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Doch doch, ich bin sehr wohl der Überzeugung, dass die Psyche Auswirkungen auf den Körper hat. Schließlich habe ich davon genügend. Aber was hilft es mir? Ich weiß, dass ich nicht umkippen will, weil ich dann meine mich zu blamieren, weil ich dann im Mittelpunkt stehe.
Die Angst vorm Ersticken durch Essen rührt wahrscheinlich daher, dass mein ältester Sohn (mit der Behinderung) dieses Jahr fast an einem Brötchen erstickt wäre. Er war schon blau. Ich habe gefühlt eine Ewigkeit zwischen seinen Schulterblättern geschlagen, bis die Brocken endlich raus flogen. Danach pochte mir die Hand ich hab erstmal ne Runde geheult. Seitdem springt mir das Herz gegen die Brust, sobald er komische Geräusche beim Essen von sich gibt und ich bin auf Habachtstellung.

Zitat von Flaschengeist:
Doch doch, ich bin sehr wohl der Überzeugung, dass die Psyche Auswirkungen auf den Körper hat. Schließlich habe ich davon genügend. Aber was hilft es mir?

Und welche Auswirkung hat Wissen und Einsicht in die Zusammenhänge auf die Psyche?

Zitat von Flaschengeist:
Seitdem springt mir das Herz gegen die Brust, sobald er komische Geräusche beim Essen von sich gibt und ich bin auf Habachtstellung.

Das würde ich eindeutig als Trauma werten und auch entsprechend behandeln (lassen). Psychoanalyse werden dieses Schluckproblem m. E. eher nicht lösen können.

Deine Mutterrolle ist offensichtlich eine sehr schwierige aufgrund der Situation Deines Sohnes. Da fühlt man sich leicht auf dem gesellschaftlichen Präsentierteller, fühlt sich beobachtet und bewertet. Das ist strukturell durchaus vergleichbar mit Deiner Kindheit (Vater). Gleichzeitig stellst Du da u. U. Vergleiche zu Deiner Mutterrolle an, etc. - all das erzeugt Dauerstress! Und jeder kompensiert ihn auf seine ganz ureigene Weise. Sobald diese Kompensionsstrategie auffliegt und nicht mehr funktioniert, sind wir an einem Wendepunkt, der erreicht werden musste, bevor man weitere Schritte erörtert.

Ich bleibe dabei, dass jegliche Kindheit Auswirkungen hat und das Wissen über diese Auswirkungen auf die Gegenwart eine gute Grundlage für die richtigen Veränderungen ist. Denn verändern muss sich etwas, da dürften wir doch übereinstimmen?

Deshalb rate ich ebenfalls zu einer engermaschigen Therapieform (Tagesklinik o.ä.).

A


Angst vor Essen

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Wissen und Einsicht sollte doch der erste Schritt zur Besserung sein, oder? Aber ich merke es nicht.
Eine Tagesklinik wäre wahrscheinlich das beste, aber dann kommen wieder Gedanken - wer kümmert sich um die Kinder? Wer kann meine Kurze von der Schule abholen? Außerdem bin ich noch berufstätig. Zwar nur auf 20 Stunden, aber ich habe mir immer geschworen, mich nicht aufgrund von Psyche krankschreiben zu lassen.
Moo, du bist ganz schön schlau! Und wie wir manchmal angeglotzt werden! Und wie oft ich komische Sprüche und Fragen gestellt bekommen habe aufgrund meines Sohnes. Und klar fühlte ich mich oft verletzt. Ich kann ja auch nichts dafür und mache seit 15 Jahren das Beste draus. Er ist ein toller Junge geworden!

Zitat von Flaschengeist:
ich habe mir immer geschworen, mich nicht aufgrund von Psyche krankschreiben zu lassen

Vor meinem damaligen Zusammenbruch hatte ich auch derartige in Stein gemeißelte Leitsprüche kultiviert. Hinterfrage genau diese roten Linien - sie sind sehr oft ein wesentlicher Teil Deiner (vermeintlich) aussichtslosen Lage.

Zitat von Flaschengeist:
Ich kann ja auch nichts dafür und mache seit 15 Jahren das Beste draus. Er ist ein toller Junge geworden!

