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Außerdem noch eine Frage habe ich vergessen: Was waren das für Familien, die du beraten hast? Was hast du ihnen geraten?
Hatten manche Kinder auch solche Ängste?

Hey Frittensauce,

erstmal erneut vielen Dank für die Ausführungen - ich kann verstehen, dass Du hier anonym bleiben willst und das ist auch völlig ok. Ich möchte mich auch für die verzögerte Antwort entschuldigen, aber ich habe beschlossen hier auf der Plattform etwas passiver zu werden.

OK - zu Deiner Geschichte: Für mich klingt das nach einer schweren Traumatisierung und ich würde Dir wirklich dringend empfehlen professionelle Hilfe anzunehmen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sonder im Gegenteil ein Zeichen der Stärke. Auf jeden Fall kann Dir durchaus geholfen werden, wenn Du die richtige Unterstützung für Dich findest. Allerdings denke ich auch, dass Dein Leidensdruck (was für mich danach klingt) so stark sein musst, dass Du diesen Schritt auch tatsächlich gehst.

Offensichtlich waren die Gewalterfahrungen ja durchaus heftig, denn sonst hättest Du ja kein Krankenhaus benötigt. Natürlich machen solche Erfahrungen auch etwas mit unserer Psyche. Dazu kommt, dass Deine Familie eine Fluchtgeschichte hat (wurde nicht beschrieben, ich schließe das aus den Schilderungen!). Du wurdest aber in Deutschland geboren - bist also vollständig hier aufgewachsen, wenn ich es richtig verstehe? Je nachdem in welcher Generation Du lebst, kann das durchaus trotzdem starken Einfluss auf Dich und Deine Entwicklung gehabt haben. Dafür kenn ich Dich aber zu wenig und weiß auch zu wenig.

Ich empfehle auf jeden Fall Unterstützung zu suchen.

Alles Liebe,
Martin

A


Angstgedanken = Zwangsgedanken?

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Vielen Dank. Fühl dich bitte nicht genötigt mir zu antworten wenn du weniger schreiben möchtest.
Ich bin als kleines Kind nach Deutschland gekommen. Aus einem anderen Land, nicht Libanon. Meine Familie stammt ursprünglich aus dem Libanon.
Ich weiß natürlich, dass der Libanon Traumata erlitten hat. Ein komisches Gefühl. Auch wenn man darüber nicht bewusst nachdenkt, verändert es einen sicherlich unterbewusst.
Die Libanesen sind fröhliche Menschen, aber sie wissen, dass man auf nichts vertrauen kann.

Einige Leute sagen auch, dass Deutschland sich in die gleiche Richtung entwickelt wie der Libanon früher. Es beunruhigt mich.

Hey Frittensauce,

vielen Dank für Deine Rückmeldung. Keine Sorge, ich würde weniger schreiben, wenn es sich nicht ausginge. Ich nehme mir diese Zeit aber durchaus bewusst. Dennoch muss ich entschuldigen, wenn sich Beiträge von mir etwas verzögern, denn ich bin auf dieser Plattform nicht mehr so oft online.

Ich kenne mich jetzt nicht so gut aus mit dem Libanon, aber gerade in dieser Gegend hat es garantiert Vorfälle gegeben die zu starker Traumatisierung geführt haben. Nicht umsonst sind viele Menschen von dort geflüchtet. Man verlässt ja in der Regel seine Heimat nicht grundlos und zum Spaß. Was Du beschreibst ist sicher wahr. Ich habe lange Zeit im Familiendienst geflüchtete Familien betreut und wenn die Eltern ein Trauma erlitten, dann ist es zwangsläufig so, dass auch die Kinder Sekundärtraumatisierungen erleben.

Kann es sein, dass das auch auf Dich zutrifft? Dass auch Du glaubst, man kann niemandem trauen?

Naja - wo Mitteleuropa sich derzeit hinentwickelt - ich denke das kann niemand so sehr beurteilen. Wir leben in verrückten Zeiten, aber da geht es uns ausnahmsweise wirklich allen gleich.

