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Hallo! Ich bin neu in diesem Forum, da ich vollkommen ratlos bin und denke immer wieder dran, aus diesem Leben zu scheiden. Bin ein junger Mann, Mitte 30, stehe voll im Leben und bin seit meiner Kindheit völlig vereinsamt, lebe inzwischen total isoliert. Ich sage immer nur: Man sieht es einem an der Nasenspitze nicht an. Mein Psychologe meint: Ich bin eine Kämpfernatur. Doch im Moment hilft mir diese Einzeltherapie nicht mehr wirklich weiter, da ich mich innerlich auch von meinem guten Psychologen verabschiedet habe. Das tut weh. Eigentlich glaube ich auch, dass ich in den vergangenen Jahren persönlich weit gekommen bin. Ich habe an mir gearbeitet. Habe durch meine derzeitige Therapie, mich ein wenig kennengelernt und reden gelernt. Das war für mich ein Riesenfortschritt. Eigentlich bin ich ein lebens- und unternehmungslustiger Mensch - nach außen, im Inneren fühle ich mich wie Tod. Die Einsamkeit bzw. Isolation löst bei mir eine Erstarrung aus. Bin ich unterwegs, bin ich teilnahmslos, verziehe keine Mine und strebe den Rückzug an in meine eigenen vier Wände. Vor 3 1/2 Jahren ist es passiert. Mein Leben ist vollkommen gegen die Wand gefahren. Ein riesiges schwarzes Loch, habe das Haus nicht mehr verlassen, alle Kontakte abgebrochen. Angstzustände, Panikattacken, Schwindelanfälle, dauernde Gefühlsausbrüche, Schlafstörungen ... . Ich war über ein Jahr arbeitsunfähig. Burn out. Heute empfinde ich es so, dass ich mein Leben relativ wieder gut im Griff habe. Mein Arbeitgeber hat mir geholfen, an meinen vertrauten Arbeitsplatz zurückzukehren. Ich war noch nie so glücklich. Lebe auch seit dem Sommer wieder viel bewußter, habe mein Leben sozusagen entrümpelt. Habe viele Interessen, die ich mit niemanden teilen kann. Mache alles mit mir alleine ab.
Kurz und knapp: Mein Weg in die totale Isolation:
Kindheit:
habe einen richtigen Kindergeburtstag erlebt mit 7 Jahren;
andere Kinder durfte ich größtenteils nicht mit nach Hause bringen,
mit 12 Jahren schwere Herz- Kreislaufprobleme, mein Leben hat sich
dadurch grundlegend verändert, konnte jahrelang am Sport nicht mehr teilnehmen, mit anderen Kindern toben war auch nicht mehr drin, zeitweise wurde ich aus der Schule genommen;
wurde zum Spätentwickler;
Paradox: Habe mit 11 Jahren schon regelmäßig Tageszeitungen und Wochenmagazine gelesen und mit 14 noch mit Bausteinen gespielt;
wurde von meiner Familie nicht gefördert und ernst genommen;
verbrachte meine wertvolle Zeit vor der Mattscheibe;
statt Klassenfahrt habe ich einen Walkman geschenkt bekommen;
aufgeklärt wurde ich zunächst auch nicht;
Kontakte zu Onkels, Tanten, Großeltern, Bekannte wurden durch meine Eltern unterbrochen, da sie selbst Probleme hatten;
meine Eltern prahlten überall mit uns Kindern, wie toll wir erzogen worden sind, nur auf´s Leben haben uns nicht vorbereitet;
als Jugendlicher hatte ich auch nie eine Freundin;
mit 19 habe ich mein Elternhaus verlassen, meine Ansicht war: lieber verhungern, als ein Tag dort zu wohnen;
mein einsames Leben setzte sich fort, da ich ruhig und zurückhaltend war, lebte 10 Jahre allein, machte meine Ausbildung und hatte nach 3 Jahren Jobberei mein festes Arbeitsverhältnis. Ich stürzte mich fortan nur noch in die Arbeit, um nicht alleine zu sein. Das Leben zu meinen Eltern entspannte sich. Leider habe ich zu spät germerkt, dass sie mich nur in Abhängigkeit bringen wollten. Sie konnten nie loslassen. Da ich damals wenig Geld verdiente, bin ich in die Schuldenfalle getappt, dabei war ich nie ein konsumfreudiger Mensch. Ich schämte mich dafür, da arbeiten und arm sein nicht zusammen passte. Meine Eltern und Geschwister protzten und sie interessierten sich nicht für mich. Hatte ja reden nicht gelernt; mit 28 lernte ich meine erste richtige Freundin kennen, ich bewunderte sie, sie lebte frei, pflegte Freundschaften - und: sie sperrte mich in ihrer Wohnung ein. Ich war mit meinem Latein am Ende.
Die Beziehung ging nach 1 1/2 Jahren in die Brüche; 2002 der Riesenknall. Bekam mein Leben wieder in den Griff, war fortan schuldenfrei bis heute ... und dann geschah das Furchtbare: mein liebster Mensch auf der Welt, der Hoffnungsträger meiner Familie, mein über alles geliebter Neffe, zu dem ich eine ganz enge Bindung hatte, verunglückt mit 12 Jahren in seinem Kinderzimmer und stirbt zwei Tage später im Krankenhaus ... und das kurz nach Weihnachten. Ich war bis zum Schluss bei ihm, hielt seine Hand und merkte, wie das Leben entwich, sein Körper wurde schrittweise immer kälter; Ich, der immer eine tolle Familie haben wollte mit Kindern, mit den ich soviel unternehmen würde, weil ich aus der Vergangenheit soviel gelernt habe, war an diesem Tag soweit entfernt davon, wie noch nie - und das bis heute. In der Trauerzeit habe ich meine heutige Partnerin kennengelernt. Diese wurde damals aus der Wohnung meiner Eltern geworfen - ohne konkreten Grund. Ich fing an, mich von meiner Familie zu lösen, habe seit 3 Jahren so gut wie keinen Kontakt mehr zu Eltern und Geschwistern, außer ein paar Zeilen. Das tut mir gut wie noch nie. Die andere Seite ist, ich bin in meiner Beziehung total vereinsamt. Jeder geht eigene Wege. Es ist zuviel passiert. Arbeitslosigkeit meiner Partnerin, dann jahrelange Fernbeziehung über 700 km, dann kehrte Ruhe ein. Der neueste Job meiner Partnerin bedeutet für mich, Abende, Wochenenden und sogar den Urlaub alleine verbringen zu müssen. Hätte nie gedacht, dass man in einer Beziehung so einsam werden kann. Familien-/Freundes- und Bekanntenkreis existiert so gut wie überhaupt nicht mehr. Gemeinsamen Hobbys wird nicht mehr nachgegangen, das Schlimme für mich dabei ist, dass meine Partnerin keine Hobbys hat und sich für nichts interessiert. Reden über Dinge? Fehlanzeige. Was soll ich machen?? Ich möchte doch nur ein schönes, zufriedenes Leben führen, Kinder haben, nette Leute in meinem Kreis haben, füreinander dasein - mehr nicht. Gestern war so ein Tag - nach einem Streit - wo ich wieder aufgeben wollte. Kann seit Wochen nicht mehr richtig schlafen oder schlafe schlecht. Heute früh um 7 habe ich beschlossen, meine Gefühle hier zu veröffentlichen, da es in meinem Leben niemanden mehr gibt, mit dem ich sprechen kann, bin ratlos, hilflos, irgendwie völlig am Ende. Fühle mich unverstanden, nehme am Leben nicht mehr teil, bin erstarrt.

