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Guten Abend Leute!
Ich habe noch nie meine Probleme in so einer Form publik gemacht, hoffe Ihr könnt und wollt mir dazu euer Feedback geben.
Ich bin 34 und habe seit ca. 14 Jahren mit einer mittleren Angststörung und ab und zu auch leichten depressiven Episoden zu kämpfen, war schon mal in stationärer Behandlung und habe einige ambulante Therapien gemacht, aktuell bin ich bei meiner wirklichen tollen Psychotherapeutin und bei einem super Neurologen in Behandlung. Mein Hausarzt ist auch top und meine Familie Supportet mich auch total. So weit so gut!

Die letzten Jahre vor Corona ging es mir sehr gut, ich habe auch keine Therapie mehr gebraucht und war auf Venlafaxin eingestellt, habe es ca. 3 oder 4 Jahre genommen und immer super vertragen, die Dosis lag meist zwischen 37,5 und 150.

Zum springenden Punkt: Ich wollte irgendwann weg von Psychopharmaka, das war der letzte große Schritt und den habe ich dann im Februar nach Absprache mit meinem Neurologen gewagt. Am Anfang ging es mir echt gut damit, nur dann hat die 3. Welle mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bin selbständig und bin nach der 2. Welle davon ausgegangen dass durch die Impfungen 2021 wieder einigermaßen normal laufen wird. So war es dann ja bekanntlich nicht und mir sind wieder alle Aufträge durch die Lappen gegangen, mein ganzes Geschäft stand vor dem Aus und obwohl ich aktuell wieder arbeiten darf ist die Zukunft nach wie vor extrem ungewiss (Musik/Veranstaltungsbranche).

Dementsprechend hat das ganze wieder angefangen, zuerst mal eine Panikattacke einfach so auf dem Sofa, dann immer mehr in immer kürzeren Abständen. Dann kam die Angst mit mir stimmt was nicht ich habe körperlich irgendwas schlimmes, ihr kennt das bestimmt. Schlussendlich war ich dann soweit und habe mich widerwillig breitschlagen lassen wieder Venlafaxin zu nehmen. Mir ging es dann aber noch viel schlechter als vorher und meine Therapeutin meinte das sei kein Wunder wenn ich mich innerlich so dagegen streube.

Einige Wochen vergingen ohne Venlafaxin (habe nach 3 oder 4 Tagen wieder abgesetzt) aber meine Lage spitzte sich weiter zu. Ich habe mir ein teures CES Gerät gekauft (Alpha-Stim) und fand es am Anfang wirklich gut, nur die Angstzustände haben sich trotzdem immer weiter verschlimmert so dass ich diese Woche Dienstag bei meinem Neurologen sass und er meinte sie müssen wieder Venla nehmen, es führt kein Weg dran vorbei. Also gut Venla genommen und am nächsten Tag ging es mir so dermaßen schlecht. Ich hatte große Angst davor ein Serotonin Syndrom zu haben, da ich ja gleichzeitig auch das CES Gerät benutze welches angeblich auch den Serotonin Spiegel extrem ansteigen lässt?!

Ich war vergangene Woche dann noch bei meinem Hausarzt der mir körperlich beste Gesundheit bescheinigt hat, bei meiner ehemaligen Hausärztin (mittlerweile in Rente, kümmert sich trotzdem noch um mich) die meinte ich sei gesund. Letztendlich sagen alle dass ich ohne Problem das Venlafaxin nehmen kann. ABER ich will es nicht. Irgendetwas in mir sagt mir nein du kannst das nicht nehmen. Meine ganzes Umfeld ist fast am verzweifeln wegen meines Sturkopfes.

Was denkt Ihr darüber? Kann man auch ohne Antidepressivum leben? Ich habe kein Problem damit in Therapie zu gehen, gerne auch stationär, aber ich möchte mich nicht mehr diesen Pillen aussetzen obwohl ich sie ja paradoxerweise jahrelang sehr gut vertragen habe.

Bin gespannt auf eure Antworten!
Lg Tom

24.07.2021 22:22 • 25.07.2021 x 1 #1


11 Antworten ↓


Hallo und willkommen Tom, ich denke die Antwort kennst du selber: klar geht es auch ohne AD.

Nur für den Fall, dass du zu dem Schluss kommst, du kommst mit den ergriffenen Maßnahmen doch nicht so recht weiter: wie hast du im/bis Februar abgesetzt? Langsam und kleinschrittig?
Und dass AD beim Einschleichen oft erstmal alles schlimmer machen bevor es besser wird, weißt du?

