Guten Abend,
therapeutisch gehe ich im Moment leider an nichts so richtig ran. Es ist immer noch in dieser Phase, wo alles einfach nur so aus mir raussprudelt, das hat dann manchmal gar keine Struktur oder geht von einem ins nächste über. Das stört mich selbst ein wenig, es tut zwar gut, sich auszusprechen, aber konkret an einem Punkt arbeiten geht so irgendwie nicht. Gut, meine Therapeutin führt mich dann oft noch mal zu etwas zurück, und das schauen wir uns dann genauer an (mache ich auch manchmal selber, wenn ich merke, dass ich wieder abgeschweift bin). Aber es gibt immer so fließende Übergänge von einem Problem in das nächste, weil alles irgendwie zusammenhängt. Und dann kommt wieder irgendwas aktuelles, und naja, eine Stunde pro Woche, das ist einfach wenig. Daher möchte ich ja nebenher noch eine zweite Therapie machen, wo man nicht nur analysiert, sondern das dadurch gewonnene Wissen auch anwendet, also eine Verhaltenstherapie. Dann kann ich z.B. in Prüfungssituationen oder bestimmten sozialen Situationen, in denen ich mal wieder einfach erstarre, auch was tun, und mir nicht nur denken, Jetzt passiert wieder das, weil damals das und das passiert ist, das allein ist ja recht nutzlos.
Und nein, ich hatte sonst keine Bezugspersonen. Die komplette Familie mütterlicherseits wohnt ca. 2 Autostunden von hier weg, die von meinem Vater kenne ich gar nicht, meine Mutter auch kaum. Ich weiß, dass meine Oma sich zwar als ich noch ein Baby war viel mit um mich gekümmert hat, da ja meine Mutter bestimmt noch ein halbes Jahr wegen der Lungenentzündung platt war und sich nicht richtig selber kümmern konnte, geschweige denn Stillen etc. Sie hat mir auch mal gesagt, dass dieser Glücksmoment, den Mütter oft beschreiben, wenn das Baby da ist, gar nicht da war. Weil sie eben schon so krank und schwach war. Sie meinte, als ich da war, war da nur dieses Gefühl, Jetzt kann ich sterben, jetzt ist das Baby auf der Welt, quasi, das hat sie jetzt noch vollbracht bevor sie sterben muss. Das ist ja zum Glück nicht passiert, aber ich weiß, es war ziemlich knapp.
Also bin ich durch das ganze eigentlich ziemlich alleine durch.
Habe halt dann immer zu meiner Mutter gehalten, weil die meistens da war, und sonst keiner. Das war vielleicht auch nicht so optimal, weil dadurch dieses Abhängigkeitsgefühl entstanden ist, Ich muss brav sein, sonst hat sie mich nicht mehr lieb, dann bin ich ganz allein. Meine Therapeutin meinte ebenfalls, dass das ja kein Wunder ist, dass man da irgendwann einfach total unsicher ist. Mit sich selbst und seinem Leben.
Zu Kindergartenzeiten hatte ich noch regelmäßig Wutausbrüche, so richtig starke. Meistens, wenn was nicht geklappt hat. Dann habe ich gegen alles getreten, was in der Nähe war, geschrien und getobt. Meine Mutter hat halt dann immer gesagt, wenn ich mich beruhigt habe, kann ich wieder aus meinem Zimmer kommen.
Das war aber nur zuhause so. Im Kindergarten hat man meiner Mutter gar nicht geglaubt (DIE Brave? Wutanfälle?). Das lag daran, dass ich mich anderen immer von meiner besten Seite präsentieren wollte, damit man mich mag. Zuhause waren dann aber scheinbar diese Spannungen, die diese Ausbrüche ausgelöst haben.
Aber irgendwann hat das aufgehört. Irgendwann hab ich nicht mehr getobt, nur noch geweint, mir für alles selbst die Schuld gegeben, mich schlecht und dumm und unfähig gefühlt. Und mit 11 Jahren kam dann die Selbstverletzung dazu, als dann einfach nichts mehr gereicht hat. Es ging ab da nur noch alles nach innen, nichts mehr nach außen.
So ist es heute noch. Manchmal, ganz, ganz, selten, brennt bei mir auch mal eine Sicherung durch. Dann schlage ich wie blöd auf irgendwas ein und fange manchmal auch an zu schreien. Da muss sich aber schon ganz schön was angestaut haben.
Ich fresse in mich hinein. Das schlägt auf mein Gemüt und auf meinen Bauch. Ich weiß, dass das nicht gut ist. Aber da ist diese megariesengroße Angst. Angst, die Wut rauszulassen. Angst, nicht mehr gemocht zu werden, Angst, was Falsches zu sagen, Angst gemein zu sein, einfach nur ganz viel Angst. Angst davor, dass man mir vorhält, wie unbegründet meine Gefühle sind, wie unwichtig. Angst, nicht das Recht zu haben, so zu fühlen.
Angst beherrscht mein Leben, leider. Sie lässt mich erstarren, macht mich stumm. Schon als Kind habe ich in Situationen, die mich überfordern, mir unangenehm sind, einfach aufgehört, zu reden und zu reagieren. Ich saß dann nur da, als würde ich versuchen, unsichtbar zu werden. Das habe ich leider sehr lange beibehalten.
Und jetzt ist man erwachsen und jetzt stößt man an allen Ecken und Enden an seine Grenzen. Kann nicht mehr unsichtbar werden, kann sich Situationen nicht mehr entziehen, muss sich stellen. Hat keine Rechtfertigungen mehr. Keinen Welpenschutz. Es heißt dann einfach nur: sowas geht nicht. Das muss sich ändern. Da müssen Sie dran arbeiten.
Und das sagt sich ja auch so leicht ... Ich weiß nicht, wie sich manche Menschen sowas vorstellen. Menschen, die nicht begreifen, dass so etwas Jahre dauern kann.
Ich hatte letztes Schuljahr in der Schule einen Wutausbruch nach Unterrichtsende. Allerdings ohne direkten Auslöser. Ich hab angefangen auf meinen Rucksack einzuschlagen, und eine Lehrerin hat das mitbekommen. Die war gleich ganz geschockt und hat gefragt was los ist. Ich habe versucht, es zu erklären. Aber das geht nicht mit ein paar Sätzen.
Es hieß, Sie sind jetzt aber kein Kind mehr. Es hieß, ich soll mir Therapie suchen. Ich hatte da schon einen Termin, eine Woche drauf (sowas dauert ja meistens Monate, bis man da mal einen Platz bekommt). Sie meinte, ich soll nochmal anrufen damit ich sofort anfangen kann, weil das ein Notfall wäre. Als wäre das so einfach. Ich habe ihr gesagt, dass die eine Woche auch keinen Unterschied mehr macht, sie meinte tatsächlich, Doch, das macht einen Unterschied, zwischen freier Therapie und der Geschlossenen.
Gleich so ganz dramatisch, als wäre ich ein Amokläufer und sonst irgendwie durchgeknallt. Ich war bereits in der Geschlossenen und fand das schon fast beleidigend.
Aber naja. Wichtig ist ja, dass ich jetzt in Therapie bin und an mir arbeite. Zu meinem Glück kann ich mein Leben gut selbst reflektieren und auch ohne Therapie habe ich schon einige Fortschritte gemacht, wenn auch langsamer. Da ich sehr aufmerksam bin und mir oft Verhaltensmuster auffallen, die dann mit bestimmen Situationen zusammenhängen, und ich dann nach der Ursache grabe. Allerdings ist da die Meinung einer Fachfrau ja auch nochmal wichtig.