Alles Liebe,
Martin

Ja, manchmal glaube ich, dass ich keinem wirklich trauen kann - außer vielleicht meiner Familie. Ein Gefühl, mehr nicht. Ich weiß, dass eigentlich die meisten Leute vertrauenswürdig sind.
Dadurch, dass ich Gewalt erlebt habe, hat sich es verstärkt. Ich habe jetzt oft Angst vor Männergruppen. Ich versuche mir zu sagen, dass das mein Gefühl ist und nicht die Realität. Ich versuche diese Angst zu bekämpfen ohne die Situation zu verlassen: dadurch dass ich meine Kapuze hoch ziehe, in der Straßenbahn auf mein Handy gucke oder mit Ear-Buds Musik höre. Wie findest du diese Strategie?

Welche Erfahrungen haben Kinder, die du betreut hast, gemacht? Wie haben sie sich gefühlt?

Ich habe über die Kapuzen-Strategie in einem anderen Forum gesprochen. Sie fanden sie nicht so gut. Die meinten ich solle lieber richtig atmen, leider aber diese Atemtechnik habe ich noch nicht gelernt.
Ich habe Schwierigkeiten mich zu entspannen oder anders gesagt: ich bin meistens gestresst und angespannt. Ich weiß aber dass das vielleicht nur meine libanesische Seite ist, verstehst du? Ich habe keine multiple Persönlichkeit. Jeder Mensch hat verschiedene Seiten.
Vielleicht ist dir ja mal aufgefallen, dass einige Libanesen bei Personen außerhalb ihrer Familie sehr wachsam sind. Woher kamen die Kinder, die du betreut hast?
Sie sind bei Personen außerhalb der Familie angespannt aber überspielen es durch Coolness. Zumindest reden sie sich ein, dass niemand etwas merkt. Natürlich nicht alle.

Als ich dieses negative Erlebnis hatte, war in einer Gegend, vor der mich andere gewarnt haben. Ich habe ihnen nicht geglaubt. Sie hatten Recht. Ich hatte Unrecht. Nicht wachsam genug gewesen.
Ich habe nicht aufgepasst. Die erste Reaktion von meiner libanesischen Seite: "Du musst von jetzt immer aufpassen. Du siehst was sonst passiert. Du bist wertlos und hast keine Ehre". Meine deutsche Seite antwortet: "Halt die Fresse. Niemand will dich hier" und dann sagt die libanesische Seite "Recht habe ich trotzdem" und ich denke "Ich höre dir nicht zu. Geh einfach weg. Ich versuche jetzt mich zu entspannen. Ich traue den Leuten in der Straßenbahn zu, dass sie mich nicht zusammenschlagen wollen. Der Mann, der mir entgegenkam, hat nur zu böse geguckt, weil er einen schlechten Tag hat. Es hat nichts mit mir zu tun. Und so weiter". Ich habe weder eine multiple Persönlichkeit noch höre ich Stimmen. Wie jeder Mensch habe ich mehrere Seiten.

Ich habe übrigens inzwischen mich meinem Vater anvertraut. Er hat perfekt reagiert. Trotzdem hat es weh getan und mich nicht erleichtert. Vielleicht braucht es Zeit. Er hat mir verraten, dass er früher auch psychische Probleme hatte. Es hat weh getan.

Hey Frittensauce,

also zunächst mal zu Deiner ersten Nachricht kurz:

Ich finde die Strategien aus psychologischer Sicht auch eher bedenklich, denn sie zeigen ja nur dass Du Angst hast. Bei Angst können wir evolutionstheoretisch kämpfen, flüchten oder uns todstellen. Die meisten Menschen in der heutigen Zeit verwenden eine dieser Strategien. Kämpfen natürlich nicht wirklich, sondern sind dann sehr unhöflich. Die beiden letzten sind sehr häufig vertreten und die verwendest auch Du mit Deiner Strategie. Da ich mich genau auf dieses Thema spezialisiert habe, bin ich da kein Fan davon, denn ich weiß selbst wie es ist, wenn man sich diesen Ängsten stellt und sie erfolgreich bewältigt. Es gibt kein besseres Gefühl und Du wirst Dich durch nichts stärker weiterentwickeln als durch Bewältigung Deiner Ängste.

Wie gesagt - die Kinder die ich betreut haben, hatten aufgrund von Fluchterfahrungen ihrer Eltern Sekundärtraumatisierungen, d.h. sie haben dieselben Symptome wie bei einer Traumatisierung durch ein Kriegsverbrechen, Vergewaltigung, etc. nur dass diese Symptome weniger stark ausgeprägt sind - kannst aber bei Interesse einfach mal googlen.

Wir hatten Familien von Ländern aus der ganzen Welt, aber hauptsächlich Afgahnistan, Parkistan, Syrien, Türkei.

