Ich kam mit einer Spastik meiner linken Körperhälfte zur Welt, und lernte so um mein drittes Lebensjahr schließlich das Laufen. Als Sechsjähriger erlitt ich kurz nach meiner Einschulung einen schweren Unfall, der zu einer schweren Kopfverletzung führte. Ich hatte Einblutungen ins Hirn und infolge dieses Unfalls über längere Zeit Hirnkrämpfe.
Mein Kopf blähte sich ballonartig auf, weil die Liquor nicht abfließen konnte. Die Ärzte prognostizierten mir eine nur kurze Lebensdauer.
Ein emsiger Hausarzt besorgte aus Amerika ein Mittel, das zu einer wesentlichen Veränderung führte.
Der Hirn-Innendruck ließ - wie die Krämpfe - spürbar nach, mein Wasserkopf bildete sich deutlich zurück, so dass ich im Alter von acht Jahren erneut eingeschult wurde.
Es war dem entschiedenen Widerstand meiner Eltern zu verdanken, dass ich nicht, wie es ihnen empfohlen worden war, in ein Krüppelheim geschickt, sondern in eine normale Volksschule eingeschult wurde. Ich durchlief die ersten vier Jahre ohne Probleme und erhielt als einer von vier Mitschülern die Qualifikation zum Besuch des Gymnasiums.
Dort wiederholte ich zwar einmal in der Unterstufe und auch noch einmal in der Oberstufe eine Klasse, erreichte aber die Allgemeine Hochschulreife. Zunächst hatte ich die Absicht, Pfarrer zu werden und belegte deshalb im Hauptfach Evangelische Theologie. Im Laufe des Studiums kamen mir Zweifel, ob ich mich mit meiner Studienwahl nicht zu sehr in allen Belangen meiner Kirche ausliefere. Deshalb belegte ich als Nebenfächer zusätzlich Deutsch und Geschichte und trat in den Schuldienst ein.
Viele Jahre unterrichtete ich Evangelische Religion an meiner Schule, deren Kollegium ich fast 34 Jahre angehörte.
Hier füge ich ein, dass ich neben meiner körperlichen Behinderung seit ziemlich genau meinem 17. Lebensjahr an teilweise schweren Depressionen mit deutlich suizidaler Tendenz litt. Meine Ärzte jedoch sahen die Ursache dieser Erkrankung eher in meinem Reflex auf mein körperliches Handicap.
So blieb die Depression lange unbehandelt. Ich lernte eine junge Frau kennen, verliebte mich in sie und im Alter von 25 Jahren heirateten wir. Ich hielt meine Depression für überwunden, zumal ich mit 27 zum ersten Mal Vater wurde. Ich, der Krüppel war Vater eines gesunden Kindes geworden. Nur 18 Monate später wurde ich Vater eines Sohnes.
Auch er war gesund.
Mir war zu spät aufgefallen, dass ich nicht so sehr die Kandidat der jungen Frau war, die ich geheiratet hatte, sondern ihrer Eltern, die mich wie einen Sohn aufnahmen und die offensichtlich davon überzeugt waren, ihrer Tochter könne nichts Besseres passieren als mich zu heiraten. Und sie förderten unser Ehe sehr.
Mein Schwiegervater, der mir ein väterlicher Freund wurde, starb kurz vor der Geburt unserer ersten Tochter. Nur anderthalb Jahre später kam unser erster Sohn zur Welt. Auch er trug nicht den körperlichen Makel seines Vaters.
Als sich unser drittes Kind ankündigte, kauften wir ein Haus. Meine verwitwete Schwiegermutter lernte noch ihr Enkelkind kennen und starb kurz danach. Mit ihrem Tod verbinde ich bis heute den Aufbruch meiner Ex-Frau. Plötzlich verkündete sie, sie könne nicht nur Mutter und Frau sein, sondern müsse etwas für sich tun.
Sie holte ihr Abi nach, was konkret für mich bedeutete, dass ich aus meiner Schule nach Hause kam, im fliegenden Wechsel die Kinder übernahm, während die Mutter zu ihrer Abendschule fuhr.
In der Tat machte sie ihr Abi, verkündete dann, sie wolle studieren. So verbrachte sie etliche Semester an der Uni, ohne jedoch einen Abschluss zu machen. Ich war 38, unsere älteste Tochter war ein verantwortungsbewusstes junges Mädchen und sie stand mir zur Seite, wenn ihre Mutter nachmittags zur Uni fuhr.
Langsam sah ich Land, als meine Frau mir mitteilte, dass sie nochmals schwanger sei. Dies, so hörte ich zu meiner Überraschung sei noch mal ein Kind für sie, nur zum Knuddeln.
Sie knuddelte nicht lange, sondern machte eine weitere Ausbildung, übernahm eine Stelle in einem mittelständischen Unternehmen, gehörte zur Führungsetage. Ich war Vater und Mutter in einem.
Unser Jüngster hatte seinen achten Geburtstag gefeiert. Kurz danach versammelte die Mutter uns im Wohnzimmer, um mir und den Kindern mitzuteilen, dass sie ausziehe und davon ausgehe, dass die Kinder bei mir blieben.
Schließlich verlangte sie den Verkauf des Hauses. Meine beiden Ältesten hatten inzwischen ihre eigene Wohnung bezogen und ich zog mit den beiden Jüngsten in eine Mietwohnung.
Unterhalt sah ich nie. Im Alter von 9 Jahren zog der Jüngste zu seiner Mutter, und sie stellte Unterhaltsansprüche für den Sohn.
Inzwischen meldeten sich meine Depressionen wieder. Ich war höchst suizidal und landete in der Psychiatrie.
Seit vier Jahren bin ich stabil, lebe in einem schönen 38qm Apartment mitten in der Innenstadt.
Eine Wahl habe ich nicht, ein Rückblick bringt mich in Gefahr. Ich kann nur nach vorne blicken und wünsche mir noch ein paar schöne Jahre. Mein Vater starb mit 81, meine Mutter ist 88 und macht noch die Gegend unsicher.
Wenn Ihr Fragen habt, fragt nur.
Danke fürs Lesen.
Schorsch
20.10.2014 12:02 • • 23.10.2014 #1