Hallo und guten Morgen Oneruga!
Es überrascht mich nicht, dass es Dir nicht besonders gut geht. Mein Beileid für den Trauerfall in Deiner Familie. Hast Du dem verstorbenen Menschen sehr nahe gestanden?
Ich finde es gut, dass Du zu Deiner Ex keinen Kontakt hast, denn jedes zwischen Euch gesprochene oder geschriebene Wort würde nur die Emotionen verstärken, die Dich zurzeit belasten.
Ich kann die Bitternis Deiner Worte nachvollziehen, passte sie doch sehr zu der trüben Stimmung, die mich in den letzten Wochen immer mal wieder eingeholt und beschäftigt hat. Ich denke mir, dass es Dir im Moment sehr schwer fallen dürfte, die letzten Ereignisse anders, als mit Enttäuschung, Trauer und vermutlich auch Wut zu betrachten. Deine Sichtweise, die Geschehnisse als Lektion zu nehmen ist total gut nachvollziehbar und wird Dir tatsächlich helfen, besser mit Deinem Schmerz umgehen zu können.
Ich bitte Dich nur, nicht ganz aus den Augen zu verlieren, dass nicht alle Frauen, die sich in einer Trennungssituation befinden, so sein müssen, wie Du es jetzt bei Deiner Ex erlebt hast. Die Lektion, die Du hier glaubst gelernt zu haben ist meiner Meinung nach keine Gute.
Die Gefühle, die sie in Dir geweckt hat, waren stark und für Dich einzigartig. Aber sie wird nicht der einzige Mensch gewesen sein, der diese Gefühle in Dir hervorholen kann. Wenn ich Dich richtig verstehe, dann besteht die Lektion darin, dass Du zukünftig von Frauen in Trennungssituationen die ‚Finger lassen‘ willst. Bedenke aber, dass Du niemals Sicherheit haben kannst, dass nicht doch eine Trennungssituation vorliegt, selbst wenn der Zeitpunkt der Trennung schon lange zurück liegt.
Jeder, der eine Trennung erlebt hat, befindet sich in einer Trennungssituation. Wie sehr und wie lange dies Folgen haben kann, auch in neuen Beziehungen, ist individuell verschieden. Auch noch nach Jahren können die Folgen einer Trennung Konsequenzen nach sich ziehen, so dass auch andere Menschen durch das in Unordnung geratene Leben Leid erfahren. Der einzige Unterschied ist dann vielleicht, dass man den Zusammenhang zur Trennung nicht herstellt, weil sie so lange zurück liegt.
Wir Menschen brauchen oft sehr viel Zeit, um schwierige Erlebnisse verarbeiten und damit hinter uns lassen zu können, weil wir der Enttäuschung, der Trauer und der Wut auf eine Art und Weise begegnen, die uns vor dem Schmerz schützen soll, den wir erleiden. Dies hindert uns aber oft daran, die richtigen Schlüsse zu ziehen, und der schmerzlichen Vergangenheit etwas Positives abgewinnen zu können.
Du begegnest dem Schmerz mit einer gewissen Rationalität, wie ich finde, indem Du versuchst, der Trennung einen rationalen Sinn oder Wert zu geben. Aber die Lektion, die Du gelernt zu haben glaubst, ist nicht positiv. Diese Frau hat Dir etwas gegeben, das Du so noch nicht erlebt hast. Sie erwiderte Deine Zärtlichkeit auf eine Art und Weise, die Dir das Gefühl gab, angenommen und angekommen zu sein. Sie konnte Dir aber nur dieses Gefühl geben, weil Du es zugelassen, Dich darauf eingelassen hast. Diese Fähigkeit ist bei weitem nicht so selbstverständlich, wie Du vielleicht glauben magst.
Du bist oft enttäuscht worden, das ist richtig. Aber kannst Du Dir sicher sein, dass nicht Du selbst mit an diesen Enttäuschungen beteiligt warst, weil Du Deine Erwartungen, Wünsche und Sehnsüchte zu sehr auf Deine Beziehungen projiziert hast? Ich lese heraus, dass Du Dir eine innige, harmonische und dauerhafte Beziehung wünscht, ja, Dich danach sehnst, endlich anzukommen.
Du kannst aber nur ankommen, wenn Du Dich erneut auf einen Menschen einlässt und auch zulässt, dass er Dein Herz berührt. Anzukommen bedeutet meiner Meinung nach weit mehr, als den richtigen Partner dafür zu finden. Wenn ich mich angekommen fühlen will, dann muss ich bereit sein, dies immer wieder aufs Neue zu leben. Ich muss bereit sein für dieses Gefühl zu kämpfen. Ich muss bereit sein, Enttäuschungen zu erdulden, und nicht durch sie den Glauben und die Hoffnung auf eine Beziehung zu verlieren, wie ich sie mir ersehne. Denn ob meine Sehnsucht Erfüllung findet hängt von mir selbst ab.
Das Leben ist kein Film oder keine Geschichte, in dem die Menschen in einem Happy End ankommen und in unserer Vorstellung nie wieder Enttäuschungen erleben werden. Es ist ständig in Bewegung und Veränderung begriffen. Nichts lässt sich wirklich vorhersagen und schon gar nicht, was die Menschen daraus machen.
Oneruga, Du hast mich nicht um diese Worte gebeten und ich bin trotzdem bewusst das Risiko eingegangen, bei Dir etwas hervorzuholen, dass Du für Dich auf Deine Art und Weise gedeckelt hast. Ich habe es getan, weil ich glaube zu erkennen, wie groß Dein Wunsch ist, in einer Beziehung zu einem anderen Menschen anzukommen, wie groß Dein Sehnen nach Liebe um Deiner selbst willen ist. Die Lektion, von der Du gesprochen hast, war für mich Ausdruck Deiner Verletzlichkeit und auch Sensibilität. Worte, die wir Männer vielleicht nicht gerne auf uns beziehen. Allerdings nimmst Du Dir selbst die Möglichkeit, das zu erleben, was Du Dir so sehr wünschst, wenn Du Dich durch Enttäuschung und Bitternis dazu verleiten lässt, Dich nicht mehr auf andere Menschen einzulassen.
Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du den richtigen Menschen für Dich findest, bei dem Du Dich jeden Tag aufs Neue angekommen fühlen kannst. Aber noch mehr wünsche ich mir für Dich, dass Du niemals den Glauben und die Hoffnung daran verlierst, dass dies tatsächlich geschehen könnte.
Mitfühlende Grüße
Sven
08.09.2011 07:55 •
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