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Hallo an alle!

Ich habe mal eine Frage an diejenigen, die von Zwangsstörungen und/oder ÄVPS betroffen sind oder sich mit diesen beiden Störungen auskennen. Und zwar geht es mir darum, dass ich das Verhältnis zu meinem Bruder verbessern möchte, der eben diese beiden Störungen hat.

Das Verhältnis zu meinem Bruder war nie richtig gut, wir sind sehr unterschiedlich. Von seiner Zwangserkrankung weiß ich schon Jahrzehnte aber da sind noch andere, für mich eigenartige Verhaltensweisen bzw. sind im Laufe der Jahre vielleicht auch erst dazugekommen, die ich nicht eizuordnen wusste. Gestern bin ich dann hier im Forum zufällig auf ÄVPS gestoßen und dachte mir, ja das passt sehr gut auf das, was ich an ihm beobachte.

Aufgrund gewisser Umstände treffe ich ihn seit ca. anderthalb Jahren einmal die Woche bei meiner Mutter. In dieser Zeit konnte ich schon viel an unserem Verhältnis verbessern, was mich sehr sehr freut . Ich arbeite ja auch schon jahrzehntelang an mir und bin sehr selbstreflektiert. So hatte ich erkannt, dass ich mich ihm gegenüber meist ziemlich überheblich benommen habe und mich außerdem gewisse Verhaltensweisen von ihm deswegen triggerten, weil sie mich arg an unseren Vater erinnerten

Meine Überheblichkeit habe ich mittlerweile ablegen können und wenn mich was an dem Verhalten von meinem Bruder antriggert, reagiere ich nicht mehr darauf, sondern nehme es hin. Damit komme ich meist ganz gut klar.

Unser Verhältnis hat sich schon soweit gebessert, dass wir viel besser miteinander umgehen können, die Atmosphäre ist nicht mehr so feindselig wie noch vor anderthalb Jahren. Manchmal berührt mich auch sehr zu merken, dass auch er sich Mühe zu geben scheint - das ist wirklich sooo schön
Es wird halt nichts (z.B. die Störungen) direkt angesprochen, was ja scheinbar - weil schambehaftet - charakteristisch für ÄVPS ist und ich vermeide auch jegliche Ansprache in dieser Richtung, weil ich mir sicher bin, dass das unser Verhältnis eher belasten würde. Ich habe gelernt, ihn mit seinen Störungen anzunehmen, auch wenn ich durchaus hin und wieder innerlich am Kämpfen bin, weil sich so manche zwischenmenschliche Situation einfach total schräg für mich anfühlt.

Nach allem, was ich hier und bei Wikipedia über ÄVPS gelesen habe, komme ich zu der Schlussfolgerung, dass es wohl mehr als unwahrscheinlich ist, dass ich jemals ein schönes vertrautes Verhältnis zu meinem Bruder bekommen könnte. Mit diesem Gedanken kann ich mittlerweile leben. Wichtig wäre mir jedoch, dass er sich wohl fühlt mit mir, die wenigen Male, die wir uns sehen, also dass ich ihm etwas Sicherheit geben kann und er sich von mir angenommen fühlt. Seit sich unser Verhältnis nun soweit gebessert hat, kann ich ja auch wieder meine Liebe für ihn spüren. Davor war ich oft einfach nur genervt und habe das auch gezeigt

Nun zu meiner Frage: Liege ich denn richtig mit der Annahme, dass man als Gesprächspartner eines von ÄVPS Betroffenen eigentlich eher Dinge VERMEIDEN sollte, als dass man direkt etwas TUN kann (verhaltenstechnisch gesehen)? Und wenn ja, was konkret ist denn hilfreich und was total kontraproduktiv? Kann auf diese Störung bezogen überhaupt etwas Allgemeingültiges empfohlen werden oder sind die davon Betroffenen einfach zu unterschiedlich, als dass das möglich wäre?

Wir scheinen ja schon auf einem ganz guten Weg zu sein, doch ich kann mich nicht so richtig in seine Welt reinversetzen. Und zudem habe ich ja auch meine eigenen psychischen Baustellen ... wäre also für Tipps von euch sehr dankbar!

Liebe Grüße!

10.08.2021 14:26 • 19.08.2021 x 1 #1


42 Antworten ↓


Keine Umarmungen oder Küsschen beim Begrüßen, nicht dazu drängen, etwas mit dir zu unternehmen oder zu überreden, sich mit Leuten zu treffen, nicht über das Thema Partnerschaft und Familie reden. Das sind meine großen Tabus.

A


Umgang mit meinem Bruder - ÄVPS und Zwangsstörung

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Wenn Du deine eigenen psychischen Baustellen kennst, bist du vielleicht soweit, auch etwas Demut zu entwickeln. Du scheinst dich innerlich etwas "über" deinen Bruder gestellt zu haben. Das wird ihm nicht gerecht.

@Fauda
Nöö, du liegst komplett daneben. Seitdem ich nämlich meine Überheblichkeit ihm gegenüber abgelegt habe, fühle ich mich oft verunsichert und unbeholfen.

Mal ein Beispiel von einer Situation, die immer wieder vorkommt:
Meine Mutter, mein Bruder und ich sitzen zusammen. Sie oder ich erzähle irgendwas Belangloses, er sagt nichts. Und das nicht nur für einige wenige Minuten, sondern über längere Zeit. Wir lassen ihn in Ruhe (weil er die scheinbar haben möchte), hin und wieder spricht eine von uns ihn direkt an, um ihn einzubeziehen, was eigentlich auch meistens klappt. Von ihm aus kommt nichts oder in großen Ausnahmefällen.

