H
Hafizah
Ich bin diese Nacht mal wieder schlaflos und soeben kam mir in den Sinn, hier mal einen klitzekleinen Teil meiner Geschichte zu erzählen. Nur so, ich hoffe das ist in Ordnung, vielleicht hat ja jemand Lust zum lesen. Mein ehemaliger Psychotherapeut ist der einzige Mensch, mit dem ich jemals darüber gesprochen hatte - nach Jahren. Das Internet war damals noch nicht so üblich wie heute (also nichts mit googeln und anonymer Suche nach Rat), und meine Angst war so dermaßen gewaltig, dass ich lange geschwiegen habe... ganze 8 Jahre, bis ich erstmals zum Arzt ging.
Ich war als kleines Kind schon so, hatte immer Angst vor medizinischen Ergebnissen und Behandlungen, insbesondere bei allem was über meine regelmäßigen grippalen Infekte mit hohem Fieber, sowie die Herzuntersuchungen hinausging. Seit dem Säuglingsalter musste ich alle 3-6 Monate an große, rasselnde Maschinen gekabelt werden, die meine Herzfunktionen überprüften. Das war furchteinflößend genug und kostete mich viele Tränen, bis kurz nachdem ich eingeschult wurde - dann gab es endlich eine Entwarnung, die ich auch begreifen konnte (ich dürfe fast allen Sport mitmachen usw.) und die Maschinen taten mir auch nicht (mehr) weh.
Ich weiß noch zum Beispiel, als ich mit ca. 6-7 Jahren zu meiner Mutter sagte, dass mit meinen Ohren etwas nicht stimmte, und ich beschrieb ihr das sehr unangenehme Gefühl, welches ich manchmal darin hatte. Ein paar Tage später waren wir zu einer Routineuntersuchung für mich beim Internisten. Alles lief glatt, wir waren fertig und ich war froh, dort wieder rauszukommen, und tschüss - und auf einmal sagte meine Mutter: Moment! Wenn wir schon einmal hier sind, da war doch noch was mit Deinen Ohren, so und so... (sie beschrieb es) und ich platzte heraus: Nein Mama, das ist alles schon wieder gut, es ist weg! Das stimmte zwar nicht, aber... puuuuh, davongekommen! Hinterher schimpfte Mutter bloß mit mir, dass ich ihr das ruhig vorher hätte sagen können aber ich konnte ja nicht ahnen, dass sie noch daran gedacht hatte.
Jetzt das eigentliche Thema.
Als ich 10 Jahre alt war, begleitete ich meine Mutter zu ihrem Frauenarzttermin, weil wir das mit einem anschließenden Stadtbummel verbunden haben. Wir saßen dort ewig im Wartesaal und irgendwann kam sie dran. Ich wollte mit rein weil mir so langweilig war, der Untersuchungsraum war zweigeteilt und ich blieb im vorderen Teil, meine Mutter und die Ärztin waren im hinteren. Langweilige Erwachsenengespräche. Ich griff nach den Broschüren und blieb bei einer hängen, auf deren Bildern sich eine Frau die Brust abtastete. Darin wurde beschrieben, wie man das machen soll und warum natürlich. Meine Brust hatte auch schon vor Monaten angefangen zu sprießen. Diese erste Wachstumsphase tat mir oft sehr weh, das kneifte und zwickte, und genau in der Mitte waren ganz harte Knubbel zu spüren.
Nach 5 Minuten alleine mit dieser Broschüre wusste ich, dass ich Brustkrebs hatte. Daher kam das also! Beginnendes Wachstum ist normal mit 10-11 Jahren, das wusste ich, aber Schmerzen und Knubbel?! Mir wurde schlecht. Irgendwie brachte ich den Tag noch herum und in der Nacht schlich ich ins Bad und musste mich übergeben vor lauter Angst. Ich schwieg oder flüchtete mich in Ausreden. Diese Furcht manifestierte sich so sehr, dass ich jahrelang davon überzeugt war, schwer krank zu sein. Acht Jahre - bis es mir schließlich egal war.
