Zitat von illum: Nur wie soll dieses Loslassen als Hypochonder, der ich ohne Zweifel bin gelingen, wenn ich aufgrund eben nicht ausreichend erfolgter Untersuchung der letzte Pfadfinder bin, der eine Ausschlussdiagnose (Angststörung, Depression, Somatisierungsstörung, Hypochondrie) erst dann als gesichert diagnostizieren würde, wenn ich alles denkbare und auch unerwartete ausgeschlossen habe.
Ich weiß genau, was du meinst, weil ich deine Gedanken auch sehr lange hatte.
Es ist dieses die haben doch noch nicht wirklich alles durchgecheckt an mir....
Dass gerade einem Hypochonder schwer fällt, zu akzeptieren, dass Ärzte auch viel mit Wahrscheinlichkeiten und Erfahrung arbeiten, ist klar.
Auch bei mir wurde nicht jede Zelle im Körper 110% untersucht und lange Zeit konnte ich das auch nicht ertragen.
Was hat mir geholfen, zu akzeptieren und zu glauben, dass es wirklich zu 99% psychisch ist (das eine Prozent muss man lassen, denn auch geistig gesunde Menschen haben mal schlechte Tage, wenn der Körper nicht perfekt funktioniert aufgrund allem Möglichen)?
Man sollte mal dokumentieren, wann genau es einem schlecht geht und wann es Zeiten/Momente/Tage gibt, an denen es einem gut geht.
Wem es ununterbrochen 24 Stunden am Tag über Jahre immer nur schlecht geht mit dauerhaften Symptomen - ja, da würde es mir auch schwer bis unmöglich fallen, zu akzeptieren, dass ich körperlich nichts habe. Aber ist das so? Ich meine, dass das bei den meisten Hypochondern eben nicht der Fall ist. Ich habe abends oft Hochs, in denen es mir schon damals immer mal sehr gut ging. Ich merke, dass wenn ich aktiv bin (Sport, Treffen mit Freunden, Urlaub weg von daheim, im Kino usw), dass ich keinerlei Ängste habe und eben auch meinen Körper in der Zeit nicht beobachte. Wie kann das sein, wenn mein Körper irgendwo angeblich einen Schaden hätte? Ich habe also mit der Zeit ein Muster entdeckt und wenn man schafft, dieses fiese Ding zu entlarven, dann fällt es einem auch leichter, zu glauben, dass die Psyche hier am Drücker ist und es eben nicht so ist, dass sich da irgendwo im Körper noch ein Blutwert oder Fehler versteckt, der dafür verantwortlich ist, dass man immer wieder Panik schiebt.
Den Rest macht die einfache Statistik. Wie wahrscheinlich halten wir es denn, dass wir wirklich psychisch völlig ok sind (also keinerlei unterdrückte Konflikte im Leben haben oder auch Kindheits-Themen!), aber gleichzeitig (!) irgendeine unentdeckte rein körperliche Erkrankung haben, die über Jahre nie von Ärzten entdeckt wird?
Zitat von illum: Bei mir zB ist mehrfach ein großes Blutbild angefertigt worden, provisorische Sono von Leber/Galle/Nieren/Bauchspeicheldrüse (in der Notaufnahme, also nicht vom Facharzt), ein 30 Sekunden EKG inkl. Troponin, Urinprobe, eine Magenspiegelung mit Biopsie (Gastritis) und Stuhlprobe (Durchfall). Alles bis auf die Gastritis Typ C und Calprotectin bei 130 ohne Befund.
Das ist fast mehr als bei mir gemacht wurde alle die Jahre.
Zitat von illum: Weil ich mehrfach am Tag das körperliche Gefühl habe, als käme ich gerade aus einer zu heißen Badewanne.
Zittrig, benommen, Druck im Kopf, müde, schwach, unruhig, warmer Kopf und dennoch gleichzeitig ein andauerndes Kältegefühl, Appetitlosigkeit usw usf.