Meine Wünsche: Mal wieder herzlich lachen können, mit Menschen zusammen sein, keine Angst mehr zu haben vor anderen Menschen, gemeinsam Freude haben, die Angst überwinden, auf Menschen zuzugehen, sich anlächeln können, unbeschwert weggehen können, mal tanzen gehen (das würde ich so gerne machen), das Leben genießen können, den berühmten Small-Talk wieder zu entdecken, mal etwas zu spielen - mit mir hat so gut wie niemand mal etwas gespielt, mal eingeladen zu werden - so etwas kenne ich nicht mehr. Es klingelt auch niemand.

Wie versuche ich meinen Kopf frei zu bekommen? Das ist meine Therapie:
Musik hören, mal Filme im Kino oder auf DVD ansehen, viel zu lesen, dass bewirkt Wunder, viel frische Luft und Sauna.

Worauf bin ich stolz? Keine Tabletten mehr zu nehmen, überhaupt nicht zu rauchen und so gut wie keinen Tropfen Alk. zu trinken. Keine Fernseh- oder Spiel- bzw. Computersucht zu haben. Mit Geld umgehen zu können. Unabhängig zu sein.

PS: Sorry, dass mein Eintrag zu lang ist, aber ich habe viel zu erzählen und das erste Mal im Leben den Wunsch gehabt, mir etwas von der Seele zu schreiben. Ich möchte nicht jammern, kein Mitleid - wünsche nur Veränderungen in meinem Leben, um nicht wieder in die Vergangenheit zurückzufallen. Wem geht es ähnlich? Ich denke nur nach vorn.

Seid lieb gegrüßt von mir, einem Menschen unter euch, der noch mitten im Leben steht ...


Möchte nicht im Forum enden, sondern ins Leben zurück ...

16.12.2007 11:22 • 17.12.2007 x 1 #1


7 Antworten ↓


Lieber Traumzauberbaum,

es ist so schwer auf Deinen Thread zu antworte, weil Du einerseits schreibst, Du hast Dein Leben im Griff, es ist alles wieder gut, andererseits Du aber völlig isoliert lebst, Dich innerlich tot fühlst und in einer unbefriedigenden Partnerschaft steckst .....

Da liegt doch noch scheinbar vieles im Argen bei Dir.

Meine Therapeutin hat immer gesagt: Sie sind gut im Aushalten. Ist das vielleicht das Gleiche wie eine Kämpfernatur zu sein? Definitionssache? Ist das positiv oder negativ? Ansichtssache?

Alles in Dir klingt nach einer unglaublich tiefen Einsamkeit. Aber wohl nicht, weil Dir Kontakte fehlen, auch wenn sie tatsächlich fehlen, sondern das wird andere Gründe haben, die es herauszufinden gilt. Verstehst Du? Warum ziehst Du Dich von den Menschen zurück? Warum sogar von Deinem Therapeuten? Ich glaube nicht, dass die Isolation eine Erstarrung auslöst. Eher umgekehrt. Und es steht die Frage im Raum, wieso Du so erstarrt bist? Für mich führt Erstarrung zu Isoltaion, weil man nicht in richtigen Kontakt mit den Menschen geht, gehen kann, gehen will.

Ich finde mich in vielen Deiner Passagen wieder. Dennoch ist meine Geschichte eine andere.

Du hast bestimmt schon eine Menge aufgearbeitet, aber dem Kern der Sache bist Du vielleicht erst auf der Spur. Vielleicht ist Deine innerliche Verabschiedung von dem Therapeuten genau der Punkt, an dem die Arbeit jetzt richtig anfängt. Hast Du mit ihm darüber geredet? Ich halte das für ganz wichtig, dass Du mit ihm darüber in Kontakt gehst.

Ok., Deine Fassade ist wieder hergestellt. Du hast Dein Leben wieder im Griff. Trotzden scheinst Du andere Vorstellungen vom Leben zu haben. Und die sind in keinster Weise bisher erfüllt.

Du hast in Deiner Kindheit wichtige, elemantare Dinge nicht gelernt und nicht erfahren. Nennst es selbst nicht reden gelernt. Und trotz Deiner Fortschritte klingt es für mich, als setze sich all das fort. Deine 1. Beziehung hat Dich eingesperrt, Deine jetzige Beziehung wirkt auf mich vollkommen trist und unlebendig. Da scheint es keinen echten Kontakt zu geben.... Dann verlierst Du auch noch einen geliebten Menschen, musst Dich von dem verabschieden, was der größte Lichtblick für Dich gewesen ist..., all das schreit doch nach Rückzug, weil es weh tut, Angst macht, weil es außer dieser einen mit Deinem Neffen (die Du dann auch noch so tragisch verloren hast), scheinbar keinerlei guten Erfahrungen mit Nähe und Kontakt bisher gegeben hat. Und obwohl Du Dich so sehr danach sehnst, kannst Du es nicht herstellen. Und das ist möglicherweise der Ansatzpunkt.

Ich finde es übrigens sehr bewundernswert, dass Du Deinen Neffen so voller Liebe begleitet hast. Vielleicht war Dein Neffe ein Stück der kleine Junge in Dir, dem es an so vielen Dingen fehlte. Und mit seinem Tod bist auch Du ein Stück mitgestorben. Bist erstarrt!

Ich hoffe, meine offenen Worte reissen keine Wunden auf, die Dich herunterziehen.