Von diesem Tag an - der Tag mit meiner Mutter beim Frauenarzt - habe ich alle Situationen vermieden, bei denen ich den Oberkörper hätte frei machen müssen. Ich befürchtete, es würde herauskommen. Das wollte ich nicht, niemals. Einfach noch leben, solange es eben ging. Keine Operationen und Chemotherapien, bei denen man sowieso starb, wie die anderen Leute (in Filmen, Bekannte von der Familie und so). Mit 14 dachte ich einmal, es wäre soweit. Da stand ein Pflichtcheck für alle an, das ging irgendwie vom Gesundheitsamt aus und fand in der Schule statt, jede 8. Klassenstufe musste da durch. Als ich von dem Termin erfuhr, zitterte und trauerte ich 3 Wochen lang um mein Leben. Zwei Tage vorher war ich psychisch fertig mit der Welt. Einen Tag vorher lag ich dermaßen krank im Bett, dass meine Mutter mich am nächsten Morgen und insgesamt eine Woche lang zuhause behielt. Ich schwieg wie immer darüber. Nein, ich brauche keinen Arzt. Puuuuh, davon gekommen. Ich glaubte noch nicht richtig daran, dass ich es bis zu meinem 18. Lebensjahr schaffen würde, aber erstmal war ich wieder davon gekommen.
Mit 16 hätte mein Wissen eigentlich genug sein müssen, um zu begreifen dass meine Ängste unangebracht sind. Ja, meine Brust war weiter gewachsen und diese Knoten waren immer noch da drin, waren mehr geworden, taten auch manchmal weh. Aber man erkrankt nicht als Kind an etwas wie Brustkrebs, das waren medizinische Fakten. Trotzdem betrachtete ich meinen Zustand unverändert panisch, die Furcht hatte sich über die Jahre einfach zu tief eingefressen. Niemand durfte meine Oberweite sehen oder berühren, und Ärzte vermied ich wo es nur ging.
Mit 18 Jahren stand ich an einem Freitag morgens halb 8 bei einer Frauenärztin auf der Matte. Ohne Termin, 4 Stunden im überfüllten Wartezimmer. Jetzt wollte ich das einfach mal wissen, ich hatte sowieso nicht mehr die geringste Lust zu leben. Nun konnte kommen, was wollte. Kurz vorher war ich aus der Psychiatrie entlassen wurden (in der ich aus ganz anderen Gründen gewesen bin), doch es ging mir keineswegs besser. Also, schauen wir mal. Ich sagte der Ärztin so locker wie möglich, dass ich wüsste, dass meine Bedenken unnormal seien, aber ich wollte mich mal untersuchen lassen wegen den Knoten und Schmerzen. Sie war sehr einfühlsam, beruhigte mich erstmal aufs Äußerste und meinte nach dem Abtasten, da könne aber ruhig mal ein Ultraschall gemacht werden. Dies ginge aber heute nicht, weil ich ohne Termin gekommen und die Zeit dafür nicht eingeplant war.
Einerseits hatte sie mich sehr beruhigt, andererseits hatte ich echt keine Lust darauf, mir reichte es eigentlich schon wieder. Ich sagte ihr, dass ich bald wegziehen werde und es dann dort machen lassen werde. Nach ein paar Monaten bin ich tatsächlich in eine andere Stadt gezogen und vereinbarte kurze Zeit später auch einen Termin dafür. Die Ärztin dort machte den besagten Ultraschall und es kam heraus, dass das Gewebe nicht so ganz in Ordnung war (Mastopathie /-dynie). Natürlich nichts schlimmes oder lebensgefährliches, aber ein bisschen belastend eben.
Einige Jahre später sagte mir ein anderer Arzt, dass man bei mir nicht gut feststellen könne, wenn ich tatsächlich einmal gut- oder bösartige Tumorknoten bekommen würde, wegen dem ohnehin schon verknubbelten Drüsengewebe. Na toll, dachte ich nur. Mir wurde eine Operation zur Reduktion vorgeschlagen, die nicht unbedingt nötig, aber entlastend wäre - ein Gedanke, den ich selbst auch schon hatte. Ich hätte das inzwischen auch schon längst durchführen lassen, wenn da nicht meine wahnsinnige Angst vor Vollnarkosen wäre. Dazu konnte ich mich bisher nie überwinden.
Als ich vor ein paar Jahren meinem Psychotherapeuten davon berichtete, wie ich all die Zeit in dieser tiefen Angst gelebt hatte, war sein erster Kommentar: Was haben Sie sich da bloß angetan? - Er konnte nicht begreifen, dass ich 8 Jahre lang geschwiegen und alleine innerlich damit gekämpft hatte. Ich weiß nicht mal, ob ich es heute anders machen würde.
