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Da meine Ängst wieder deutlich mehr geworden sind, beschäftige ich mich auch wieder viel mit Literatur zum Thema.
Dabei bin ich auf etwas gestoßen, wofür ich noch keine Erklärung habe.

Angeblich soll die Angst uns ja auf etwas hinweisen. Auf einen Zustand, eine Lebensbereich, der nicht richtig funktioniert bzw. in dem wir uns nicht wohl fühlen. Auf Situationen, die wir so eigentlich nicht wollen usw.

Doch wie merke ich, welcher Bereich das ist? Wie merke ich, was in meinem Leben ich ändern müsste, damit die Angst vergeht?

Kann mir da jemand weiterhelfen

Vielen Dank
allegra

19.07.2010 18:59 • 14.03.2019 #1


11 Antworten ↓


Hi,

es gibt im Prinzip zwei Bereiche, bei denen du ansetzen kannst: Einmal richtige Stressoren, die sich wahrscheinlich leicht identifizieren lassen. Bei genauem Hinschauen merkt man ja doch, wenn einen etwas mitnimmt - Familie, Freundeskreis, Beruf, eigene Einstellungen. Zum Stress gehören u.U. auch die lieben Gewohnheiten wie zu wenig Schlaf, Missachtung körperlicher Bedürfnisse (Bewegung, Essen z.B.) etc. Der andere Bereich ist schwieriger, das sind die so genannten Krankheitsgewinne. Vielleicht erspart dir die Angststörung eine andere, existenziellere Angst, vielleicht eine klare Entscheidung. Vielleicht ist die Angst ein guter Grund, weniger mit anderen zu konkurrieren (und trotzdem vor sich selbst gut dazustehen). Versuch's mal mit der Wunderfrage: Wie sähe dein Leben aus, wenn wie durch ein Wunder die Angst weg wäre? Wenn da Dinge auftauchen, die du eher tun musst als dass du darauf brennst, sie tun zu wollen, dann solltest du genau dort genauer hinschauen.

Liebe Grüße
Christina

A


Sinn der Angst?

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wie meinst du das genau christina......?
den genau das frage ich mich auch immer...was family angeht sind mir da einige sachen bewusst und bin auch dabei dran zuarbeiten....aber das letztere hab ich net wirklich verstanden

Hallo Jadi,

im Prinzip geht es darum, dass die Psyche und davon i.d.R. das Unbewusste versucht, uns vor unangenehmen Dingen zu bewahren. Und da können auch Dinge dabei sein, die wir als selbstverständlich, wünschenswert oder vernünftig betrachten. Im Alltag ist das dann der innere Schweinehund - Sport mag ja noch so gesund und vernünftig sein, aber jetzt und gleich und überhaupt viel zu anstrengend... Mit der Angst ist es nicht anders, nur dass die Psyche damit ein schweres Geschütz auffährt. Hypothetisch und allgemein ist das natürlich schwer zu erklären. Ich glaube, man muss sehr konkret schauen, was würde es mich kosten, keine Angststörung mehr zu haben. Auf den ersten Blick erscheint das unsinnig, denn natürlich ist das Leben ohne die Angst leichter und schöner. Und dass vielleicht ein anderer die Einkäufe für einen macht, kann's ja wohl nicht sein. Das ist eine kleine Bequemlichkeit, die die Krankheit mit sich bringen kann, als wirklicher Krankheitsgewinn reicht das aber nicht. Da würde ich eher nach grundsätzlichen Dingen suchen, die den Selbstwert betreffen oder die grundlegende Autonomie oder so etwas wie Selbstverwirklichung. Ich versuch's mit Beispielen...

Ein gewisser Perfektionismus ist unter Angstbetroffenen ja weit verbreitet. Ich habe z.B. sehr hohe Leistungsstandards. Wenn ich gesund bin, neige ich dazu, diese Standards zu erfüllen - auch wenn ich dann rund um die Uhr mit Dingen beschäftigt bin, die mir weder gefallen noch gut tun. Diese Denkweise ist tief verwurzelt in meinen Werten und Einstellungen. Meist fällt sie mir nicht einmal auf und wenn sie mir auffällt, ist es schwierig, dagegen anzugehen. Mit der Angst kann ich diesen Standards nicht entsprechen. Die Angst ist Schutz vor (Selbst)Überforderung und erspart es mir gleichzeitig, mein Selbstbild geradezurücken - nach dem Motto: eigentlich könnte ich ja ganz toll sein, wenn die Angst nicht wäre . Kosten meiner Heilung: Entweder ich mache weiter wie früher und überfordere mich (= ungesund und unangenehm) oder ich lerne, meine Mittelmäßigkeit zu akzeptieren (= fühlt sich auch nicht so toll an).

Es könnte der Job sein. Wenn der völlig falsch ist (weil man statt im Büro zu sitzen immer schon lieber draußen mit Blumen zu tun hatte), ein Wechsel aber unvernünftig oder riskant erscheint, kann die Angst zur Entscheidungshilfe werden: Vielleicht ist man gar nicht arbeitsfähig oder die Angst schiebt die Entscheidung für einen Wechsel auf bis zum St. Nimmerleinstag. Kosten der Heilung: Entweder weitermachen im ungeliebten Job (= schlechte, negative Gefühle) oder wechseln (= Anstrengung, Ängste, Risiko).

Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Jedenfalls bin ich davon überzeugt, dass Heilung von der Angst nicht der Einzug ins Gelobte Land ist, sondern dass die Angst fürs psychische Gleichgewicht immer auch den einen oder anderen Nutzen hat.

Liebe Grüße
Christina

Der einzige Nutzen, der aus deiner Schilderung hervorgeht, ist doch Angst als Alibifunktion und deshalb kann man die Effektivität eines solchen Vorgehens mit Gelassenheit anzweifeln. Man drängt den Gedanken an seine Mittelmäßigkeit in den Hintergrund, damit man anhand seiner Angst den (Größen)Wahn fortsetzen kann, der selbst Krankheitssymptome ausgelöst hat?...

Irrsinn. Ich wüßte eine bessere Lösung:

Akzeptanz des Wandels mit eingeschränkten Kompetenzen.

So etwas soll heilsamen Realismus ins Spiel bringen können... ; )

ja christina ich habe verstanden...und vent hat aber auch recht...

Zitat von vent:
Der einzige Nutzen, der aus deiner Schilderung hervorgeht, ist doch Angst als Alibifunktion und deshalb kann man die Effektivität eines solchen Vorgehens mit Gelassenheit anzweifeln. Man drängt den Gedanken an seine Mittelmäßigkeit in den Hintergrund, damit man anhand seiner Angst den (Größen)Wahn fortsetzen kann, der selbst Krankheitssymptome ausgelöst hat?...

Irrsinn.
Nicht der Größenwahn löst Krankheitssymptome aus, sondern die Erkenntnis (oder auch nur Befürchtung), dass er nicht mit der Realität kompatibel ist. Dass dieser neurotische Kompromiss nicht der Weisheit letzter Schluss ist, sondern Irrsinn oder Katastrophe für das reale Leben, macht die Angst zur Krankheit statt zur Lösung. Nutzen bedeutet ja nicht, schön dass wir sie (die Angststörung) haben, sondern dass da etwas ist, für das (noch) keine bessere Lösung als der angstbedingte Rückzug gefunden wurde. Oder die gefundenen Lösungen konnten (noch) nicht vollständig umgesetzt werden. Die Stabilität von Selbstbild und Selbstwert gehen weit über Alibifunktionen hinaus, auch an einem äußerst negativen Selbstbild und Selbstwert werden geradezu verzweifelt festgehalten. Das scheint für die Psyche ökonomischer und effektiver zu sein als jedwede Neuorientierung. Bei der Effektivität stellt sich einfach die Frage, welche Ziele verfolgt werden, bewusste oder unbewusste... Was übrigens keineswegs heißen soll, dass es das nun war, man sich beruhigt zurücklehnt und den neurotischen Kompromiss inklusive Lebensunfähigkeit als Schicksal hinnimmt. Das wäre ein Alibi. Man muss einfach zusehen, dass man seine unbewussten Ziele und Bedürfnisse im realen Leben mit seinen sozialen Anforderungen unterbringt, ohne dabei auf Symptome zurückzugreifen.

Liebe Grüße
Christina

Sehen wir die Angst vor der Unzuverlässigkeit der eigenen Illusion als Selbtschutz, müssten wir auch die gesamte gedankliche Konstruktion der vermeintlichen Sinnfindung in der Erfüllung einer sich selbst auferlegten Norm ähnlich wahrnehmen, also die Ursache der Krankheit zum erfolgsbringenden Meilenstein umfunktionieren. Der Umgang ist gar nicht so unüblich, die Lähmung bedingt Ausweglosigkeit und umgekehrt. Wie du schreibst - ein neurotischer Kompromiss und Lebensunfähigkeit.
Eine Alibifunktion bedeutet doch auch sich einzubilden, dass Angst uns daran hindert ein großartiger Mensch zu sein und uns die Selbstbeweihräucherung, aus der ein innerer Konflikt entsteht, weiterhin schmackhaft macht. Das ist das Sich-die-Angst-schön-zu-reden.

Zitat:
Die Stabilität von Selbstbild und Selbstwert gehen weit über Alibifunktionen hinaus, auch an einem äußerst negativen Selbstbild und Selbstwert werden geradezu verzweifelt festgehalten.

Beim Selbstbild und Selbstwert stelle ich mir die Frage, warum Psychologie und Psychotherapie ein positives Selbstbild und einen genormten Selbstwert anstrebt, wenn einer ihrer eigenen Grundsätze heißt, dass das Werten und Vergleichen in menschlichen und zwischenmenschlichen Bereichen ein kontraproduktiver Weg ist und Polarität die Grundlage für Zweifel, Neid, Eifersucht und andere belastende Emotionen darstellt.

Auch Jung sagt: Das Denken ist schwer, darum urteilen die meisten.

