Ja, das ist schon paradox. Noch nie zuvor gab es so vielfältige und leicht umsetzbare Möglichkeiten der Kommunikation, gleichzeitig aber auch noch nie so viele Menschen, die über Einsamkeit klagten.
In den frühen Jahren meiner Kindheit besaßen meine Eltern nicht einmal Telefon! Wollten wir jemanden anrufen, mussten wir aus dem Haus gehen, und zwar bis zum Ende der Straße. Dort nämlich befand sich die nächste Telefonzelle. Das war immer ein besonderes highlight für mich; man musste etwas leisten, um sein Ziel zu erreichen, einen gewissen Aufwand betreiben. Fällt dieser Aufwand weg, ist das Angenehme selbstverständlich, verliert es seinen Reiz.
Eure Beiträge, Lazarus und Gnomenreigen, sind sehr gut durchdacht und klingen für mich absolut einleuchtend.
Läge in der Nutzung moderner Medien die ausschließliche Ursache des Übels, würde dies natürlich erklären, weshalb man früher nichts von einsamen (jungen) Menschen hörte, es sei denn, sie verfügten über eine Auffälligkeit, die sie unattraktiv machte (z. B. ein ungepflegtes Äußeres).
Klar, damals traf man auch in einem gottverlassenen Dorf Leute auf der Straße. Man konnte also direkt auf sie zugehen, hätte zusammen - meinetwegen ein B. - trinken können oder einfach nur eine Weile nett plaudern. Soweit die Theorie!
Doch zu jeder Zeit gab es etwas, das über den Wunsch und die Bereitschaft, sich näher auf einen anderen einzulassen, entschied, nämlich Sympathie. Zu jeder Zeit gab es Außenseiter.
Wer von anderen nicht gemocht wird, kann den Grund dafür oft nur erraten. Wenn ich heute z. B. meine jahrelangen Bemühungen, über Annoncen Kontakte aufzubauen, betrachte, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass die meisten mein Gesuch völlig ignorierten. Es gibt scheinbar Leute, die antworten auf alles, auch wenn sie etwas ganz anderes erwarten als in dem Text steht.
Ebenso machen sich Menschen keine Mühe, die Komplexität einer neuen Bekanntschaft zu ergründen. Es zählen nicht die 95 % Bereicherung, sondern die 5 %, die nicht ganz zu den eigenen Erwartungen passen. Umgekehrt verleitet 5 % bestechender Charakter dazu, die restlichen 95 % unerwünschter Eigenschaften auszublenden und das böse Erwachen kommt dann später.
Der Schein besiegt eben das Sein, das war schon früher so. Wohl haben die Möglichkeiten, sich eine Scheinwelt aufzubauen mit dem technischen Wandel zugenommen. Zu immer schneller, immer höher, immer weiter gesellt sich immer verrückter, immer oberflächlicher, immer rücksichtsloser.
Das Traurige ist, dass sich Einsamkeit - wie jedes Problem - nur mit genauer Kenntnis der Ursache beheben ließe. Dazu müsste man allerdings diejenigen, die sich stillschweigend aus dem Kontakt zurückziehen, fragen, warum sie das tun...und würde garantiert selten eine hilfreiche Antwort bekommen, weil die zu Befragenden es nicht nötig haben, sich mit ihrem Verhalten auseinanderzusetzen und dieses deshalb auch unterlassen.
Ohne direkte oder auch indirekte Mitwirkung aller Beteiligten, z. B. Filmen eines unbefriedigenden gegenseitigen Kennenlernens - ggfls. unter Wahrung der Anonymität - lastet die Verantwortung für fortbestehende Einsamkeit auf denen, die nicht wissen, was sie verändern müssten - weil es kaum etwas gibt, das sie verändern können.
15.02.2019 18:45 •
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