______________
Kennt das eigentlich jemand von euch? Angst vor Krankheiten zu haben, aber die Panik vor möglichen Diagnosen und Behandlungen überwiegt alles? Es gibt ja Menschen, die bei Angst vor Krankheiten von Arzt zu Arzt laufen, aber gibt es sozusagen auch das Gegenteil?
Liebe Grüße
Ich war als kleines Kind schon so, hatte immer Angst vor medizinischen Ergebnissen und Behandlungen, insbesondere bei allem was über meine regelmäßigen grippalen Infekte mit hohem Fieber, sowie die Herzuntersuchungen hinausging. Seit dem Säuglingsalter musste ich alle 3-6 Monate an große, rasselnde Maschinen gekabelt werden, die meine Herzfunktionen überprüften. Das war furchteinflößend genug und kostete mich viele Tränen, bis kurz nachdem ich eingeschult wurde - dann gab es endlich eine Entwarnung, die ich auch begreifen konnte (ich dürfe fast allen Sport mitmachen usw.) und die Maschinen taten mir auch nicht (mehr) weh.
Ich weiß noch zum Beispiel, als ich mit ca. 6-7 Jahren zu meiner Mutter sagte, dass mit meinen Ohren etwas nicht stimmte, und ich beschrieb ihr das sehr unangenehme Gefühl, welches ich manchmal darin hatte. Ein paar Tage später waren wir zu einer Routineuntersuchung für mich beim Internisten. Alles lief glatt, wir waren fertig und ich war froh, dort wieder rauszukommen, und tschüss - und auf einmal sagte meine Mutter: Moment! Wenn wir schon einmal hier sind, da war doch noch was mit Deinen Ohren, so und so... (sie beschrieb es) und ich platzte heraus: Nein Mama, das ist alles schon wieder gut, es ist weg! Das stimmte zwar nicht, aber... puuuuh, davongekommen! Hinterher schimpfte Mutter bloß mit mir, dass ich ihr das ruhig vorher hätte sagen können aber ich konnte ja nicht ahnen, dass sie noch daran gedacht hatte.
Jetzt das eigentliche Thema.
Als ich 10 Jahre alt war, begleitete ich meine Mutter zu ihrem Frauenarzttermin, weil wir das mit einem anschließenden Stadtbummel verbunden haben. Wir saßen dort ewig im Wartesaal und irgendwann kam sie dran. Ich wollte mit rein weil mir so langweilig war, der Untersuchungsraum war zweigeteilt und ich blieb im vorderen Teil, meine Mutter und die Ärztin waren im hinteren. Langweilige Erwachsenengespräche. Ich griff nach den Broschüren und blieb bei einer hängen, auf deren Bildern sich eine Frau die Brust abtastete. Darin wurde beschrieben, wie man das machen soll und warum natürlich. Meine Brust hatte auch schon vor Monaten angefangen zu sprießen. Diese erste Wachstumsphase tat mir oft sehr weh, das kneifte und zwickte, und genau in der Mitte waren ganz harte Knubbel zu spüren.
Nach 5 Minuten alleine mit dieser Broschüre wusste ich, dass ich Brustkrebs hatte. Daher kam das also! Beginnendes Wachstum ist normal mit 10-11 Jahren, das wusste ich, aber Schmerzen und Knubbel?! Mir wurde schlecht. Irgendwie brachte ich den Tag noch herum und in der Nacht schlich ich ins Bad und musste mich übergeben vor lauter Angst. Ich schwieg oder flüchtete mich in Ausreden. Diese Furcht manifestierte sich so sehr, dass ich jahrelang davon überzeugt war, schwer krank zu sein. Acht Jahre - bis es mir schließlich egal war.
Von diesem Tag an - der Tag mit meiner Mutter beim Frauenarzt - habe ich alle Situationen vermieden, bei denen ich den Oberkörper hätte frei machen müssen. Ich befürchtete, es würde herauskommen. Das wollte ich nicht, niemals. Einfach noch leben, solange es eben ging. Keine Operationen und Chemotherapien, bei denen man sowieso starb, wie die anderen Leute (in Filmen, Bekannte von der Familie und so). Mit 14 dachte ich einmal, es wäre soweit. Da stand ein Pflichtcheck für alle an, das ging irgendwie vom Gesundheitsamt aus und fand in der Schule statt, jede 8. Klassenstufe musste da durch. Als ich von dem Termin erfuhr, zitterte und trauerte ich 3 Wochen lang um mein Leben. Zwei Tage vorher war ich psychisch fertig mit der Welt. Einen Tag vorher lag ich dermaßen krank im Bett, dass meine Mutter mich am nächsten Morgen und insgesamt eine Woche lang zuhause behielt. Ich schwieg wie immer darüber. Nein, ich brauche keinen Arzt. Puuuuh, davon gekommen. Ich glaubte noch nicht richtig daran, dass ich es bis zu meinem 18. Lebensjahr schaffen würde, aber erstmal war ich wieder davon gekommen.