Lieber Traumzauberbaum, Dein Text ist durch und durch ambivalent. Du hast einerseits Dein Leben im Griff, aber andererseits ganz andere Vorstellungen vom Leben. Bemerkst Du diesen Widerspruch?

Alles Liebe
Lilly

A


Völlig isoliert. Verzweifelter Hilferuf!

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Ich noch mal.
Habe gerade bemerkt, dass ich Dir in einem anderen Thread auch geantwortet habe.
Für mich ist das, was ich in beiden Antworten gesagt habe, eine Ergänzung. Nur fehlt eigentlich dieser Teil -die Angst vor dem Tod- in Deiner Lebensgeschichte, die Du hier erzählt hast. Fände den Zusammenhang sehr wichtig.

Man sagt ja, Angst vor dem Tod, ist die Angst vor dem Leben.

Was mich an der Vorstellung meines Todes erschreckt, ist die Tatsache, dass ich das Gefühl habe, bisher kein sinnvolles und erfülltes Leben geführt zu haben und ... dass ich vermutlich keine oder kaum Spuren in diesem Leben hinterlassen werde. Was für mich fast dem gleich kommt, dass es Dich vor allem ängstigt, einfach nicht mehr zu existieren. Aber existieren ist nicht leben.

Kannst Du meinen Gedanken noch folgen? Das ist ein schwieriges Thema.