Das glaube ich Dir sofort! Aber die Anstrengung, die Dich das kostete und wohl immer noch kostet, wurde halt nun mal auch geleistet. Auch Liebe kann verschleißen. Irgendwann ist der Akku leer und Dein Geist schaltet auf Notstrom... Spätestens dann musst Du darauf hören und an Dich denken - von mir aus auch wegen der Familie, aber ich schlage vor, vor allem für Dich.

Du magst Recht haben mit den roten Linien. Bin in puncto Arbeit jedoch sehr im Zwiespalt. Einerseits tut mir die Arbeit richtig gut. Wir haben gut zu tun, ich bekomme Lob und Bestätigung, habe keine Zeit zu grübeln. Mir ist aufgefallen, dass ich an meinen zwei freien Tagen eher in ein Loch falle. Andererseits, und da komme ich wahrscheinlich wieder zur Erziehung/Kindheit, möchte ich natürlich nicht, dass die Kollegen über mich reden. Schon gar nicht negativ. Außerdem ist es ein recht kleiner Betrieb. Da fällt eine Person schon sehr ins Gewicht, wenn sie fehlt. Jemand anderes muss einspringen. Dann kommt wieder mein schlechtes Gewissen... so einfach abzustellen ist das nicht.

Verstehe Dich so gut, kannst Du mir glauben. Ich möchte Dir nun ein Experiment vorschlagen. Lies mal bitte folgende Zitate aus der Sicht einer Mutter/Oma, deren erwachsene Tochter sie erstmalig offen ausspricht:

Zitat von Flaschengeist:
Ich weiß, dass ich nicht umkippen will, weil ich dann meine mich zu blamieren, weil ich dann im Mittelpunkt stehe.

Zitat von Flaschengeist:
aber dann kommen wieder Gedanken - wer kümmert sich um die Kinder?

Zitat von Flaschengeist:
Wer kann meine Kurze von der Schule abholen?

Zitat von Flaschengeist:
mache seit 15 Jahren das Beste draus.

Zitat von Flaschengeist:
ich bekomme Lob und Bestätigung, habe keine Zeit zu grübeln.

Zitat von Flaschengeist:
Mir ist aufgefallen, dass ich an meinen zwei freien Tagen eher in ein Loch falle. Andererseits, und da komme ich wahrscheinlich wieder zur Erziehung/Kindheit, möchte ich natürlich nicht, dass die Kollegen über mich reden.

Zitat von Flaschengeist:
Jemand anderes muss einspringen. Dann kommt wieder mein schlechtes Gewissen... so einfach abzustellen ist das nicht.


Welche Emotion kommt Dir als erstes, ganz spontan in den Sinn?
Was würdest Du dann tun?

Vorschlag: Ein überwältigendes Mitgefühl lässt Dich die Arme ausbreiten und Deine Tochter liebevoll in den Arm nehmen, ihre Tränen trocknen und ihr sagen, dass sie und alles gut ist, so wie es ist.

Und würdest Du das auch wirklich so meinen? Ich glaube: ja!

So, und nun eine Geschichte dazu:

Wir hatten mal in einer SH-Gruppe das Thema Rückfall (es ging um A lkohol) einer Teilnehmerin. Sie war privat extrem angespannt - Kinder, Enkel und der Gesundheitszustand ihrer Mom machten Sorgen, der Mann Vorwürfe, sie wusste nicht mehr ein noch aus. Alles aussichtslos, wie sie es nannte. Deshalb griff sie einmalig zur Flasche und daraus folgten wieder furchtbare Selbstverurteilungen etc.

Die Gruppe blickte betroffen zu Boden und jeder wurde aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen. Es folgten die üblichen Phrasen, gut Gemeintes, liebenswertes etc. Nach einer längeren Erklärung des Suchtdreieckes, der Entwicklungsstufen eines Rückfalls usw. stellte unser Therapeut der Frau ganz markant eine, wie er es zu diesem Zeitpunkt nannte, alles entscheidende Frage:

Was wünscht Du Dir?

