Höchstwahrscheinlich die meisten im Forum dürften ja mit größeren eigenen Problemen belastet sein. Deswegen gehe ich davon aus, dass es viele hier auch in irgendeiner Weise betrifft oder manch einer eventuell Wege für sich gefunden hat, wie man damit umgeht. Mich jedenfalls begleitet diese Problematik schon extrem lange, doch ich habe immer noch keine Antworten, keinen zufriedenstellenden Umgang damit gefunden! Jedes Mal aufs Neue ist es ein Kampf!
Es geht im Wesentlichen um die Frage: Was erzählt man wem, wie viel gibt man preis über die eigenen Probleme und Lebensumstände?
Bei mir sind die Umstände so, dass ich früher, also von klein auf, niemandem wirklich vertrauen konnte, sehr verschlossen war und schon früh psychische Probleme hatte, von denen ich aber keinem wirklich was erzählte. Ich trainierte mir mit der Zeit an, meine Sorgen und negativen Emotionen, meine Verzweiflung so weit es möglich ist, zu verbergen - wobei sowieso niemand bei den vorhandenen Signalen genauer hingeschaut hat. Klar, Gleichaltrige hielten mich oft für seltsam oder unfreiwillig belustigend, bemerkten mein niedriges Selbstwertgefühl und nutzen das aus. Aber das tatsächliche Ausmaß der Abgründe behielt ich für mich... Der Kontakt mit Menschen ist oberflächlich und auf die Schule oder den Sportverein beschränkt gewesen.
Mich einer anderen Person gegenüber zu öffnen begann ich erst nach jahrelanger Psychotherapie als Erwachsener und zwangweise musste ich da in der Gruppentherapie in der Klinik durch. Ich habe auch erst meinen Eltern und Geschwistern davon irgendwas erzählt, als es gar nicht mehr anders ging, weil ich eben in die Klinik musste. Inzwischen gibt es in der Familie Menschen, denen ich Dinge anvertraue. Meiner ersten und einzigen Ex-Freundin gegenüber habe ich damals logischerweise ausgepackt, wäre auch nicht anders gegangen. Trotzdem sind das aber nur Ausnahmen von der Regel.
Vertrauen ist nur eine von vielen Seiten. Ich lebe zurückgezogen und stehe generell mit nur sehr wenigen Leuten überhaupt irgendwie in Verbindung. Scham in Bezug auf das eigene Leben spielt eine Rolle und die Stigmatisierung der Außenwelt. Je schlimmer und trostloser das eigene Dasein ist, umso mehr sehe ich mich gezwungen, mich weiter zurückziehen. Es ist ein Teufelskreis. Es geht immerzu darum, nicht aufzufallen, die Fassade nicht bröckeln zu lassen, um in der Gesellschaft, so wie sie beschaffen ist, nicht zum Abschuss freigegeben zu werden, aber auch, um das bisschen übrig gebliebene Würde und meine Privatheit zu schützen - es gibt auch weit unten schließlich immer noch etwas zu verlieren!
Wenn das Leben richtig übel vor die Wand gefahren ist oder schon immer blamabel war, kann man früher oder später aber die Dinge nun mal nicht geheimhalten. Andere Leute merken ja, dass da was ist, nur sie wissen nicht unbedingt warum: Warum geht der nicht arbeiten/zur Uni? Warum hat der sein Leben nicht in Griff? Warum ist der immer allein und hat keine Freunde/Beziehung...? Etc. pp.
Oder wiederum anders - Leute stellen nichtsahnend Fragen: Was machst du beruflich? Was sind deine Hobbies? Was hast du so am Wochenende gemacht? Lädst du Viele zu deiner Geburtstagsfeier ein? - Für den allergrößten Teil der Menschen hierzulande eben die stinknormalsten und harmlosesten Fragen, die jemanden mit einem verkorksten Leben wie meinem aber völlig in die Bredouille bringen können! Allein die Sorge, dass man jederzeit in diese Position geraten kann, wo man sich selbst erklären muss...
Denn solchen Situationen begegne ich trotz meines Rückzugs immer mal wieder. Zum Beispiel, wenn ich doch mal auf einer Familienfeier auftauche und mich irgendjemand aus der Verwandtschaft anspricht. Oder wenn ich Bekanntschaften von früher in der Stadt über den Weg laufe. Oder ich mich dazu durchringe, einem Bekannten mal wieder eine Nachricht zu schicken, bspw. um zum Geburtstag zu gratulieren.
Wenn so etwas vorkommt, versuche ich auf Nachfragen meistens auszuweichen, aber das kann einfach keine Dauerlösung sein. Die Angst, sich zu verplappern oder auf dem falschen Fuß erwischt zu werden, ist immer da. Versuchen, sich vorher Ausreden zurechtzulegen, hat mir kaum weitergeholfen. Je mehr Nachfragen gestellt werden, umso schwieriger, sich da rauszubugsieren.
Gleichzeitig kann ich einfach nicht lügen bzw. es fällt mir so schwer, dass ich fast Schmerzen dabei empfinde! Ich habe dann lange Zeit ein sehr schlechtes Gewissen und fühle mich wie ein Schwindler, vor allem gegenüber Menschen, die mir eigentlich sympathisch sind! Dementsprechend wenig überzeugend muss ich rüberkommen.
Ich weiß, dass Leute, die einem nicht besonders nahestehen, oftmals nur höfliche Floskeln absondern und dann als Antwort auch nichts andereres erwarten, was darüber hinausginge... jedoch will ich auch die dienigen nicht immer abspeisen, die wirklich interessiert sind.
Der Druck, sich zu outen wird bei mir auch immer größer und die Energie fürs ewige Versteckspiel ist sowieso sehr kräftezehrend.
Es ist ein Dilemma! Auf der einen Seite gibt es gute Gründe, meine Probleme weitgehend für mich zu behalten und nichts nach außen zu tragen. Genauso sehe ich aber zunehmend die Notwendigkeit, mich irgendwie zu rechtfertigen, warum mein Leben so ist wie es ist und ich nicht verkommen, faul, dumm oder was auch immer bin. Außerdem will ich nicht alle Brücken zur Außenwelt abreißen. Ich bin so schon vereinsamt genug.
Gibt es da so etwas wie einen Mittelweg? Beispielsweise zu sagen: Mir geht's nicht besonders gut, es liegt einiges im Argen, aber nimm es bitte mir nicht übel, dass ich da nicht näher drauf eingehen möchte. - Schreckt das (nette) Menschen eher ab oder werden sie dann erst recht hellhörig?
Würde mich sehr auf eure Meinungen und Erfahrungen zum Thema freuen. Kennt jemand den inneren Konflikt, von dem ich spreche?
07.05.2019 09:44 • • 08.05.2019 x 4 #1