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Hallo zusammen,

ich bin auch neu hier und weiß gar nicht genau, wo ich anfangen soll. Vielleicht könnt ihr mir im Zweifel durch geschicktes Nachfragen helfen. Kurz zu mir: Ich bin 41 Jahre alt, ziemlich therapie-erfahren und zurzeit geht es mir mal wieder schlecht. Ich würde hier gerne etwas Austausch finden, vielleicht haben andere schon ähnliche Erfahrungen mit ihrer Störung und ähnlichen Symptomen gemacht und können mir helfen, ein paar Unsicherheiten abzubauen oder einen Ansatz zur Verbesserung empfehlen.

Die Diagnosen gehen bei mir seit 20 Jahren auseinander, aber in der Essenz würde ich es als generalisierte Angststörung bezeichnen, die mir eine gewisse, leichte Grundsymptomatik beschert. Aber in mehrjährigen Abständen drängt sich die Störung durch heftige Krisen in den Vordergrund, und im Moment stecke ich mal wieder in einer solchen Krise. Ich muss dazusagen, dass ich seit 2 Jahren eine tiefenpsychologische Therapie mache.

Angefangen hat es dieses Mal im Mai, mit heftigsten Panikattacken (eine gefolgt von der nächsten). An ein normales Leben war von heute auf morgen gar nicht mehr zu denken.Es kamen dann nach und nach immer mehr Symptome dazu: diffuse Ängste, also richtige Furcht (wie beim Horrorfilme schauen, was ich allerdings nicht tue), ein Gefühl von unerträglicher Unruhe und Getriebenheit, konkrete agoraphobische Ängste, zwischendurch auch depressive Empfindungen (Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, bohrende Angst vor allem) und schlussendlich (darin mündet es immer irgendwann bei mir) starke Derealisation/Depersonalisation. Ich lebe seit 7 Jahren mit meiner Partnerin zusammen, und da ich das letzte Mal so eine Krise vor 9 Jahren hatte, kannte sie das noch nicht von mir.

Ich mache ein Fernstudium und habe dafür auch vor 1,5 Jahren meinen Job gekündigt. Dann kam aber leider Corona, und ich war plötzlich hier zu Hause isoliert in meinem Arbeitszimmer. Meine Freundin war ziemlich zeitgleich im Home-Office (und ist es bis heute noch), d.h. wir waren hier 24-7 zusammen. Irgendwann habe ich das schon als belastend empfunden, weil ich einfach Phasen habe, in denen ich meine Höhle brauche, also niemand um mich herum ist. Mit der aktuellen Krise im Mai ist das komplett gekippt - ich kann es jetzt kaum noch ertragen, wenn sie auch nur 2 Stunden zum Sport geht, geschweige denn sie muss mal ins Büro für einen Tag. Ich kann also praktisch nicht mehr alleine zu Hause sein, ohne dass die Ängste stetig anwachsen und es mir immer beschissener geht. Da meine Freundin jetzt aber wohl ab Oktober/November wieder mehrere Tage pro Woche zur Arbeit muss (80km entfernt, sie wird 2 Home-Office-Tage pro Woche haben) und sie auch wieder mehrtägige Dienstreisen haben wird, ist das gerade mein größter Horror und ich weiß einfach nicht, wie ich dem begegnen soll in meinem Zustand.

Der Therapeut (ist auch gleichzeitig mein Psychiater) geht darauf gar nicht ein, für ihn sind das alles Symptome von Agoraphobie - Aushalten, dann wirds besser, ist da sein Rat (Zitat: Fahren'se mal eine Woche alleine ins Sauerland in eine Hütte, dann gehts Ihnen da 4 Stunden schlecht und danach können Sie sich plötzlich auf Ihr Studium konzentrieren). Hier rächt sich vielleicht, dass es kein Verhaltenstherapeut ist. Insgesamt fühle ich mich in dieser aktuen Krise von ihm nicht genug ernst genommen. Medikamente nehme ich übrigens 75mg Doxepin zur Nacht (damit Schlafen funktioniert und mein Adrenalinspiegel tagsüber etwas gesenkt wird - weniger Unruhe-Attacken). Der Arzt sagt, die Angst sei bei mir nicht die Krankheit, sondern das Symptom, und die Ursachen würden nicht in meinem Hirnstoffwechsel liegen, deshalb würden Medikamente mir hier auch nicht dagegen helfen.

