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Nabend in die Runde,

irgendwie trete ich auf der Stelle und brauche mal euren Blick von außen. Ich versuche mich kurz zu fassen, aber in meinem Kopf herrscht ziemliches Chaos. Also zu meiner aktuellen Situation und wie es dazu gekommen ist:

Ich habe ein Semester dual Informationstechnik studiert, bin dann aber wegen dem Corona-Chaos ins Fernstudium gewechselt. Nebenbei arbeite ich bei meinem ehemaligen Partnerunternehmen als Werkstudent. Die Wechselphase war eine unheimlich stressige Zeit, mittlerweile habe ich mich aber gut reingefunden, habe wieder eine Perspektive vor Augen und weiß wofür ich das tue.

Was mich aber immer wieder sehr beschäftigt, ist der fehlende soziale Austausch neben dem Studium. Von meiner Fernhochschule kenne ich gar keine anderen Kommilitonen. Dort herrscht totale Funkstille. Von einer anderen Fernuni habe ich einen Discordserver gefunden, aber auch dort gibt es niemanden in einer ähnlichen Situation. Die Meisten aus diesem Umfeld sind mal mindestens 10, eher 15 oder 20 Jahre älter als ich. Neben Arbeit und Studium vor allem beschäftigt mit Hausbau und Familienplanung. Alles Themen, bei denen ich so gar nicht mitreden kann.
Für ein paar Monate war ich mal in einer studentischen Arbeitsgemeinschaft, die sich um die Internetanbindung der Studentenwohnheime hier kümmert. Das war eine nette Runde, aber richtig Anschluss gefunden habe ich dort auch nicht. Ich wohne nicht im Wohnheim und hab auch sonst keinen Bezug zu den ganzen Insidergeschichten von der Uni.
Ansonsten kenne ich aus den wenigen Vorlesungen im dualen Studium natürlich noch ein paar Leute, aber mehr als Bekanntschaften sind das auch nicht. Ausgenommen meinem heute besten Freund, den ich schon im Bewerbungsgespräch kennengelernt habe und der auch heute noch mit mir in einer Abteilung arbeitet. Er ist der Einzige, mit dem ich mich auch privat super verstehe.

Wie man sieht, habe ich in meinem Alltag praktisch keinen Kontakt zu Gleichaltrigen, geschweige denn Gleichgesinnten. Ich gehe 2 1/2 Tage arbeiten, die anderen 2 1/2 Tage lerne ich zuhause. Manchmal auch noch ein zwei Stündchen am Samstag, wenn die nächste Prüfung näher rückt. Es gibt bei mir keine zufälligen Begegnungen mit irgendwem, jedenfalls nicht so wie man das im üblichen Campusalltag kennt.
Mir geht es auch gar nicht so sehr darum jede Menge Leute kennenzulernen. Ich habe einige wenige, dafür aber sehr gute Freunde und damit bin ich zufrieden. Ich war schon immer ein ruhiger zurückhaltender Mensch. Außerdem bin ich ziemlich introvertiert und brauche immer mal wieder Zeit für mich selbst. Früher war ich zusätzlich unheimlich schüchtern, aber damit habe ich heute nur noch selten Probleme.

Was mir wirklich fehlt, ist eine Partnerin, mit der ich gemeinsam eine schöne Zeit verbringen kann. Mal etwas zu zweit oder mit ein paar Freunden unternehmen, mal einfach nur die Ruhe genießen. Ich wünsche mir jemanden, mit dem ich wirklich vertraut bin. Ich suche nach Intimität und auch nach körperlicher Nähe. Ich kuschel unheimlich gerne, hatte aber noch nie richtig Gelegenheit dazu. Bisher hat es ja noch nicht einmal für einen ersten Kuss gereicht.
Letzten Sommer habe ich es immerhin mal (dank eines glücklichen Zufalls) geschafft ein Mädchen in der Stadt anzusprechen. Long story short: Wir sind heute sehr gut befreundet, allerdings lebt sie in Russland und wir können nur via social media schreiben. Eigentlich wollte ich sie dieses Jahr mal besuchen, aber das hat sich ja vorerst erledigt.