Ich will damit sagen: Die schlechte Meinung, die du aktuell von den Tabletten hast, ist evtl behandelbar.

A


Angst vor Antidepressiva, Probleme Krankheit zu akzeptieren

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Servus Tomsn und ebenfalls willkommen!

AD oder nicht - eine Frage, die viele hier umtreibt. Vor allem, wenn man während jahrelanger Einnahme und gleichzeitiger Psychotherapie (!) nach dem Absetzen wieder einen Rückfall erleidet. Bei mir blinken da immer folgende Fragen auf:

- Hat die Psychotherapie überhaupt irgendetwas genützt, wenn sich jetzt herausstellt, dass ich offenbar ohne AD nicht klarkomme?

- Hat sich doch, wider jeglicher Behauptung, eine gewisse AD-Sucht entwickelt?

- Wenn ich mit dem AD gut zurecht kam, warum mache ich dann nicht einfach weiter damit?

Gleich vorweg - ich nahm nie ADs und kann deshalb aus eigener Erfahrung nicht mitreden. Allerdings habe ich mich viel mit ADs (teils auch beruflich), deren Wirkweisen und Ausschlusskriterien sowie mit natürlichen Alternativen befasst und auch mein Vater nahm Venla über einen längeren Zeitraum. Mein AD war für viele Jahre der Gersten- und Rebensaft... Da ich mir meiner Suchtneigung schon seit langem bewusst war, hatte ich logischerweise auch einen ordentlichen Respekt vor Psychopharmaka insgesamt. Und das war in meinem Fall definitiv auch richtig so.

Inzwischen bin ich der Meinung, dass insgesamt

- zu schnell ADs verschrieben werden
- zu viele auf diesem Gebiet unerfahrene Ärzte verschreiben
- zu viele junge Menschen ADs verabreicht bekommen
- zu unreflektiert damit umgegangen wird (Einnahmedauer, Kombination, Gegenanzeigen ignorieren etc.)
- zu wenig Allgemeinwissen bei Betroffenen über die Wirkweise und deren z. T. verdeckten Nebenwirkungen vorliegt.

Die Liste lässt sich mit Sicherheit noch erheblich erweitern. Um nicht den Rahmen zu sprengen: M. E. muss sich jeder seine Meinung - ggfs. auch durch Erfahrung (Einnahme) - zu ADs und ihrer Rolle in seiner persönlichen Entwicklung hinsichtlich der psychischen Probleme bilden.

Es hat eine Ursache, weshalb Du von dem AD wegkommen willst, oder?

Zitat von Tomsn87:
Ich wollte irgendwann weg von Psychopharmaka, das war der letzte große Schritt.


Etwas provokativ gefragt: Was waren denn die vorherigen großen Schritte? 14 Jahre sind eine lange Zeit...
Oder noch provokativer: Ich tue mich schwer mit dem bloßen Antrieb, dass jemand weg möchte von ADs. Es muss mehr dahinterstecken. Was konkret?

Warst Du der Meinung, dass Du nun wieder gesund bist? Dann würde das aus jetziger Sicht im Umkehrschluss bedeuten, dass Du 14 Jahre lang krank warst.
Hat Dich die Pille genervt? Sie erinnerte Dich daran, dass Du noch krank bist; nicht normal, wie alle anderen?
Wolltest Du ein Lebenskapitel durch das Absetzen abhaken, sozusagen eine Katharsis bestätigen?

Vielleicht magst Du diese Fragen nochmal näher anschauen und berichten.

Zitat von Tomsn87:
habe mich widerwillig breitschlagen lassen wieder Venlafaxin zu nehmen. Mir ging es dann aber noch viel schlechter als vorher und meine Therapeutin meinte, das sei kein Wunder wenn ich mich innerlich so dagegen sträube.


Hier bleibt zu berücksichtigen, dass SSRIs oder SNRIs wenig Sinn machen oder auch kontraindiziert sind, wenn nahezu kein Serotonin/Noradrenalin mehr vorhanden ist. Die allerwenigsten Psychiater/Neurologen/Hausrärzte schenken vor einer Verschreibung dem aktuellen Neurotransmittergefüge überhaupt Aufmerksamkeit. Dieses kann sich nämlich nicht zuletzt im Zuge jahrelanger AD-Einnahme ordentlich verschieben. Logischerweise können auch extreme Stresssituationen (wie in Deiner beruflichen Situation) dazu führen, dass sich die Werte radikal verschlechtern. Ein aussagekräftiges Neurostresslabor kostet richtig Schotter und wird von den wenigsten KKs bezahlt. Da Du evtl. privat versichert bist, hast Du jedoch gute Chancen, dass das übernommen würde. IdR wird so etwas jedoch nur von ganz wenigen Ärzten angeboten und als überflüssig abgetan.

