Soweit ich mich erinnern kann versuchte ich damals die Gedanken zu verdrängen.
Mit 24 Jahren holten mich die Zwänge wieder ein! Dieses Mal lag der Fokus auf meiner damaligen Freundin (jetzt Frau).
Ich erlag einem Hitzschlag im Urlaub.
Außerdem war ich von meinem stressigen verantwortungsvollen Job total ausgebrannt. Ich denke diese beiden Faktoren waren der damalige Auslöser.
Ich kämpfte mich noch durch den Urlaub und versuchte danach meinen eigenen Weg zu finden. Ich hätte mir viel Leid und Energie ersparen können wenn ich sofort einen Neurologen aufgesucht hätte. Leider tat ich das erst nach ca.einem halben Jahr.
Mein erster Neurologe war in meinen Augen noch verrückter als ich und wir fanden keinen gemeinsamen Nenner.
Ein zweites Mal besuchte ich ihn nicht!
Dieser Mensch hatte keinerlei Einfühlungsvermögen.
Meine Energie war am Ende, die einzigen2 ruhigen Minuten hatte ich im Schlaf. Ansonsten feuerte mein Zwang ununterbrochen mit neuen belastenden Gedanken auf mich ein. Ich aß weniger, verbrachte viel Zeit im Bett, meine Beziehung war fast am Boden. In der Arbeit funktionierte ich und lies mir wenig anmerken. Die vielen Gespräche mit meinen Eltern und meiner Frau brachten kurzfristige Besserung. Sobald ich alleine war war der Kobold in meinem Kopf sofort aktiv. Meine Freundin war in mein Problem mit eingeweiht...sie wusste dass ich kein aggressiver Mensch bin und keinem je etwas zu Leide tun könnte.
Nach einiger Zeit dachte ich ich könnte meine Probleme mit Feiern und Alk. in den Griff bekommen.... ich war immer mit meinen Kumpels unterwegs. Sicherlich kann sich jeder von euch vorstellen wie meine damalige Freundin das alles auffasste. Ich musste etwas ändern um meine Beziehung zu retten.
Ich hatte oft Gedanken mir das Leben nehmen zu können...meistens auf dem Heimweg mit dem Auto.
Ich fand einen wirklich guten verständnisvollen Neurologen. Er klärte mich über meine Zwangserkrankung auf und verschrieb mir Fluoxetin.
Ich musste 2x20mg einnehmen. Die ersten vier bis sechs Wochen waren schlimm, die Suizidgedanken stiegen stark an, der Zwang und die Ängste wurden stärker.
Ich dachte oft ich würde es nie schaffen!
Mein Gewicht erreichte einen Tiefstand.
Das schlimmste war für mich das Warten auf eine Besserung. Ich begann in einem kleinen Buch meine Gefühle und meine Form aufzuschreiben. So konnte ich mich an einen jeweiligen guten Tag zurückerinnern. Die Rückschläge waren oft und heftig. Die Gefühlschwankungen waren enorm und ich konnte meine Gefühlswelt oft nicht richtig deuten.
Begleitet wurde mein Zwang durch starke Kopfschmerzen und Sehstörungen. Ihr könnt euch sicher vorstellen dass ich in dieser Zeit keinerlei Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein hatte. Ich dachte ich wäre ein schlechter Mensch und könnte üble Taten begehen. Ich konnte keine Zeitung lesen und schaute kaum TV. Jede bestialische abscheuliche Nachricht heizte meinen Zwang an. Ich zweifelte total an mir!
Die Empfehlung meines Psychiaters mehr Sport zu treiben nahm ich ernst. Ich legte mir neue Laufschuhe zu und startete mit leichten Waldläufen...als ich merkte dass meine körperliche Fitness besser wurde und es meinem Geist auch gut tat meldete ich mich mit ein paar Freunden zum Hindernislauf ToughMudder an. Somit hatte ich mir auch gleich ein Ziel gesetzt, welches ich erreichen wollte.
Neben meinem stressigen Job, meiner neu gewonnen Euphorie für Sport begang ich mit einer ambulaten Therapie.
Meine Therapeutin, eine sehr fachkundige Dame brachte mir die Thematik der Zwänge näher. Anfangs dachte ich, ich stünde mit diesen Problemen alleine auf der Welt, jedoch wurde ich dort eines besseren belehrt. Mir wurde das Zusammenspiel der Botenstoffe im Gehirn näher erläutert und meine Angst vor der Angst etwas schlimmes zu tun wurde weniger.
Jedoch wurden meine Zwänge/Ängste erst nach ca. 12 bis 14 Wochen (nach Einnahme der Fluoxetin) weniger.
Die innere Stimme die einem den Zwang immer wieder ins Bewusstsein rief wurde leiser und leiser... ab und an kam sie wieder auf, wurde vom mir aber als nicht mehr bedrohlich empfunden.
Die Wirkung der Zwänge/Ängste wurde weniger und mein körperlicher und seelischer Zustand festigte sich.
Ich heiratete meine Freundin und erarbeitete mir einen Fachkaufmannstitel über die Wochenenden.
Als ich in diesem überaus tiefen Loch aus Zwängen und Ängsten steckte hätte ich niemals daran gedacht! Der Kampf aus diesem Loch ist schwer...an einem Tag kommt man dem Rande des Lochs näher und ist kurz davor raus zu klettern...am nächsten Tag bricht am Rande des Loches der Boden weg und du beginnst von neuem! Aber der Kampf den man jeden Tag aufs neue beginnt ist es wert!