Irgendwie bin ich ständig hin und her gerissen. Einerseits bin ich mit meinem Studium und meiner Arbeit sehr zufrieden. Beides macht mir viel Freude und ich habe wieder ein Ziel vor Augen. Andererseits habe ich privat das Gefühl, dass ich irgendwie festhänge. Ich treffe mich zwar immer mal wieder mit Bekannten, schreibe mit Leuten über Discord etc., oder unternehme mal Dinge nur für mich, aber dabei begegne ich nie den Menschen, nach denen ich eigentlich suche.
Manchmal komme ich mir vor wie ein Außerirdischer, nirgendwo passe ich so richtig dazu. Mein Alltagsleben unterscheidet sich in so vielen Punkten von dem der Anderen. Außer fachlichen Dingen habe ich kaum gemeinsame Gesprächsthemen mit meinem Umfeld.
Gewissermaßen sitze ich allein auf einer wunderschönen Insel. Die Insel selbst gefällt mir sehr gut und ich lebe gern hier. Wenn ich anderen davon erzähle, finden sie das immer sehr interessant, aber mitkommen wollte noch keiner. Auf Dauer ist es so doch irgendwie einsam.

Wie schon eingangs erwähnt, fehlt mir einfach ein Blick von außen. Mich würde mal interessieren, was euch bei all dem so durch den Kopf geht. Was würdet ihr an meiner Stelle tun? Geht es vielleicht jemandem ähnlich? Wenn ja, wie geht ihr damit um? Habt ihr irgendwelche Ideen/Tipps/Vorschläge wo ein ruhiger Mensch wie ich mal jemanden wirklich kennenlernen kann? Was immer euch einfällt, gerne her damit!

Beste Grüße und ein schönes Wochenende

14.05.2022 00:54 • 19.06.2022 x 1 #1


15 Antworten ↓


Hallo,
Ich bin vom Typ her ähnlich wie du, daher verstehe ich deine Probleme gut.

Mir fällt es immer sehr viel leichter jemanden im Internet kennenzulernen. Man kann sich unterhalten und bekommt gleich einen ersten Eindruck ob man sich versteht oder nicht. Vielleicht fällt es dir dann auch leichter, dich mit der Person zu treffen, sie ist ja nicht mehr ganz so fremd.
Ein Vorteil ist, dass du im Internet auf viele verschiedene Menschen treffen kannst und bestimmt auch jemand dabei ist, der oder die zu dir passt.

Natürlich braucht es auch ein bisschen Geduld, bis man wirklich die richtige Person findet. Oft hilft es auch, den Druck rauszunehmen. Geh ganz locker ran und du findest bestimmt jemanden!

LG

A


Mit 19 allein im Fernstudium + Beziehungswunsch

x 3


Hallo @Julia_ne,

danke für deine Antwort! Über welche Plattformen/Kanäle schreibst du denn online mit Leuten bzw. was sind generell deine Erfahrungen in die Richtung?

Ich hab bisher auch ein paar Varianten probiert (Instagram, verschiedene Discord Gruppen, eine Onlinedating-App, jetzt hier im Forum) und auch einige nette Leute dabei kennengelernt. Aber irgendwie geht es nie über ein paar nette Schreibereien hinaus. Real getroffen habe ich mich noch mit keiner dieser Bekanntschaften.

Es fühlt sich immer so abstrakt an. Solange ich der Person nicht real begegnet bin, habe ich eigentlich keine Ahnung mit wem ich da schreibe. Ich will niemandem etwas unterstellen, mir fällt es einfach schwer einen Bezug zu den Leuten herzustellen. Und ich will mir auch kein Konstrukt aus Klischees und Vorurteilen in meinem Kopf zusammenbauen, ohne dem Menschen hinter dem Profil je begegnet zu sein.
Auf der anderen Seite habe ich auch Probleme mich selbst online anderen zu öffnen. Online kann halt jeder mitlesen. Wenn ich zufällig jemandem in der Realität begegne, habe ich schnell ein ziemlich gutes Gefühl, ob ich der Person vertrauen kann, oder nicht.

