Schlagfertige Antworten auf Vorurteile und nervige Kommentare
Hier meine persönliche Auflistung von nicht tot zu kriegenden Vorurteilen und dämlichen Bemerkungen, mit denen ich (als Mensch mit einer psychischen Erkrankung) immer wieder genervt werde. Gesunde können hier lernen, welche Äußerungen man sich gegenüber einer psychisch kranken Person lieber verkneifen sollte und Betroffene können sich inspirieren lassen, was das Antworten auf diverse Äußerungen betrifft..
1.) Du siehst ja gar nicht krank aus!
- Willst du mir damit sagen, dass ich eine Simulantin bin, weil meine Erkrankung nach außen hin nicht sichtbar ist? Glaubst du mir erst dann, wenn ich mein Aussehen meiner desolaten Gemütslage anpasse? Ich investiere ganz bewusst die wenige Energie, die ich habe, in ein gepflegtes und attraktives Erscheinungsbild, damit mich die Leute auf der Straße eben nicht noch mehr angaffen, als sie es ohnehin schon tun. Ein gesund wirkendes Äußeres ist doch das beste Versteck für seelisches Leid. Würdest du es okay finden, wenn ich sagte, dass du wegen deines eher ungepflegten Äußeren ja auf jeden Fall krank sein müsstest?
2.) Anderen Menschen geht es noch so viel schlechter als dir
- Es ist mir durchaus bewusst, dass es Menschen gibt, die in ihrem Leben noch viel mehr Leid zu ertragen haben. Du verlangst jetzt aber nicht ernsthaft von mir, dass mich zum Beispiel der Gedanke an ein afrikanisches Kind, das bald verhungern wird, in irgendeiner Form aufheitert und mein Leid weniger schlimm macht, oder? Was würdest du davon halten, wenn ich dir sagen würde:,, Du bist glücklich? Sieh dir mal all die Millionäre an, die sich ihren Hintern quasi mit Geldscheinen abwischen könnten. Die sind viel glücklicher als du! (In wie weit würde dich das nun weniger glücklich machen?)
3.) Wie hast du es nur geschafft frühverrentet zu werden? ( Was für eine gnadenlos bescheuerte Frage ! Man beachte das Wort geschafft)
-Ach, weißt du. Leider fehlte mir das nötige Kleingeld, um die Gutachter zu bestechen und da eine Erpressung auch nicht möglich war, habe ich ganz einfach mit denen geschlafen, um an eine Frührente zu gelangen.Ach ja..mit der Sachbearbeiterin des Jobcenters, meinen verschiedenen Ärzten und Therapeuten, die mich erst zu den Gutachtern gebracht haben, habe ich natürlich auch Sex gehabt.
(Wenn du jetzt den plakativen Sarkasmus nicht erkennst, hast du wirklich ein ernst zu nehmendes Problem...)
4.) Komm, wir zwei unternehmen mal einfach etwas Schönes. Wir könnten ins Theater gehen, dann kommst du auf andere Gedanken und es wird dir gleich viel besser gehen.
- Darf ich dich daran erinnern, dass mir monatlich nicht mehr Geld als ein Hartz IV Empfänger zur Verfügung steht? Ich muss monatlich mit der Summe zurecht kommen, die du schon so manches Mal an einem einzigen Tag ausgegeben hast.
5.) Ich lade dich ein, wenn du kein Geld für Unternehmungen ausgeben kannst.
- Warte! Dann besorge ich mir nur noch schnell Dro. oder Alk., damit ich keinen freudlosen und desinteressierten Eindruck mache und dir das Gefühl geben kann, dass deine Bemühungen nicht vergebens sind. Mit dem schlechten Gewissen und den Schuldgefühlen werde ich später schon irgendwie klar kommen....
6.) Wer feiern gehen kann, kann auch arbeiten gehen!
- Schon mal daran gedacht, dass ich unter Dro. oder Alk. wohl kaum arbeiten gehen könnte? Ganz genau: Ich muss mich zudröhnen, um überhaupt einmal Spaß haben und feiern gehen zu können. Außerdem ist es so, dass ein Arbeitstag für gewöhnlich 8,5 Stunden beträgt, die man auch betrunken oder verstrahlt nicht bewältigen könnte, da man durchgehend konzentriert sein muss und Leistungen zu erbringen hat. Man hätte mit Konsequenzen zu rechnen, wenn man nach kurzer Zeit einfach wieder nach Hause fahren würde, weil man sich unwohl fühlt. In einer Disko beispielsweise kräht kein Hahn danach, wenn man nach einer Stunde schon wieder verschwindet.
Erkläre mir bitte mal, wie du so ignorant sein kannst, um feiern gehen mit arbeiten gehen gleich zu setzen!
7.) Du übertreibst doch mit deiner Depression und deinen Ängsten. In Wahrheit bist du nur zu faul zum Arbeiten und willst dir ein schönes Leben machen.
-Ja, klar. Ich bin gerne ein Sozialfall, der von der Gesellschaft schief angeguckt und als Mensch zweiter Klasse bezeichnet wird. Ich verzichte gerne auf die 2500 Euro, die ich in meinem erlernten Beruf verdienen würde, weil ich es cooler finde, von meinen knapp 800 Euro vom Amt zu leben und damit ein asozialer und nicht akzeptiertes Mitglied der Gesellschaft zu sein.
Ich kann mein Leben am Existenzminimum und meiner psychischen Erkrankung ja so richtig toll genießen.
8.) Hast du schon mal an Ergotherapie gedacht?
- Natürlich. Meine Welt würde bestimmt wieder in Ordnung sein, wenn ich nicht zwei linke Hände hätte und Hampelmänner aus Holz basteln könnte oder richtiges atmen erlernen würde...