Das ist so eine Situation, die sich für mich komisch anfühlt, wie ich oben beschrieben habe. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass es mir ja NICHT NUR darum geht, dass mein Bruder sich mit mir wohlfühlt, auch ICH möchte mich wohlfühlen. Und da ich auch schon einige Jährchen hier auf der Erde verweile, habe ich kapiert, dass es Sinn macht seinen eigenen Beitrag dazu zu leisten. Also bemühe ich mich und suche nach Lösungen.

Eine weitere Situation ist, dass wenn ich mich mit meiner Mutter über meine körperlichen Probleme unterhalte (Physio, Arzt, meine Übungen etc. pp.), er überhaupt nichts dazu sagt. Ich habe keine Ahnung, was in ihm vorgeht. Was aber bei mir ankommt - und damit kann ich falsch oder richtig liegen, das weiß ich halt nicht, weil es nicht direkt angesprochen wird - ist, dass ihm meine körperlichen Probleme egal sind. Es fühlt sich im Grunde immer so an, als ob er meint, ich hätte diese gar nicht. Ganz eigenartig. Und nein, es geht mir nicht darum, dass er mich betüddelt, bemitleidet oder sonstwas in diese Richtung. Überhaupt nicht!
Ich wüsste gerne, wie ich sein Verhalten einzuordnen habe. Ich würde das gerne verstehen, deswegen ja meine Frage an von ÄVPS Betroffene und/auch solche, die sich damit auskennen.
Ich habe GRUNDSÄTZLICH das Bedürfnis Menschen, mit denen ich zu tun habe, zu verstehen, in diesem Fall geht es halt um meinen Bruder, der diese Störungen hat.

Nur wenn man jemanden versteht, kann man ja sein eigenes Verhalten entsprechend korrigieren. Das meine ich nicht in dem Sinne, dass man sich für andere verbiegen sollte, keineswegs. Aber Fakt scheint ja wohl zu sein - wenn ich das richtig verstanden habe - dass Menschen mit ÄVPS nur eingeschränkte Möglichkeiten im zwischenmenschlichen Bereich haben. Also kann ich als Nicht-Betroffene - mit sehr wahrscheinlich mehr Möglichkeiten im zwischenmenschlichen Bereich - ja das vermeiden, was einer guten Beziehung mit solch einem Menschen abträglich ist bzw. das tun, was sie fördert. Oder wie siehst DU das?

Ich habe auch ´ne Menge Probleme, bin öfter am Boden, weil ich wie schon erwähnt - körperliche Schmerzen habe, außerdem viel alleine bin und mir oft die Ansprache fehlt. Also ich bin echt am Kämpfen und tue mein Möglichstes, suche auch für meine Situation immer wieder nach Lösungen. Derzeit geht es mir zum Glück verhältnismäßig gut, kann sich aber schnell wieder ändern.

Meine psychischen Baustellen kenne ich übrigens sehr gut, wie sollte es auch anders sein, beschäftige mich ja schon seit Jahrzehnten damit.

Zitat von Myosotis:
Von ihm aus kommt nichts oder in großen Ausnahmefällen.


Zitat von Myosotis:
Eine weitere Situation ist, dass wenn ich mich mit meiner Mutter über meine körperlichen Probleme unterhalte (Physio, Arzt, meine Übungen etc. pp.), er überhaupt nichts dazu sagt. Ich habe keine Ahnung, was in ihm vorgeht. Was aber bei mir ankommt - und damit kann ich falsch oder richtig liegen, das weiß ich halt nicht, weil es nicht direkt angesprochen wird - ist, dass ihm meine körperlichen Probleme egal sind.

Das musst du halt akzeptieren.
Wenn ich in Gesellschaft bin, verhalte ich mich auch so. Allerdings nicht, wenn ich nur mit jemandem alleine bin, der mir sehr vertraut ist.

Zitat von Myosotis:
@Fauda Nöö, du liegst komplett daneben. Seitdem ich nämlich meine Überheblichkeit ihm gegenüber abgelegt habe, fühle ich mich oft verunsichert und unbeholfen. Mal ein Beispiel von einer Situation, die immer wieder vorkommt: Meine Mutter, mein Bruder und ich sitzen zusammen. Sie oder ich erzähle irgendwas ...

Du erwartest von deinem Bruder ein bestimmtes Verhalten und er legt dieses Verhalten nicht an den Tag. Daraus ziehst Du Schlüsse, die auf Deinen eigenen Vorstellungen, Erwartungen und Interpretationen basieren. Mit Verstehen hat das wenig zu tun. Wenn er so sein kann, wie er ist und du ihn so akzeptierst, beginnt Verstehen.

@Fauda
Zitat von Fauda:
Du erwartest von deinem Bruder ein bestimmtes Verhalten und er legt dieses Verhalten nicht an den Tag.

Okay soweit deine Version.

Und nun zu meiner, den Ablauf haarklein aufgedröselt:
Ich HABE von meinem Bruder immer ein bestimmtes Verhalten erwartet, WAR genervt weil meine Erwartung nicht erfüllt wurde, HABE mit Überheblichkeit reagiert, fühlte mich schlecht damit, habe daraufhin diese Erwartungen und die Überheblichkeit losgelassen, habe gelernt sein Verhalten anzunehmen.
War natürlich ein längerer Prozess, versteht sich wohl von selbst, dass das nicht von heute auf morgen geht.

