ich schreibe hier heute zum ersten Mal. Ich brauche einfach mal ein Ventil und ein wenig (neutrale) Spiegelung meiner aktuellen Situation. Ich sitze gerade allein in meinem kleinen Heim-Büro in unseren Einfamileinhaus, die Kinder schlafen und meine Frau ist mit Ihren Freundinnen aus. Und ich fühle mich hier wie im Gefängnis, das ich mit selbst gebaut habe. Und machmal möchte ich einfach nur wegrennen. Wahrscheinlich ist es auch nicht fair oder neutral betrachtet nachvollziehbar, dass ich mich so fühle. Aber ich fühle es so.
Ich bin 41 Jahre alt, bin seit 9 Jahren verheitratet und bin in der Unternehmensberatung tätig arbeite viel. Schon früh hatte ich mit dem Thema Burn-Out zu tun, da ich ein Perfektionist und ein Kontrollfreak bin. Die Gründe hierfür habe ich über vor einigen Jahren mit einer Pychotherapeutin erarbeitet - es waren Erlebnisse meiner Jugend, die dazu geführt haben, dass ich es immer allen beweisen will und es mir sehr wichtig ist, wie andere mich wahrnehmen. Ich habe in den folgenden Jahren Wege gefunden, damit umzugehen. Es läuft daraus hinaus, dass ich auch aufgrund meiner eher introvertierten Natur immer wieder Phasen der Ruhe benötige, um mich zu regenerieren. Das heißt dann tatsächlich: Ich muss allein sein. So brauche ich nach einer stressigen Woche sicherlich einen halben bis ganzen Tag am Wochenende, um wieder aufnahmefähig zu sein.
Vor neun Jahren kam unser erster Sohn, und bei aller Freude und Liebe die ich damals und auch heute empfinde: Alle meine Strategien zur Stressbewältigung waren von nun an nutzlos. Unser Sohn war von Beginn an ein Schreikind, sehr fordernd, impulsiv und laut. Heute wissen wir nach Jahren den Grund: Er hat ADHS. Noch heute benötigt er viel Unterstützung. Ich muss ihn noch immer in der Einschlafphase begleiten. Meist schlafe ich dann auch bei Ihm. Usere Tochter, nun 5 Jahre alt, schlägt in die gleiche Kerbe. Sie ist noch lauter und hat im ersten Jahr kaum länger als eine Stunde am Stück geschlafen. Meine Frau hatte fast eine Art posttraumatische Belastungsstörung und weint manchmal noch, wenn sie an diese Zeit denkt. Sie selbst ist Ärztin und ist derzeit in Teilzeit tätig (was sie auch genau so möchte, falls es jemand wissen will).
Als neue Strategie habe ich Sport als Mittel gegen meinen Stress genutzt. So bin ich regelmäßig ins Fitnessstudio gegangen und habe mit dem Laufen angefangen. Das hat soweit auch ganz gut funkioniert und hat mir auch über eine längere Phase mit akuten Reizdarmproblemen geholfen. Hier haben aber schon die ersten Spannungen mit meiner Frau begonnen. Logischerweise war sie nicht begeistert davon, dass ich mir meine Zeit genommen habe. Ich habe daher versucht, meine Aktivitäten so gut wie möglich in Phasen des Tages zu packen, wo es niemanden stört. Also: Joggen um 05:30 und Fitness auf dem Weg zur Arbeit.
Seit Beginn der Coronazeit ging es dann bergab. Das Fitness-Studio musste ich streichen, dann auch dauerhaft, weil wir ins ländliche gezogen sind. Diesen Schritt sind wir bewusst gegangen, auch um unsere Kinder in ein reizärmeres Umfeld zu bringen. Aufgrund der Corona-Situation haben wir nicht so viele Menschen hier kennengelernt zu der Zeit. Ich bin aber Vollzeit ins Homeoffice gegangen, was der Anfang vom Ende war. Ich habe in dieser Zeit kaum Menschen gesehen, während meine Frau noch regelmäßig zur Arbeit gefahren ist.
Und das hat sich durchgezogen: Meine Frau fand es praktisch, dass ich zuhause war. Da unser Sohn aufgrund seiner Probleme sehr ungern in die Nachmittagsbetreuung geht, bin ich nun weiterhin an drei bis vier Tagen daheim, wenn meine Frau arbeitet. An diesen Tagen sitze ich Vor- und Nachmittags in meinem kleinen Büro. Zwischenzeitlich koche ich das Mittagessen, helfe bei den Hausaufgaben und räume auf. Morgens müssen die Kinder in Schule und Kindergarten gebracht werden. Das Abendprogramm zieht sich mit den Kindern (augrund der Schlafstörungen bei ADHS) gerne bis 21:30. Nach einer weiteren halben Stunde gehe ich dann selbst ins Bett. Diese Tage sind für mich die Hölle. Meine Frau sieht dieses Problem nicht, da sie ja ab Nachmittags die Kinder übernehmen würde. Die Hauptlast läge ja bei ihr.