Nach 5 Jahren war meine Dosis an Fluoxetin nur 20mg und ich war weitest gehend sympthomfrei! Die Therapie hat mir gut getan und auch in anderen Lebensbereichen sehr geholfen. Vorallem das Reden tat meiner Seele sehr gut.
Vor ca. 10 Wochen erlebte ich einen Rückfall und durchlebte erneut eine schlimme Phase in meinem Leben.
Ich suchte zwanghaft im Internet nach Erlebnisberichten von Menschen die diese Krankheit besiegt hatten. Dieser Rückfall warf mich enorm aus der Spur.
Über die Jahre hatte ich diese schrecklichen Momente, Ängste Gedanken verdrängt und teilweise vergessen, ich hatte vergessen in welches Loch man wieder fallen kann und wie einem von heute auf morgen die Lebenslust verschwinden kann.
Meine Gedanken drehten sich nur noch um das eine Thema. Ich hatte Angst ich könnte meiner Frau etwas antun. Ich hatte so große Sorgen und Zweifel dass mein Zwang immer stärker wurde und sich die Gedanken auch auf andere Personen legten. Ich war zu diesen Zeitpunkt am Boden... keinen Hunger, keine Freude am Leben... wirklich nichts konnte mich erfreuen...
Nach der Erhöhung der Dosis hatte ich wieder mit starken Suizidgedanken zu kämpfen. Einmal war ich nicht weit davon entfernt da ich keinen Ausweg sah. Mein Zwang wendete sich gegen mich...
In dieser einen Situation hätte ich fast aufgegeben.... aber mein Verstand und meine tief in mir schlummernde Lebensfreude hielt mich davon ab.
Ich wollte wieder kämpfen und die Qualen die ich jeden Tag auf mich nahm besiegen oder zumindest den Kampf ansagen.
Meine Frau und meine restliche Familie stand fest hinter mir...unterstütze mich, fuhr mich zum jeweiligen Termin oder hörte mir einfach nur stundenlang zu als ich mein Herz ausschüttete. Die aggressiven Zwangsgedanken wurden auf Dauer wieder stärker und die Tage waren wieder ein Kampf mit dem inneren Kobold.
Ich verbrachte viel Zeit im Internet mit dem googeln von Zwängen, Erfahrungsberichten und Behandlungsmethoden.
Ich zweifelte in dieser Zeit sehr viel...am Neurologen, an mir... an einfach allem.
Neben den Fluoxetin wurden mir für meine Notfälle Tavor verschrieben.
Ich bin kein Fan von vielen Medikamenten denn eine Heilung wird meiner Meinung nach nicht erzielt sondern nur die Symptome abgeschwächt. Diese Abschwächung ist aber notwendig um wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Die Tavor habe ich bis zum heutigen Tag nicht angefasst.
Die Suche nach einem erneuten Therapieplatz verlief sehr bescheiden... die Wartelisten der guten Therapeuten sind überfüllt.
Ich entschloss mich in das Thema Ernährung einzulesen. Hierbei fand ich das ein oder andere Nahrungsergänzungsmittel welches meinem Körper, meinem Geist und der Wirkung meiner Medikamente zu gute kam.
Sehr interessant fand ich auch ein Youtubevideo über die Bekämpfung von Zwängen auf der Gefühlsebene.
Der Ansatz, dass Zwänge/Ängste durch ein oder mehrere in der Kindheit nicht richtig verarbeiteten Gefühle ihren Ursprung haben, erweckte mein Interesse.
Meine Kindheit war nicht einfach!
Mein Bruder starb an einer schweren Krankheit als ich 3 Jahre alt war.
Mein Vater führte zu Hause ein hartes strenges Regiment. Nach einem stressigen Arbeitstag war er oft sehr brutal... und zu wenig Vater für mich.
Er war definitiv kein großartiges Vorbild.
Ich schwor mir schon als Kind nie so zu werden. Ihr könnt euch sicher vorstellen dass ich als Kind sehr zurückhaltend, sensibel und eine eher ängstliche Erscheinung war. Dadurch wurde ich oft gehänselt, verprügelt oder ich war einfach nur der Mitläufer.
Warum ich euch das erzähle? Ich denke dass sich aus dieser Zeit in meinem Unterbewusstsein einiges an unverarbeiteten Ängsten angesammelt hat.
Ich hatte bisher drei Sitzungen in einer Hypnosepraxis und ich bin wirklich erstaunt. Die Träume, in den Nächten nach den Hypnosesitzungen, sind so enorm real. Hierbei konnte ich schon einen alten Konflikt aus meiner Vergangenheit lösen! Ich werde weiterarbeiten und euch auf dem Laufenden halten. Mir geht es mittlerweile besser, die Zwänge sind noch da aber ich biete ihnen wieder die Stirn.
Ich hoffe dass der ein oder andere Verzweifelte sich in meiner Lebensgeschichte wieder erkennt und neuen Mut fasst. Mein Ziel ist es die Krankheit zu besiegen und einen Erfahrungsbericht im Internet zu hinterlassen der uns Hoffnung schenkt.
Ich bedanke mich bei meiner Familie, besonders bei meiner Frau und bei wenigen guten Freunden die immer zu mir stehen!
Danke für das lesen dieser Zeilen!
Grüße Matze
15.12.2017 20:44 • • 03.02.2024 x 9 #1