Womit ich jedoch zu Kämpfen habe - und ja, das ist erst mal MEIN Problem und ich versuche bestmöglich und eigenverantwortlich damit umzugehen! - ist das Gefühl, das sich bei mir einstellt, wenn mein Bruder sich so verhält: in der Herzgegend zieht es sich zusammen, ich sag´ mal so eine Art Krampf (keine Ahnung, ob du damit was anfangen kannst!?)
Nun ist es aber halt im Menschen so angelegt - bei dir sicherlich auch!? - dass man schlechte Gefühle möglichst in gute verwandeln oder neutralisieren möchte, d.h. man hat im Laufe des Lebens entsprechende Möglichkeiten ausprobiert, das eine für hilfreich und das andere für weniger hilfreich befunden, nicht wahr?
Mir hilft in dieser Situation z.B., dass ich mich auf meinen Atem konzentriere, das macht mich ruhiger und der Krampf wird weniger intensiv. Als Erste-Hilfe-Maßnahme für mich sozusagen für eine Weile abgehakt.

Der zweite Punkt ist jedoch, dass ich das Gefühl habe, dass auch mein Bruder zeitweise angespannt wirkt. Kann ich natürlich ignorieren, mir sozusagen am A... vorbeigehen lassen. NEIN, kann ich nicht, denn auch DAS merke ich körperlich. Und schon fängt das ganze Spiel wieder von vorne an - tief ein- und ausatmen und wieder sind einige Momente überstanden. Ja, so kann man auch die Zeit miteinander verbringen, ob man das allerdings so möchte, steht auf einem anderen Blatt.

Ich kann einfach nichts mit so einem lapidaren das musst du halt so hinnehmen o.ä. anfangen. Ist DAS die Lösung? Sich ständig schlecht fühlen und immer so weiter machen. Das kann nicht die Lösung sein, weil es irgendwann so enden würde, dass diese wöchentlichen Treffen nicht mehr stattfinden, weil ich ziemlich sicher irgendwann nicht mehr die Energie dafür habe (Stichwort: eigene psychische Baustellen). Wir Drei sind aber die Einzigen aus unserer Familie, die noch übrig sind. Jetzt kann man natürlich als nicht mitfühlender Außenstehender sagen so what, musst du halt mit leben. Gut, wenn DAS dann die Antwort ist ...

Zitat von Fauda:
Mit Verstehen hat das wenig zu tun.

Ist ja fast schon witzig, dass du das schreibst. Was liest du eigentlich aus meinen Zeilen raus? Was interpretierst du da rein? Oder überfliegst du den Text nur und haust dann irgendwas unüberlegt raus? Ich habe mit keinem Wort geschrieben, dass ich es/ihn verstehen würde, sondern dass ich mir WÜNSCHE, es/ihn besser zu verstehen.

Zitat von Fauda:
Wenn er so sein kann, wie er ist und du ihn so akzeptierst, beginnt Verstehen.

Zitat von Myosotis:
Unser Verhältnis hat sich schon soweit gebessert, dass wir viel besser miteinander umgehen können, die Atmosphäre ist nicht mehr so feindselig wie noch vor anderthalb Jahren.

Das liegt daran, dass ich bereits gelernt habe, ihn so zu akzeptieren wie er ist, er das offensichtlich mitbekommen hat und sich selbst ebenfalls bemüht, was ich supertoll finde. Also erste Etappe geschafft, würde ich sagen.
Nun würde ich gerne eine weitere Etappe schaffen, oben beschriebene Anspannungen (auf beiden Seiten) auflösen und habe deswegen diesen Faden eröffnet. Aber vielleicht ist das, was wir bisher erreicht haben, ja das Bestmögliche bei so einer ÄVPS in Kombi mit meinem eigenen psychischen Kram. Gut, mag sein ... ich werde es noch herausfinden, denke ich.

Zitat von Myosotis:
Nun würde ich gerne eine weitere Etappe schaffen, oben beschriebene Anspannungen (auf beiden Seiten) auflösen und habe deswegen diesen Faden eröffnet. Aber vielleicht ist das, was wir bisher erreicht haben, ja das Bestmögliche bei so einer ÄVPS in Kombi mit meinem eigenen psychischen Kram.


Das hängt davon ab, wie schwer ausgeprägt die ÄVPS ist. Bei mir ist sie nicht so sehr ausgeprägt und ich fühle mich unter vertrauten Menschen wie z.B. meine Kollegen, meinen Verwandten und den wenigen Freunden und Bekannten, die ich habe, wohl. Ich hätte wahrscheinlich keine Probleme mit dir als Schwester. Es hängt auch davon ab, wie häufig du da bist. Wenn ihr zusammen in einem Haushalt leben würdet, wärst du Teil seiner täglichen Routine und höchstwahrscheinlich könnte er dann entspannter sein.

Zitat von Myosotis:
Sich ständig schlecht fühlen und immer so weiter machen.


Nein, man nennt das Abgrenzung. Und dazu gehört wirklich, andere so anzunehmen, wie sie sind. Und nicht, wie man meint, wie sie sein sollen und eigene Befindlichkeiten hineininterpretiert.

Öffne dein Bewusstsein und liebe deinen Bruder einfach, ohne irgendwelche Erwartungen an ihn. Mehr musst du gar nicht tun.

@Schlaflose
Oh Gott-sei-Dank, endlich mal ´ne Aussage, mit der ich was anfangen kann. Ich hätte dir jetzt schon fast 1.000 Knutscher geschickt, aber ich weiß ja, dass du dann wegrennst ... deswegen nur ein einfaches Danke!

