Löwenmäulchen
ich bin neu in diesem Forum (lese aber seit ca. 1 Jahr still mit) und möchte mich ganz kurz vorstellen. Bin weiblich, 41 und bin vor etwa anderthalb Jahren heftig an meiner Angststörung erkrankt, wobei ich vorher schon immer mal wieder (vorzugsweise im Winterhalbjahr) hypochondrische Anwandlungen hatte. Die Krankheitsängste, die viele in hier beschreiben haben, kenne ich alle, hatte schon fast jeden Krebs, HIV, Schlaganfall, Herskapser usw. usw.. Anfang letzten Jahres dann habe ich den Leidensdruck nicht mehr ausgehalten - das Leben drehte sich nur noch um Krankheiten, Arztbesuche, und alles, was mir zuvor Spaß gebracht hatte, machte mir nun keinen mehr. Lange Rede kurzer Sinn: ab zum Psychiater, Diagnose Depression/Angststörung (was zuerst da war, lässt sich nicht feststellen). Medikament: Venlafaxin, parallel Suche nach einem Therapieplatz zum Beginn einer Verhaltenstherapie. Ich hatte Glück und habe 2 Monate später einen Platz gefunden, da ging es mir durch die Tabletten schon besser.
Warum schreib ich nun hier?
Ich lese ja schon seit langem mit, was meine Leidensgenossen so bewegt, kenne das alles aus eigener leidvoller Erfahrung...und wenn ich heute so auf letztes Jahr zurückblicke, kommt mir das vor, als wäre es auf einem anderen Planeten passiert, so abgefahren kommt mir das heute vor. Ich dachte daher, ich kann vielleicht ein paar von euch, denen es noch nicht so gut geht, ein bisschen von meinem Erfahrungsschatz mitgeben und ein bisschen Mut machen, auch ermutigen, gegen den Hypochonder in sich anzugehen - zumal es mir immer ein Trost war, dass es dieses Forum gibt und ich gesehen habe, dass ich mit dem Müll, der sich in meinem Kopf so abgespielt hat, nicht alleine bin.
Folgendes, was ich in der Therapie (die noch andauert) gelernt habe, hat mir SEHR geholfen, und vielleicht kann es dem einen oder anderen von euch auch ein wenig von Nutzen sein:
- Krankheitsprotokoll: ich sollte alles aufschreiben, was mich geplagt hat und von dem ich meinte, es sei jetzt wieder mal eine tödliche oder sonstwie geartete Krankheit, dazu dann die Gedanken notieren, warum ich das meine. Effekt: nach ein paar Wochen wurde das Aufschreiben weniger. Warum? Ich hab gesehen, dass sich das echt irgendwann alles wiederholt hat, und ich lebte immer noch! Die ganze Absurdität und die Endlosschleife meiner (vermeintlich) wahrgenommenen Symptome hatte ich schwarz auf weiß, der Geöhnungseffekt war erheblich.
- Nie wieder Dr. Google! - Ich gehörte auch zu denen, die jeden Dreck gegoogelt haben und dann natürlich todkrank waren. Leider sickert das ganze ja auch noch ins Gehirn und bildet dann einen schönen Filter, durch den jedes blöde Symptom durchfließt und natürlich immer Anzeichen einer tödlichen Krankheit ist. Was war das Gegenmittel? Ganz einfach, NICHT MEHR GOOGELN....hörte sich leicht an, war aber gar nihct so einfach, denn der Impuls war immer da und es juckte gewaltig in den Fingern...Methode: einen Zettel an den PC hängen mit Gegenmaßnahmen - bei mir stand: Vor Krankheitsrecherche PC ausmachen! Aufstehen und was anderes machen! Googlen macht krank! Effekt: tatsächlich verschwand der Impuls zur Recherche nach 15-20 Minuten, genauso wie die Angst - ich hab sie 'ausgesessen'. Das funzt natürlich nicht sofort, aber wenn man sich daran hält, geht es wirklich besser! Seitdem recherchiere ich GAR NIX MEHR in Google, was mit Krankheit zu tun hat, auch wenn ich manchmal schon noch den Impuls verspüre - ich gebe ihm aber nicht mehr nach.