Liebe Lilly,

vielen Dank für deine Antwort. Eines vorne weg. Deine Zeilen taten mir gut. Jedoch kann ich mich jetzt nur auf deine 1. Antwort, bezgl. der Erstarrtheit, konzentrieren, mit der 2. Antwort kann ich nichts anfangen, da ich nur diesen einen Thread habe. Kurzum: Ich kann die 2. Antwort im Moment nicht nachvollziehen. Als ich gestern diesen Eintrag erstellte, war ich mir bewusst, dass es schwierig sein wird, darauf zu antworten. Habe heute wieder eine lange schlaflose Nacht verbracht, wie so oft. Die Gedanken kreisen und man denkt der Kopf platzt vor lauter Druck. Irgendwann gegen 2.30 h hat dann auch mein Herzrasen aufgehört. Am vergangenen Wochenende ging es mir ganz doll schlecht, wie lange nicht mehr. Zum Glück habe ich Urlaub. Mein erster Gedanke heute morgen gegen 5 Uhr war, dass ich heute an meinem freien Tag, meinen Therapeuten zwischen 2 Sitzungen abfangen werde, um noch einen Termin vor den Feiertagen zu vereinbaren. Vielen Dank, dass du diesen Schritt bestätigt hast. Er weiß nicht, dass ich mich innerlich bereits vor so einigen Sitzungen von ihm verabschiedet habe.
Manchmal denke ich, er ist einfach an seine Grenzen gestoßen, fühle mich unverstanden.
Anderseits ist es schwer, mit Wahrheiten bzw. Tatsachen herauszubrechen. Er hat bisher viel geleistet, bin seit 2 ¼ Jahren in Behandlung. Ein Klinikaufenthalt (3 Wochen) im vergangenen Jahr hat mir auch nicht geholfen. Hatte Schwierigkeiten, mich auf eine Gruppentherapie einzulassen. Kam mir total verloren vor. Du hast in deinen Zeilen, Dinge gut beschrieben. Erstarrung führt zur Isolation. So ist es korrekt. Wer erstarrt, kann sich auf seine Umgebung nicht mehr einlassen. Kann keine Gefühle ausdrücken, z. Bsp. mit einer Gesichtsbewegung. Andersrum wenn ich jemanden begegne, der mich anlächelt, schaue ich erstarrt, verziehe keine Miene und der denkt, was für ein komischer Typ und nimmt Abstand, da ich eventuell arrogant rüberkomme. Ich hatte ein U-Bahnerlebnis mit 20 Jahren, da hat mir eine Berufsschulkameradin gesagt, sie findet es schade, dass ich immer eine ernste Miene habe, nie lächel und immer in Gedanken schweife und nichts sage. Sie hat mir einen Spiegel vorgehalten. Die Erstarrung muss bereits in meiner Kindheit oder Jugend begonnen haben und setzt sich in einem bestimmten Ausmaß bis heute fort. Die völlige Verzweifelung. Ich bezeichne mein Leben bis zum ca. 28. Lebensjahr als goldenen Käfig. Habe sehr dominante Eltern und eine sehr dominante Schwester, die mich sozusagen, gefügig gemacht haben. Hatte nicht wirklich ein eigenes Leben, obwohl ich ein selbstständiges Leben mit eigenen Haushalt führen wollte. Habe immer das gemacht, was andere von mir erwarteten. Ein großer Fehler.
Mit meiner ersten „Freundin“, dachte ich, ich hätte es geschafft, den Käfig zu verlassen. Ein großer Irrtum. Ein neuer Käfig tat sich auf und meine Eltern behielten die Kontrolle über mein Leben bis zum Jahre 2004. In dem Jahr habe ich meine Familie verlassen, um endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen, so wie ich es möchte. Ich merke, ich schweife gerade aus. Zurück zur Erstarrtheit: Was hat mich erstarren lassen? Unerfüllte Wünsche, unerfüllte Träume, unerfülltes Leben? Habe erst jetzt in meiner Therapie erfahren, dass ich völlig anders bin, als meine unmittelbare Familie. Leute, die ich im Laufe des Lebens „begegnet“ bin, meinten immer, du passt da überhaupt nicht rein, sie fanden meine Eltern durchweg komisch und fanden auch kein Draht zu ihnen. Wenn ich an meine Familie denke, bekomme ich Albträume oder der Sinn des Lebens geht mir verloren. Vielleicht hat mich dieses „andere“ Leben erstarren lassen. Ich konnte in meinem Leben nie das tun, was ich wollte. Habe mich völlig bevormunden lassen, um nicht den letzten Zipfel den ich hatte, die restlich verbliebene Familie, verlieren zu müssen. Man hat mir Lebensangst mit auf den Weg gegeben. In meiner Kindheit habe ich erfahren müssen, dass alle Menschen um mich herum schlecht sind. Nur meine Eltern seien, die einzig wahren