Kenne ich genau auch so diese Symptome (neben zig anderen).
Zitat von illum: Meine HÄ hatte mich zB mit den Worten entlassen, dass es Krankheiten gibt, die vielleicht nur 10 Menschen auf dem Planeten haben und das können wir nicht alles ausschließen.
Da fragt sich der Hypochonder in mir: Welche Ärzte hatten denn dann den Elan, die 9 anderen zu identifizieren, um ihnen helfen zu können? Diese Ärztin sicher nicht.
Und genau das ist das Problem.
Wir wollen 100%ige Sicherheit, nicht der eine zu sein, der diese 0,000001% Krankheit auf dem Planeten hat und genau das kann aber kein Arzt uns geben und warum kann er uns diese Unsicherheit nicht abnehmen? - Weil wir selbst nach einem 110%-Check von Pille aus der Enterprise einige Tage oder Wochen danach wieder Bedenken haben würden, dass da mittlerweile was Neues aufgetreten ist. Denn genau das kann ja theoretisch eben auch sein - dass wir zum Doc gehen und alles passt und genau kurz danach eine Erkrankung ausbricht, die vorher nicht da war.
So war es ja auch oft bei mir: Durchgecheckt....alles gut, Symptome einige Zeit weg und dann geht es wieder los...Hat sich da nun doch was entwickelt die letzte Zeit?.
Es wäre eben der viele einfachere und auch bequemere Weg für uns, wenn ein Arzt irgendwann sagt: Hey, jetzt wissen wir endlich, was sie haben und was der Grund ist, warum es ihnen so schlecht geht. Das kann man mit einer OP wegmachen oder mit Tabletten ohne Nebenwirkungen behandeln!. Schön wäre dieser Satz oder? Wir müssten nichts tun und hätten von heute auf morgen unser Problem gelöst. Davon träumen wir - völlig logisch.
Ich will damit sagen:
Genau diese Tatsache, dass wir übermorgen irgendwo im Körper Krebszellen entwickeln können oder unser Herz einen Schaden nehmen könnte (woher auch immer), ist etwas, dass wir so einfach nicht akzeptieren können. Da kann kein Arzt und keine perfekte Untersuchung etwas daran ändern, denn das Leben ist so. Es gibt keine 100%ige Sicherheit, egal ob gesundheitlich, beziehungstechnisch, jobtechnisch, finanziell und auch bei vielen anderen Dingen im Leben. Meine Söhne (die ich über alles liebe) können morgen von einem Auto überfahren oder entführt werden (ist auch lange so ein Trigger gewesen bei mir - daher eben Generalisierte Angststörung). Soll ich meine Söhne daher ständig beobachten, sie nie alleine aus dem Haus lassen oder per Smartwatch überwachen? Nein!
Auch hier ist der Drang zur 100%igen Kontrolle und absoluten Sicherheit das Übel und ein Drang, der unmöglich befriedigt werden kann.
Angst - Kontroll(Zwang)Genau das ist diese Wippe und schlimme Abhängigkeit, die uns so zu schaffen macht (egal ob Hypochondrie oder Generalisierte Angststörung - das Erste ist ja eh nur ein Unterbereich des Zweiten).
Zitat von illum: Und diese Drehtür aus Ich behalte zwanghaft die Kontrolle über die Situation, weil ich merke, dass ich nur irgendwer für einen Arzt bin, der weder die persönliche Motivation noch die Zeit hat sich für mich reinzuhängen (wer außer ich soll sich denn für mich reinhängen) und Dich macht das fix und fertig und Du reibst Dich an dem trägen Gesundheitssystem auf, das im Durchschnitt 1-4 Jahre braucht um (diffizile) Krankheiten zu identifizieren kann ich nicht einfach verlassen, denn verlasse ich sie, habe ich das Gefühl mich selbst zu verlassen.
Ich kann dich total verstehen und ich bin echt keiner, der unser Gesundheitssystem lobt (was ich da auch schon alles an Mist und Stress hatte....).
