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@Pinsel4ffe Wen beschimpft Deine Mutter, bzw. wem droht sie? Deinen Vater oder Dich?

Die Vorwürfe sind oft nur ein Symptom unserer Hilflosigkeit. Es ist menschlich, zu schimpfen, wenn man nicht mehr weiter weiß. Oft kommt in schwierigen Situationen eine Charakterseite zum Vorschein, die lange geschlummert hat.

Notfallsanitäter könnten da viel erzählen, was sie in den Häusern und Wohnungen der Betroffenen mit den Angehörigen so erleben. Sie dringen in einen Mikrokosmos ein, der gerade dabei ist, sich zu öffnen...und oft ist für die Familie dann nichts mehr wie vorher.

Diese schwierigen Situationen sind oft Wendepunkte. Wahrheiten drängen ans Licht, Masken fallen - und da kommt es halt auch mitunter zu unschönen Äußerungen. Wenn sich, wie im Fall Deines Vaters, kein Ausblick mehr bietet und man offen zugibt, gehen zu wollen, empfinden das die nahen Angehörigen oft als Vorwurf, als Undankbarkeit, als Beleidigung, Unfairness.

Ich denke, oft wäre es besser, den Menschen zu lassen. Also nicht, ihn sich selbst zu überlassen, sondern lediglich da zu sein und ihm nicht zu widersprechen. In gewisser Weise sterben wir dann ein Stück weit mit ihm mit (natürlich ohne wirklich zu sterben). Miteinander hilflos sein, kann eine große Hilfe sein.

A


Schwer depressiver Vater - bitte um Rat

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Zitat von moo:
Miteinander hilflos sein, kann eine große Hilfe sein.

Davon bin ich überzeugt,ist aber auch die schwerste Übung.

Meiner Mutter ging es mal sehr schlecht und ich konnte es kaum ertragen und dachte auch die ganze Zeit ich muss irgendwas machen aber es gab es ab einem gewissen Punkt nicht viel,was man tun konnte.

Mein Vater sass ganz ruhig daneben und ich dachte noch wie kann er bloss so ruhig sein aber er hat mich auch dazu angeleitet,einfach nur dabei zu bleiben.
Habe das aber nicht lange geschafft im Gegensatz zu ihm.


Aus meiner eigenen Krisenzeit weiss ich aber auch noch,dass es mir immer wieder geholfen hat,wenn einfach jemand dabei geblieben ist.

Ohne viel zu sagen,einfach nur zu wissen,da ist jemand präsent.
Den meisten Menschen fällt das aber glaub ich sehr schwer,weil man dann die eigene Hilflosigkeit (das Leiden des geliebten Menschen nicht abstellen können) aushalten muss.
Es gibt kaum etwas schwereres.

Zitat von Flame:
Den meisten Menschen fällt das aber glaub ich sehr schwer, weil man dann die eigene Hilflosigkeit (das Leiden des geliebten Menschen nicht abstellen können) aushalten muss.
Es gibt kaum etwas schwereres.

Ja, denk ich auch. Als mein Vater die letzten 6,5 Tage (!) keine Nahrung mehr zu sich nahm (im Pflegeheim), war ich abends immer einige Stunden bei ihm. Eine Kommunikation war offiziell nicht mehr möglich und so waren wir quasi unfreiwillig auf nonverbale Gegenseitigkeit reduziert.
In diesen Stunden verlernt man das logische, diskursive Denken, das stille Argumentieren, das Zweifeln, das gegenseitige Aufrechnen usw. Was bleibt ist die Gegenwärtigkeit auf die Atemgeräusche, auf seine, auf meine...dieses gemeinsame Dasein der Menschlichkeit an sich. Man ist nicht mehr Sohn, er ist nicht mehr Vater - wir erlebten gemeinsam die Sterblichkeit, die wahrhaftige Leidhaftigkeit des (vermeintlich) begehrenswerten, erhaltenswerten Lebens.
Und ja - dies zu erleben bedeutet, sich endgültig von einem doch ziemlich weit verbreiteten Selbstbetrug zu verabschieden. Man gibt gemeinsam auf.

Als es geschafft war, hatte ich die Antwort auf viele offene Fragen erhalten: nämlich, dass die Fragen zeitlebens völlig irrelevant waren.

Der Tod ist das finale Scheitern der Selbst-Optimierung.




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