9.) Hast du immer noch Depressionen? Du musst doch endlich mal wieder aufstehen!
- Sorry, ich kenne den genauen Zeitplan meiner Erkrankung nicht und kann dir daher kein Datum nennen an dem ich wieder aufstehen kann.
Verstehe doch, dass du mich nur zusätzlich belastest, wenn du mich emotional unter Druck setzt, endlich wieder gut drauf sein zu müssen.
10.) Du bist doch so eine starke Frau!
- Ja klar, deswegen breche ich ja auch fast immer in Tränen aus, wenn mich jemand auch nur etwas ernster anguckt oder mit leicht erhobener Stimme mit mir spricht..! Ich mache mir tagelang übelste Gedanken, wenn mich die Kassiererin bei Penny nicht so nett wie den Kunden zuvor begrüßt....ich bin stark..genau.Im Übrigen : Eine Depression kann jeden treffen. Auch die starken Menschen.
11.) Mach doch mal Sport. Das wird deiner Seele gut tun
- Ich schaffe es gerade mal mittags aus dem Bett zu kommen und mich für den Tag herzurichten! Woher soll ich die Energie nehmen um mich noch großartig zu bewegen? Mit dieser phrasenhaften Äußerung spielst du meine Erkrankung einfach nur herunter.
12.) Du willst doch nur Aufmerksamkeit bekommen
- Sicher. Deswegen sperre ich mich ja auch manchmal tagelang in meiner Wohnung ein, weil ich da ja so viel Aufmerksamkeit bekommen kann..
13.) Du schreibst ja sogar im Internet darüber. Das würden 'echte Depressive' nie tun.
- Stell' dir vor: ich habe sogar schon mit verschiedenen Ärzten und Therapeuten über meine Gefühlswelt gesprochen und mich in Selbsthilfegruppen mit anderen Betroffenen ausgetauscht, weil auch ich meinen Kummer nicht ewig in mich hineinfressen konnte. Nun schreibe ich im Internet weil ich wegen meiner zusätzlichen Angsterkrankung Anonymität brauche, um mich uneingeschränkt mitteilen zu können.
14.) Sieh es mal positiv. Wenigstens hast du keinen Krebs
- Ja,stimmt. Zum Glück habe ich nur eine psychische Erkrankung, an der jedes Jahr Hunderttausende sterben und keine körperliche Erkrankung wie Krebs, an der jedes Jahr Hunderttausende sterben. Das beruhigt mich ungemein...
15.) Rauschmittel sind keine Lösung. Sie verkürzen dein Leben!
- Na und? Meine Lebenserwartung ist doch durch meine tägliche Einnahme von Psychopharmaka ohnehin schon verkürzt. Da käme es auf die paar Jahre, die mir durch Alk. oder Dro. flöten gehen würden , auch nicht mehr drauf an. Ich lebe lieber kurz und ab und an glücklich als durchgehend unglücklich und lange.
16.) Ich möchte meine alte x. zurück und möchte wieder etwas mit dir erleben.
-Ich weiß selbst, dass ich langweilig geworden bin. Aber danke, dass du mein negatives Selbstbild mit deiner Aussage noch einmal bestätigst.
Lass dich durch mich nicht länger ausbremsen und suche dir neue Freunde, mit denen du deine Interessen ausleben und Spaß haben kannst.
17.) Ich war auch mal schlecht drauf, ich weiß, wie du dich fühlst
- Das wage ich zu bezweifeln! Ein kurzzeitiges Stimmungstief kann man wohl kaum mit einer psychischen Erkrankung vergleichen. Du brauchst dir quasi nur ein Eis zu kaufen, um wieder gut drauf zu sein während mich nicht mal ein geknackter Lotto-Jackpot aufheitern könnte...!
18.) Mir geht es doch auch schlecht, wenn du mich so sehr belastest. Ich kriege noch mal einen Herzinfarkt vor lauter Sorgen um dich machen!
- Dann bin ich ja froh darüber, dass ich dir nur die light Version meines Kummers erzählt habe. Aber danke, dass ich jetzt weiß, dass ich die Schuldige bin, wenn du tatsächlich mal einen Herzinfarkt erleiden solltest.
19.) Nun gehst du schon zum Seelenklempner und trotzdem geht's dir nicht besser..!
- Äh, ein Psychotherapeut ist kein Exorzist, der eine psychische Erkrankung wie einen Dämon mal eben austreiben kann.
20.) Du solltest mal auf eine Krebsstation gehen. Dann wirst du begreifen, dass es dir im Vergleich zu den Patienten dort ganz gut geht.
- Ja ja.. anderen Leuten geht es noch viel schlechter als mir...ich weiß!
Ich habe sogar schon in einem Hospiz gearbeitet und habe Menschen gesehen, die nur noch Tage bis wenige Wochen zu leben hatten. Ich habe wahrhaftig begriffen, dass es mir ja wirklich so gut geht. Ich hatte sogar Probleme damit gehabt, mir meine Freude darüber nicht anmerken zu lassen, die ich durch den Anblick todkranker Menschen gefühlt habe. Pfeifend und breit grinsend bin ich jeden Tag durch die Weltgeschichte gegangen und bin jeden Abend mit einem Lächeln eingeschlafen ... *Ironie off*
Die harte Wahrheit: Auch heute würde ich begreifen, dass es mir eigentlich noch viel schlechter geht als ich dachte. Denn immerhin ist mein Lebensende noch nicht absehbar und ich muss mich noch viel länger quälen als todkranke Menschen.
04.05.2018 13:05 • • 07.05.2018 x 3 #1