Zitat von Julischka85:Wenn dein Kind zu dir sagt sie hat noch eine zweite Mami, reißt dir das den Boden weg.
Aber was ist so schlimm daran? Ich habe mit beiden Situationen gelebt: Meine Tochter aus erster Ehe hatte häufige und regelmäßige Kontakte mit ihrem Vater und dessen zweiter Frau. Als ich ein Jahr beruflich ins Ausland ging, lebte sie für diese Zeit ganz dort. Sie war damals 3 und ihre persönliche Sprachregelung war Mami für mich und Mama für die Partnerin ihres Vaters.
Als sie das zum ersten Mal in meinem Beisein sagte, hat es mich auch gerissen. Immerhin hatte ich sie geboren. Aber ich bin ein Kind der 1970-er Jahre und Freiheit und unkonventionelle Lebensformen waren immer auch meine Lebensmaxime. Also hab' ich mir auf die Füße getreten und mir klargemacht, dass mein Kind nicht mein Besitz ist und ein Recht darauf hat, zu lieben, wen es lieben möchte, ohne dass ich ihm das versaue. Letzten Endes kann ja auch allen Beteiligten nichts Besseres passieren, als dass das Kind glücklich in diesem Leben, das es nicht zu verantworten hat, wird.
Als ich meinen jetzigen Mann kennenlernte, gab es auf seiner Seite zwei Söhne, die damals 9 und 11 Jahre alt waren. Sie lebten - ähnlich wie bei dir - zu ziemlich gleichen Teilen bei ihrer Mutter und bei uns. Sie vermieden in den ersten Wochen jede Anrede, obwohl wir ihnen gesagt hatten, dass sie mich nennen könnten, wie sie möchten. Wenn mein Mann mit ihnen über mich sprach, nannte er mich immer beim Vornamen.
Da ich nicht der Trennungsgrund war, gab es von Seiten der Mutter keine direkten Ressentiments mir gegenüber, aber sie hat die Trennung nie wirklich verwunden und auch nie mehr einen neuen Partner gehabt, bis sie vor 6 Jahren starb. Daraus schließe ich, dass es dennoch schwer für sie gewesen sein muss, unser Familienleben zu erleben. Wenn sie nicht darauf angewiesen gewesen wäre zu arbeiten und wenn mein Mann nicht so nachdrücklich auf das Zusammenleben mit seinen Söhnen bestanden hätte, hätte sie es sicher gern vermieden.
Dementsprechend schwer taten sich die Jungs, bei uns anzukommen und sich zwischen den Familienteilen zu bewegen. Es hat mir oft das Herz zerrissen, wie verzweifelt sie in dem Bestreben, loyal ihrer Mutter gegenüber zu sein und sich bei uns wohlfühlen zu dürfen, gerungen und gerudert haben. Wir haben nie Druck aufgebaut, aber viel mit ihnen über die Situation gesprochen. Zudem haben sie mitbekommen, wie locker und entspannt das bei meiner Tochter mit ihren beiden Familien lief.
Ihr Mutter zeigte leider wenig Verständnis dafür, dass sich die Jungs aufrieben und bestrafte sie wohl oft mit Liebesentzug in Form von nicht mehr mit ihnen Reden, wenn sie fröhlich von einem Aufenthalt bei uns zurückkamen oder sie verbot ihnen von ihren Erlebnissen bei uns zu erzählen oder weinte, wenn sie es taten. Sie bestand immer darauf, dass ihre Söhne an Weihnachten und ihren Geburtstagen bei ihr waren, was für meinen Mann nicht einfach war, was er aber akzeptierte, um nicht noch mehr Druck auf die beiden auszuüben.
Nach etwa einem halben Jahr nannten mich die Jungs dann beim Vornamen, was ich als große Erleichterung gegenüber der vorhergehenden Namenlosigkeit wahrnahm. Als der Ältere 13 wurde, weigerte er sich, überhaupt noch bei seiner Mutter zu wohnen. Alle Vermittlungsversuche scheiterten und er lief schließlich sogar weg, um klarzumachen, dass er es ernst meinte. Für den Jüngeren war das eine Katastrophe, und nur, weil der große Bruder das verstand, war er ein paar Monate später zumindest wieder bereit, seine Mutter zu besuchen. Sein Lebensmittelpunkt blieb aber bei uns. Ab dem Moment des Einzugs nannte er mich Mom - von einem Augenblick auf den anderen und ab da mit völliger Selbstverständlichkeit und absoluter Konsequenz. Das übernahm sein Bruder nach kurzer Zeit ebenfalls.
Interessanterweise wurde das dann für ein paar Wochen zu einem Thema für meine Tochter, die für sich klarkriegen musste, dass sie nicht mehr den Alleinanspruch darauf hatte, mich als ihre Mutter zu bezeichnen. Das gab sich aber glücklicherweise recht schnell und trübte auch die gute Beziehung zwischen den Dreien nicht nachhaltig. Ihr Mami hat sie aber beibehalten - bis heute mit fast 38 .
Warum ich das erzähle? Weil es um die Kinder geht, und weil ich erfahren habe, was es in Kinderseelen anrichtet, wenn sie in Loayalitätskonflikte gebracht werden, weil Erwachsene sie nicht einfach lieben lassen. Gleichzeitig bin ich dankbar, dass meiner Tochter das erspart blieb, auch wenn es mich zu Anfang einiges an Überwindung gekostet hat.
Ach ja: Auch das verlief bei weitem nicht immer reibungslos. Meine Tochter kündigte immer wieder mal an, zu ihrem Vater zu ziehen, wenn wir Streit miteinander hatten. Als sie irgendwann verstand, dass sie das tatsächlich auch tun dürfte, hörte sie damit auf.