Abgesehen davon hab ich schon in so vielen Foren von jungen Leuten gelesen, die im Kern ähnliche Probleme haben. Viele sonst sehr stille Menschen suchen nach einem/einer Gleichgesinnten, nach tiefgründigen Gesprächen, nach jemandem, der wirklich zuhört, der/die einen blind versteht und der/dem man nichts von seinen Eigenheiten erklären muss, weil er/sie das alles aus eigener Erfahrung kennt. Es gibt diese Menschen, ich bin ja auch einer davon. Und doch finden wir irgendwie nie zusammen. Am Ende sitzt doch wieder jeder allein vorm Rechner und malt sich aus, wie schön doch alles sein könnte ...

Ich frage mich immer, an welcher Stelle wir festhängen? Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns zu schnell mit der Vorstellung von etwas abfinden. Der Gedanke daran so jemandem zu begegnen ist auch schon schön. Nicht vergleichbar mit einem richtigen Treffen, dafür aber auch ohne Risiko. Oder geht es nur mir so? Fragen über Fragen..

Beste Grüße

Zitat von randUser:
Über welche Plattformen/Kanäle schreibst du denn online mit Leuten bzw. was sind generell deine Erfahrungen in die Richtung?

Ich habe da auch schon sehr viele verschiedene Seiten oder auch Apps ausprobiert. Meine Erfahrung ist, dass man auf viele trifft, mit denen es nicht so gut läuft. Aber ich habe auch immer wieder jemanden getroffen, mit dem gute Gespräche möglich waren.
Aber dass man länger in Kontakt bleibt ist leider selten.

Zitat von randUser:
Viele sonst sehr stille Menschen suchen nach einem/einer Gleichgesinnten, nach tiefgründigen Gesprächen, nach jemandem, der wirklich zuhört, der/die einen blind versteht und der/dem man nichts von seinen Eigenheiten erklären muss, weil er/sie das alles aus eigener Erfahrung kennt. Es gibt diese Menschen, ich bin ja auch einer davon. Und doch finden wir irgendwie nie zusammen. Am Ende sitzt doch wieder jeder allein vorm Rechner und malt sich aus, wie schön doch alles sein könnte ...

Du sprichst mir wirklich aus der Seele. Wenn ich jemanden persönlich kennenlerne finde ich es schwierig, Themen zu finden. Und ich fühle mich oft auch fehl am Platz und so werde ich dann auch behandelt.
Am besten finde ich es immer, wenn man sich mit jemanden austauschen kann, dem es ähnlich geht.

Trotz allem glaube ich daran, dass man früher oder später jemanden finden kann. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben.

Zitat von Julia_ne:
Meine Erfahrung ist, dass man auf viele trifft, mit denen es nicht so gut läuft. Aber ich habe auch immer wieder jemanden getroffen, mit dem gute Gespräche möglich waren.
Aber dass man länger in Kontakt bleibt ist leider selten.

Bingo. Genau so habe ich das auch erlebt. Irgendwie ein gutes Gefühl zu wissen, dass es nicht nur mir so geht.

Zitat von Julia_ne:
Wenn ich jemanden persönlich kennenlerne finde ich es schwierig, Themen zu finden. Und ich fühle mich oft auch fehl am Platz und so werde ich dann auch behandelt.

Das persönliche Kennenlernen habe ich ja bisher nur einmal erlebt und da hat sich irgendwie alles von selbst ergeben.
Auf den wenigen Parties/kleinen abendlichen Runden bei denen ich bisher dabei war, kam ich mir aber auch immer komisch vor. Als hätte ich ein Schild auf der Stirn mit der Aufschrift nur zu Gast. Vom Gefühl her würde ich das wie eine unsichtbare Mauer beschreiben. Man kommt einfach über den belanglosen Smalltalk nicht hinaus. Den musste ich mir dafür aber auch erstmal antrainieren. Früher habe ich dann einfach gar nichts gesagt, was noch komischer war bzw. ich bin gar nicht erst hingegangen.