Dann ist es naheliegend, dass seine ÄVPS ausgeprägter ist als bei dir, denn er hat nur seine KollegInnen (wie vertraut, weiß ich nicht) und unsere Mutter.
Okay, also Routine ist für euch wichtig. Dann ist es also gut für uns, dass ich einmal die Woche dort bin. Das hat dann wohl die letzten anderthalb Jahre auch zur Verbesserung beigetragen.

Übrigens: Du hast geschrieben keine Umarmungen . Er umarmt mich aber zum Abschied von sich aus, also das geht. Aber mir ist schon ewig aufgefallen, dass er dazu immer den gleichen Satz sagt, was er wohl dann deswegen macht, weil ihm dieses Ritual (Routine) Sicherheit gibt. Ich finde das immer total schön, ist so eine Art Scherz zwischen uns

Hmmm, also mit dem Wort Routine hast du mir jetzt wirklich die Augen geöffnet. Ich glaube, nun verstehe ich so einiges ... muss das mal etwas sacken lassen.

Vielleicht überlesen, aber hast du ihn mal darauf angesprochen, wie sein Verhalten auf dich wirkt und ob du das richtig interpretierst? Ich finde ja, dass reden hilft. ÄVPS hin oder her, das ist ja kein an-die-Wand-stellen oder Konfrontieren mit den schlimmsten Ängsten, sondern ein Gespräche unter Geschwistern.

Zitat von Myosotis:
Übrigens: Du hast geschrieben keine Umarmungen . Er umarmt mich aber zum Abschied von sich aus, also das geht.

Bei meinen Verwandten (Cousine, ihr Mann und ihre Töchter; Cousin und seine Frau) mag ich Umarmungen und Küsschen auch, weil ich sie liebe. Und mit meiner Mutter hatte ich bis zu ihrem Tod vor 5 Jahren eine sehr innige Beziehung mit viel Körperkontakt. Ich mag es nur nicht als neumodisches Begrüßungsritual oder bei Gratulation zum Geburtstag u.ä. außerhalb der Familie.

Zitat von Icefalki:
Nein, man nennt das Abgrenzung. Und dazu gehört wirklich, andere so anzunehmen, wie sie sind. Und nicht, wie man meint, wie sie sein sollen und eigene Befindlichkeiten hineininterpretiert.

Hmmm ich habe keine Ahnung, was du mir damit v.a. in Verbindung mit dem zitierten Satz sich ständig schlecht fühlen und immer so weiter machen - sagen möchtest!? Vielleicht magst du es noch mal mit anderen Worten versuchen, muss aber natürlich nicht sein

Zitat von Icefalki:
Öffne dein Bewusstsein und liebe deinen Bruder einfach, ohne irgendwelche Erwartungen an ihn. Mehr musst du gar nicht tun.

Ja, ich weiß, diesen Ratschlag gibt´s schon seit Jahren an jeder Imbussbude gratis zum Mitnehmen

Ist schon witzig, dass immer wieder dieses "ohne irgendwelche Erwartungen" kommt, wo ich doch bereits mehrfach geschrieben habe, dass ich diese gar nicht habe. Kann nur vermuten, das geht "da rein, da raus" (Stichwort: Ohren).
Weiß irgendwie echt nicht, was ich davon halten soll. Vermutlich wird´s geschrieben, weil es so schlau klingt, anders kann ich es mir leider nicht erklären.

Und so wie´s aussieht, ist mein Bewusstsein bereits offen, denn ich spüre meine Liebe für meinen Bruder und Wärme im Herzen, wenn ich an ihn denke.

@Pauline333
Direkte Ansprache zu Persönlichem oder was die Gefühlswelt anbelangt: der Schuss geht nach hinten los, habe ich mehrfach mit ihm erlebt. Er wird dann leicht aggressiv (vermutlich aus Unsicherheit?) und windet sich so geschickt raus, dass ich nun gar nicht wiedergeben kann wie genau er das macht. Denn es hat mich jedes Mal ganz schön irritiert
Also solche Versuche haben bloß zu Anspannung auf beiden Seiten geführt.

Jemanden direkt auf etwas anzusprechen, ist normalerweise auch "mein Ding" - wie du geschrieben hast: reden hilft ... naja, KANN zumindest helfen Aber ihm gegenüber werde ich das nicht mehr machen bzw. habe es mir eh schon abgewöhnt.

Zitat von Pauline333:
das ist ja kein an-die-Wand-stellen oder Konfrontieren mit den schlimmsten Ängsten

Menschen mit ÄVPS scheinen das aber so zu empfinden. WIR, die keine ÄVPS haben, empfinden das nicht als Bedrohung, wobei man das ja auch nicht verallgemeinern kann. Es gibt da ja diverse Abstufungen, also durchaus Menschen, für die eine direkte Ansprache sehr unangenehm ist.

Zitat von Myosotis:
Direkte Ansprache zu Persönlichem oder was die Gefühlswelt anbelangt: der Schuss geht nach hinten los, habe ich mehrfach mit ihm erlebt. Er wird dann leicht aggressiv (vermutlich aus Unsicherheit?) und windet sich so geschickt raus, dass ich nun gar nicht wiedergeben

Ja, genauso Ich werde dann auch aggressiv, breche in Tränen aus oder lasse den anderen einfach stehen. Ich will nicht über meine Gefühlswelt reden. Es ist ja nicht mein Problem. Ich leide nicht darunter, wie ich bin, denn ich selbst akzeptiere mich so wie ich bin. Wenn andere ein Problem damit haben, ist es ihr Problem

Hallo Myosotis,

ich habe eine sehr stark ausgeprägte ÄVPS und Zwangsstörungen, zusätzlich noch eine Menge anderer Diagnosen, aber ich versuche mal, die ÄVPS und die Zwänge (da das ja die hier wichtigen Erkrankungen sind) aus meiner Sicht zu beschreiben, ich hoffe, das da für Dich irgendwas Hilfreiches dabei ist.

