nachdem ich eine ganze Weile schon stille Mitleserin bin, hab ich mich nun doch mal getraut mich anzumelden.
Achtung, wall of text!
Ich bin 32 Jahre alt und leide seit meiner frühen Jugend unter Depressionen und Panikattacken, die sich dann ein paar Jahre später auch in eine generalisierte Angststörung manifestiert haben. Im Alter von 20 Jahren wurde eine leichte bis mittlere Verlaufsform des Morbus Crohns festgestellt, der seither auch Auslöser vielerlei Ängst ist. Seit einer schweren Magen-Darm Infektion, leide ich zudem noch an der Angst vor dem Erbrechen (was super ist, da Übelkeit eines meiner Hauptangstsymptome ist).
Zwischen meinem 13. und 18. Lebensjahr hab ich sowohl ambulante, als auch teilstationäre Therapien gemacht, die im Endeffekt leider überhaupt nichts gebracht haben, außer, dass ich das Vertrauen und den Glauben an derartige Behandlung für viele Jahre gänzlich verloren habe. An Psychopharmaka habe ich eine ganze Reihe durch, habe einiges nicht vertragen, manches hat nicht geholfen. Seit 2010 nehme ich Venlafaxin in verschiedenen Dosierungen, welches mir viele Jahre geholfen hat meine Ängst soweit in Schach zu halten, dass ich zumindest das Gefühl hatte ich habe noch einigermaßen die Kontrolle über mich.
Zwischen 2008 und 2010 war ich bei verschiedenen Psychiatern in Behandlung und habe mich bei keinem einzigen gut aufgehoben und verstanden gefühlt. Teils habe ich sogar sehr triggernde Erfahrungen machen müssen. Das hat im Endeffekt dazu geführt, dass ich mir das Venlafaxin seit vielen Jahren nur noch von meinem Hausarzt, der mich nun schon seit meiner Kindheit behandelt und dem ich vertraue, verschreiben lasse. Generell habe ich seither ein Problem mit fremden Ärzten.
Die Panikattacken sind nun schon seit sehr vielen Jahren mein Begleiter und ich bin mal besser und mal schlechter damit klargekommen. Meistens erwischte es mich, wenn ich das Haus verlassen / Termine wahrnehmen musste. Aber vor ein paar Wochen hat es mich da erwischt, wo ich mich eigentlich immer sicher gefühlt hatte, nämlich zu Hause.
Einige Wochen zuvor hatte ich mit einem Morbus Crohn Schub zu kämpfen, weshalb ich gerade dabei war meine Nahrung von Schonkost wieder auf normalere Ernährung umzustellen. Zu dem Zeitpunkt habe ich mich sehr abgeschlagen gefühlt und hatte viel mit Derealisation und leichteren Unruhezuständen zutun, was ich aber vorerst auf den vorangegangen Schub geschoben hatte. Als dann Herzrasen und Übelkeit nach dem Aufwachen hinzu kamen, wurde mir die Sache schon suspekter.
Eines Morgens wachte ich mit starken Krämpfen, Durchfall und Übelkeit auf, was sofort eine massive Panikattacke auslöste. Da die Übelkeit und der Durchfall weiter anhielten, war ich der festen Überzeugung mir einen Infekt eingefangen zu haben und steigerte mich durch die dauernde Angst mich übergeben zu müssen weiter in die Panik rein. Und im Endeffekt bin ich nicht mehr rausgekommen.
Eine Woche lang habe ich nichts essen können und musste mir selbst Flüssigkeit reinzwingen. Die Angst drehte sich längst nicht mehr nur um die Übelkeit, sondern verlagerte sich, als es meinem Bauch besser ging, dann eben auf andere Gedanken und/oder Symptome. Ein großer Angstzustand zog sich über den ganzen Tag und im stündlichen Abstand schlugen noch stärkere Panikattacken ein. Den Großteil des Tages lag ich wie versteinert auf der Couch, weil ich Angst hatte es wird schlimmer, wenn ich mich bewege. Schlafen konnte ich nur stundenweise mal, wenn mir vor Erschöpfung die Augen zufielen. Meine Emotionen waren komplett außer Kontrolle und meistens konnte ich nur noch weinen.
Im Endeffekt waren es dann meine Eltern, die nach einem Telefonat nahe dem Nervenzusammenbruch und meiner Einsicht, dass ich aus dieser Angstspirale gerade einfach nicht alleine herauskomme, mir meinen Hausarzt zu mir nach Hause schickten.
Lange Rede, kurzer Sinn: Das Venlafaxin wurde auf 150 mg erhöht und ich bekam Pregabalin, erst 100 mg dann erhöht auf 200 mg verschrieben.
Die 200 mg in 100-0-100 nehme ich jetzt seit 3 einhalb Wochen und neben den anfänglichen Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Benommenheit, ging es mir gute anderthalb Wochen deutlich besser. Ich war der festen Überzeugung das Medikament hätte mich aus der Spirale rausgeholt und hab wieder Hoffnung geschöpft alles könnte sich wieder Richtung Normalität entwickeln. Ich erinner mich noch an ein Telefonat mit meiner Mutter letzten Donnerstag, der ich freudig mitteilte, dass mir das Medikament das Leben gerettet hat. Und einen Tag später ging es dann wieder los.