Ich glaube, mindestens 10-20 Sekunden war absolute Stille im Raum. In meinem Kopf (und Herz) ratterte es: Wie kommt er darauf, dass wir uns etwas wünschen könnten? Wir! Uns! Tatsächlich waren wir erst mal sprachlos. Noch nie hatte uns jemand ganz ernsthaft, ganz elementar - ganz existenziell - danach gefragt, was wir uns wünschen!

Irgendwann kam von ihr ganz leise die zaghafte Gegenfrage: Was ich mir wünsche? Puh, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Darf ich das überhaupt? Seit meiner Kinderzeit vor Weihnachten habe ich mich das eigentlich nie mehr gefragt.

Uns ging es ähnlich und wir äußerten uns auch dahingehend. Alle schauten den Therapeuten an und er blickte todernst jedem von uns in die Augen und meinte: Nehmt Euch genügend Zeit, aber bitte beantwortet mir alle diese Frage!

Dies war mit Abstand die lehrreichste Stunde für uns alle, wie wir ein Jahr später einhellig beim Abschlussgespräch im Nachhinein feststellten. Ich habe mir diese Frage seitdem in allen möglichen Situationen gestellt und kam im Grunde auf nur wenige, aber früher niemals reflektierte Antworten.

Der Begriff Wünschen hat etwas entwaffnend Offenes. Wünschen ist erlaubt, es darf Teil unseres Wesens sein. Und Wünschen hat überhaupt nichts mit Müssen, Sollen, Verantworten etc. zu tun.

Unsere Wünsche sind wir!

Ich erzähle Dir diese Geschichte deshalb, um Dich a) darum zu bitten, Dir diese Frage mal ganz offen und ehrlich zu stellen und zu beantworten. (Du wirst merken, dass alleine das Stellen dieser Frage mitunter Tränen auslösen kann). Und b): Frage Dich, wie es soweit kommen konnte, dass Du Dir dies genau heute wünscht.

Zitat von Flaschengeist:
Wissen und Einsicht sollte doch der erste Schritt zur Besserung sein, oder? Aber ich merke es nicht.


Der erste Schritt ist noch nicht die Besserung. Aber er bestimmt die Richtung dahin. Wenn Du (versinnbildlicht) auf dem falschen Weg, falsch abgebogen bist, musst Du, bevor Du die Strecke zurück gehst, Dich zuerst umdrehen, die Richtung ändern.

Wissen und Einsicht stellen diese Richtungsänderung dar. Vielleicht bedarf sie im Laufe des Wegen noch der ein oder anderen Nachjustierung, aber die grobe Richtung wird stimmen, wenn Du Dir ehrlich Deine o. g. Antwort zu Herzen nimmst.

Erst wenn die Richtung stimmt, ist der Weg tatsächlich ein Teil des Zieles.

Lieber Moo,
herzlichen Dank für deine wunderbaren Zeilen und die Mühe, die du dir machst.
Ich werde mir deine Nachricht bestimmt noch zwei/drei weitere Male durchlesen und in mich gehen. Denn so wie ihr, habe auch ich spontan keine Antwort darauf. Aber ich werde eine finden. Ich brauche nur ein bisschen Zeit.

Hallo Moo, ich wünsche dir und allen natürlich auch schöne Weihnachtstage!
Erst jetzt finde ich die Zeit und Ruhe zu antworten. Trotzdem haben mich deine Sätze die letzten Tage begleiten.
Zu deinem Experiment: Natürlich hätte ich meine Tochter in den Arm genommen und ihr gut zugesprochen! Aber ich hätte ihr zusätzlich noch meine Unterstützung angeboten. Und da kommen wir auch gleich zum Thema Wunsch. Wie ich finde, unfassbar schwer zu beantworten. Ich habe den Wunsch Unterstützung zu bekommen. Am liebsten ohne darum bitten zu müssen. Ich würde mir wünschen, dass mir jemand gerne hilft, von sich aus. Damit ich vielleicht mehr Freiraum habe, ohne schlechtes Gewissen. Und erst wenn ich diesen Freiraum habe, kommen mir vielleicht andere Ideen und Wünsche in den Sinn.