Zunächst: Wie bei allen Persönlichkeitsstörungen sind auch die betroffenen ÄVPSler alle sehr unterschiedlich, je nachdem, welche Symptome aus dem Symptomkatalog primär ausgeprägt sind.
Bei mir ist es zum Beispiel so, dass ich mit körperlicher Nähe und Umarmungen gar kein Problem habe, im Gegenteil, ich brauche das sogar sehr, um mich sicher zu fühlen. Aber nur von Personen, die mir sehr vertraut sind.
Ein wichtiges Kriterium ist die ständige Angst vor Kritik, Ablehnung und Zurückweisung. Die Angst ist so tief, dass sie alles im Leben durchzieht. Du hast geschrieben, dass Du Dich Deinem Bruder gegenüber früher manchmal herablassend verhalten hast und Dich jetzt geändert hast. Das Problem hier könnte sein, dass Dein Bruder nicht so schnell wie Du in der Lage ist, sein emotionales Erleben anzupassen. Die Art zu fühlen und zu denken ist bei Menschen mit PS sehr starr, alles andere als flexibel und nur sehr schwer zu verändern.
Du konntest Dich ändern, aber vielleicht kam Dein Bruder so schnell nicht hinterher, er wird vielleicht Jahre/Jahrzehnte dafür brauchen.
Du kannst versuchen, nach und nach herauszufinden, wo seine Verletzlichkeit und seine Angst vor Beschämung am Größten ist. Wenn er nicht gleich antwortet, kann es daran liegen, dass die Angst und die Erwartung vor einer erniedrigenden Antwort so groß ist, dass er gar nicht anders kann. Einfach weil er es von Dir noch gewohnt ist und diese Erwartungshaltung hat. Und er wird vielleicht noch immer Angst haben, dass Du eh dumm findest, was er sagt.

Er wird bemerken, dass Du Dich verändert hast. Menschen mit ÄVPS beobachten sehr genau. Nur wird er vielleicht dem Frieden nicht trauen und jetzt erst recht misstrauisch sein, ob er dem neuen Bruder trauen kann oder ob der ihn nur in eine Falle locken will. Wenn Du konstant bei diesen neuen wertschätzenden Verhalten bleibst, wird das mit der Zeit besser werden. Aber es wird vermutlich lange dauern.
Aber er wird es bemerken, und er wird es auch wertschätzen, aber die Angst wird wohl trotzdem stark sein, dass Du es nicht wirklich ernst meinst. Du kannst ihm aber durch konstantes Verhalten zeigen, dass es Dir ernst ist.
Du wirst irgendwann merken, womit Du ihm Sicherheit geben kannst. Bei mir ist es zum Beispiel Körperkontakt, wenn mein Mann merkt, dass ich Angst bekomme, hört er auf, auf mich einzureden und nimmt mich in den Arm. Oder einfach nur Kontakt an sich. Viele Menschen mit ÄVPS sind oftmals froh, wenn sie einfach nur mit (sehr wenigen und sehr vertrauten) Menschen zusammensein können, ohne etwas sagen zu müssen. Zu wissen, dass man einfach da sein darf, so, wie man ist, ohne etwas tun zu müssen.
Leidet er eigentlich auch an selektivem Mutismus?

Ihn direkt konfrontativ anzusprechen kann als Angriff empfunden werden und löst eine Angstreaktion aus, die sich in Angst-Aggression äußern kann (wie ein Hund, der aus Angst zubeißt), das würde ich lassen, ich reagiere darauf auch mit Panik (zwar nicht mit Aggression, aber mit Panik). Es fühlt sich an, als würde man ins Scheinwerferlicht gezogen und vorgeführt werden.

Eine Äußerung von ihm wie es interessiert mich auch nicht, ob Du krank bist kann einfach Ausdruck einer alten Verletzung sein, im Sinne von Dir ist doch sowieso egal, was ich denke, Du wolltest früher auch nichts von mir wissen, warum erzählst Du mir das jetzt, ich weiß doch eh, dass Du kein Interesse an mir hast, warum tust Du jetzt so, als würde Dir etwas daran liegen zu erfahren, was ich denke?
Du schriebst etwas von den Routinen, das ist eine super Sache. Ich bin total festgelegt auf Routinen und reagiere mit Panik auf die kleinste Veränderung (hier spielen auch die Zwänge eine große Rolle!), wenn Du ihm da entgegenkommst und ihn da ernst nimmst, kann das Vertrauen aufbauen. Und du kannst ihm da zeigen, dass er Dir wichtig ist, dass Du seine Erkrankung ernst nimmst und ihn deshalb nicht als Freak siehst. Mach' ihm immer wieder klar, dass Du ihn als Mensch schätzt, genau so, wie er ist, und völlig unabhängig von allem, was er sagt oder tut. Es kann bei Menschen mit starker ÄVPS so gut wie unmöglich sein, Kritik zu äußern, ohne dass das bei ihnen eine starke Verletzung auslöst (also erstmal weitestgehend vermeiden). Oftmals können ÄVPSler nicht zwischen Kritik an einer ihrer Handlungen und Kritik an ihrer Person unterscheiden, ein Kannst Du noch den Müll rausbringen, ich glaube, das hast Du vergessen kann gedanklich schnell zu einem Du bist ein so dämliches Stück Sch***, das es nicht verdient zu leben umgebaut werden (bei mir ist es so, dass ich die zweite Variante fast direkt höre). Auch hier ist der Aspekt der Zwangserkrankung nicht ganz auszuklammern, der spielt da auch mit rein, Zwangsgedanken können sehr heftig werden und die ÄVPS ungünstig verstärken.

