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Liebes Forum,

Ich habe meinen Freund vor 1,5 Jahren während einer psychosomatischen Kur kennengelernt. Ich war wegen Erschöpfungszuständen dort, er wegen Rheuma und psychischer Probleme (Depressionen infolge Einsamkeit). Seit nunmehr 1,5 Jahren führen wir eine Fernbeziehung - uns trennen 450 km - und sehen uns regelmäßig jedes zweite Wochenende. Nun habe ich per Zufall seine konkrete Diagnose erfahren und bin etwas ins Grübeln gekommen, wie ich zukünftig damit umgehen soll. Daher wende ich mich an dieses Forum mit der Bitte um Hilfe.

Bei meinem Freund liegt eine anankastische Persönlichkeitsstörung vor (ICD-10: F60.5), also eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung. Ich musste erst einmal googeln, was das überhaupt ist.

Laut DSM-IV sind Anankastiker durch die nachstehend aufgeführten Kriterien gekennzeichnet. Eine Person, die unter einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung leidet…

1. beschäftigt sich übermäßig mit Details, Regeln, Listen, Ordnung, Organisation oder Plänen, so dass der wesentliche Gesichtspunkt der Aktivität verloren geht
Trifft eingeschränkt zu. Details und Regeln ja, Listen, Pläne und Ordnung weniger. Im Gegenteil: ich bin sehr ordnungsliebend und schreibe gern Listen

2. zeigt einen Perfektionismus, der Aufgabenerfüllung behindert (zum Beispiel kann ein Vorhaben nicht beendet werden, da die eigenen überstrengen Normen nicht erfüllt werden)
Trifft zu. Er kann sich an einer Sache völlig festbeißen und gibt keine Ruhe, bis diese nicht perfekt abgeschlossen wurdet wurde bzw. bricht sie ab, wenn es nicht perfekt wird.

3. verschreibt sich übermäßig der Arbeit und Produktivität unter Ausschluss von Freizeitaktivitäten und Freundschaften (nicht auf offensichtliche finanzielle Notwendigkeit zurückzuführen)
Trifft eingeschränkt zu. Mein Freund ist Busfahrer in Liniendienst und arbeitet im Schichtdienst. Er übernimmt z.B. keine zusätzlichen Schichten und hat auch keine Nebentätigkeit. Wenn er sich im privaten Bereich jedoch ein neues Projekt vorgenommen hat, kann es sein, dass er darüber alles und jeden vernachlässigt.

4. ist übermäßig gewissenhaft, skrupulös und rigide in Fragen der Moral, Ethik und Werten (nicht auf kulturelle oder religiöse Orientierung zurückzuführen)
Trifft absolut zu! Aufgrund seiner übermäßigen Gewissenhaftigkeit gibt es auf der Arbeit daher ständig Ärger und Stress mit Fahrgästen und Vorgesetzten, da mein Freund nie Fünfe gerade lassen kann.
Den Kontakt zu einem Freund hat er abgebrochen, da dieser seine Frau betrogen hatte. Den Kontakt zu einer anderen Bekannten hat er abgebrochen, da diese regelmäßig Alk. trinkt (beides no go's aus Sicht meines Freundes).

5. ist nicht in der Lage, verschlissene oder wertlose Dinge wegzuwerfen, selbst wenn diese keinen Gefühlswert besitzen
Trifft absolut zu! Er hortet z.B. im Keller noch 25 Jahre alte Bettwäsche von seiner Großmutter.

6. delegiert nur widerwillig Aufgaben an andere oder arbeitet nur ungern mit anderen zusammen, wenn diese nicht genau die eigene Arbeitsweise übernehmen
Trifft zu. Er kritisiert seine Busfahrer-Kollegen gern, wenn sie nicht genauso gewissenhaft arbeiten wie er. Wird dann auch laut und teilweise agggressiv.

7. ist geizig zu sich selbst und anderen gegenüber, weil Geld im Hinblick auf befürchtete künftige Katastrophen gehortet werden muss
Trifft eingeschränkt zu. Er ist zwar sehr sparsam in alltäglichen Dingen (Miete, Strom, Telefon, Lebensmittel, Möbel, Kleidung), gibt aber für seine Hobbies (Motorräder, Wohnmobil) gern und auch viel Geld aus. Mir macht er ab und zu spontan relativ teure Geschenke. Wenn wir zusammen ausgehen (Kino, Essen, Sauna) zahlen wir grundsätzlich getrennt, was für mich aber auch in Ordnung ist.

