Ich hab seit meinem 6ten Lebensjahr eine Immunerkrankung.
Mein Immunsystem greift meinen eigenen Körper an, die Augen sind bei mir betroffen.
Dadurch bilden sich im Auge drin bösartige Zellen, die das Sehen behindern, sich an der Netzhaut anlagern und sie zerstören usw.
Mir wurde schon mehrmals der Glaskörper komplett rausgenommen und neu eingesetzt. Ich musste Wochen, ja monate im Krankenhaus verbringen. 15 Jahre lang ging das so.
Am Ende musste ich sogar mit Chemo behandelt werden.
Jetzt hat die Krankheit plötzlich aufgehört.
Kein Arzt konnte jemals sagen, woher es genau kam -aber seit einem Jahr ist nichts mehr. Die Produktion der Zellen ist zum Stillstand gekommen, ich hab bloß noch ein paar alte inaktive Zellen im Auge, die seh ich als schwarze Punkte, aber sonst hab ich nichts mehr.
Bin nach 15 Jahren nun endlich soweit, dass ich nicht mehr ins Krankenhaus und keine Medikamente mehr nehmen muss.
Allerdings ist durch die lange Zeit der Krankheit und durch die OPs mein Sehen für immer geschädigt. Also auf dem linken Auge bin ich so gut wie blind, damit kann ich nichtmal die Schrift hier auf dem Bildschirm lesen und keine 2 Meter weit sehen. Auf dem rechten Auge sehe ich noch gute 60%. Bin also schon stark behindert bzw. eingeschränkt.
Aber das stört mich nicht
Ich freu mich über jeden Tag, an dem ich die Welt sehen kann, weil ich so lange Angst hatte, einmal mein Augenlicht komplett verlieren zu müssen. Auch du kannst dich freuen, immerhin kannst du noch hören! Stell dir mal vor, wie es wäre, in einer Welt ewiger Stille zu wohnen? Da wird einem jeder Laut mehr bewusst. Ich hab mir oft vorgestellt, wie es wäre, gar nichts mehr zu sehen -seitdem seh ich die Welt mit anderen Augen.
Ich hab auch immer erreicht, was ich wollte.
Oft haben Lehrer mir oder meinen Eltern empfohlen, dass ich die Schule wechseln sollte, dass ich nicht so viel von mir verlangen sollte, dass ich mehr rücksicht auf mich und die Krankheit nehmen sollte -aber wieso denn?
Ich bin doch wie jeder andere Mensch, ich kann halt einfach nicht so gut sehen! Aber ich kann doch trotzdem denken und lernen.
Ich hab mich jedenfalls durchgeboxt, und mein Abi gemacht, obwohl mein Papa kurz vorher gestorben ist, was mich sehr aus der Bahn geworfen hat.
Aber man kann immer was erreichen und immer weiter machen.
Und man kann immer das Leben bejahen, egal, wie schlecht die Situation derzeit auch aussehen kann.
Es geht immer bergauf und es kommen immer bessere Zeiten.
Ich hab 15 Jahre lang gehofft, dass ich irgendwann gesund sein kann -und nun bin ich es, seit einem Jahr.
15 Jahre sind eine schrecklich lange Zeit.
Aber ich seh es nicht als verlorene Zeit. Meine Kindheit, die kann mir keiner wieder geben, die hab ich im Krankenhaus verbracht. Aber dafür hol ich sie jetzt auf! Ich bin kindisch und lache viel und freue mich über kleine Dinge, wo andere oft den Kopf schütteln -aber für mich sind eben alle Dinge des Alltags besonders!
Die Krankheit hat mich lange Zeit beherrscht -heute macht sie mich nur noch aus.
Und wenn mich jemand fragt ob ich mir wünsche, dass ich nie erkrankt wäre, sag ich: Nö.
Denn die Krankheit hat mich zu dem lebensbejahenden fröhlichen Menschen gemacht der ich heute bin.
Sie hat mich an den Abgrund geführt und mir gezeigt wie tief man fallen kann, ich hab schlimme Dinge gesehen im Krankenhaus und schlimme Dinge selber erlebt. Aber dadurch, dass ich den Abgrund kenne, macht er mir auch keine Angst mehr. Er beherrscht mich nicht mehr.
Heut leb ich auf ner saftigen Wiese voller blühender Blumen und weiß, dass ich Alles erreichen kann, was ich nur will
Ich bin immer noch ein 10-Schein mit einer abgeknickten und eingerissenen Ecke, und meine Sehkraft kann mir kein Mensch der Welt wieder geben. Aber ich bin trotzdem ein 10-Schein und genau so viel wert wie alle anderen gesunden Menschen da draußen, und ich kann genau so viel erreichen wie alle Anderen.
Und du auch!
Egal ob mit Einschränkung oder ohne -Du bleibst doch immer Du, egal, ob krank oder gesund.
Alles Gute,
Pilongo
07.07.2009 15:20 •
#19