Ok, das wäre mein erster kurzer Einblick, ich hoffe, man kann etwas damit anfangen. Ich könnte wohl in jede erdenkliche Richtung stundenlang weiter erzählen. Würde mich freuen, wenn sich hier vielleicht jemand findet, der sich mit mir darüber austauschen mag.

LG, asdus

18.09.2021 09:15 • 21.09.2021 x 2 #1


16 Antworten ↓


Hallo und willkommen @asdus

Zitat von asdus:
ziemlich therapie-erfahren

Was genau heißt das? Welche Therapien hast du gemacht?

Zitat von asdus:
Ich lebe seit 7 Jahren mit meiner Partnerin zusammen, und da ich das letzte Mal so eine Krise vor 9 Jahren hatte, kannte sie das noch nicht von mir.

Hast du ihr davon berichtet oder war es absolut neu für sie?

Zitat von asdus:
ich kann es jetzt kaum noch ertragen, wenn sie auch nur 2 Stunden zum Sport geht, geschweige denn sie muss mal ins Büro für einen Tag. Ich kann also praktisch nicht mehr alleine zu Hause sein, ohne dass die Ängste stetig anwachsen und es mir immer beschissener geht.

So erging es mir während und nach meiner ersten bewussten Panikattacke. Mein damaliger Partner musste auch für einige Wochen arbeitstechnisch weg, dies löste meine Angstsymptomatik aus und die Panikattacken.
Ich bekam ebenfalls mehrere Diagnosen. Von generalisierter Angststörung über Panikstörung und Anpassungsstörung mit Depressionen.
Das Problem liegt hier (so bei mir) nicht am Alleinsein sondern am Alleingelassenwerden. Das hat auch erstmal nix mit Einsamkeit zu tun... Darüber gern mal mehr.

Zitat von asdus:
Hier rächt sich vielleicht, dass es kein Verhaltenstherapeut ist. Insgesamt fühle ich mich in dieser aktuen Krise von ihm nicht genug ernst genommen.

Ich habe bisher nur Verhaltenstherapien gemacht, aktuell seit knapp 1 Jahr wieder. Andere Therapieformen hatte ich noch nicht. Wenn du dich allerdings nicht ernst genommen fühlst von deinem Therapeuten, dann ist es für dich nicht der richtige Therapeut. Das ist ganz wichtig, dass du dich verstanden und angenommen fühlst und du ihm vertrauen kannst.

Zitat von asdus:
Der Arzt sagt, die Angst sei bei mir nicht die Krankheit, sondern das Symptom, und die Ursachen würden nicht in meinem Hirnstoffwechsel liegen, deshalb würden Medikamente mir hier auch nicht dagegen helfen.

Generell ist Angst keine Krankheit. Die Ursache dafür liegt meist in der Kindheit begraben. Es gibt so viele Auslöser, die die Angst hervorrufen oder aufrechterhalten können. Wenn man dieses Leiden an der Wurzel packen will, dann wäre es schon hilfreich die Ursache ausfindig zu machen, sodass man damit (ver)arbeiten kann. Dennoch ist es nicht immer angebracht oder ausfindig zu machen, wo dann eine Verhaltenstherapie greift. Da werden die Denkmuster, das Verhalten, die Gefühle usw im Hier bearbeitet (natürlich wird dort die Vergangenheit mit betrachtet).
Es gibt sicher auch Mischtherapien oder andere Herangehensweisen. Für mich ist die Verhaltenstherapie hilfreich.
Was Medikamente angeht, darüber möchte ich weniger was sagen, da es sehr individuell ist und auch viele Meinungsverschiedenheiten gibt. Genommen hatte ich vor ca 20 Jahren Zoloft (Sertralin). Die Menge weiß ich gar nicht mehr. Seit dem Absetzen habe ich keine Psych. Medik. mehr genommen. Lediglich pflanzliches probiert.
Für mich ging/geht es auch ohne Medis.

Bist du denn zufrieden mit deinem Leben? Ich meine beruflich, Liebe, sozial, allgemein? Kennst du deine Auslöser? Kennst du die Ursache(n)?

A


Generalisierte Angst, von allem etwas

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Dein Therapeut hat aber recht. Es nützt ja nichts, wenn Du Dich Deiner Angst nicht stellst, denn Deine Freundin hat auch ihr eigenes Leben.

Wie wäre es, wenn Du Dir jeden Tag was vornimmst, um rauszukommen u Dich an draussen u die Menschen besser zu gewöhnen ?