Zur zweiten Nachricht:

Was Du schreibst ist für mich absolut nachvollziehbar. Gerade auch was eine eigene Diagnose angeht (multiple Persönlichkeit) würde ich das vielleicht einem professionellen Diagnostiker überlassen. Natürlich hat kein Mensch eine psychische Erkrankung nur weil er verschiedene Stimmen im Kopf hat - im Gegenteil. Bei Dir kommt erschwernd dazu, dass Du eine duale Identität als Libanese und Deutscher hast. Hier sind zwei häufig total konträre Wertesysteme am Werk und deshalb eine komplett andere Sozialisierung. Natürlich wägen sich diese Stimmen gegeneinander ab.

Ich finds super, dass Du Dich Deinem Vater anvertraut hast und ich hoffe er hat Dir das angebot gemacht Dich zu einer Therapie zu begleiten. Ich lese einfach aus Deinen Beiträgen raus, dass es für Dich wichtig wäre professionelle Unterstützung zu erhalten. Das ist auch nicht weiter tragisch - Du hast bestimmt keine Störung. Dennoch glaube ich aufgrund Deines Verhaltens sagen zu können, dass Unterstützung angezeigt und wichtig für Dich ist. Du hast einiges hinter Dir und einiges durchgemacht und ich kann hier leider keine Ferndiagnose geben - dafür weiß ich einfach zu wenig und kenne Dich auch zu wenig. Zum sollte Vertrauen im persönlichen Kontakt mit jemand für Dich passenden erarbeitet werden. Du hast ja bereits selbst erwähnt, dass Du hier bist, weil Du anonym sein möchtest.

Alles Liebe,
Martin

Ich bin inzwischen froh mit meinem Vater geredet zu haben. Ich fühle mich dadurch entspannter.
Es wäre schön, wenn mein Vater mich zu dem Therapeuten begleiten könnte. Würde für mich einfacher machen dem Therapeuten von meinen Ängsten zu erzählen. Ich bin wegen dem "Nebensymptom" in Therapie. Er weiß nichts über die Ängste.

Über Unterstützung von dem Therapeuten würde ich mich freuen, denn ich glaube das meine Sichtweise falsch ist. Ich glaube, dass die Welt nicht sicher ist, weil ich mich so fühle, aber das Gefühl ist falsch. Ich muss besser lernen dem Gefühl zu sagen, dass es lügt.

Findest du, dass Kapuze hochziehen eine Flucht ist? Eigentlich würde ich weglaufen wollen, aber ich zwinge mich in der Situation zu bleiben. Ohne solche kleinen Tricks kann ich nicht in der Situation bleiben.

Vielen Dank, dass du mir zugehört hast.

Hey Frittensauce,

warum fragst Du dann Dein Vater nicht einfach ob er Dich begleitet? Jetzt habt ihr ja sowieso schon darüber geredet also müsste dieser Schritt auch noch drin sein, nicht?

Was meinst Du mit Nebensymptom?

Nein falsch ist Dein Gefühl nicht - es gibt keien richtigen oder falschen Gefühle! Unser Gefühl entsteht in erster Linie durch Gedanken die unser Hirn denkt und das ist abhängig von den Situationen die wir in Summe in unserem Leben erlebt haben. Also versuche Dein Gefühl als das zu akzeptieren was es ist - ein Teil von Dir - das wird Dein Therapeut Dir auch nicht anders sagen. Aber ich verstehe was Du damit ausdrücken möchtest und das ist ok. Du würdest gerne dieses Gefühl ändern und das ist die gute Nachricht: das ist durchaus möglich!

Naja - zumindest stellst Du Dich der Situation ja so auch nicht vollständig. Wenn das aber die einzige Möglichkeit ist in der Situation zu bleiben, dann akzeptiere diesen Umstand für jetzt und versuche für die Zukunft daran zu arbeiten. Ich kenne solche Verhaltensweisen bestens um mit Situationen klar zu kommen. Wenn die Angst noch zu groß ist, ist es auch durchaus ok, wenn Du diese weiter anwendest. Dennoch würde ich daran arbeiten, denn im Grunde genommen ist es nichts anderes als Ausfluchtsverhalten. Klar bleibst Du in der Situation, aber immer auch mit einem Schutzpanzer um Dich.

Kein Problem, dafür bin ich da - das ist mein Job!

Alles Liebe
Martin





Dr. Matthias Nagel
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