Ich weiß, dass das auch an mir liegt, aber ich will mich irgendwie auch nicht auf diese inhaltslosen Gespräche einlassen. Irgendwie kann ich es nicht. Und ich kann es auch den Anderen dann nicht übel nehmen, wenn sie mich im Laufe des Abends mehr und mehr links liegen lassen. Ich habe es ja nicht anders gewollt.
Es gibt noch eine andere Art von Smalltalk, eine bei der zwischen den Zeilen wirklich ein ernsthaftes Gespräch eingeleitet wird. Da merkt man auch sofort, dass dahinter ein interessanter Mensch steckt. Jemand, der wirklich etwas zu erzählen hat. Bisher habe ich das aber wie gesagt nur einmal erlebt. Aber zum Glück wenigstens dieses eine Mal. Seit dem mache ich mir nicht mehr so viele Vorwürfe zu hohe Ansprüche zu haben. Offensichtlich gibt es diese Menschen, aber man begegnet ihnen leider sehr selten.
Was mir fehlt ist eine Art How to meet these people. Das eigentlich Besondere an diesen Begegnungen resultiert aus den Zufällen, aus denen sie sich ergeben. Und trotzdem versucht man immer wieder es kontrollierbar zu machen, es bewusst herbeizuführen. Dieser Widerspruch schafft mich

Zitat von randUser:
Auf den wenigen Parties/kleinen abendlichen Runden bei denen ich bisher dabei war, kam ich mir aber auch immer komisch vor. Als hätte ich ein Schild auf der Stirn mit der Aufschrift nur zu Gast. Vom Gefühl her würde ich das wie eine unsichtbare Mauer beschreiben. Man kommt einfach über den belanglosen Smalltalk nicht hinaus. Den musste ich mir dafür aber auch erstmal antrainieren. Früher habe ich dann einfach gar nichts gesagt, was noch komischer war bzw. ich bin gar nicht erst hingegangen.

Ich weiß, dass das auch an mir liegt, aber ich will mich irgendwie auch nicht auf diese inhaltslosen Gespräche einlassen. Irgendwie kann ich es nicht. Und ich kann es auch den Anderen dann nicht übel nehmen, wenn sie mich im Laufe des Abends mehr und mehr links liegen lassen. Ich habe es ja nicht anders gewollt.

Auf Parties gehe ich eigentlich auch nicht. Ich fühle mich nicht wohl, wenn so viele Menschen aufeinandertreffen. Smalltalk finde ich auch ganz schwierig, ich weiß teilweise gar nicht, was ich sagen soll und dann will ich so krampfhaft locker wirken, dass es erst recht seltsam wirkt.
Leider wird man dann wirklich schnell unwichtig.
Aber deshalb würde ich nicht sagen, dass man selbst Schuld ist. Man hat eben einfach andere Vorstellungen und Interessen.

Zitat von randUser:
Und trotzdem versucht man immer wieder es kontrollierbar zu machen, es bewusst herbeizuführen

Es ist manchmal auch einfach schwer nur auf Zufälle zu warten. Vor allem, wenn man sich jemanden wünschen würde.

Zitat von Julia_ne:
Ich fühle mich nicht wohl, wenn so viele Menschen aufeinandertreffen.

Größere Menschengruppen sind für mich auch immer anstrengend. Danach brauche ich immer erstmal einen Tag für mich. Ich frage mich nur: Gibt es soetwas wie einen Club für ruhige Menschen? Jemand der gern Party macht hat beinahe jedes Wochenende mehrere Gelegenheiten dazu. Aber ich kenne keinen vergleichbaren Ort, an dem ernsthafte Gespräche in ruhiger Atmosphäre mit netten Menschen so verfügbar sind, wie Alk. in den Partykellern der Stadt.

Zitat von Julia_ne:
und dann will ich so krampfhaft locker wirken, dass es erst recht seltsam wirkt.

Überhaupt habe ich in solchen Situationen immer das Gefühl ich würde eine Rolle spielen. Ich bin jemand, der ich eigentlich nicht bin und das nicht etwa, weil ich glaube so sein zu müssen. Ich passe mich wissentlich der Situation an, weil ich schon gar nichts anderes mehr erwarte. Teil dieser Rolle ist dann immer auch die Oberflächlichkeit und damit kann ich den Abend dann auch abhaken.

