Hallo Jadi,
im Prinzip geht es darum, dass die Psyche und davon i.d.R. das Unbewusste versucht, uns vor unangenehmen Dingen zu bewahren. Und da können auch Dinge dabei sein, die wir als selbstverständlich, wünschenswert oder vernünftig betrachten. Im Alltag ist das dann der innere Schweinehund - Sport mag ja noch so gesund und vernünftig sein, aber jetzt und gleich und überhaupt viel zu anstrengend... Mit der Angst ist es nicht anders, nur dass die Psyche damit ein schweres Geschütz auffährt. Hypothetisch und allgemein ist das natürlich schwer zu erklären. Ich glaube, man muss sehr konkret schauen, was würde es mich
kosten, keine Angststörung mehr zu haben. Auf den ersten Blick erscheint das unsinnig, denn natürlich ist das Leben ohne die Angst leichter und schöner. Und dass vielleicht ein anderer die Einkäufe für einen macht, kann's ja wohl nicht sein. Das ist eine kleine Bequemlichkeit, die die Krankheit mit sich bringen kann, als wirklicher Krankheitsgewinn reicht das aber nicht. Da würde ich eher nach grundsätzlichen Dingen suchen, die den Selbstwert betreffen oder die grundlegende Autonomie oder so etwas wie Selbstverwirklichung. Ich versuch's mit Beispielen...
Ein gewisser Perfektionismus ist unter Angstbetroffenen ja weit verbreitet. Ich habe z.B. sehr hohe Leistungsstandards. Wenn ich gesund bin, neige ich dazu, diese Standards zu erfüllen - auch wenn ich dann rund um die Uhr mit Dingen beschäftigt bin, die mir weder gefallen noch gut tun. Diese Denkweise ist tief verwurzelt in meinen Werten und Einstellungen. Meist fällt sie mir nicht einmal auf und wenn sie mir auffällt, ist es schwierig, dagegen anzugehen. Mit der Angst
kann ich diesen Standards nicht entsprechen. Die Angst ist Schutz vor (Selbst)Überforderung und erspart es mir gleichzeitig, mein Selbstbild geradezurücken - nach dem Motto: eigentlich könnte ich ja ganz toll sein, wenn die Angst nicht wäre . Kosten meiner Heilung: Entweder ich mache weiter wie früher und überfordere mich (= ungesund und unangenehm) oder ich lerne, meine Mittelmäßigkeit zu akzeptieren (= fühlt sich auch nicht so toll an).
Es könnte der Job sein. Wenn der völlig falsch ist (weil man statt im Büro zu sitzen immer schon lieber draußen mit Blumen zu tun hatte), ein Wechsel aber unvernünftig oder riskant erscheint, kann die Angst zur Entscheidungshilfe werden: Vielleicht ist man gar nicht arbeitsfähig oder die Angst schiebt die Entscheidung für einen Wechsel auf bis zum St. Nimmerleinstag. Kosten der Heilung: Entweder weitermachen im ungeliebten Job (= schlechte, negative Gefühle) oder wechseln (= Anstrengung, Ängste, Risiko).
Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Jedenfalls bin ich davon überzeugt, dass Heilung von der Angst nicht der Einzug ins Gelobte Land ist, sondern dass die Angst fürs psychische Gleichgewicht immer auch den einen oder anderen Nutzen hat.
Liebe Grüße
Christina