Zwar ist mir auch bewusst, dass wir in Deutschland immer noch recht gut dastehen im Vergleich zu vielen anderen Ländern, aber natürlich läuft hier auch vieles falsch oder sehr ineffektiv.
In Österreich aber werden ambulante Psychotherapien glaube ich gar nicht pauschal bezahlt habe ich gehört. @FrancesTheMute - vielleicht kannst du da noch was dazu sagen?
Zitat von Chris_ohne_BBBB: Ich kann mich nicht ruhig hinsetzen und mir sagen wenn es so enden soll, dann ist es jetzt eben so, mir egal.
Genau das wäre aber das Ziel und der Weg zur Linderung (von Heilung spreche ich gar nicht mal). Das ist schwer zu akzeptieren und ich glaube dir voll, dass das für dich aktuell unmöglich scheint (war bei mir auch jahrelang so).
Wer es schafft, dieses Leck mich am A.... Gefühl zu entwickeln, ist tatsächlich einen großen Schritt weiter. Als Hypochonder geht es leider nicht anders, da bin ich fest davon überzeugt mittlerweile.
Zitat von illum: Wie soll sowas therapiert werden? Ich sehe die Problematik des öffentlichen Gesundheitssystems doch nicht total verquert und mich in dem System passiv zu verhalten, kann doch nicht als gesunder Überlebensinstinkt betrachtet werden.
Du sollst natürlich nicht passiv sein, aber Aktivität in Form von Aufsuchen von Ärzten, die dann einfach mal an mir endlich das (Körperliche) finden sollen, dass meine Probleme verursacht (samt Entfernen des Problems durch OP etc), ist eben die falsche Aktivität, so traurig es auch ist.
Wir sind es übrigens nicht, die therapiert werden SOLLEN. Therapeuten machen uns nicht gesund. Das müssen wir leider selbst machen und das geht nur mit AKTIVITÄT unsererseits.
Genau das ist aber so schwer - gebe ich natürlich klar zu, weil ich es selbst immer noch jeden Tag spüre (auch wenn ich schon viel geschafft habe).
AKTIVITÄT in Form von Hintern hochbekommen und Sport machen/soziale Kontakte fördern, Entspannungstechniken machen usw ist die Basis.
AKTIVITÄT in Form von Leben überdenken, ändern an bestimmten Stellen, auch wenn es weh tut ist ein weiterer, wichtiger Schritt (wer will z.B. schon ehrlich zugeben, dass er seinen finanziell gut bezahlten Job eigentlich mehr hasst als gern hat, aber aus Ansehensgründen nicht bereit ist, diesen aufzugeben und endlich das zu tun, wozu er wirklich Lust hat?).
AKTIVITÄT in Form von tägliches Üben, zu akzeptieren, dass wir unsere Gesundheit nur zu einen eingeschränkten Maß beeinflussen können und den Tod eben auch nicht.
Dass das alles alles andere als einfach ist, brauche ich nicht zu erwähnen.
Es ist ein ständiger Kampf mit immer wieder zwischenzeitlichen Tiefs. Das wird aber auch nie enden, vermutlich bis zum Lebensende. Als ich irgendwann akzeptiert habe, dass meine psychische Problemseite bis zu meinem Lebensende nie wieder weggehen wird, ging es mir auch ein deutliches Stück besser. Toll ist das nicht, aber ebenso muss jemand, der im Rollstohl landet, irgendwann akzeptieren, dass er sehr wahrscheinlich nie wieder normal laufen können wird. Soll der deshalb kein glückliches Leben mehr anstreben oder versuchen?
Das Leben ist oft hart und gnadenlos. So ist es einfach.
Und oft ist es auch wieder schön und lebenswert.
Wer hier glaubt, dass er irgendwann (wieder) nur großteils die Rosinen haben kann ohne auch mal in den üblen, sauren Apfel beißen zu müssen, der träumt leider. Das sind harte Worte, ich weiß, aber es ist die Wahrheit.