Hallo Vana05,
Deine Anfrage zeigt, dass Du die Zusammenhänge bei der Entstehung und bei der Aufrechterhaltung von Ängsten schon sehr gut durchschaust. Ich glaube sogar, dass Du insgeheim die Antwort auf Deine Frage schon selbst kennst. Oder täusche ich mich da?
Solange Du einen Notfallplan im Hinterstübchen hast, traust Du Dir selbst noch nicht wirklich über den Weg, mit den entsprechenden angstauslösenden Situationen wirklich fertig zu werden. Noch immer fürchtest Du, dass etwas ganz schlimmes passieren könnte, mit dem Du nicht fertig werden kannst. Damit bestätigt Dein Notfallplan insgeheim, dass Deine Ängste weiterhin gerechtfertigt sind. Warum sollte Dein Gehirn dann etwas anderes tun, als sie auch auszulösen, denn Ängste dienen ja zum Schutz bei wirklichen und ernsthaften Gefahren. Sie sind ja nur sinnlos und schädigen, wenn sie auf keine wirkliche Gefahr hinweisen, also irrationalen Annahmen und übertriebenen Katastrophenerwartungen folgen.
Notfallpläne sind deshalb auch immer der Versuch, irrationale (also keine berechtigten und sinnvollen !) Ängste loszuwerden, ohne sich ihnen wirklich stellen zu müssen. Sie sind damit die Vorbereitung auf Flucht aus der Situation bzw. bereits eine Vermeidungsstrategie im Vorfeld.
Ich möchte Dir das noch an einem anderen Beispiel klar machen: Bin ich mit einem Problem konfrontiert, das bei mir Stressreaktionen auslöst (ganz normal !) und ich glaube aber grundsätzlich, dass ich schon irgendwie eine Lösung finden werde, ich vertraue also mir und meinen Fähigkeiten (= Kompetenzvertrauen), dann stellt die Konfrontation mit dem Problem eine Herausforderung dar (= positiver Stress i.S. von Anspannung, Aufregung, Motivation).
Vertraue ich mir nicht, dann stellt das Problem eine Gefahr für mich und mein Selbstwertgefühl dar und löst Angst aus (= negativer, belastender Stress). Ich suche nach Flucht- und Vermeidungsmöglichkeiten.
Nun kommt mein ABER zu Deiner Anfrage: Du wirst deine Angst letztendlich nur dann ganz überwinden und neues Kompetenzvertrauen erwerben, wenn Du Deinen Notfallplan ad acta legst. ABER: wir sind keine rein rationalen Maschinen und treffen deshalb immer wieder auch mehr emotionale Entscheidungen. D.h. Du kannst immer entscheiden, mit welchem Grad an Angst Du leben kannst und welche Sicherheit Du glaubst, zu brauchen, mit der Du dann auch zufrieden bist. Nicht jeder muß seine Angst vor dem Fliegen überwinden, wenn es ihn und sein Leben nicht maßgeblich einschränkt. Ein gewisses Maß auch an irrationalen Ängsten gehört nun mal zu uns Menschen dazu.
Und es gibt noch einen weiteren Punkt: natürlich kannst Du immer auch schrittweise vorgehen. Und wenn Du es schon schaffst, mit einem Notfallplan im Gepäck, wieder aus dem Haus zu gehen, Deine Freiheit zu erweitern, zufriedener und glücklicher zu sein als vorher, dann ist es natürlich ganz in Ordnung, den Notfallplan so lange zu behalten, wie Du es für richtig hältst. Notwendig ist er keinesfalls !, aber für eine Weile hilfreich für Dich individuell - das kann er sein. Wichtig ist nur, dass Du weisst, das Du die unberechtigte und unsinnige Angst nur wirklich überwinden kannst, wenn Du Dich ihr ganz, mit Haut und Haaren, stellst und Dir beweist, das Du selbst Dein Leben bestimmst und Dich nicht von einer Angst, die Ihre Schutzfunktion verloren hat, bestimmen lässt. Das mag nicht immer ganz gelingen, aber ein Ziel kann es sein.
Ich habe jetzt ziemlich viel geschrieben, weil ich bei bestimmten Grundsatzfragen wie der Anfrage von Dir hoffe, dass ich damit auch andere Betroffene erreiche, die diesen Beitrag lesen. Ich hoffe, Du kannst für Dich etwas damit anfangen und das Gesagte in eine konkrete Hilfe für Dich selbst umwandeln.
Herzliche Grüße
Bernd Remelius