Erst wieder leichte Anflüge, hauptsächlich nach dem Aufwachen und bis zu 2-3 Stunden danach. Dann fingen die Gedanken wieder an zu kreisen und schaukelten sich bis zur Panikattacke hoch. Und so läuft dies nun seit ein paar Tagen wieder.
Ich wache auf und habe direkt schon Angst vor dem Tag. Dann schleppe ich mich aus dem Bett und versuche produktiv zu sein, mich abzulenken. Währenddessen brodelts aber schon wieder so sehr in mir, dass es dann spätestens ein paar Stunden später als Panikattacke ausbricht. Ich kann den ganzen Tag nichts Essen, nur Wasser und Tee trinken. Erst sehr spät abends, wenn ich Glück habe und es nicht mehr ganz so schlimm ist, hab ich dann auch mal Hunger und kriege was runter.
Ich könnte den ganzen Tag weinen, teils wegen den unsinnigsten Dingen. Ich erschrecke mich vor den unsinnigsten Dingen und denke dauernd ich werde verrückt oder verliere die Kontrolle über meine Wahrnehmung, weil mir teilweise Töne, Gerüche, Bilder im Fernsehen z.B. komisch vorkommen / gruselig erscheinen und Angst machen. Stille und Stillstand macht mir Angst. Ich brauche ständige Berieselung durch irgendwas und auch wenn ich vollkommen erschöpft bin, weil das alles so unfassbar auslaugt und ich mich am liebsten mal auf die Couch legen und ausruhen würde, kann ich das nicht, weil ich dann sofort wieder anfange mit der Gedankenspirale. Also sitze ich die meiste Zeit am PC und versuche mich irgendwie abzulenken, da dies bisher von allen Versuchen noch am besten klappt. Zusätzlich hab ich das Gefühl, dass meine Depressionen auch deutlich präsenter sind. Meine Angstzustände und Panikattacken sind aktuell gehäuft von verzweifelten und total niedergeschlagenen Gedanken begleitet. Der ganze Tag ist ein grausamer Kampf.
Warum geht es mir anderthalb Wochen gut und dann ist wieder alles im Eimer? Hab ich mir die Wirkung des Pregabalins nur eingebildet? Ich weiß, dass noch viel Luft nach oben zur Maximaldosis wäre, aber wenn ich unter der jetzigen Dosierung schon noch so starke Symptome habe, weiß ich nicht, ob eine Erhöhung überhaupt Sinn machen würde. Mittlerweile fang ich schon an mich zu fragen ob das Pregabalin nach ein paar Wochen noch Nebenwirkungen entwickeln, oder die Symptomatik verschlimmern kann.
Am 13. hab ich wieder einen Termin bei meinem Doc. Bei der letzten Blutabnahme wurde festgestellt, dass mein Eisenwert so weit im Keller ist, dass er kaum mehr nachweisbar ist. Und da ich orale Präperate aufgrund meines MCs nicht vertrage, bekomme ich dann zum ersten Mal eine Infusion. Dort habe ich dann auch gleich die Möglichkeit mit meinem Arzt über die weitere Vorgehensweise zu sprechen, wenn. ja wenn ich es schaffe den Termin wahrzunehmen, was in meinem jetzigen Zustand wieder so unvorstellbar erscheint.
Die Infusion dauert um die 30min und man muss noch 30min danach zur Beobachtung dort bleiben als Vorsichtsmaßnahme wegen allergischen Reaktionen. 1 Stunde festsitzen, nicht weg können und das in dem Zustand momentan. Horror.
Nicht zuletzt stellt sich natürlich noch die Frage wie lange er noch bereit ist die Behandlung als Nicht-Facharzt weiterzuführen. Ich hab schon wieder furchtbare Angst davor zu einem fremden Arzt / Psychiater zu müssen, es macht mich wahnsinnig.
Zusätzlich zu all dem plagen mich noch ständige Gedanken darüber wie Weihnachten bloß laufen soll. Gerade würde ich es nicht schaffen bei meiner Family zu sein und das macht mich unfassbar traurig. Ich setze mich selbst unter Druck, indem ich jeden Tag bis Weihnachten zähle in der Hoffnung mir gehts besser und ich enttäusche alle nicht, weil ich nicht da sein kann.
Vielleicht gibt es ja Menschen hier, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und mir ein wenig Mut machen, mir Ratschläge geben können einen Weg aus diesem Loch zu finden. Auch wenn ich einen unfassbar verständnisvollen und tollen Partner an meiner Seite habe, der mir die beste Stütze ist, kommt doch noch öfter der Gedanke hoch, dass ich bestimmt ein ganz schlimmer, spezieller Fall bin, dem nicht mehr zu helfen ist. Da ist es sicher schön zu lesen, dass man nicht alleine ist.
Ich wäre sehr dankbar, wenn ihr respektiert mir nicht vorzuschlagen mich stationär behandeln zu lassen, denn dies löst, wie schon erwähnt, enorme Ängste bei mir aus. Ich bin mir sicher es gibt sehr viele Menschen bei denen diese Möglichkeit die beste und schnellste Hilfe war. Für mich ist es das nicht.
Ich danke euch, falls ihr euch die Mühe gemacht habt alles zu lesen.
04.12.2021 03:16 • • 12.01.2022 x 1 #1