Zitat von Julia_ne:
Aber deshalb würde ich nicht sagen, dass man selbst Schuld ist. Man hat eben einfach andere Vorstellungen und Interessen.

Absolute Zustimmung, auch wenn es lange gedauert hat, bis ich das auch so gemeint habe. Es ist einfach ein Teil von mir, mit dem ich mich mittlerweile sehr gut identifizieren kann. Nur leider hilft das allein nicht gegen den Wunsch nach Nähe. Und in ganz dunklen Momenten wünscht man sich dann einfach nur mal normal zu sein. Obwohl man genau weiß, dass man sich dafür vollkommen selbst aufgeben und ein Anderer werden müsste.

Zitat von Julia_ne:
Es ist manchmal auch einfach schwer nur auf Zufälle zu warten. Vor allem, wenn man sich jemanden wünschen würde.

Genau das (außer vielleicht ohne den Konjunktiv im zweiten Satz). Und dann verkrampft man manchmal einfach.

Zitat von randUser:
Danach brauche ich immer erstmal einen Tag für mich. Ich frage mich nur: Gibt es soetwas wie einen Club für ruhige Menschen?

So geht es mir auch. Ich brauche dann erstmal Zeit, um mich wieder zu erholen.
So ein Club wäre wirklich eine schöne Sache. Dann könnte man auch leichter mit Gleichgesinnten in Kontakt treten.

Zitat von randUser:
Überhaupt habe ich in solchen Situationen immer das Gefühl ich würde eine Rolle spielen. Ich bin jemand, der ich eigentlich nicht bin und das nicht etwa, weil ich glaube so sein zu müssen.

Das kenne ich. Man will ja trotzdem irgendwie dazugehören und dann passt man sich teilweise schon fast automatisch an. Danach fällt mir dann auf, dass ich eigentlich gar nicht ich selbst war und das ist ja auch nicht richtig.

Zitat von randUser:
Absolute Zustimmung, auch wenn es lange gedauert hat, bis ich das auch so gemeint habe. Es ist einfach ein Teil von mir, mit dem ich mich mittlerweile sehr gut identifizieren kann. Nur leider hilft das allein nicht gegen den Wunsch nach Nähe. Und in ganz dunklen Momenten wünscht man sich dann einfach nur mal normal zu sein. Obwohl man genau weiß, dass man sich dafür vollkommen selbst aufgeben und ein Anderer werden müsste.

Ohja, auch das kenne ich zu gut. Ich hatte so lange den Wunsch, einfach normal zu sein und konnte mich auch erst sehr spät akzeptieren. Aber natürlich kommt das auch heute noch ab und zu durch und dann denke ich, wie viel leichter alles sein könnte. Vor allem, wie du schon sagst, wenn man diesen Wunsch nach Nähe hat.

Zitat von Julia_ne:
Ich hatte so lange den Wunsch, einfach normal zu sein und konnte mich auch erst sehr spät akzeptieren. Aber natürlich kommt das auch heute noch ab und zu durch und dann denke ich, wie viel leichter alles sein könnte.

In meinem Alltag kommt es immer mal wieder zu solchen Situationen, in denen das wieder aufgewirbelt wird. Zum Beispiel habe ich für die erste Zeit auf Arbeit immer ca. eine Stunde später Mittag gemacht als alle anderen. Nicht, weil ich sie nicht leiden konnte, sondern weil ich schlicht zu der Zeit noch keinen Hunger hatte und außerdem in meiner Pause gern mal eine halbe Stunde Ruhe genieße, anstatt über belanglosen Kram zu diskutieren. Irgendwann sind dann mal zufällig die Teamleiterin und mein Projektleiter vorbeigekommen und fragten mich, ob alles in Ordnung sei? Wie ich diese Frage hasse. Jedes Mal grübel ich dann tagelang was an meinem Verhalten so besorgniserregend gewesen ist. Danach mussten sie mir natürlich nochmal sagen, dass ich auch mit den anderen zusammen essen könnte und das sie mir auch Bescheid sagen könnten, wenn sie Mittag machen etc. Ich gehe davon aus es war wirklich nur gut gemeint, aber das sind doch alles Dinge, die mir völlig bewusst sind. So verpeilt bin selbst ich nicht.
Die gleiche Frage hat mir auch mal eine ältere Dame aus einer Reisegruppe in der Stadt gestellt. Ich saß einfach nur still auf einer Bank und habe über irgendetwas nachgedacht. Scheinbar äußerst verdächtig.