Leute. Alle Bindungen im Laufe der Zeit wurden gekappt. Auch mit den Nachbarn. Kam ich von der Schule, stand ich manchmal 2 Stunden im Treppenhaus, da ich keinen eigenen Schlüssel bekam. Als ich mit 12 Jahren erkrankte, brach für mich die „heile“ Kinderwelt zusammen. Ich wurde abgeschrieben, man machte mir Todesangst, ich hatte so furchtbare Angst, traute mich nicht mehr in den Keller, um Kohlen zu holen. Eine Angst, die bis heute – auf andere Weise – bei mir vorhanden ist. Einige Leute machten mir „Mut“ und sagten „Totgesagte leben länger“. Ab diesem Zeitpunkt lebte ich in meiner eigenen Welt. Mit Kindern toben, Mädchen necken, gemeinsam spielen, mit anderen Menschen zusammensein – all dies blieb mir verwährt. Seit dieser Zeit habe ich Probleme, auf Menschen zuzugehen. Ein Leben lang „verstecken“ spielen. Meine Eltern warnten mich immer, Bindungen mit Frauen einzugehen. Heute weiß ich, sie hatten Angst mich zu verlieren. Diese Angst hatten auch meine Geschwister. Ich blieb der kleine Bruder. In der Familie wurde nie über Probleme gesprochen. Es gab angeblich keine Probleme. Nur die Anderen haben Probleme. Noch heute führt meine Familie ausschließlich Monologe – unerträglich. Ein Gespräch ist noch nie möglich gewesen. Man hat sich nie über Interessen, Ausbildung, Beruf, Sex, Partnerschaft, Zusammenleben, Verliebtheit und und und unterhalten. Hatte ich Sorgen wurde ich niedergeschrien und total mit Worten verletzt.
Meine Aufklärung fand mit einem Gesundheitsbuch statt. Ich hatte panische Angst, dass meine Eltern etwas merken. Wenn meine Eltern nicht zu Hause waren, habe ich heimlich das Gesundheitsbuch aus dem Regal genommen und mich belesen. Ich hatte solche Angst. Als ich in die Pubertät kam, redeten mir alle ein schlechtes Gewissen ein, als ich unnormal wäre. Ich bekam Angst vor mir. Mein schönstes Erlebnis in meiner Jugend hatte ich mit 19. War einmal richtig unter jungen Leuten. Ein Jugendaustausch. Deutschland-Italien. Dieser Moment geschah auf einem Bahnhof. Es war leider nur ein langer Abschiedskuss, der auch der letzte vorerst bleiben sollte. Zum ersten Mal hatte ich es geschafft, aus tiefer Zuneigung, meine italienische Bekanntschaft zu küssen. Ich war wie verzaubert und megaglücklich. Erstarrtheit?
Nie machen zu dürfen, was man wollte. Ich wollte unbedingt mit 12 Klavier lernen. Meine Eltern trugen mich im Kurs „Akkordeon“ ein. Die Mitschüler lachten mich aus. Ich als schmaler Bursche konnte das Gerät kaum greifen. Des öfteren musste ich auch „Mädchensachen“ von meinen Schwestern tragen, Jeanshosen mit Damenschlitz. In meiner Freizeit fuhr ich ein Damenfahrrad. Wurde viel – bis ins unerträgliche – gehänselt. Sogar meine Schwestern haben mich ausgelacht und sich belustigt. Dann hat mich mein Vater in eine Ausbildung gezwungen, die ich überhaupt nicht wollte. Als es nach einem ½ Jahr Probleme gab, kam mein Vater vom Sport betrunken nach Hause, schrie mich in der Nacht wie ein Tier an, holte mich mit Nachtzeug bekleidet aus dem Bett und warf mich, so wie ich war, ins Treppenhaus und warf sämtliche Sachen von mir hinterher. Es war wie im falschen Film. Ich ging durchs Treppenhaus, klingelte bei der Mutter meiner ehemaligen Sandkastenfreundin und bat um ein Schlafplatz. In dieser Nacht beschloss ich, bei diesen „Eltern“ so schnell wie möglich auszuziehen. Probleme gab es in unserer Welt nicht. Mein Vater meinte, ich wäre eine Schande für die ganze Familie ... und das nur, weil ich eigentlich mit einem Notendurchschnitt von 1,7 erstmal Abitur machen wollte. In den 90er Jahren hatte ich 2 Anläufe unternommen, das „ganze“ Abitur nebenbei auf der Abendschule zu machen. Meine dominanten Eltern hatten es immer wieder erreicht, Veränderungen zu stoppen und mich zur Aufgabe zu bewegen. Bewarb ich mich in eine andere Stadt, z. Bsp. Hamburg, sollte ich die Bewerbung fallen lassen, damit sie mich nicht verlieren. Ich wäre so gerne weit weg gezogen. Was ich wollte, hat nie jemanden interessiert. Ein langer Text. Ich versuche meine Erstarrtheit zu ergründen.