Hallo Flaschengeist,

Dir auch angenehme Feiertage, danke. Und auch für Deine Rückmeldung. Ist es nicht erschütternd, wie schwer wir uns mit dieser Frage nach unseren Wünschen tun?

Du wünscht Dir also freiwillige Unterstützung, die von Herzen kommt.
Du wünscht Dir mehr Freiräume, ohne schlechtes Gewissen.
Du wünscht Dir dass diese Freiräume die Basis für eine Perspektive schaffen.

Du wirst vielleicht nicht überrascht sein, dass die meisten Wünsche in unserer Runde den Deinen ziemlich ähnlich waren. Ist es nicht verblüffend, wie einfach unsere Herzenswünsche in unserer komplexen Welt (geblieben) sind? Einfach im Sinne von schlicht; leider aber nicht hinsichtlich ihrer Realisierung.

Warum ist das so? Warum ist das bei Dir so, bei mir und bei so vielen Anderen? Gibt es einen Schuldigen, Verantwortlichen? Staat, Gesellschaft, Medien, Wirtschaftssystem, Politik oder doch eher die Menschen und Umstände in unserem direkten Umfeld?

Wenn man darüber nachdenkt, neigt man dazu, sich als zu schwach bzw. die Anderen als zu dominant, das Leben insgesamt zu unübersichtlich und das Dasein überhaupt als ungerecht zu empfinden. Und das trotz aller sogenannten Annehmlichkeiten und Fortschritte. Objektiv betrachtet dürfte es uns an nichts fehlen. Doch subjektiv leiden wir ganz eindeutig.

Es gibt viele Menschen, die waren laut eigenen Aussagen ihr gesamtes Leben lang niemals einfach nur glücklich. Nicht mal für einen einzigen Augenblick. Je länger ich lebe, umso klarer erkenne ich, dass diese Einschätzung im Grunde sehr realistisch ist. Ich behaupte sogar, dass jede andere Bewertung aus Nichtwissen, Verblendung oder bewusster Selbsttäuschung entstand.

Nur - was machen wir mit dieser Einsicht? Verzweifeln oder anklagen, kämpfen oder flüchten? Jede dieser Reaktionen würde eine Grundreaktion voraussetzen: Wir schenken unserer Grundbewertung (Unglück) Glauben. Und insofern ersehnen bzw. trauern wir um das (verlorene oder unerreichte) Glück.

Genau hier bitte ich Dich, Deine o. g. Wünsche auf ihre diesbezügliche Polarität hin zu untersuchen:

Unterstützung, Hilfe, Zeit für Dich, Ideen und Perspektiven unterliegen m. E. überhaupt keiner objektiven Bewertung, ausgenommen Deiner eigenen. Hinzu kommt, dass Du in gewisser Weise das Pferd von hinten her aufzäumst: (3) erst wenn Freiwilligkeit seitens Anderer zur Unterstützung besteht, (2) würdest Du Dir Zeit für Dich erlauben um (1) dann neue Perspektiven zu sehen! So verunmöglichst Du jegliche Veränderung, auch wenn Du jetzt noch gar nicht weißt, wie diese aussehen könnten...

Nun kommst Du als Selbstfürsorgerin ins Spiel. Du sagtest oben selbst, dass Du Deiner Tochter (also hier: Dir) nicht nur Liebe und Trost, sondern auch Unterstützung zukommen lassen würdest! Dann unterstütze Dich doch von nun an selbst und stelle die Reihenfolge richtig:

1. Formuliere Deine Wünsche und Ideen jetzt.
2. Teile sie sämtlichen Beteiligten in Ruhe und glaubhafter Überzeugung mit.
3. Fordere die nötige Unterstützung ein.

Außerdem:
4. Erkenne dies als Dein natürliches Recht (wenn nicht sogar Pflicht!).
5. Verbanne schlechtes Gewissen grundsätzlich, wenn es darum geht, Dein Leben sinnvoll zu gestalten.

Denn: Sinnhaftigkeit steht weit über Egoismus und Selbstaufgabe. Und somit jenseits unserer üblichen, begrenzenden Bewertungen.





Dr. Christina Wiesemann
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