Zitat von Tomsn87:
Ich habe kein Problem damit in Therapie zu gehen, gerne auch stationär, aber ich möchte mich nicht mehr diesen Pillen aussetzen obwohl ich sie ja paradoxerweise jahrelang sehr gut vertragen habe.

Zitat von Tomsn87:
Meine ganzes Umfeld ist fast am verzweifeln wegen meines Sturkopfes.


Tja, Dein Umfeld hat halt seinen eigenen Kopf und das ist auch gut so. Ich finde Deine Haltung, stattdessen Therapie zu machen absolut richtig und unterstützenswert. Du hast bereits verstanden, dass es irgendeinen Schalter gibt, den es diesmal(?) wirk-sam umzulegen gilt. Dabei würde ich vorschlagen, die therapeutische Vergangenheit erstmal zu vergessen und die schwierige Corona-Situation nutzen, um genau diesen von Dir skizzierten (stationär!) Schritt zu wagen. Er wird ohne Frage anstrengend aber auch spannend und lehrreich sein. Und - quo vadis - vielleicht ist das der große Schritt, wenn auch mit Sicherheit nicht der letzte in unserem Leben...

Zitat von moo:
Hier bleibt zu berücksichtigen, dass SSRIs oder SNRIs wenig Sinn machen oder auch kontraindiziert sind, wenn nahezu kein Serotonin/Noradrenalin mehr vorhanden ist.


Hi moo, wie will man das auch testen? Soweit ich weiß, kann man nicht vom Blut-Serumspiegel dieser Neurotransmitter auf die Konzentration im Hirn schließen. Eines der großen Blackbox-Themen rund um AD. Man weiß ja kaum, wie diese wirken, nur, dass es scheinbar einen positiven Zusammenhang gibt zwischen Einnahme und Besserung gibt (und der ist ja auch nur etwas höher als in der Placebogruppe).

Hi @Pauline333 ,

stimmt - das ist mir auch so bekannt. Jedoch besteht bei einigen Laboren die Möglichkeit eines Speichelhormontests, der angeblich weitaus aussagekräftiger ist. Ich habe mehrere solcher Tests gemacht und die Symptome stimmten tatsächlich mit der Entwicklung der Werte überein.

Bzgl. Wirkung: Ich bin mir auch sicher, dass besonders in diesem Bereich eine hohe Placebobereitschaft im Körper(-Geist-Gefüge) vorherrscht. Gerade deshalb räume ich Alternativprodukten oder -maßnahmen große Chancen ein. Ich arbeitete vorwiegend mit den Vorstufen (vorw. Aminosäuren) und den dazugehörigen Co-Faktoren.

Zitat von Pauline333:
Hallo und willkommen Tom, ich denke die Antwort kennst du selber: klar geht es auch ohne AD. Nur für den Fall, dass du zu dem Schluss kommst, du ...

Danke für dein Feedback! Nach der jahrelangen Einnahme habe ich über Januar in den Februar immer mehr von 75 auf 37,5 und dann gar nichts mehr genommen
Das mit dem einschleichen Verschlimmerung ist mir klar und nehm ich auch gern in Kauf aber nicht so heftige wie es nach der ersten Tablette am Dienstag war In der Nacht ging es schon los mit Herzrasen und Panik und am Folgetag war ich nur rumgelegen und hatte ständig Schweißausbrüche und war total fertig, hat sich angefühlt als bekomme ich ne Grippe Das hat die Angst vor dem Serotonin Syndrom dann entsprechend befeuert ohne Ende
Und auch die Folgetage waren echt die Hölle obwohl ich es nur bei der einen Tablette belassen habe!
Heute kam ich zum ersten Mal dank einen halben Tavor wieder runter einigermaßen.
Trotz alldem überwiegt die Angst ich hätte mir so ein Serotonin Syndrom oder noch schlimmer ein MNS zugezogen Mein Hausarzt meine: Unwahrscheinlich, der Neurologe: Unwahrscheinlich, Tabletten weiter nehmen bitte, wenn es schlimmer wird anrufen aber ganz ehrlich noch schlimmer wie nach der ersten Einnahme gehts eigentlich schon nicht mehr

Zitat von moo:
Servus Tomsn und ebenfalls willkommen! AD oder nicht - eine Frage, die viele hier umtreibt. Vor allem, wenn man während jahrelanger Einnahme und ...