Zeitenwandel: Neuerdings suchen meine inzwischen alten Eltern wieder den Kontakt zu mir. Ich bin hilflos, kann nicht mehr schlafen, spüre die totale Unruhe in mir. Es brodelt wieder ...

Liebe Lilly, um meine Welt besser zu verstehen. An manchen Tagen geht es mir super gut, springe umher und könnte Bäume ausreißen. Wenige Stunden später sitze ich allein auf einem Stuhl und bin zu Tode betrübt - das totale Chaos. Die Vergangenheit holt mich ein. Was ich im letzten Eintrag geschrieben habe, ist nur ein lächerlicher Bruchteil, ich könnte ein Buch zum Thema Einsamkeit füllen ...

Hallo Traumzauberbaum,

mach das, schreib ein Buch. Du schreibst sehr ergreifend.

Schreib einfach immer weiter, das wird dir vermutlich auch helfen.

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Du hast vieles erzählt, das ich zu Hause auch erlebt habe. Vor allem das ständige Kappen von Beziehungen.

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Was deinen Neffen angeht: Dass das für dich ein großer Verlust ist, kann ich sehr gut verstehen. Aber vielleicht kannst du es auch aus einer anderen Perspektive sehen: Er war in den gleichen Familienclan hineingeboren wie du. Meinst du, er war glücklich? Oder wünschte er sich da eigentlich raus - genau so wie du? Was meinst du? Fakt ist, jetzt ist er dort raus. - Und es ist keineswegs sicher, dass es keine weiteren Leben gibt; das redet uns unsere christliche Kirche ein, aber das ist nicht einmal aus der Bibel so abzuleiten, im Gegenteil. Vielleicht ist es also gut, dass er jetzt seine neue, hoffentlich bessere Chance hat?

Ich will damit nicht sagen, dass du es jetzt genau so machen solltest - nur nicht. Du bist jetzt erwachsen und kannst dein Leben neu ordnen.