Wie gesagt, nicht alle ÄVPSler sind gleich, das sind jetzt nur ein paar Gedanken und persönliche Erfahrungen, die ich mit Dir teilen wollte, in der Hoffnung, dass sie Dir vielleicht weiterhelfen können. Und wie gesagt: Bei mir ist die Störung extrem ausgeprägt, ich ertrage so gut wie gar keine Kontakt zu Menschen, ohne Todesängste auszustehen.
Das Gute ist: Es ist absolut möglich, zu Menschen mit ÄVPS eine gute und tiefe Verbindung aufzubauen. Es liegt ja im Wesen der Störung (im Gegensatz zur schizoiden PS oder zu Autismus), dass eine Sehnsucht nach Kontakt da ist, und der starke Leidensdruck entsteht dadurch, dass man sich soziale Zugehörigkeit eigentlich sehr wünscht, nur leider panische Angst davor hat.

LG Silver

Zitat von silverleaf:
Bei mir ist es zum Beispiel Körperkontakt, wenn mein Mann merkt, dass ich Angst bekomme, hört er auf, auf mich einzureden und nimmt mich in den Arm.


Wie hast du es denn geschafft, überhaupt einen Mann zu finden? Bei mir ist das der Punkt, der am stärksten ausgeprägt ist. Ich hatte nie überhaupt nur eine Beziehung, geschweige denn eine Partnerschaft oder Ehe. Schon als kleines Kind von 3-4 Jahren bekam ich Panik beim Gedanken, irgendwann mal heiraten zu müssen und Kinder zu haben. Ich dachte damals, dass man das muss
Sponsor-Mitgliedschaft

Zitat von Schlaflose:
Wie hast du es denn geschafft, überhaupt einen Mann zu finden? ..


Es war im Studium, wir haben die gleichen Fächer studiert und im selben Wohnheim gewohnt.
Und es war zu einer Zeit, als bei mir noch einige psychischen Kompensationsmechanismen intakt waren, die mir inzwischen weggebrochen sind.

Er hat selber auch diverse psychische Baustellen, das ist in unserem Fall tatsächlich hilfreich. Er hat eine Autismus-Spektrums-Störung, wodurch sein Verhalten auf andere Menschen abweisend wirkt, für mich war es hilfreich, weil ich mich nicht bedrängt fühle und er mir nicht zu nahe kommt (psychologisch gesehen). Wir gehen beide die Beziehung sehr vom Kopf her an, können uns über viele Sachen gut unterhalten, haben in wichtigen Punkten dieselbe Einstellung zu Dingen, denken aber auch unterschiedlich genug, um viel miteinander sachlich/inhaltlich diskutieren zu können. Wir sind uns also mental sehr nahe.

An Kinder oder eine körperliche Beziehung im engeren Sinne ist allerdings nicht zu denken, da ich, bedingt durch komplexe frühkindliche und kindliche Traumatisierungen, nicht in der Lage bin, eine solche körperliche Beziehung führen zu können (wenn Du verstehst, was ich meine), das ist für ihn ok, auch da hilft uns sein psychisches Störungsbild.

So eine Beziehung ist mit Sicherheit nicht für jeden etwas, aber für uns hat es bislang (also schon sehr lange) funktioniert. Jede Beziehung ist anders, und das ist halt unsere. Ich habe auch schon mit diversen Therapeuten und Chefärzten darüber gesprochen, die alle genau das gesagt haben: Jede Beziehung ist anders, es gibt nichts, was es nicht gibt, und wenn es für Sie beide funktioniert, dann ist das völlig ok so.

Niemand weiß, was die Zukunft bringt, und natürlich hatten wir auch schon diverse (auch heftigere) Krisen. Aber wir haben uns da bislang immer gemeinsam durchgearbeitet, unsere Beziehung ist an den gegenseitigen gemeinsamen Herausforderungen gewachsen und stärker geworden. Und das jetzt seit über 20 Jahren.

Hallo Myosotis,
noch ein paar Gedanken meinerseits zur Arbeitspraxis...:

Zitat von Myosotis:
Was aber bei mir ankommt - und damit kann ich falsch oder richtig liegen, das weiß ich halt nicht, weil es nicht direkt angesprochen wird - ist, dass ihm meine körperlichen Probleme egal sind. Es fühlt sich im Grunde immer so an, als ob er meint, ich hätte diese gar nicht. Ganz eigenartig.

Ich hoffe, ich kann es hier ordentlich vermitteln... Auch wenn ich Deine Wahrnehmung voll verstehe, müssen wir uns doch im Grunde damit abfinden, dass unsere Gegenüber an unseren körperlichen Problemen u. U. nicht wirklich interessiert sind - zumindest dann, wenn wir von den Ansichten anderer unabhängig werden wollen. Ich persönlich reagiere lediglich auf aktive Aversion oder strategische Falschauslegung anderer mit einer gewissen Direktheit, die mitunter ganz schön stresst (auch mich ). Desinteresse, Unwissen oder gar Ignoranz berühren mich schon lange nicht mehr. Je besser ich die Menschen verstehe, umso weniger (unbewusste!) Erwartungshaltung.

Ich bin mir sicher, dieser Faden dient Dir zur weiteren Reflektion, auch wenn Dich manche Aussagen unangenehm angehen.

