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Hallo Expertenteam,

ich habe bereits ein Forum unter Angst und Panik eröffnet. Unter Benutzername: grawil. Ich würde gern Eure proffesionelle Meinung dazu hören. Danke im voraus, grawil

04.06.2009 22:03 • 08.06.2009 #1


2 Antworten ↓


Hallo, ob Agoraphobiker oder deren Angehörige!
Ich möchte Euch erst einmal meine Situation schildern und Euch dann bitten mir ein paar Tipp´s oder Erfahrungen mitzuteilen.
Meine Frau-eigentlich meine Lebensgefärtin, aber Frau schreibt sich einfach kürzer, leidet seit ihrer Kindheit unter Angstzuständen. Wir haben uns vor über 10 Jahren kennengelernt und sind jetzt beide 39 Jahre alt. Sie hat es ganz gut verstanden, ihre Angst/Panik zu verstecken, bzw. war sich zu diesem Zeitpunkt ihrer Erkrankung noch nicht voll bewusst. Nach einjähriger Partnerschaft kam dann unser gemeinsamer Sohn zur Welt. Ich war zu diesem Zeitpunkt beruflich sehr engagiert. Die Situation meiner Frau verschlechterte sich aber zusehends. Ihr Bewegungsradius schränkte sich immer mehr ein und es fiel ihr immer schwerer die alltäglichen Dinge des Lebens zu bewältigen. Ich gebe mir sicherlich auch hier eine Mitschuld, nicht rechtzeitig die Notbremse gezogen zu haben. Aber aus Unwissenheit habe ich ihr viele Dinge abgenommen und sie so zu einem immer unselbstständigerem Leben erzogen. Die typische Spirale einer Angsterkrankung unter Mitwirkung von Angehörigen! Mittlerweile stellt sich unsere Situation wie folgt dar: Meine Frau ist aufgrund ihrer Agoraphobie verrentet und das nach 3maliger Verlängerung auf unbestimmte Zeit. Ich habe meine Berufstätigkeit aufgegeben, um sie bei der Bewältigung ihrer Agoraphobie zu unterstützen. Dabei muß ich hinzufügen, daß es in unserer Region aussichtslos ist, professionelle Unterstützung in Form einer Psychotherapie zu erhalten und wir gezwungen waren nach dem Motto zu verfahren Hilf dir selbst, so ist dir geholfen!. Wir haben uns massenweise Lektüre besorgt, im Internet recherchiert, telefonisch mit Psychotherapeute oder Selbsthilfegruppen gesprochen, täglich geübt-und das machen wir immer noch, aber den richtigen Durchbruch hat es nicht gebracht. Das Hauptproblem, welches in der letzten Zeit entstand, ist, daß durch all unserer gemeinsamen Aktivitäten eine emotionale Abhängigkeit begründet wurde. Meine Frau bewältigt zwar wieder viele längst nicht mehr erreichte Dinge wie z.B. Arztbesuche oder Einkäufe, aber sie schafft es nur mir mir und sie kann nicht mehr allein sein. Es hat sich alles auf uns zwei fixiert und ich haben sämtliche Freiheiten verloren. Das schränkt mich extrem ein. Wie kommt man aus so einem Teufelskreis heraus, ohne den anderer zu verletzen? Wenn ich mit meiner Frau darüber spreche, lautet ihre Antwort stets: Ich kann dich nicht zwingen bei mir zu bleiben-enweder du akzeptierst es oder du gehst-es ist deine Entscheidung! Ich möchte sie aber auf der einen Seite nicht verlieren, aber auf der anderen Seite weiß ich auch,daß es so auf Dauer nicht weitergehen kann. Ein zusätzliches Problem ist bei uns auch die Sexualität. Meine Frau ist der Meinug, daß sie ihrer Sexaulität erst mit der Überwindung ihrer Angst wieder ausleben kann. Da ihre Angsterkrankung aber schon eine ganze Weile dauert, ist bei mir langsam der Notstand ausgebrochen. Ich habe keine berufliche Anerkennung mehr, meine Hobbys liegen auf Eis und eine Anerkennung als Mann innerhalb einer Beziehung erhalte ich auch nicht. Langsam bin ich wirklich am Ende! Wie macht man in so einem Fall weiter??

Hallo grawil,

ich finde gut, dass Du einen solchen Aufruf um Erfahrungen anderer machst und versuchst, Dir so mehr Orientierung und Hilfe zu holen. Aber bitte - solche Aufrufe direkt in den Foren für Betroffene, nicht hier im Expertenforum.

