-selber-kennenlernen nenne. Wenn das geschafft oder zumindest ein gutes Stück weit gediehen ist,
dann bildet man
automatisch andere, souveräne soziale Beziehungen.
Du könntest Deiner Partnerin das z. B. genauso erklären. Vielleicht sprichst Du dabei etwas aus, was sie sich bislang nicht (so) zu formulieren traute.
Erst wenn ihr beide, jeder
für sich und unabhängig vom Anderen durch diese Entwicklung geht, kann jeder danach für sich kompetent entscheiden, ob eine erneute Beziehung sinnvoll ist. Ihr seid dann notwendigerweise zwei Andere geworden und das
muss nicht unbedingt (wieder) zusammenpassen.
Davon abgesehen möchte ich behaupten, dass so manche Beziehung, die nach Liebe schmeckt, sich im Laufe der Jahre schlicht als Versehen herausstellen kann. Da kann eigentlich niemand was dafür. Das hat schon Erich Kästner in seiner unerreicht nüchtern-melancholischen Art so treffend geschildert:
Ich gehe davon aus, dass Dein Beitrag #15 an @Hotin gerichtet war.