Warum können so viele einfach nicht akzeptieren, dass manche Leute bestimmte Dinge eben anders machen als sie selbst? Noch schlimmer ist es, wenn sie dazu noch felsenfest davon überzeugt sind, dass es einem deshalb ja schlecht gehen müsse und dass einem das so ja auf gar keinen Fall gefallen könnte. Als würden sie mich besser kennen als ich selbst.

Zitat von randUser:
Irgendwann sind dann mal zufällig die Teamleiterin und mein Projektleiter vorbeigekommen und fragten mich, ob alles in Ordnung sei? Wie ich diese Frage hasse. Jedes Mal grübel ich dann tagelang was an meinem Verhalten so besorgniserregend gewesen ist. Danach mussten sie mir natürlich nochmal sagen, dass ich auch mit den anderen zusammen essen könnte und das sie mir auch Bescheid sagen könnten, wenn sie Mittag machen etc. Ich gehe davon aus es war wirklich nur gut gemeint, aber das sind doch alles Dinge, die mir völlig bewusst sind. So verpeilt bin selbst ich nicht.

So eine ähnliche Situation kenne ich aus meiner Schulzeit. Ich hatte ein paar wenige Freunde, wollte aber auch gerne mal meine Freistunde alleine verbringen, um einfach ein bisschen Ruhe zu haben.
Sofort kam die halbe Klasse und wollte wissen, warum ich mich so abgrenze. Einmal wurde sogar die Klassenlehrerin informiert.
Da hatte ich dann endgültig das Gefühl bekommen, dass etwas mit mir falsch sein muss.

Zitat von randUser:
Warum können so viele einfach nicht akzeptieren, dass manche Leute bestimmte Dinge eben anders machen als sie selbst? Noch schlimmer ist es, wenn sie dazu noch felsenfest davon überzeugt sind, dass es einem deshalb ja schlecht gehen müsse und dass einem das so ja auf gar keinen Fall gefallen könnte. Als

Das finde ich auch schrecklich. Inzwischen kann ich da relativ sicher kontra geben, aber früher war das richtig schwer.
Gerade auch von meinen Eltern habe ich so oft gehört, ich soll mehr unter Menschen gehen, feiern usw. Alles andere könne ja nicht schön sein und ich würde so viel verpassen.
Wie hast du das denn mit deiner Familie erlebt?

Es ist nicht dein Fehler, wenn du anders bist (introvertiert, ernst). Versuche, Leute zu finden, die auf deiner Wellenlänge surfen. Das ist nicht leicht, aber: Verbiege dich niemals, spiel keinem was vor, denn das richtet dich nur selbst zur Grunde. Ich kenne das auch (gehe aber z.B. gerne auf Partys) und hatte immer sehr wenig bis gar keine Leute um mich herum, mit denen ich mich sehr gut verstand. Die Schwierigkeiten, die Freundschaften mit sich bringen (z.B. das Unverständnis, das man auch gut für sich alleine sein kann, was oft als Desinteresse gewertet wird) sind normal. Das ganze Leben ist ein Endgegner, da muss man durch.

Zitat von Julia_ne:
Wie hast du das denn mit deiner Familie erlebt?

Meine Familie waren die Einzigen, die mir dahingehend nie Stress gemacht haben, zum Glück. Meine Eltern würde ich aber auch beide als sehr introvertiert beschreiben. Ich hätte damals jederzeit zu irgend einer Veranstaltung gehen können, wahrscheinlich sogar zu jeder Tages- und Nachtzeit, wenn ich vorher Bescheid gesagt hätte. Aber ich wollte nicht und damit war das erledigt.
Zumindest zuhause hatte ich also immer meine Ruhe. Das hat mir auch in anderen Situationen immer einen gewissen Halt gegeben. Wenn die eigene Familie dann auch noch Probleme hat einen zu verstehen, stelle ich mir das noch schwieriger vor.