- Keine Arzttermine zur Beruhigung - Hing letztes Jahr auch ständig bei Ärzten rum, um mir die jeweiligen Symptome abklären zu lassen, schätze, das kennen die meisten von euch. Ist aber genau falsch, wie mein Therapeut mir erklärt hat: man versucht, sich bei Ärzten Beruhigung und einen gesundheitlichen Persilschein zu holen, d.h Unsicherheiten beseitigen zu lassen - ein Leben in kompletter Sicherheit gibt's aber nicht! Man 'belohnt' außerdem seine Ängste mit diesen Arztbesuchen (also wenn er sagt alles ok) und wiederholt das dann ständig, weil man sich eben Beruhigung und Sicherheit verspricht. Bei mir das zumindest so, und seit diesem Jahr nun sind mir Arztbesuche total lästig, ich mache nur noch das, was ich machen muss, und ansonsten lass ich es sein - ein Wunder Im Übrigen war es bei mir auch immer so, dass das einen halben Tag trug, und dann kamen die Zweifel....wenn er nun was übersehen hat....ist ja möglich...und es ging von vorne los (aber mit was anderem). Was das an Lebenszeit frisst...
- Überlegen von Alternativen - Ich sollte aufschreiben, welches Symptom mich plagt, was ich denke, was es ist (also was Schlimmes) und dann überlegen, welche Alternativen möglich sind; außerdem, was spricht für und gegen die Alternative. Ergebnis war, dass IMMER alles für die Alternative sprach und nie etwas für eine schlimme Krankheit. Ich habe dadurch auch gelernt, einfach mal abzuwarten, wie sich so ein 'Symptom' entwickelt und ob ich es am nächsten Tag noch hab - was natürlich so gut wie nie der Fall war.
- Kein Checking mehr (kein Kontrollieren)! - Gehör(t)e auch zu denen, die oft ihren Puls gemessen haben, an der Brust rumtasten oder meine Beine nach Verdickungen untersuchen usw.. Das ging soweit, dass das ein echter Automatismus wurde. Aufgabe war und ist, das Checking zu unterlassen, denn dadurch schafft man sich meistens noch mehr Probleme, weil das ja auch ein Zeichen für verstärkte Aufmerksamkeit ist - und wo die ist, hat man immer was. Das war schwer für mich, aber ich hab es bis heute ganz gut hinbekommen (von gelegentlichen Rückfällen abgesehen), und es ist wirklich so, dass man nichts mehr spürt, sobald die Aufmerksamkeit abgelenkt ist. Binsenweisheit, aber wahr.
- Hilfreiche Sprüche notieren und im Haus verteilen - bei mir waren das Gedanken wie Gesundheit bedeutet nicht die Abwesenheit von Symptomen, Das ist ein reines Wahrnehmungsproblem!, Wenn Du in einem Loch sitzt, hör als erstes auf zu graben! oder eine Art ironische Distanzierung von sich selber a la Na Frau XY, wieder mal sterbenskrank, wie?...kann man ja individuell machen. Bei mir hat ersterer Spruch sehr viel bewirkt, der hat meinem Therapeuten auch sehr gefallen.
Das waren mal die wesentlichsten Dinge, die mir aus meinem Loch geholfen haben, vielleicht können sie dem einen oder anderen ja von Nutzen sein (auch wenn es jetzt ein halber Roman geworden ist - sorry dafür! ).
Möchte aber allen Mut machen zu kämpfen, denn was man an Lebensqualität zurückgewinnt, lohnt sich allemal und ist doch enorm!
Liebe Grüße an alle Leidensgenossen
Löwenmäulchen
25.03.2014 13:03 • • 26.03.2014 x 8 #1