Hallo,
ich will versuchen, dir das so weit wie möglich zu erklären. Das ist nicht so leicht, weil die Gedanken, die man sich bei Zukunfts- oder Bindungsängsten macht, mitunter wirklich nicht in sich schlüssig sind. Übrigens ist das bei allen Angsterkrankungen so. Da hilft auch logisches Denken nicht, denn das funktioniert in solchen Momenten nicht.
Nehmen wir mal mich als Beispiel.
Mich haben einige Ereignisse in meiner Kindheit ganz besonders geprägt und es ist schwer für mich, über meinen Schatten zu springen und zu sagen: Komm her, ich brauche dich, ich will mit dir zusammen sein. Da wäre einerseits die Situation, dass meine Mutter uns verlassen hat, als ich sechs Jahre alt war. Ich war schon immer sehr auf meine Mutter fixiert und dann ging sie einfach weg und ließ uns zurück. Als sie nach etwas über einem Jahr wieder zu uns zog, war sie aufgrund verschiedener Umstände dem Alk. und Tabletten sehr zugetan. Ich weiss noch, dass sie sich auf einer Feier einmal völlig betrunken und außer sich eingeschlossen hat und ich saß weinend vor der Tür und habe sie angefleht, mich rein zu lassen. Keine Chance. Ich bin nachts oft weinend aufgewacht und zu ihr ins Bett gekrochen. Bis sie mich einmal anschrie, ich solle nie wieder zu ihr kommen. Das habe ich auch nicht getan. Nie wieder. Bei niemandem. Meine Eltern haben sich dann scheiden lassen, das war eine schlimme Zeit, in der wir Kinder ausgespielt wurden gegen die Eltern und in der es nur Streit und Anfeindungen gab. Mit acht Jahren wollte ich mich umbringen. Da war ich zum ersten Mal beim Psychologen. Ich hatte immer das Gefühl, dass das alles meine Schuld wäre, dass ich nicht gut genug war. Ich begann mich zu hassen. Mobbing in der Schule folgte, schlimme Selbstzweifel, Depressionen in der Pubertät, Probleme im Umgang mit Menschen, die aus starker Unsicherheit entstanden.
Ich habe in meiner Kindheit gelernt, dass Nähe nur weh tut. Dass man immer wieder zurückgestoßen wird, wenn man Geborgenheit sucht. Dass ich nicht gut genug bin, um die Liebe anderer zu erlangen oder zu verdienen. Dass Zweisamkeit zerstörerisch wirkt. Mein Therapeut sagte mir, dass ich das Urvertrauen verloren habe. Und ja, ich denke, da ist was dran. Das Vertrauen in sich selbst, in andere und in das Leben ist kaum vorhanden.
Was bei mir passiert, wenn ich zu viel Nähe verspüre?
Als erstes mache ich mir Gedanken darüber, dass ich vor meinem Partner immer die tolle Frau sein muss, die man nicht verlassen will, weil sie alles mitmacht und immer gut drauf ist und man sich nie streitet. Ist man sich sehr nah, verbringt man viel Zeit miteinander, dann muss diese Maske ununterbrochen aufrecht erhalten werden. Das kostet viel Kraft und macht Angst, denn darf man dann noch man selbst sein?
Zieht man dann noch in eine gemeinsame Wohnung oder in ein Haus, geht man eine noch größere Verpflichtung ein. Was ist, wenn alles scheitert? Wie steht man finanziell da? Bricht evtl. auch ein Freundeskreis zusammen? Wie verkraftet man das emotional? Ist man bereit, diese Lasten auf sich zu nehmen? Was passiert in bestimmten Situationen? Bei Unklarheiten, bei Krankheit, bei schwierigen Themen?
Und die weitreichenden Konsequenzen bedenkt man natürlich auch. Ist es die richtige Entscheidung für mich? Kann ich mir sicher sein, dass dieser Mensch mir gut tun wird und die richtige Wahl ist? Was, wenn ich mich irgendwann mal anders entscheide? Wie sollen unsere Kinder aufwachsen? Wäre ich eine gute Mutter? Könnte ich überhaupt Mutter sein? Ich bin noch gar nicht bereit!
Wie gesagt, das ist jetzt mal aus meiner Sicht beschrieben. Von anderen Menschen mit Bindungsängsten habe ich die Probleme aber auch schon so oder so ähnlich geschildert bekommen.
Die Probleme und Gedanken wegschieben nützt auch leider nichts. Dein Freund kann sich für kurze Zeit davon befreien, aber dann sind sie ja eben wieder da. Und wenn das für euch beide so belastend ist, dann liegt schon was im Argen. Und ich denke, eine Abklärung könnte sich durchaus lohnen.
Lieben Gruß
Schabi
30.09.2011 14:26 •
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