Moin,
das ist ja wirklich eine ganze Menge, was du da im Gepäck hast.
Es ist verständlich, dass du in der aktuellen Lage das dringende Bedürfnis hast, dich sowie dein Erleben und Verhalten besser zu verstehen. Ging mir vor gute 10 Jahren ganz ähnlich, als sich gewisse Symptome gehäuft hatten.
Ohne der Therapeutin vorgreifen zu wollen, hier ein paar Gedanken zu dem, was du geschrieben hast:
Zitat von Golf: aber seit der Vollnarkose hat sich das bei mir geändert. Ich bin so extrem emotional und habe Angst ihn zu verlieren. Es ist als ob ich aus einem Alptraum aufwache und sich meine Seele übergeben hat.
Das erinnert mich an einen Mitpatienten aus meiner Bezugsgruppe in der Reha, dem nach einer Vollnarkose eine Reihe von ziemlich üblen Dingen aus seiner Kindheit, an die er sich vorher gar nicht erinnern konnte, wieder bewusst geworden sind. Den hat es - ähnlich wie dich auch - ganz ordentlich aus der Bahn geworfen.
Deine Familienverhältnisse scheinen auch nicht wirklich einfach gewesen zu sein:
Zitat von Golf: Ich wurde sehr früh an eine Ganztagspflege abgegeben (mit ca. 12 Monaten) weil beide Elternteile Vollzeit gearbeitet haben. Im Kindergarten wurde ich als erstes abgegeben und als letztes abgeholt, im Kinderhort genauso.
Klingt danach, als wären beide Eltern weder physisch noch emotional ausreichend präsent gewesen.
Zitat von Golf: Mein Vater hat ein paar Mal meine Mutter verprügelt, ich habe sie oft auseinander gehalten.
Häufige Konflikte und Streits in der Familie, in die auch die Kinder mitreingezogen werden, sind ein gewisser Risikofaktor.
Zitat von Golf: Ich war oft alleine mit ihr, ich liebe sie über alles, aber ich war mit der Situation extrem überfordert.
Hier hat sich wahrscheinlich eine Art Rollenumkehr entwickelt - nicht die Mutter hat sich um dich gekümmert, sondern du musstest dich um die Mutter kümmern. Man nennt sowas Parentifizierung. Das ist ebenfalls eine Risikofaktor, weil du schon früh gezwungen worden bist, eine Verantwortung zu übernehmen, der du nicht gewachsen warst.
Zitat von Golf: Ich habe einen Vater der Ende der 80er und die gesamten 90er einen Verfolgungswahn aufgebaut hat, er hat mir das sogar offen mitgeteilt das wir verfolgt werden und in unsere Wohnung eingebrochen wird wenn wir nicht da sind. Ich denke er hat meine Mutter in die Depression getrieben.
Klingt entweder etwas paranoid-psychotisch oder zumindest zwanghaft. In jedem Fall sind psychische Erkrankungen in der Herkunftsfamilie - wie du es erlebt hast - ebenfalls eine ziemliche Belastung für die Familienmitglieder.
Zitat von Golf: Meine Eltern haben mich wie ein rohes Ei behandelt, haben mir nie etwas zugetraut (haben immer gesagt „das kann der nicht“) und mich von jeglicher Verantwortung ferngehalten.
Diese Form von Überbehütung kann zum einen den Zweck verfolgen, die andere Seite abhängig zu machen, um sie besser zu kontrollieren und zum anderen wirkt sich so ein Verhalten sehr negativ auf die Selbstwertentwicklung aus.
Zitat von Golf: Meine Eltern haben sich insgesamt zweimal getrennt, Ende 1998, dann 2004 wieder zusammengezogen, 2010 wieder getrennt, 2014 habe sie sich vertragen aber leben in getrennten Haushalten.
Klingt für mich nach dem verzweifelten On-Off zweier unglücklicher Menschen, die weder mit- noch ohne einander können.
Für Kinder, die das von außen mit ansehen müssen, ist das kein wirklich hilfreiches Beziehungsmodell.
Zitat von Golf: Versagensängste,
Die mit größter Sicherheit vor allem mit einem relativ niedrigen Selbstwert zu tun haben.
Zitat von Golf: Meine Bindungsängste und Verlustängste sind so stark, wenn ich mit einer Frau bin und dann so etwas wie Liebe aufkommt, überkommen mich Zwangsgedanken dass sie mich verlässt. Dann habe ich mich so in Rage gedacht, das ich mich übergeben musste, die Beziehungen habe ich dann natürlich alle beendet.
Durch das ziemlich problematische Verhältnis zu deinen Eltern hat sich bei dir höchstwahrscheinlich ein sog. unsicher-ambivalenter Bindungsstil entwickelt. d.h. du hast gelernt, dass Bindung zwar etwas Positives ist, man dabei aber auch immer auf der Hut sein muss, weil man nie weiss, was noch kommt. In Verbindung mit Minderwertigkeitsgefühlen kann genau das passieren, was du beschreibst.
Zitat von Golf: Ich bin antriebslos, habe aber genug Verantwortungsbewusstsein um die alltäglichen Dinge immer zu erledigen.
Nicht umsonst gibt es den Begriff der hochfunktionalen Depression.
Zitat von Golf: Seit 2017 habe ich einen Waschzwang.
Höchstwahrscheinlich das Ergebnis der schwierigen Situation mit dem übergriffigen Verhalten des Vaters in Kombination mit deiner Unsicherheit sowie der von den Eltern angezüchteten Übervorsichtigkeit.
Nimmt man das alles zusammen, mehren sich Hinweise auf ein sog. Entwicklungstrauma. Das ist die Summe früher, tagtäglicher kleinererer oder größerer Bindungstraumata (emotionale Vernachlässigung, Parentifzierung, körperliche Gewalt usw.). Diese Art der Traumatisierung hat sehr umfassende Auswirkungen auf sehr viele Bereiche des Lebens und könnte mit großer Sicherheit die gesamte Liste deiner Symptome besser integrieren.
On top gibt's dann auch noch Sekundärthematiken, die auf dem Boden des Entwicklungstraumas sehr gut gedeien (Angst, Zwang, Depression. Persönlichkeitsakzentuierungen bzw. -stile usw.).
Vielleicht hilft dir das schon mal ein Stück weiter ...