Zitat von Abendschein: Das ist so ein hilfloses Gefühl und macht mich oft Ohnmächtig, weil ich nicht dagegen ankomme, es nicht zu bewerten. Meine Gefühle gehen in meinen Körper hinein. Es ist ja irgendwo anerzogen worden. Die Bewertung gehört zu mir und ich sehe keine Chance bei mir, mir das abzugewöhnen....
Deine Sorge, dass sich das nicht mehr ändern lässt, ist total verständlich, aber davor brauchst Du keine Angst zu haben.
Erster Aspekt:Das Gute ist: Man kann umlernen, das ist möglich, bis in ein sehr hohes Alter hinein. Wir verdanken das der Neuroplastizität unseres Gehirns, das Gehirn ist fast bis zum Ende in der Lage, neue neuronale Verbindungen zu erstellen, diese neu miteinander zu verschalten etc.. Unsere Art und Weise, zu denken, zu fühlen, zu reagieren, all das kann tatsächlich neu verschaltet werden.
Darum ist es z.B. möglich, auch ältere Menschen noch erfolgreich zu therapieren (ich habe schon mit über 80jährigen zusammen Gruppentherapie gehabt). Und die meisten psychischen Probleme haben ihren Ursprung ja in der Kindheit.
Natürlich dauert es entsprechend länger, gerade, wenn die gedanklichen Muster aus frühester Kindheit stammen. Das kann man sich wie Gedanken-Autobahnen vorstellen, die Synapsen können da bequem und schnell schalten, je öfter ein gedankliches Muster abgerufen wird, umso breiter wird diese Straße. Und unser Gehirn mag Effizienz. Und trotzdem ist es möglich, neue Gedankenwege aufzubauen. Das ist nur mühsam, die kann man vergleichen mit einem verwachsenen Dschungelpfad, völlig verwachsen, nur schwer zugänglich, und es ist sehr mühsam, diesen Pfad zu nutzen. Und unser Gehirn hat diese Ausrichtung auf Effizienz, es kostet viel Willenskraft, diese neuen gedanklichen Muster zu nutzen. Aber auch da wird dann über die Zeit ein etwas breiterer Weg draus, je öfter man ein gedankliches Muster verwendet, umso besser zugänglich wird er.
Das klingt erstmal merkwürdig, ist aber ähnlich wie beim Sport: gedankliche Muster zu verändern ist wie Sport. Es braucht Training, Übung, am Ball bleiben. Dann wird es irgendwann besser. Nur darf man dann nicht nachlassen, auch wenn das Gehirn immer wieder versucht, vielleicht doch mal wieder die altvertraute Autobahn zu nutzen. Da heißt es dann freundlich Nein sagen und die Gedanken zurück auf den Pfad zu schicken, den man ausbauen möchte. Denn sonst ist es irgendwann auch wie beim Sport: Trainiert man die Muskeln nicht, bilden sie sich zurück. Ähnlich bei den gedanklichen Mustern: Nutzt und trainiert man diese nicht, wächst dieser neu entstandene Pfad wieder zu.
Quintessenz: Es ist mühsam, aber es ist möglich und es lohnt sich.Zweiter Aspekt: Du sagst, die Bewertung gehöre zu Dir. Dass sich das so anfühlt, ist total nachvollziehbar, aber auch hier gilt: Es ist nur eine Deiner sehr gut ausgebauten Gedankenautobahnen.
Was Gefühle und Gedanken angeht, bringen Therapeuten oftmals diesen einen Satz, den man sich sagen soll, wenn ein unangenehmes Gefühl/ ein unangenehmer Gedanke auftaucht und einen zu überwältigen droht:
Ich habe ein Gefühl/ einen Gedanken, aber ich bin nicht dieses Gefühl/ dieser Gedanke.Dadurch schafft man es, sich von dem Gedanken und dem Gefühl etwas zu distanzieren, es aus einer Beobachter-Position heraus zu betrachten und ihm so etwas die Macht/ die Wucht zu nehmen. Gerade bei sehr schlimmen Gefühlen hat man ja oft den Eindruck, man würde förmlich in diesem Gefühl ertrinken, von diesem Gefühl völlig überwältigt oder verschlungen werden.
Durch diesen Gedanken schafft man es, sich wieder etwas an die Oberfläche zu kämpfen und wieder atmen zu können.
Dass Deine Gefühle dabei auch, wie Du sagst, in Deinen Körper hineingehen, ist übrigens total normal. Wir reagieren immer mit Gefühlen, Gedanken und Körperempfindungen auf eine Situation, das springt immer alles an, auch wenn wir es nicht immer bewusst wahrnehmen. Dieser Zusammenhang ist aber auch durchaus positiv, denn so wir haben auch die Möglichkeit, diesen Zusammenhang zu nutzen, um damit das eine mit dem anderen zu beeinflussen (z.B. mit bestimmten Gedanken die Gefühle zu regulieren, die dann wiederum auch die körperliche Reaktion verändern können).
Ich habe früher auch an all das nicht geglaubt. Gerade zu Beginn meiner Therapie war ich höchst kritisch eingestellt, habe alles angezweifelt und hinterfragt. Jetzt, viele Jahre später (und nach wirklichen vielen Therapiestunden), konnte ich irgendwann ganz konkret an mir erleben, dass an vielem von den Sachen, die einem die Therapeuten so einflüstern, doch sehr viel dran ist. Und ich konnte an mir selber merken, wie sich selbst bombenfest eingefahrene gedankliche Muster und emotionale Reaktionen, bei denen ich mir sicher war, dass diese sich niemals ändern würden, laaangsam aber stetig verändert haben. Wie es besser wurde, wenn ich daran gearbeitet habe. Wie es auch wieder schlechter wurde, wenn ich das nicht mehr getan habe. Und wie ich dann auch trotzdem wieder die Kurve kriegen konnte, wenn ich wieder angefangen habe, daran zu arbeiten.
Das war/ist ein tolles Gefühl, das einem auch dann Hoffnung gibt, wenn es gerade vielleicht mal wieder schlecht läuft.
Damit will ich jetzt auch nicht pauschal sagen, dass alle psychischen Probleme vollständig heilbar sind, das nicht. Aber selbst bei schwerwiegenden Diagnosen bzw. Symptomen lässt sich immer eine signifikante
Verbesserung erreichen, die eine Erhöhung der Lebensqualität mit sich bringt, die es wert ist, dafür zu kämpfen.
Und das kannst Du auch !
LG Silver