Darf ich mich hier einmal euch gänzlich fremden Leuten öffnen? In der Hoffnung, dass vielleicht jemand hier ist, der mich ansatzweise versteht?
Ich bin 27 Jahre alt, weiblich. Von Klein auf anders denkend, ein Einzelgänger der seinen Weg gegangen ist, egal was andere sagten. Schon als Kind habe ich mich lieber alleine im Wald aufgehalten, als unter Menschen und habe früh zu meiner heutigen Weltsicht gefunden. Ich verabscheue das Leben in anonymen menschlichen Gesellschaften, deren Werte und Zwänge, Materialismus, Überheblichkeit und Ignoranz. Nur in der Natur sehe ich Harmonie, rückhaltlose (und teilweise brutale) Ehrlichkeit, nur dort gibt es klare Grenzen: Leben oder Tod, einen klar definierten Sinn und wahres Leben. Natur, das stille Leben, ist meine größte Liebe, mein Gott könnte ich sagen, mein größtes Vorbild.
Ich habe noch niemals jemanden getroffen, der verstehen konnte, dass ich das nichtmenschliche Leben mehr liebe, als jeden Menschen. Für mich ist eine Landschaft genau so viel Wert wie ein einzelner Baum, ein Frosch oder ein Mensch. Ich sehe mich als Teil der Natur an, nicht als der Natur überlegen. Von daher leide ich unter der Zerstörung der natürlichen Welt, als würde man echte Freunde von mir hinrichten. Ignoranz, Profitgier, Macht, Egoismus: all das zerstört, für was ich lebe.
Mit 18, nach dem Abitur, stand ich vor einer Entscheidung: Suizid, weil alles so hoffnungslos war, oder Flucht in die Natur. Ich entschied mich für letzteres und wanderte aus. Nun lebe ich seit acht Jahren im Ausland und war besonders anfangs glücklich wie nie zuvor. Ich lernte eine neue Sprache, ich lebte ein aufregendes Leben. Und tue es noch heute. Ich reise viel, sowohl im Land als auch in der Welt, ich darf mein Leben in einzigartig schöner Naturkulisse verbringen, lebe, wo andere Urlaub machen.
Aber nach der ersten Aufregung und Euphorie kam ich wieder in der Wirklichkeit an. Auch hier ändern Klimawandel, menschliche Ignoranz und Profitgier sowie der weltweit immer stärker werdende Tourismus Land und Natur. Ich kann zusehen, wie das kaputt gemacht wird, das ich liebe. Ich engagiere mich in Gruppen, aber auch zusammen können wir nichts erreichen. Wälder werden abgeholzt, ganze Landstriche planiert, und ich muss dabei hilflos zusehen ohne es ändern zu können.
Dazu kommt, dass ich mehr und mehr unter meiner Einsamkeit und Andersartigkeit leide. Ich habe noch niemals (!) einen Menschen getroffen, der ähnlich dachte wie ich, der mehr als ein Hobby oder eine Interesse mit mir teilte. Ich bin ein (hoch)intelligenter und in viele Richtungen begabter Mensch - leider, muss ich sagen. Ich wünschte oft, ich würde nicht so viel verstehen und durchschauen. Ich wünschte, ich könnte mich mit verklärten Pseudohoffnungen zufrieden geben und ohne hinterfragen einfach tun können, was mir von anderen gesagt wird.
Obwohl ich komplett autonom bin und sehr viel Zeit alleine verbringe, lebe ich mit Menschen zusammen, agiere mit ihnen und lerne stets neue Leute kennen. Meine Mitmenschen sind nett zu mir, aber ich fühle mich unverstanden. Ich habe viele Bekannte in aller Herren Länder, bin überall willkommen, weil alle an meinem Leben interessiert sind. Ich kann mich ohne Probleme finanziell über Wasser halten und viele sehen zu mir auf, bewundern mich, sagen mir ein abenteuerliches Leben nach und würden so auch gerne leben.
Ich selber bin am Verzweifeln. Ich habe das Leben in Deutschland aufgegeben, weil es mich zum Suizid gebracht hat. Ich habe versucht in zwei anderen Ländern Fuß zu fassen und zwei Sprachen fließend sprechen gelernt, und bin doch, egal wo ich bin, immer ein Außenseiter, ein schräger Vogel, der überall ein wenig und doch nirgendwo richtig hineinpasst.
Eine Lösung ist keine in Sichtweite, die Widersprüche zu groß. Ich kann nicht in Städten leben, es geht einfach nicht! Aber wie soll ich Menschen finden, wenn ich immer unterwegs bin und mich fernab von allen aufhalte? Ich möchte mein aufregendes, nie langweiliges Leben weiterführen und sehne mich gleichzeitig nach Regelmäßigkeit und Sicherheit. Ich wünsche mir einen Partner, aber kann mit Gleichaltrigen nichts anfangen, weil sie so unreif sind und so anders denken als ich.
Statt eines Menschen liebe ich die Natur, nur kann sie an meiner seelischen Einsamkeit nichts ändern - im Gegenteil, ich vergehe immer vor Schuld, wenn ich sehe wie das stille Leben unter uns Menschen zu leiden hat.
Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung werden mit jedem Monat stärker und haben meine Lebensfreude fast völlig verdrängt. Ich suche Ablenkung, und solange ich die habe ist alles in Ordnung. Aber wehe ich finde Zeit zum Denken. Dann lebe mittlerweile fast emotionslos in den Tag hinein, nur Trauer sticht da heraus und bewirkt, dass ich mich fast jede Nacht schlaflos im Bett wälze und mich irgendwann in den Schlaf weine.
Ich weiß einfach nicht mehr weiter.
Ist irgend jemand hier, der mir irgend etwas realistisch Umsetzbares vorschlagen kann, das zur Besserung meiner Situation beitragen könnte? Ich bin für jeden Hinweis dankbar!
Und sorry dass dieser Beitrag so lang geworden ist. Ging irgendwie nicht kürzer.
Müder Gruß von Uncia
22.09.2008 07:03 • • 19.08.2015 #1