Zitat von Myosotis:
Womit ich jedoch zu Kämpfen habe - und ja, das ist erst mal MEIN Problem und ich versuche bestmöglich und eigenverantwortlich damit umzugehen! - ist das Gefühl, das sich bei mir einstellt, wenn mein Bruder sich so verhält: in der Herzgegend zieht es sich zusammen, ich sag´ mal so eine Art Krampf

Hier mag folgende kurze Kontemplation helfen:

Wären diese körperlichen Reaktionen auch präsent, wenn sich ein völlig fremder Mensch oder ein ferner Bekannter so verhielte?

Wo liegt letztlich der Unterschied zwischen derlei Personen und meinem Bruder?

Zitat von Myosotis:
Der zweite Punkt ist jedoch, dass ich das Gefühl habe, dass auch mein Bruder zeitweise angespannt wirkt. Kann ich natürlich ignorieren, mir sozusagen am A... vorbeigehen lassen. NEIN, kann ich nicht, denn auch DAS merke ich körperlich. Und schon fängt das ganze Spiel wieder von vorne an - tief ein- und ausatmen und wieder sind einige Momente überstanden. Ja, so kann man auch die Zeit miteinander verbringen, ob man das allerdings so möchte, steht auf einem anderen Blatt.

Bereits die o. g. Kontemplation deutet auf das Phänomen der Gefühlsübertragung hin. Ich denke, eben deshalb arbeitest Du mit einer Atem-Achtsamkeitsübung: um von der emotionalen auf die körperliche - und somit (vermeintlich) neutrale - Ebene zu kommen. Das ist erstmal kein schlechter Plan und eine weitverbreitete Empfehlung von Psychologen.

Doch aus dieser Übung muss eine Einsicht erwachsen: Interpretationen und Bewertungen, Mögen und Ablehnung geschehen automatisch und idR unbewusst.

Es geht also nur kurzfristig darum, Momente zu überstehen. Längerfristig geht es um eine echte, wirksame Veränderung der Wahrnehmung. Und das dauert....

Zitat von Myosotis:
Das liegt daran, dass ich bereits gelernt habe, ihn so zu akzeptieren wie er ist, er das offensichtlich mitbekommen hat und sich selbst ebenfalls bemüht, was ich supertoll finde. Also erste Etappe geschafft, würde ich sagen.

Gratulation!

Zitat von Myosotis:
Nun würde ich gerne eine weitere Etappe schaffen, oben beschriebene Anspannungen (auf beiden Seiten) auflösen

Hier sind wir mitten in der Praxis. Einerseits kannst Du seine Anspannungen nicht aktiv auflösen, was Dir ja eh sicher bewusst ist? Andererseits hilft das Arbeiten an Deiner Wahrnehmung indirekt auch ihm. Jedoch darfst Du es nicht als Deine Aufgabe oder gar Pflicht auffassen, Dich für Deinen Bruder zu ändern.

Genau hier sehe ich aus Deinen bisherigen Beiträgen nämlich zwei bedeutsame Aspekte, die es klar zu untersuchen gilt:

Inwieweit bin ich für meinen Bruder verantwortlich?
Inwieweit möchte ich über meinen Bruder mir helfen?

Zwänge kommen nicht von ungefähr und in den meisten Fällen spielen subjektiv irrational verinnerlichte Verantwortlichkeiten die tragende (und tragische!) Rolle.

Sofern Ihr unter ähnlichen Umständen aufgewachsen seid, könnten (!) hier Parallelen bestehen.

@silverleaf Ich bin stets dankbar für Deine hochinformativen und vor allem zielführenden Beiträge... (das musste etz hier mal rein).

@silverleaf
Zitat von silverleaf:
das sind jetzt nur ein paar Gedanken und persönliche Erfahrungen, die ich mit Dir teilen wollte, in der Hoffnung, dass sie Dir vielleicht weiterhelfen können

Du hast dich so wunderbar klar ausgedrückt, dass du mir wirklich sehr weitergeholfen hast. Habe schon einige andere Beiträge von dir gelesen, du bringst die Dinge immer so klasse auf den Punkt Eine super Bereicherung!

Also hinsichtlich körperlicher Nähe unterscheidest du dich sehr von ihm. Bis auf diese Umarmungen zum Abschied und auch bei Geburtstagsgratulationen (im engsten Familienkreis) möchte er keine Nähe, weicht aus. Das respektiere ich auch vollkommen.

Zitat von silverleaf:
Leidet er eigentlich auch an selektivem Mutismus?

Nach dem, was ich bei Wikipedia darüber gelesen habe, würde ich sagen Nein. Das betrifft doch sowieso nur Kinder oder habe ich das falsch verstanden?

Zitat von silverleaf:
Eine Äußerung von ihm wie es interessiert mich auch nicht, ob Du krank bist kann einfach Ausdruck einer alten Verletzung sein, im Sinne von Dir ist doch sowieso egal, was ich denke, Du wolltest früher auch nichts von mir wissen, warum erzählst Du mir das jetzt, ich weiß doch eh, dass Du kein Interesse an mir hast, warum tust Du jetzt so, als würde Dir etwas daran liegen zu erfahren, was ich denke?

Ich weiß, was du meinst und bin mir sicher, dass du damit richtig liegst, denn diesen Eindruck hatte ich tatsächlich früher oft gewonnen, wenn ich ihm direkt was von mir erzählt habe.