Zitat von Supanova1:
Das ganze Leben ist ein Endgegner, da muss man durch.

Niederschmetternd und motivierend zugleich. Manchmal ein anstrengendes Auf und Ab, aber immer mit der Gewissheit, dass es ganz ohne auch unerträglich langweilig wäre. Irgendwie kriege ich das bis heute nicht recht zusammen, aber vielleicht muss ich das ja auch gar nicht.

Zitat von randUser:
Meine Familie waren die Einzigen, die mir dahingehend nie Stress gemacht haben, zum Glück. Meine Eltern würde ich aber auch beide als sehr introvertiert beschreiben. Ich hätte damals jederzeit zu irgend einer Veranstaltung gehen können, wahrscheinlich sogar zu jeder Tages- und Nachtzeit, wenn ich vorher Bescheid gesagt hätte. Aber ich wollte nicht und damit war das erledigt.
Zumindest zuhause hatte ich also immer meine Ruhe. Das hat mir auch in anderen Situationen immer einen gewissen Halt gegeben. Wenn die eigene Familie dann auch noch Probleme hat einen zu verstehen, stelle ich mir das noch schwieriger vor.

Da hast du schon Recht, es ist nicht leicht. Bei mir kam es oft vor allem aus der Familie. Mit vielen Verwandten habe ich deshalb inzwischen kaum noch Kontakt.
Aber schön, dass deine Familie da so locker gewesen ist.

Zitat von Julia_ne:
Da hast du schon Recht, es ist nicht leicht. Bei mir kam es oft vor allem aus der Familie. Mit vielen Verwandten habe ich deshalb inzwischen kaum noch Kontakt.

Um ehrlich zu sein, kann ich mir gar nicht richtig vorstellen, wie sich das anfühlt. In jedem Fall sei dir gesagt: Du bist nicht allein. Wir sitzen schonmal mindestens zu zweit in diesem Boot und ich glaube, es gibt noch ein paar mehr, die wir einsammeln könnten.
Hast/hattest du denn außerhalb der Familie jemanden/einen Ort bei/an dem du ohne Erklärungen sein kannst/konntest, wie du bist?

Bei mir ging der Spaß laut Erzählungen meiner Mutter ganz früh im Kindergarten los. Ich selbst kann mich an die Zeit nicht erinnern, aber meine erste Erzieherin ist wohl gar nicht mit mir klar gekommen. Vor allem, weil ich eben so still war und nie etwas gesagt, oder mit den anderen Kindern gespielt habe. Sie hat mich dann einfach als geistig zurückgeblieben und sprachlich extrem unterentwickelt abgestempelt und mich total vernachlässigt. Meine Mutter ist deshalb unzählige male vorbestellt worden, aber sie hat sich nie ernsthaft Sorgen gemacht, weil ich ihr zuhause wohl jeden Abend ganz ausführlich erzählt habe, was den ganzen Tag der Reihe nach passiert ist. Dafür musste sie sich lange beschweren, bis ich endlich in eine andere Gruppe gekommen bin.
Zu einem großen Teil war ich wahrscheinlich schon von Geburt an so, aber mittlerweile glaube ich, dass auch diese Phase einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Auf jeden Fall hat mir das Wissen darum geholfen die eine oder andere Eigenheit an mir besser zu verstehen.

@Julia_ne Warum so viele Menschen das Anders-Sein nicht akzeptieren, kann ich euch sagen. Es liegt daran, dass unser System davon überlebt, seine Zahnräder einem ausgeprägten Konformismus zu unterziehen.
Im Kindergarten, in der Grundschule und auch in den weiterführenden Einrichtungen wurde uns beigebracht, dass es Leitnormen gibt, die essentiell wichtig sind und um Himmels Willen nicht hinterfragt werden dürfen. Eltern wiederum tendieren dazu, ihre Kinder in der Sicherheit dieses wohlig betäubenden Mantels wiegen zu wollen. Sie sagen ihnen: Streng dich in der Schule an, Hör auf das, was die Lehrer dir beibringen. Also, so direkt sagen sie es nicht unbedingt, aber sie vermitteln es.