Zu deiner ersten Frage In den 14 Jahren meiner Erkrankung habe ich durchgängig nur ca 5-6 Jahre ADs genommen, und war zwischendurch auch generell immer mal mehrere Jahre fast zu 100 % Beschwerdefrei. Bin ein ziemliches Alphatier und lass mir so schnell nichts anmerken.
Der Grund warum ich weg will davon ich bin 34, hab kein Bock noch weitere 10 Jahre ständig ADs zu nehmen. Das muss auch so funktionieren.
Und warum mir das so immer mehr gekommen ist viel lesen googeln und erfahren dass sich die Wissenschaft ja aktuell selbst nicht mehr einig ist wie gut oder ob ADs vor allem SSRI/SNRIs wirken
Am Anfang hab ich die einfach reingeworfen ohne groß drüber nachzudenken und hab mir gedacht naja ich brauch das halt scheinbar, so wie der Diabetiker sein Insulin aber sehe das Mittelweile nicht mehr so

Ein Setotoninsyndrom ist extremst selten und passiert nicht durch eine einmalige geringe Dosis, sondern i.d.R. durch die Kombination von mindestens 2 serotonerg wirkenden Medikamenten. Außerdem hast du das Medikament schonmal vertragen.

Ich weiß nicht, ob 75mg bei Venlafaxin viel ist, aber innerhalb von 4 bis 6 Wochen absetzen ist i.d.R. zu schnell. Das geht oft nicht gut und führt nach ein paar Wochen oder wenigen Monaten zum Rückfall.

Zitat von Tomsn87:
Zu deiner ersten Frage In den 14 Jahren meiner Erkrankung habe ich durchgängig nur ca 5-6 Jahre ADs genommen, und war zwischendurch auch generell ...

Im besten Fall dienen SSRI/SNRI zur Überbrückung. Ohne eine Änderung im Lebensstil bleibt man ohne Medikamente nicht stabil. Auch manchmal mit nicht.

Zitat:
Warst Du der Meinung, dass Du nun wieder gesund bist? Dann würde das aus jetziger Sicht im Umkehrschluss bedeuten, dass Du 14 Jahre lang krank warst.
Hat Dich die Pille genervt? Sie erinnerte Dich daran, dass Du noch krank bist; nicht normal, wie alle anderen?
Wolltest Du ein Lebenskapitel durch das Absetzen abhaken, sozusagen eine Katharsis bestätigen?

Vielleicht magst Du diese Fragen nochmal näher anschauen und berichten.


Ja am Schluss hat ich die Pille genervt definitiv. War ständig im Austausch mit dem Neurologen die nach und nach abzusetzen was er auch unterstützt hat immer... Und ja, für mich ist die Pille glaub ich DER springenden Punkt im Sinne von... Ich bin nicht normal... Wenn ich mit meinen Mitarbeitern im Hotel bin und dann schnell immer ne Pille schlucken muss, nicht einfach mal ungezwungen mit denen ein paar trinken kann usw... Das hat mich auf Dauer total abgenervt.

Meinen Lebensstil habe ich ziemlich abgeändert tatsächlich, und mein Neurologe war sich mit mir einig. Aktuell sitzt mein Ärzte-Team geschlossen da und sagt, Tom schau dir doch mal deine berufliche Situation an, es führt kein Weg dran vorbei wieder ADs zu nehmen ist doch klar! Bis auf meine alte Hausärztin, die meint Tom du kannst es auch mal pflanzlich mit Lasea und dem CES Gerätchen versuchen und wenn im allerschlimmsten Fall die heftigste Panikattacke kommt gibts immer noch die Möglichkeit ne halbe Tavor zu nehmen.
Mit diesem Weg würde ich seehhhr gerne arbeiten. Plus natürlich ständige Psychotherapie, ambulant und gerne auch mal nach der langen Wartezeit stationär.

Aber dann mach das. Es geht nichts über Integrität. Auch und gerade sich selbst gegenüber.

A


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Dr. Christina Wiesemann
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