Am Wochenende bin ich entweder damit beschäftigt etwas am Haus zu tun (die Liste ist ewig lang), oder wir machen einen großen Ausflug mit den Kindern. Meine Frau besteht darauf, dass wir mindestens an einem Tag der Woche etwas besonderes mit den Kindern machen (Freizeitpark, Zoo, etc.). Und so vergehen auch die Wochenenden ohne echte Entspannung. Famile ist natürlich wichtig, zählt aber nicht als Ich-Zeit - das hat meine Therapeutin immer gesagt. Zumindest habe ich mir eine Stunde Joggen gehen am Sonntag als Ich-Zeit gebucht, was mir immer sehr geholfen hat.
Kürzlich hat mich dann ein Bandscheibenvorfall ereilt. Seitdem ist das Joggen auch weggefallen. Meinen Zeit-Slot für diese Aktivität nutzt nun meine Frau, die jetzt auch joggt. Das sollte mich wahrscheinlich nicht ärgern, aber es fühlt sich für mich nicht gut an. Im allgemeinen ist sie der Ansicht, dass vor allem sie mehr Zeit benötigen würde. Der logische Schluss ist für sie dann immer, dass ich mich mehr kümmern müsse und auch mal Abende alleine übernehmen solle. Da Sie bereits ein bis zwei freie Vormittage hat, empfinde ich das nicht als fair. Sie witzelt dann immer, dass ich dann ja eh niemanden zum weggehen hätte, was stimmt. Ich habe mir der Zeit immer weniger gute Freunde gehabt, was bei ihr (ist wohl in den 30ern nicht so selten) zunächst auch so war. Sie hat die Zeit mit den Kindern (Elternzeit) aber genutzt, sich ein komplett neues Netzwerk aufzubauen. Und ja, darum beneide ich sie sehr. Und gerade deswegen möchte ich auch, dass sie das nutzt und pflegt. Mir fehlt derzeit jeder Zugang zu diesen sozialen Themen - es benötigt eben Zeit und Aufmerksamkeit, um diese Dinge aufrecht zu erhalten. Daher kriselt es auch ein wenig bei uns in der Ehe. Denn Zeit zu zweit ist nie ein Thema (einer muss ja immer bei den Kindern bleiben).
Und so fühlt es sich für mich halt mittlerweile an: Wie eine Mischung aus Gefängnis und Arbeitslager. Jeder Tag ist ewig lang, und die Jahre sind schnell wieder vorbeit. Alles ist ein Einheitsbrei aus Aufgaben, Pflichten und Erwartungshaltung. Die positiven Erlebnisse und Interaktionen werden immer weniger. Ich habe das Gefühl, meine Bedürfnisse kommen immer zuletzt. Ich habe über die Jahre gelernt, dass ich mich selbst aus dem Mist ziehen muss, da es sonst keiner tut. Schließlich habe ich mich ja auch selbst, Schritt für Schritt, in diese Situation gebracht.
Diesmal fehlt mir aber der Zugang und die Kraft. Ich habe bereits den Job gewechselt. Dies hat nicht viel gebracht, da ich das Umfeld menschlich fraglich finde. Während ich früher immer sehr deutlich meine Meinung geäussert habe, merke ich heute, das mir die Kraft dafür zu fehlen scheint. Ich habe fast eine körperliche Abneigungshaltung, gewisse Dinge zu diskutieren. Auch fällt es mir immer schwerer, mich auf der Arbeit zu konzentrieren. Ich quäle mich durch, bin aber nicht mehr motiviert. Sport geht aufgrund meines Rückens nur sehr begrenzt. Ich habe neulich erwähnt, dass Schwimmen vielleicht gehen würde - meine Frau kam da gleich auf die Idee, das ich da ja die Kinder mitnehmen könnte. Auch die Eheprobleme bekomme ich nicht richtig angegangen, da ich einfach keine Kraft habe. Ich habe noch regelmäßig Kontakt zu meiner Therapeutin, mit der ich aber auch nicht so recht weiter komme.
Ggf. werde ich es jetzt erstmals mit Medis versuchen, um wieder die Kraft zu haben, an diesen Themen zu arbeiten. Ich bin da kein Fan von, aber ich sehe fast keinen anderen Weg.
Vielleicht hat ja noch jemand einen Ansatzpunkt für mich.
VG
Quentin
20.08.2023 21:54 • • 21.08.2023 x 1 #1