Autoritarismus wird von den Generationen vor uns vorgegeben und von uns aufgenommen und reproduziert. Und das führt dazu, dass wir unsere eigene Persönlichkeit nicht entwickeln. Das würde den Schritt erfordern, zum wirklich freidenkenden Menschen zu werden und quasi den nächsten Schritt in der Evolution zu gehen.
Was aber wollen wir stattdessen? Sicherheit im Kollektiv, klare Leitlinien und eine spießbürgerliche Perspektive. Die meisten reden sich dann ein, das sie damit zufrieden wären. Sind sie aber nicht. Hinzu kommt, dass wir unser Denken nicht entwickeln. Denken ist etwas, dass wir nur in unserem Individualbewusstsein verhandeln können. Natürlich lebt es von Außeneinflüssen, aber es kann nicht in der Masse stattfinden.
Denn die Masse ist dumm, sie hat keine wirklichen Gefühle und keinen Geist, sondern sie wird lediglich von der Freisetzung von Reizen, die auf Affekte reagieren, gelenkt. Das nennt man dann Schwarmintelligenz. Konkret sind das die Allgemeinplätze, an die die Mehrheit der Menschen glaubt. Stammtischwissen, dass verschiedene Wirklichkeitszustände auf eine griffige Phrase verkürzt und meistens von der Ideologie einer legitimen Autorität geleitet wird.

Und weil es mit Autoritäten so ist, dass sie ihren Hörigen nie vollumfänglich geben können, was sie brauchen, stauen diese Aggressionskomplexe auf. Ihre Hemmung gegen den Vaterersatz, vor dem sie buckeln damit er ihr erbärmliches Leben für sie regelt, hindert sie jedoch daran, in die Hand zu beißen, die sie (mit Gift) füttert. Also suchen sie Ausweichkanäle für ihren Zorn und die finden sie in denen, die nicht an den Gott ihrer eigenen Wahl glauben, weil diese ja außerhalb der legitimen Ordnung stehen. Individualisten, Minderheiten, Außenseiter etc. Eigentlich sehen sie in ihnen, wer sie sein wollen. Schließlich - aus Vergeltung dafür, dass der Andere es wagen konnte, dass zu tun was man sich verboten hat - möchte man ihn aber nur wieder in die graue Tristesse ziehen, in der das eigene Leben vor sich hin vegetiert.
Es ist ein so tief in uns verankertes System, dass unser ganzer Begriffsapparat darauf hingebaut ist, es zu rechtfertigen. Ist die Norm erst geformt, baut ihr die Gesellschaft gleich einen Thron, dass Schloss noch drum zu und formt eine Armee mit Institutionen und Unterinstitutionen zu ihrer Verteidigung. Lustig ist, wie all das im Unterbewussten geschieht. Wir verbieten uns, zu merken, wir wir uns selbst in den Labyrinthen ihrer Matrix einschließen und merken es nicht mal durch die Referenz der Rebellen.

Wer sich da fehl am Platze führt und irgendeinen Weg aus dieser Mühle sucht, dem würde ich nicht empfehlen, sich mit Glückskekssprüchen zu überfressen. Sei du selbst, Mach dein Ding usw. sind wertlos, solange das angesprochene Ich weiterhin ein Du und alle anderen auch bleibt. Wer als Querschnitt seines Umfeldes auftritt, hat in seinem ganzen Leben nichts als Formeln zur situationsgerechten Anwendung vorgefertigter standardisierter Lösungswege für meist nicht allzu komplexe Probleme erlernt. Und dann wird er als vermeintliches Ich doch nur machen, was ihm Durchschnitt ganz gut klappt. Ich bin der Überzeugung, dass dagegen nur kritisches Denken hilft.

Zitat von Williams-Christ:
Autoritarismus wird von den Generationen vor uns vorgegeben und von uns aufgenommen und reproduziert. Und das führt dazu, dass wir unsere eigene Persönlichkeit nicht entwickeln

Liest da gerade jemand Adorno?

A


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Dr. Reinhard Pichler
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