Das von mir genannte Beispiel war aber anders gemeint: Es ist so, dass ich meiner Mutter, nicht ihm, von meinen Symptomen erzähle und er völlig unbeteiligt und mucksmäuschenstill dabei sitzt. Und das fühlt sich eigenartig an. Das würde sich ebenso eigenartig anfühlen, wenn da nicht mein Bruder sondern eine andere Person säße. Kannst du dir vorstellen, was ich meine?
Mittlerweile habe ich mich aber darauf ganz gut einstellen können, sodass es mir nichts mehr oder kaum noch was ausmacht. Aber vielleicht fällt dir trotzdem noch was konkret hierzu ein, was mir dieses Verhalten etwas verständlicher machen würde. Mir scheint das nämlich nicht in diesem von dir genannten Kontext zu stehen oder etwa doch?

Ganz oben auf seiner Liste steht übrigens das immense Sicherheitsbedürfnis. Entsprechende Äußerungen von ihm konnte ich aus Unkenntnis über die ÄVPS damit natürlich nicht in Verbindung bringen. Ich fand dieses extreme Sicherheitsdenken einfach nur völlig übertrieben, zumal meine Mutter sich davon anstecken lässt bzw. ins gleiche Horn bläst.
Aber jetzt, da ich den Hintergrund dafür kenne, kann ich das entsprechend einordnen und sicherlich besser damit umgehen.

Gerade dieser Punkt ist mir deswegen auch für mich wichtig, weil ich gemerkt habe, dass ich in gewissen (Alltags-)Situationen immer ängstlicher werden und aufpassen möchte, dass diese Ängstlichkeit nicht überhandnimmt, sonst bekomme ich bald gar nichts mehr gebacken! Und es fällt mir halt schwer meine Ängstlichkeit in Gelassenheit zu verwandeln, wenn ich höre, was bei diesem oder jenem alles Schlimme passieren könnte. Wie bereits vor einigen Tagen hier erwähnt: habe halt auch meine eigenen psychischen Kämpfe Du wirst meine Gedanken aufgrund deiner Erfahrungen mit deinem Partner schätzungweise ganz gut nachvollziehen können.

Mal noch ein anderes Beispiel:
Wenn ich mal kurz unangemeldet bei meiner Mutter hereinschneie und er zufällig da ist, habe ich meist das Gefühl, er möchte nicht gestört werden, sprich: seine Ruhe haben. Und genau dieses seine Ruhe haben wollen hat mich in der Vergangenheit wegen der Ähnlichkeit mit meinem Vater arg angetriggert.Aber aus jetziger Sicht meine ich, dass sich diese Situationen mit ihm und meinem Vater gar nicht miteinander vergleichen lassen (oder zumindest nicht immer). Scheinbar störe ich mit meinem Erscheinen seine Routine, was ihn wohl wiederum verunsichert oder ihm Angst macht.

Um hier umdenken zu lernen, hilft es mir halt die ÄVPS zu verstehen, weil ich dann solche oder ähnliche Situationen nicht zwangsläufig auf mich beziehe, also persönlich nehme, was mich wiederum entspannt und es mir möglich macht entsprechend besser gelaunt auf ihn zuzugehen oder mit ihm umzugehen. Bin ja auch nur ein Mensch, der gesehen werden und schöne Sozialkontakte - in diesem Fall eine schöne Beziehung mit meinem Bruder - haben möchte.

Zitat von silverleaf:
Oftmals können ÄVPSler nicht zwischen Kritik an einer ihrer Handlungen und Kritik an ihrer Person unterscheiden, ein Kannst Du noch den Müll rausbringen, ich glaube, das hast Du vergessen kann gedanklich schnell zu einem Du bist ein so dämliches Stück Sch***, das es nicht verdient zu leben umgebaut werden (bei mir ist es so, dass ich die zweite Variante fast direkt höre).

Ohje sehr hilfreich zu wissen, denn nun verstehe ich auch, warum er ziemlich schnell in für mich harmlosen Situationen leicht aggressiv reagiert. Es ist ja nicht unbedingt so, dass ICH diese Aggression abbekomme, sondern meist meine Mutter und natürlich tut mir das dann oft leid. Ich hatte mir aber bereits angewöhnt nur noch zuzusehen, mich nicht mehr einzumischen und einfach abzuwarten bis die Situation wieder vorbei geht, denn alles andere hatte solche Situationen ja eh nur verschärft.

Zitat von silverleaf:
Das Gute ist: Es ist absolut möglich, zu Menschen mit ÄVPS eine gute und tiefe Verbindung aufzubauen

Damit machst du mir jetzt wirklich Hoffnung, dass es mir doch noch gelingt, so eine Verbindung zu ihm aufzubauen. Dass das Jahre dauern kann, macht mir nichts aus. Ich freue mich über jeden kleinen Schritt nach vorne.

Zitat von silverleaf:
Es liegt ja im Wesen der Störung (im Gegensatz zur schizoiden PS oder zu Autismus), dass eine Sehnsucht nach Kontakt da ist, und der starke Leidensdruck entsteht dadurch, dass man sich soziale Zugehörigkeit eigentlich sehr wünscht, nur leider panische Angst davor hat.

Bist du dir sicher, dass das bei allen ÄVPSler so ist? Ich habe immer den Eindruck, dass meinem Bruder in dieser Hinsicht nichts fehlt.

Zitat von silverleaf:
Jede Beziehung ist anders, es gibt nichts, was es nicht gibt, und wenn es für Sie beide funktioniert, dann ist das völlig ok so.

Sehe ich genauso!

Zitat von silverleaf:
natürlich hatten wir auch schon diverse (auch heftigere) Krisen. Aber wir haben uns da bislang immer gemeinsam durchgearbeitet, unsere Beziehung ist an den gegenseitigen gemeinsamen Herausforderungen gewachsen und stärker geworden. Und das jetzt seit über 20 Jahren.

Du Glückliche

A


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