Hey Fabienne,
dies von mir (m,43):
Auch wenn du dir ganz komisch vorkommst, ganz allein und irgendwie sonderbar. Keiner verliebt sich in dich und du findest keinen Freund und keine Liebe, während die anderen munter Ihre Erfahrungen sammeln ... Du bist nicht allein in diesem Gefühl, und es geht vielen jungen Menschen so; heute mehr als gestern. Und mir ging es von 15 bis 22 ganz genauso.
Doch: Es gibt jede Menge Hoffnung:
Dass du so bist, wie du bist, verstrickt in dir selbst und mit dem Blick nach innen: Es ist NIE und NIMMER deine Schuld, sondern das Produkt eines Mixes aus: 1. Deiner Genetik, für die du nix kannst 2. Deiner Erziehung, für die du nix kannst 3. Der Bio-Chemie in deinem Gehirn, die du nicht durch positives Denken einfach so beeinflussen kannst 4. Deinem sozialen Umfeld, das dich prägt und 5. sogar auch der gesellschaftlichen Umstände, die du auch nicht wegwischen kannst.
Also schreib dir bitte hinter die Löffel: Du kannst überhaupt nix dafür. Andere tragen halt nicht so einen Ballast mit sich rum wie du das musst. Das ist unser Schicksal, unsere Ausgangsposition, die wir akzeptieren müssen. Der eine wird farbenblind in die Welt geworfen, der andere mit einer dicken Nase, und du halt mit deiner Traurigkeit. Du bist NIEMALS ineffizient, sondern es ist wie es ist, lerne das bitte. Wenn es regnet, kannst du dich lange darüber beklagen, der Regen wird davon keinen Deut weniger - oder du akzeptierst den Regen und machst den Regenschirm auf.
Jut, wenn du deinen Status Quo akzeptiert hast, machst du dich ans arbeiten. Und das tust du bereits, in dem du zum Psychologen gehst und was ich klasse finde. Ich hoffe, du hast den richtigen gefunden, was bei mir auch einen Moment gedauert hat. Wichtig ist, dass du dich bei ihm aufgehoben fühlst und er dir das Gefühl vermittelt zu wissen, wie es dir geht. Denn die Ursachen deiner Traurigkeit sind bekannt und hinreichend untersucht, und gleichzeitig ist der am besten funktionierende Weg raus aus der Traurigkeit ebenfalls schon lange erforscht und bekannt. Das gehört zum Grundlagen-ABC jedes Psychologie-Studiums. Mein Weg, den ich nur wärmstens empfehlen kann, ist die Verhaltenstherapie. Als erstes: Blick auf die Ursachen, die findest du heraus und solltest du immer parat haben. Dann aber: das Arbeiten am konkreten Alltag: In welche Gedanken- und Verhaltensmuster fällst du immer wieder, die dich traurig machen? Und das Einüben neuer Verhaltensmuster, die dich glücklich machen. Es geht ums Lernen, wobei sich halt in deinem Gehirn auch die Synapsen neu verdrahten, genauso wie beim Mathe-Lernen. Immer wieder die Übung gemacht, und irgendwann kannst du das richtige Ergebnis allein ausrechnen. Immer wieder hingeschaut, welche Denk- und Verhaltensweisen dich unglücklich machen und in kleinen Schritten neue Denk- und Verhaltensweisen eintrainiert macht dich glücklich. Zu einem großen Teil ist Glück wirklich lern- und trainierbar.
Helfen tut auch Chemie. Ich war mir lange zu vornehm dafür. Als in einer sehr traurigen Phase meines Lebens mich ein Kumpel schon fast zum Psychologen prügelte, ließ ich mir die Tabletten dann doch verschreiben. Und sie wirkten Wunder. Wie, wenn man mit dem Flugzeug durch die Wolken stößt: Unten ist alles November-grau und plötztlich blauer Himmel und Sonne. Man kommt halt erst einmal wieder auf ein gutes Level; und nimmt die Tabletten dann später wieder raus ...
Ein Teil deines Problems, oder sagen wir lieber freundlicher: deiner Macke, ist Angst, denke ich. Die fühlt sich nicht immer so an, wie wenn ein Kampfhund ohne Leine auf dich zurennt. Sie zeigt sich vielmehr eher indirekt und in vielen kleinen Sachen. Wenn du Ausreden erfindest, um nicht vor anderen zu reden. Wenn du sofort wegschaust, wenn dich dein Schwarm durch Zufall anschaut. Wenn sich jemand unfair dir gegenüber verhält, du aber die Klappe hälst und für dich die Rechtfertigung findest: Er ist halt ein Idiot und was soll man da machen. Finde solche Situationen und mache es nur ein klein wenig anders als sonst: Schaue deinem Schwarm nur 3 Sekunden in die Augen und erst dann weg. Der Kampf gegen die Angst ist kein Heldenkampf, sondern geschieht in vielen kleinen Schritten, in denen du dir oft genug wie ein Depp vorkommen wirst. Aber egal, mach weiter. Auf einen steilen Berg gelangt man am besten nicht direkt, sondern in Serpentinen. Was soll schon passieren? Entweder alles bleibt wie es ist - oder du gibst dir einen ganz kleinen Schubs und versuchst mal ganz klein etwas anderes ...
Viele Grüße
18.01.2020 15:32 •
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