Und noch einen Hinweis an diejenigen, die Deinen Aufruf hier im Expertenforum lesen: bitte hier keine direkten Antworten darauf, sondern nur in einem der Foren für Betroffene !

So, nach diesen Vorbemerkungen nun zu Deiner Anfrage auch eine Antwort von mir:
Deine Situation, besser eure Situation, ist stark eingefahren und Euer Leben hat sich scheinbar um diese Erkrankung Deiner Frau herum etabliert und eine zentrale Funktion eingenommen.
Mir erscheint es auch so - aus Deiner Schilderung - dass sich Deine Frau besser damit arrangiert hat als Du - und Du einen größeren Preis für Dein eigenes Leben und Deine Lebensqualität zu zahlen hast, als dies bei Deiner Frau zu sein scheint. Das ist kein Vorwurf an irgend jemand, sondern nur Feststellungen aus einer weretfreien Analyse von Zusammenhängen heraus und durchaus aus der Sicht jeden Betroffenen auch erklärbar und verständlich. Trotzdem erscheint mir die Situation so wie geschildert.

Das würde aber bedeuten, dass eine Veränderung dieser Situation, wenn man das Ganze als System begreift, wo sich die Teile gegenseitig beeinflussen, Deine Frau mehr kosten würde als Dich (Auseinandersaetzung mit der Angst, unangenehme Konfrontation, wieder mehr Eigenverantwortung übernehmen müssen, Bindung zwischen Euch lockern - mit welchen Konsequenzen? usw.)
Du kannst im Moment also davon ausgehen, dass bei Deiner Frau unbewußt wenig Motivation entstehen kann, etwas an der Situation zu ändern.

In vielen Beziehungen haben solche Angstmechanismen auch die eigentliche positive Beziehung und Bindung (auch die sexuelle) ersetzt und festigen die Beziehung in einer anderen Art und Weise.

Deshalb kann es oft sinnvoll sein, zuerst die Beziehung in den therapeutischen Fokus zu stellen (z.B. im Rahmen einer systemischen Partnerberatung) - mit der zentralen Frage: welche Funktion haben die Ängste und die darum entstandenen Beziehungsmuster für unsere Beziehung ? und was vermutet jeder, was passieren würde, wenn die Ängste plötzlich nicht mehr da wären? wie wäre dann unser symptomfreies Leben ganz konkret ?

Erst dann kann m.E. Motivation entstehen, auch die eigentlichen Angstprobleme anzugehen. Die sollten nach so langer Zeit dann aber professionell behandelt werden - in einer spezialisierten Klinik oder in einer Intensivbehandlung - etwa wie sie von der Dornier-Stiftung häufig durchgeführt wird (http://www.christoph-dornier-stiftung.de/index.php?id=25)

Und jetzt muß ich Dir noch etwas mit auf den Weg geben, an dem Du zu knappern haben wirst: Es kann durchaus möglich sein, dass eine Motivation für eine Veränderung erst dadurch geschaffen werden kann, wenn ein Partner aus diesem pathologischen Beziehungsmuster aussteigt oder den anderen damit ernsthaft konfrontiert - ähnlich wie man dies bei Süchtigen oder auch depressiven Menschen kennt. Denn dass Deine Frau das ernst meint, dass Du ja gehen kannst, wenn Du willst, glaubst Du hoffentlich selbst nicht. Diese Vermeidungsstrategien werden nur so lange verfolgt, bis der Betroffene erkennt, dass es der Partner wirklich ernst meint.

Und ganz nebenbei - hier geht es natürlich auch um Dein ganz persönliches Leben, von dem Du nur eines hast. Du kannst Deiner Frau Hilfe und Unterstützung anbieten, von der Du ihr ja schon reichlich gegeben hast - aber das heißt nicht, dass es sinnvoll ist, das eigene Leben aufzugeben. Auch Du bist kein Opfer, sondern Akteur in Deiner Beziehung. Und gut getan - zumindest in Beziehung auf die Überwindung der Ängste - hat Euer jahrelanges Muster auch Deiner Frau sicherlich nicht !

Ich wünsche Euch - von Herzen - in Eurer schwierigen Situation, dass Ihr einen Weg gemeinsam oder jeder für sich findet, ohne dass es zum Schluß nur Verlierer gibt. Es gibt immer eine Chance auf Veränderung - wenn alle Beteiligten dies auch wollen - wirklich wollen und nicht nur oberflächlich verbal als unverbindliche Absichtserklärungen.

Herzlichen Gruß

Bernd Remelius




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