Ich bin 25 Jahre alt, männlich und Akademiker. Ich habe das große Glück, beruflich das tun zu können, was ich schon seit meiner Kindheit wollte und dementsprechend mit großer Passion betreibe. Mein Studium habe ich zügig und mit großem Erfolg (überdurchschnittliche Klausuren, Begabtenstipendium, usw.) absolviert, und zwar deshalb, weil ich in dem, was ich tue, wirklich sehr gut bin. Das Problem ist, dass ich außer dieser eine Sache offensichtlich zu nichts anderem imstande bin: Bis vor etwa einem Jahr noch hatte ich eine Partnerin... eine großartige Partnerin. Sie hat mich geliebt, wirklich geliebt, alles für mich getan und immer hinter mir gestanden - sechs lange Jahre lang. Ich aber habe bei all meinem beruflichen Streben, bei all der Arbeit und all den Möglichkeiten irgendwann einfach das Interesse verloren und sie - und es mit ihren Worten zu sagen - einfach weggeworfen. Auch hatte ich gute Freunde, die sich aber nach und nach von mir entfernt haben; zumeist, nachdem sie selbst Partner(innen) gefunden haben, die Ihnen bessere Gesellschaft boten. Ich habe sie wirklich gern gehabt, hätte meine Hand für sie ins Feuer gelegt. Geändert hat das indessen nichts. Während ich mir anfangs selbst vorgespiegelt habe, dass diese einerseits willentlichen und andererseits unwillentlichen Verluste mir nichts ausmachten, stellte sich nach und nach aber die schmerzhafte Einsicht ein, dass ich mir ihr wohl die Liebe meines Lebens weggestoßen und mit ihnen wirklich großartige Freundschaften verloren habe.
Der Schmerz hat mich mit der Zeit verbittert. Ich wurde gleichgültig, kühl und abweisend. Ständig habe ich andere vor den Kopf gestoßen, stoße ich sie nach wie vor vor den Kopf - wohl deshalb, weil ich nicht noch mehr Schmerzen haben will als ich ohnehin schon habe. Schon nach kurzer Zeit wurde es in den Kreisen, in denen ich mich bewege, ganz herrschende Meinung, dass ich ein Ar. bin. Übel nehme ich das niemandem. Es ist eine nachvollziehbare Reaktion. Dennoch gab es immer wieder Menschen, die sich nicht haben abschrecken lassen, die trotz allem versucht haben, zu mir durchzudringen. Und ich habe immer wieder auch versucht, mir einen Ruck zu geben und mich zu öffnen. Die Erfahrungen waren alles andere als positiv.
Ich hatte einige mehr oder weniger lange Verhältnisse mit Frauen, die ich auf Seminaren oder in Bars, in der Straßenbahn oder im Cafe kennengelernt habe. Doch es lief immer nach demselben Muster: Die Blicke treffen sich, ein Lächeln, ein Gespräch, das Gefühl des Habenwollens, der Austausch von Handynummern. Man trifft sich, trinkt etwas, redet und dann... naja, wie es eben läuft. So geht es eine Weile - und zwar so lange, bis meine Partnerin das Gefühl hat, das es keine schnelle Nummer, sondern etwas von Bedeutung ist. Und dann verliere ich das Interesse. Sie nervt mich, nervt mit ihren Kurznachrichten, Anrufen, E-Mails und spontanen Besuchen zu Zeiten, in denen ich lieber arbeiten möchte. Und dann schicke ich sie fort. Für sie bricht eine kleine Welt zusammen und in mir... ist es leer. Ich fühle gar nichts. Kurze Zeit später wiederholt sich das Spiel. Nach einer Zeit allerdings war ich es leid und habe einfach aufgehört, Frauen an mich heranzulassen oder mich ihnen zu öffnen.
Es gab auch immer wieder Menschen, mit denen ich mich angefreundet habe - jedenfalls für kurze Zeit. Man ging gemeinsam ein B. trinken oder auch zwei. Man sah sich zusammen im Kino Filme an oder besuchte Konzerte, trieb gemeinsam Sport. Bloß schimmert meine Verbitterung immer wieder durch und stoße ich andere unweigerlich so oft und lange vor den Kopf, bis sie sich schon allein aus Gründen des Selbstschutzes von mir entfernten. Das Äußerste, was ich heute erwarten kann, ist, geduldet oder nicht als allzu störend empfunden zu werden. Niemand sucht mit freundschaftlichen Ansinnen meine Nähe. Warum auch? Ich würde es selbst nicht tun. Bloß: Weil es so weh tut, so wahrgenommen zu werden, distanziere ich mich selbst.
Das Ergebnis ist ein Mann, der außer seiner Arbeit nichts hat, das ihm etwas bedeutet. Ein Mann, dem es gutgeht, wenn und solange er arbeitet. Aber arbeiten kann er nicht fortwährend, da sein Körper auch einmal eine Pause benötigt. Wenn aber die letzte Akte vom Tisch genommen, wenn das letzte Buch zugeklappt wird, dann ist jede Ablenkung fort. Alles, was dann noch bleibt, ist Einsamkeit und daraus folgender Kummer und Schmerz. Denn da ist keine Frau (mehr), die daheim mit einem Lächeln im Gesicht auf einen wartet, die einen in den Arm nimmt an Tagen, an denen man sich zehn Stunden befasst hat mit wirklich unbeschreiblichen Leid und Unrecht, das andere Menschen erfahren haben. Da sind auch keine Freunde, die fragen, ob man auf ein B. mit in eine Kneipe kommt, und einem helfen, Arbeit Arbeit sein zu lassen. Nein, alles, was zu Hause wartet, ist ein Drink und Zeit, die es zu überbrücken gilt, bis der Körper es zulässt, die Arbeit wiederaufzunehmen. Da ist aber auch das Wissen, das der Schmerz auf diese Weise nicht mehr schlimmer werden kann und dass es deshalb gut so ist, wie es ist. Es ist schon ein bemerkenswerter Widerspruch: So sehr ich mir Nähe und Zuneigung wünsche, so sehr kann ich sie nicht ertragen und lehne ich sie ab. Hin und wieder bringt er mich zum Lachen. Doch den größten Teil meiner (freien) Zeit, frisst er mich auf...
All denjenigen, die sich die Mühe gemacht haben, meinen Beitrag bis zum Ende zu lesen, will ich danken dafür, dass sie sich neben ihren eigenen Problemen auch noch mit meinen Problemen befasst haben. Ihr sollt auch wissen, dass es mir Kraft gibt, zu sehen, dass ich nicht alleine bin mit meinem Leid. Das Wissen darum, dass auch andere das Gefühl von Einsamkeit belastet, hilft mir über meine nicht hinweg, aber es lindert den Schmerz zumindest ein bisschen. Vielleicht ist es auch nicht verkehrt, dass der Schmerz nicht ganz verschwindet: Wenn man an etwas wie die Karma, die goldene Regel oder das kosmische Gleichgewicht glaubt, dann erscheint es nur billig und gerecht, dass ich für all den Schmerz, den ich anderen bereitet habe nun selbst zur Kasse gebeten werde.
Euer Joshua
15.11.2012 23:44 • • 27.11.2012 #1