Hallo Mom4,
ich kann Dir ein bisschen davon erzählen, wie in der Klinik, in der ich schon häufiger war, an solchen Problemen gearbeitet wird. Ich habe mir über das Vorgehen noch keine abschließende Meinung gebildet, berichte also nur, ohne zu bewerten, was da gemacht wird. Was ich sagen kann, ist, dass das Verfahren wohl wissenschaftlich gut erforscht ist und gute Resultate erzielt, die Patienten waren alle sehr begeistert von ihren Erfolgen (ich selber war auf einer anderen Station, kenne das Programm also nur aus Gesprächen mit den Patienten darüber, habe es aber nicht selber gemacht, bzw. nur in abgewandelter Form).
Ich fand einige Ansätze daran beim ersten Hören überraschend, aber dann auch durchaus einleuchtend, es deckt sich viel mit dem, was @cube_melon auch in ähnlicher Form beschrieben hat (so wie ich es verstanden habe): kein Sicherheitsnetz nutzen, das ist kontraproduktiv und verhindert Lernerfolge.
In dieser Klinik wird viel mit Expositionen gearbeitet, die völlig ohne irgendwelchen Ablenkungen und Hilfsgegenstände funktionieren. Also, wenn der Patient z.B. Bahnfahren soll, tut er das ohne irgendwelchen Hilfsgegenstände, kein Handy darf dabei sein u.ä. (ich glaube, nicht mal Kaugummi ist erlaubt). Der Gedanke dahinter ist: Man soll sich ganz auf die Situation einlassen und diese mit allen Sinnen wahrnehmen. Der Körper kann den Zustand von größerer Angst und Panik nicht lange aufrecht erhalten, man soll also bewusst wahrnehmen, dass die Situation realistisch betrachtet nicht gefährlich ist, dass nichts Schlimmes passiert, dass die Angst einem nichts antun kann und, ganz wichtig, irgendwann nachlässt. Hätte man etwas zur Ablenkung oder Hilfe dabei, könnte sich dieser Effekt nicht einstellen, man würde also quasi Vermeidung betreiben, was ja nicht sein soll. Man soll bewusst wahrnehmen, wie die Angst nachlässt (und das tut sie, auch wenn sie zuerst ganz heftig nach oben schießt), daraus kann das Gehirn bzw. das Emotionszentrum lernen und diese Lernerfahrung positiv ablegen. Beim nächsten Mal kann es dann auf diese Lernerfahrung zurückgreifen.
Diese Expositionen werden intensiv vor- und nachbereitet und vom Anforderungsniveau her gesteigert, damit es auch machbar ist (anspruchsvoll und fordernd: ja, definitiv angstauslösend, aber machbar).
Ein weiterer Aspekt: Es gibt keinen Schritt zurück. Soll heißen: Was man einmal kann, gilt als erreichter Meilenstein, hinter den man nicht wieder zurückfallen soll. Das würde übertragen auf Deinen Fall bedeuten: Du weißt, dass Du alleine rausgehen kannst, Dein/e Kind/er zur Schule fahren kannst und zum Spielplatz begleiten kannst, also solltest Du künftig keine Begleitperson mehr mitnehmen, wenn Du rausgehst, da Du bereits weißt, dass es ohne geht. Das hatte @cube_melon ja auch schon so erläutert (wenn ich das richtig verstanden habe, ansonsten sorry, falls ich Dich falsch zitiere), Dein Gehirn bleibt sonst bei der Überzeugung, dass Du es alleine nicht schaffen kannst.
Als mir die ersten Patienten von ihren Erfahrungen damit berichtet haben, dachte ich nur: Wow, echt krass, das könnte ich nicht schaffen. Aber alle waren wirklich ehrlich begeistert von den Fortschritten, die sie gemacht haben, es war auch wirklich toll zu beobachten, wie diese Patienten sich über die Zeit verbessert haben bzw. ihre Angstsymptome nachgelassen haben. Klar waren die auch immer völlig ausgelaugt und kaputt, wenn sie von einer solchen Expo zurückkamen, aber sie waren auch immer total glücklich und stolz, es geschafft zu haben.
Also, kurz zusammengefasst: neues Verhalten in kleinen Schritten, aber konsequent aufbauen, keine Hilfspersonen oder Ablenkungen nutzen, erreichte Meilensteine nicht wieder unterschreiten.
Ich weiß nicht, ob da für Dich etwas dabei ist, was Dir vielleicht hilft. Deine Therapeutin wird Dir bestimmt viel dazu sagen können, falls Du so etwas ausprobieren möchtest.
Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Erfolg!
LG Silver
28.05.2021 02:42 •
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