Es müsste demnach heißen: Habe kein Bild von dir und werte (dich) nicht, dann löst sich dein Konflikt von selbst auf.

Zitat von vent:
Sehen wir die Angst vor der Unzuverlässigkeit der eigenen Illusion als Selbtschutz, müssten wir auch die gesamte gedankliche Konstruktion der vermeintlichen Sinnfindung in der Erfüllung einer sich selbst auferlegten Norm ähnlich wahrnehmen, also die Ursache der Krankheit zum erfolgsbringenden Meilenstein umfunktionieren.
Oh, bei manchen ist das so. Ausreichend begabte Narzissten können sich so u.U. ihr Leben lang stabil halten. Symptome treten mitunter erst auf, wenn die selbst auferlegte Norm nicht mehr erfüllt werden kann. Kann sie erfüllt werden, hat man es mit Erfolgsmenschen zu tun, die der (Leistungs)Gesellschaft als Vorbilder dienen. Die Psyche schlägt keine Wege ein, die nicht schon mal funktioniert haben. Krank wird man erst, wenn man an die Grenzen dieser Wege stößt und keine Handlungsalternativen entwickelt oder gelernt hat.

Zitat von vent:
Eine Alibifunktion bedeutet doch auch sich einzubilden, dass Angst uns daran hindert ein großartiger Mensch zu sein und uns die Selbstbeweihräucherung, aus der ein innerer Konflikt entsteht, weiterhin schmackhaft macht. Das ist das Sich-die-Angst-schön-zu-reden.
Wenn man da stehen bleibt, ja. Meist dämmern einem solche Funktionen der Angst aber doch im Rahmen einer Psychotherapie und da sollte mindestens der Therapeut drauf kommen, dass es sich um Größenphantasien handelt, die es abzubauen gilt. Die Kosten der Heilung anzuerkennen heißt ja nicht, die höheren Kosten des Krankbleibens zu ignorieren.

Zitat von vent:
Zitat:
Die Stabilität von Selbstbild und Selbstwert gehen weit über Alibifunktionen hinaus, auch an einem äußerst negativen Selbstbild und Selbstwert werden geradezu verzweifelt festgehalten.

Beim Selbstbild und Selbstwert stelle ich mir die Frage, warum Psychologie und Psychotherapie ein positives Selbstbild und einen genormten Selbstwert anstrebt, wenn einer ihrer eigenen Grundsätze heißt, dass das Werten und Vergleichen in menschlichen und zwischenmenschlichen Bereichen ein kontraproduktiver Weg ist und Polarität die Grundlage für Zweifel, Neid, Eifersucht und andere belastende Emotionen darstellt.
Aua! Es geht um ein realistisches und stabiles Selbstbild und einen positiven Selbstwert... Selbstbild verstanden als die Gesamtheit dessen, was man über sich selbst weiß oder zu wissen glaubt - über die eigenen Fähigkeiten, Reaktionsmuster, die Beschaffenheit des Körpers etc. Man kommt nicht unbeschadet über die Straße, wenn man die eigene Geschwindigkeit nicht einschätzen kann. Magersüchtige sehen ihr Hungern als begründet an, weil sie ein völlig verzerrtes Selbstbild haben. Und ein positiver Selbstwert ist die Überzeugung, liebenswert und vollständig zu sein - einfach so, unabhängig von Leistung und auch unabhängig von Vergleichen. Das Konzept als solches hat mit Bewerten nichts zu tun, höchsten mit Wertschätzen. Leider geht aber nicht jeder mit einem positiven Selbstwertgefühl aus der Kindheit hervor, sondern das Selbstwertgefühl ist allzu oft an Leistung, Normen oder Vergleiche gekoppelt. So lange man dabei gut abschneidet, mag es okay oder sogar positiv sein. Und das gute Abschneiden wird als zunächst realistisches Selbstbild gespeichert. Die Falle liegt darin, dass der für das Selbstbild notwendige Vergleich, die Einschätzung, inwieweit man Anforderungen und Veränderungen entsprechen kann, sofort und in ungünstiger Weise auf das Selbstwertgefühl rückwirkt - weil man wertet (wie man's gelernt hat). Da kann es sich schonmal besser anfühlen, auf realistische Selbsteinschätzung zu verzichten und lieber Phantasien nachzuhängen.

Nicht zu werten dürfte in den meisten Therapien ein zentrales Ziel sein. Ein Bild von sich zu haben, ist m.E. aber notwendig.

Liebe Grüße
Christina

Zitat:
Da kann es sich schonmal besser anfühlen, auf realistische Selbsteinschätzung zu verzichten und lieber Phantasien nachzuhängen.

Genau, alles ist besser als sich am Glauben an realistische Ansätze der eigenen Träumereien aufzuhängen. ; )


Huhu!
Ja man kann wieder ein normaler Mensch sein! Ich würde mir an deiner Stelle Hilfe suchen. Verhaltenstherapeuten, Neurologen, Psychiater... ohne Fremde Hilfe ist es nicht möglich, denke ich.
MfG

A


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Dr. Hans Morschitzky
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