Mit 16 hätte mein Wissen eigentlich genug sein müssen, um zu begreifen dass meine Ängste unangebracht sind. Ja, meine Brust war weiter gewachsen und diese Knoten waren immer noch da drin, waren mehr geworden, taten auch manchmal weh. Aber man erkrankt nicht als Kind an etwas wie Brustkrebs, das waren medizinische Fakten. Trotzdem betrachtete ich meinen Zustand unverändert panisch, die Furcht hatte sich über die Jahre einfach zu tief eingefressen. Niemand durfte meine Oberweite sehen oder berühren, und Ärzte vermied ich wo es nur ging.
Mit 18 Jahren stand ich an einem Freitag morgens halb 8 bei einer Frauenärztin auf der Matte. Ohne Termin, 4 Stunden im überfüllten Wartezimmer. Jetzt wollte ich das einfach mal wissen, ich hatte sowieso nicht mehr die geringste Lust zu leben. Nun konnte kommen, was wollte. Kurz vorher war ich aus der Psychiatrie entlassen wurden (in der ich aus ganz anderen Gründen gewesen bin), doch es ging mir keineswegs besser. Also, schauen wir mal. Ich sagte der Ärztin so locker wie möglich, dass ich wüsste, dass meine Bedenken unnormal seien, aber ich wollte mich mal untersuchen lassen wegen den Knoten und Schmerzen. Sie war sehr einfühlsam, beruhigte mich erstmal aufs Äußerste und meinte nach dem Abtasten, da könne aber ruhig mal ein Ultraschall gemacht werden. Dies ginge aber heute nicht, weil ich ohne Termin gekommen und die Zeit dafür nicht eingeplant war.
Einerseits hatte sie mich sehr beruhigt, andererseits hatte ich echt keine Lust darauf, mir reichte es eigentlich schon wieder. Ich sagte ihr, dass ich bald wegziehen werde und es dann dort machen lassen werde. Nach ein paar Monaten bin ich tatsächlich in eine andere Stadt gezogen und vereinbarte kurze Zeit später auch einen Termin dafür. Die Ärztin dort machte den besagten Ultraschall und es kam heraus, dass das Gewebe nicht so ganz in Ordnung war (Mastopathie /-dynie). Natürlich nichts schlimmes oder lebensgefährliches, aber ein bisschen belastend eben.
Einige Jahre später sagte mir ein anderer Arzt, dass man bei mir nicht gut feststellen könne, wenn ich tatsächlich einmal gut- oder bösartige Tumorknoten bekommen würde, wegen dem ohnehin schon verknubbelten Drüsengewebe. Na toll, dachte ich nur. Mir wurde eine Operation zur Reduktion vorgeschlagen, die nicht unbedingt nötig, aber entlastend wäre - ein Gedanke, den ich selbst auch schon hatte. Ich hätte das inzwischen auch schon längst durchführen lassen, wenn da nicht meine wahnsinnige Angst vor Vollnarkosen wäre. Dazu konnte ich mich bisher nie überwinden.
Als ich vor ein paar Jahren meinem Psychotherapeuten davon berichtete, wie ich all die Zeit in dieser tiefen Angst gelebt hatte, war sein erster Kommentar: Was haben Sie sich da bloß angetan? - Er konnte nicht begreifen, dass ich 8 Jahre lang geschwiegen und alleine innerlich damit gekämpft hatte. Ich weiß nicht mal, ob ich es heute anders machen würde.
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Kennt das eigentlich jemand von euch? Angst vor Krankheiten zu haben, aber die Panik vor möglichen Diagnosen und Behandlungen überwiegt alles? Es gibt ja Menschen, die bei Angst vor Krankheiten von Arzt zu Arzt laufen, aber gibt es sozusagen auch das Gegenteil?
Liebe Grüße
15.10.2012 06:17 • • 16.10.2012 #1
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