8. zeigt Rigidität und Halsstarrigkeit.
Ja, trifft absolut zu. Dadurch hat er es sich bereits mit etlichen Bekannten und Freunden verdorben. Das zeigt sich z.B. in einem unbegründeten Bestehen auf Unterordnung Anderer unter eigene Gewohnheiten. Mein Freund besteht z.B. darauf, dass die Mahlzeiten immer pünktlich eingenommen werden müssen. Oder ein anderes Beispiel: Wenn eine Motorradtour am Wochenende mit Bekannten geplant ist, besteht er darauf, dass früh morgens um 09.00 Uhr losgefahren wird, da er Frühaufsteher ist und um 12.00 Uhr Mittagessen will. Die anderen schlafen am Wochenende gern etwas länger – Konflikte sind also vorprogrammiert. Die Konsequenz ist, dass die Bekannten ohne ihn fahren bzw.er lieber allein etwas unternimmt.

Durch die oben beschriebenen Eigenheiten tut sich mein Freund schwer im Umgang mit anderen Menschen und eckt eigentlich ständig irgendwo an. Dies ist auch der Grund, warum er nur wenige Bekannte und keine wirklichen Freunde hat und keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Mich hat das bisher wenig gestört, da ich Menschen mit Ecken und Kanten eigentlich gern mag. Diese Persönlichkeitsstörung setzt aber auch einen besonderen Eigensinn und Starrsinn voraus. Die Betroffenen bestehen darauf, dass andere Menschen, ihre Gewohnheiten den eigenen unterordnen. Mein Freund versucht häufig, mich zu bevormunden und weiß gern alles besser. Beispiel: Mein Freund ist strikt gegen Rauchen, trinkt keinen Alk. und erwartet das auch von Anderen. Ich rauche eigentlich, aber nicht wenn ich mit ihm an den Wochenenden zusammen bin (also heimlich) und wenn ich am Wochenende mal ein Glas Wein trinke, werde ich schon schief angesehen. Wenn ich auf seine Ratschläge nicht eingehe, kann er sehr ungehalten werden und stellt mich dann als beratungsresistent hin. Da wir uns nur alle 14 Tage sehen, telefonieren wir jeden Tag, zum Teil mehrmals, miteinander. Ich finde das eigentlich schön und wichtig. Manchmal kann es aber auch nervig sein, weil mein Freund immer genau wissen will, was ich den Tag über gemacht habe, wann ich nach Hause gekommen bin usw. Sein Kontrollbedürfnis ist da schon relativ ausgeprägt. Mein Freund liebt mich sehr und möchte mich nicht verlieren. Er hat sehr große Angst vor Einsamkeit.

Ich bin nun etwas verunsichert, wie ich mit den neuen Erkenntnissen hinsichtlich seiner Erkrankung umgehen soll. Mein Freund war vor Jahren mal in psychologischer Behandlung, hat diese aber abgebrochen. Er sagt von sich selbst, er sei ruhiger und ausgeglichener geworden, seitdem er mit mir zusammen sei. Das mag ja sein, aber ich bin schon der Meinung, dass er an seiner Sozialkompetenz noch arbeiten muss.

Habt Ihr Vorschläge zum täglichen Umgang mit einem Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung? Ich bin eigentlich nicht der Typ, der sich in einer Beziehung einem Mann unterordnet, gebe aber um des lieben Friedens willen doch oft nach.
Nun will ich aber nicht auf ewig eine Fernbeziehung haben, scheue mich aber ehrlich gesagt davor, den nächsten Schritt Richtung Zusammenziehen zu tun.

Ich möchte seine Erkrankung gern besser verstehen und entsprechend darauf reagieren können. Bin für alle Anregungen und Tipps dankbar.

Liebe Grüße

02.02.2016 10:52 • 02.02.2016 #1


1 Antwort ↓

Hallo liebe Schnullihund, ich sag mal so, er hat eine Erkrankung.

Die einzige Frage ist, kannst du damit leben? Sie akzeptieren, auch im Alltag?





Dr. Reinhard Pichler
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