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Auch ich empfinde dein Ausgangsposting als sehr widersprüchlich. Was meinst du damit, du stehst voll im Leben? Nach dem, was du schreibst, würde ich diesen Ausdruck gerade nicht gebrauchen - du stehst doch eher abseits im Leben, oder was meinst du?

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Was hält dich bei dieser Freundin, die du jetzt hast? Was zieht dich an ihr an?

LG
Anke

Lieber Traumzauberbaum,

zuerst mal eine Entschuldigung wegen meines zweiten Beitrages. Ich habe, wieso auch immer etwas durcheinander gebracht.

Du hast sehr viel erlebt. Und all das, was es an Schmerz in Dir freigesetzt hat, muss noch einmal durchlebt werden, um verarbeitet und überwunden werden zu können. Aber ich spüre, dass Du all dem nahe bist. Verliere nicht den Mut, Dich diesen Gefühlen zu stellen, sie wirklich kennenzulernen. Vielleicht schützt Deine Erstarrung Dich bisher davor. Und ich denke, die Erstarrung als solche überhaupt bewußt wahrzunehmen, ist schon der Anfang. Und vor allem, dass Du Dich entschieden hast, mit Deinem Therapeuten zu reden.

Was mir noch zur Erstarrung und Deinem Text einfällt, ist das Wort LEBENdigkeit. Es gibt Momente, da bricht sie aus Dir heraus, Du beschreibst es selbst, könntest Bäume ausreißen und es geht Dir gut. Dann bist Du Stunden später wieder zu Tode betrübt.

Ja, Du darfst keine Lebendigkeit spüren. Keimt sie auf, werden sie irgendwelche Mechanismen in Dir wieder abspalten, deckeln, versuchen zu zerstören.

Alle Lebendigkeit in Dir wurde bisher in Deinem Leben systematisch nieder gemacht. Und Lebendigkeit ist das Leben, ist sich wohl fühlen, sich mögen, das zu tun, wonach das Herz sich sehnt, ist lieben und geliebt werden..., in Bewegung sein, sich entwickeln, sich spüren, aus sich heraus können...., in Kontakt gehen.......
Durftest Du das jemals? Du hast gelernt, dass Du es nicht durftest und das übernehmen wir unbewußt in unseren Lebensplan.

Aber wie wunderbar ist es herauszufinden, dass wir es auch wieder aus unserem Lebenplan streichen können, wenn wir bereit sind, an uns zu arbeiten.
Es ist kein leichter Weg und zeitlich eingrenzen kann man ihn auch nicht.

Womit ich akeleia recht gebe, ist die Idee ein Buch zu schreiben oder überhaupt alles aufzuschreiben, was Dich bewegt. Nutze dazu auch dieses Forum. Es befreit Dich, verleiht Dir und Deinem Inneren eine Stimme.

Ihren Gedanken um den Tod Deines Neffen möchte ich so nicht zustimmen. Ich sehe das anders, aber das macht uns Menschen ja aus, dass wir alle unterschiedliche Meinungen haben. Hier meine ich ihre Ansicht, die so ein wenig klingt, als sei es für ihn das Beste gewesen. Während ich an das Weiterleben der Seelen schon glaube.
Ich denke, es wird seine Bedeutung haben, dass Du das miterleben durftest. Ich weiß, es klingt etwas skurril, doch so tragisch dieses Erlebnis war, empfinde ich es auch als Ehre, dass man einen Menschen in seinem Sterben begleiten darf und begleiten kann. Das zeugt für mich von viel Feingefühl und Sensibilität. Und auch das ist für mich Lebendigkeit, so absurd es für Dich vielleicht im Moment klingen mag.

Es gilt auch die Nuancen zu entdecken, damit meine ich, dass es MEHR gibt, als sich gut oder schlecht zu fühlen. Und selbst in der tiefsten Trauer kann man lebendig sein, kann man produktiv sein, wenn man sich aus einer Erstarrung löst.

Wovon ich Dir vielleicht abraten würde, ist es, im Moment auf die Kontaktversuche Deiner Eltern einzugehen, wenn Dich das so quält, Du sogar Schlafprobleme deswegen hast und es in Dir voller Unruhe brodelt. Aber diese Entscheidung kannst Du nur für Dich alleine treffen. Und egal, wie Du Dich entscheidest, versuche auf Dein Bauchgefühl zu hören (das kann man lernen) und gräme Dich nicht, wenn es nicht hinhaut. Ich glaube, dass es bei Entscheidungen kein richtig oder falsch gibt. Die Entscheidung, die ansteht, steht an, egal wie sie ausgeht. Und sie ist in jedem Fall ein Hinweis auf die Richtung, die wir gehen sollen. Demnach kann sie nie falsch sein. Verstehst Du?

Alles Liebe
Lilly

Hallo Traumzauberbaum,

ganz spontan:

das:

Zitat:
Zeitenwandel: Neuerdings suchen meine inzwischen alten Eltern wieder den Kontakt zu mir. Ich bin hilflos, kann nicht mehr schlafen, spüre die totale Unruhe in mir. Es brodelt wieder ...


und das
Zitat:
ich habe mich wohl innerlich schon von meinem Therapeuten verabschiedet


gehört vielleicht zusammen?

Was ich bezüglich den Verhälltnissen innerhalb meiner Familie ganz fürchterlich finde, ist , dass es dort keinerlei Freiwilligkeit und Wohlwollen gibt...das hört sich so endgültig und allumfassend an...und das ist es auch...da gibt es nichts loszulassen oder aufzuarbeiten oder abzuschließen...weil es immer present und aktuell ist...mal mehr, mal weniger intensiv - Kontaktsperren sind nie mehr als Pausen, Unterbrechungen und im übelsten Fall Nachladezeit - es geht auch immer darum, dass Einzelne Familienmitglieder ihre Position nicht verlassen und aufgeben wollen...daran KANNST DU nichts ändern - aber Du kannst sehr wohl Deine Position verlassen...nur für Dich...

Die Position/Stellung Deines Therapeuten - in Deinem Leben - kannst Du aber verändern, da kannst Du Jederzeit bestimmen ob der nun weiterhin Dein Thera bleibt oder nicht - weil diese Beziehung wirklich nur auf Freiwilligkeit und Wohlwollen basiert- aber jetzt, da Deine Eltern wieder aktiv ihre Position besetzen und versuchen, Dich auf Deine, von ihnen vorbestimmte zurückzusetzen würde es tatsächlich und ganz aktuell innerhalb Deiner Therapie ans Eingemachte gehen - nicht er ist an seine Grenzen gestoßen, sondern Du...jetzt würde es nicht mehr um das Vergangene und die Verknüpfung zum Heute gehen, sondern um das, was jetzt ganz aktuell da, greifbar und natürlich auch von Dir zu entscheiden ist.

...Als Sprössling, egal wie alt man ist, hat man ganz simpel auch keine Möglichkeit sich ganz legal und offiziell von seinen Eltern oder Geschwistern scheiden zu lassen...ich ziehe das ganz bestimmt nicht ins Lächerliche - ich finde es für mich persönlich sehr wichtig, dass ich klar unterscheide wann etwas meine Entscheidung und Wahl ist und war und wann eben nicht...das heißt nicht, dass ich immer voll durchdachte und bewußte Entscheidungen treffe...aber es bringt mich doch Heute nirgendwo hin - ob emotional, beruflich oder privat - wenn ich meine Entscheidungen entweder vorher oder nacher immer in Verbindung mit all den Sachen bringe, die ich als Kind bzw. Jugendliche nicht bekommen habe...natürlich werden wir alle ganz massiv durch unsere Erzieher und Eltern und angeblichen Rolemodels beeinflusst...das hört vermutlich auch nie auf...aber das ist nun mal, wie es ist...

Wenn Du könntest, welche Wünsche würdest Du HEUTE an Deine Eltern richten? Gibt es irgendetwas was die HEUTE tun könnten, damit es Dir besser geht? Würde es Dir guttun, wenn sich Deine Eltern bei Dir entschuldigen würden? Oder wenigstens zugeben, dass sie auch Fehler gemacht haben und bestimmte Situationen völlig unterschätzt haben oder nicht für so wichtig hielten? etc?

Vielleicht hast Du das ja schon probiert oder mit Deinem Therapeuten verworfen...hast Du schon mal etwas von Familienaufstellung gehört?

Egal was: Bleib am Ball und schick Deinen vertrauten Thera nicht gerade jetzt in die Wüste - Du bist ja nicht 2 1/2 Jahre zur Therapie gegangen um das Ruder gleich wieder an Deine Eltern abzugeben und Dich dominieren zu lassen, oder?





Dr. Reinhard Pichler
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