Fahrradtour als erstes

Dann Spaziergang wo es einsam ist, das erste Mal mit Deiner Freundin zusammen, danach such mal allein.

Sinn dieser Übungen ist, dass Du Dich wieder an alles gewöhnst und es zur Gewohnheit wird.

@portugal

Das ist für mich ja das große Dilemma. Ich will um jeden Preis vermeiden, dass meine Freundin sich eingeengter fühlt als nötig.

Ich muss mal etwas weiter ausholen.

Das mit dem nicht allein sein können hat sich über unseren Urlaub im Juli ergeben. Wir hatten 2 Wochen Amrum gebucht, was 7 Std. Autofahrt + 2 Std. Fähre bedeutet. Wir sind in der Vergangenheit schon öfter dort gewesen und eigentlich lieben wir diesen Ort wegen seiner Ruhe sehr. Ich hätte es abgesagt, aber meine Freundin war derart angewiesen auf diese Auszeit, dass ich mich überwunden habe zu fahren. Außerdem war mein Therapeut der Meinung, es würde mir absolut guttun (von wegen Exposition gegen Agoraphobie etc.). Die Anreise war natürlich extrem unangenehm für mich, vermutlich habe ich mich durchgehend in einer einzigen großen Panikattacke befunden. Schlimm wurde es dann, als es auf die Fähre gehen sollte. Da weiß ich bis heute nicht, wie ich mich dazu überwunden habe. Aber auch das habe ich überlebt.

Auf der Insel fing der eigentliche Spaß aber erst an. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass man derartige Ängste und derartige Stressattacken im Kopf überhaupt erleben kann, ohne direkt zu kollabieren. Für mich war der Aufenthalt aber ein einziger Albtraum. Jeden Tag von morgens früh bis nachts Angst, Angst, Angst. Dazu Unruhe, Anspannung und noch mehr Angst. Schlafen ohne Zopiclon völlig unmöglich, mit Pille zumindest 4 Stunden. Ich habe es 5 von geplanten 14 Tagen geschafft durchzuhalten, musste aber jeden Tag kleine Dosen Tavor nehmen, sonst wäre es gar nicht mehr gegangen. Und mit Tavor ging es mir auch nicht gut, es war nur erträglich. Naja, wir sind nach 5 Tagen wieder abgereist. War ja weder für mich, noch verständlicherweise für meine Freundin, erholsam. Ich hab in diesen 5 Tagen aber praktisch jede Sekunde in direkter Sichtweite zu meiner Freundin verbracht, anders wäre es gar nicht gegangen. Und seitdem hab ich diese Angst vor dem Alleinsein.

Wobei es jetzt komisch wird: Wenn ICH die Wohnung verlasse, geht das. Ich kann gut und gerne ein paar Stunden draußen mit dem Fahrrad rumfahren, während meine Freundin zu Hause ist. Das Problem tritt nur auf, wenn SIE geht. Deshalb finde ich den Ansatz von Gaulin auch interessant (Alleingelassenwerden statt Alleinsein), darauf werde ich aber separat noch einmal antworten.

Andere agoraphobische Ängste konnte ich durch Gewöhnung ja auch schon lindern, Supermarkt etc. gehen schon wieder ganz gut, auch alleine. Nur dieses Alleinbleiben, wenn die Freundin irgendwo hin muss, wo sie nicht greifbar ist (Fitnessstudio - nicht erreichbar, oder Büro - erreichbar, aber 80km entfernt und vom Zug-Regionalverkehr abhängig), das will sich einfach nicht bessern. Ich habe dann auch keine Angst, dass mir was passiert und niemand es merkt, ich fühle mich und mein Leben einfach kaum, wenn sie weg ist. Als bräuchte ich diese Bezugsperson, um die Verbindung zu meiner Persönlichkeit und meiner Realität erleben zu können...ergibt das irgendwie Sinn?

@Gaulin

Ich versuche mal, deine Fragen und Anmerkungen abzuarbeiten.

Welche Therapien habe ich gemacht? Diverse Verhaltenstherapien, einen vollstationären 3-monatigen Klinikaufenthalt vor 9 Jahren, gefolgt von 2 Monaten teilstationärem Aufenthalt, und seit 2 Jahren eine tiefenpsychologische Psychotherapie. Irgendwie war ich gefühlt mein ganzes Leben immer wieder in Therapien, auch wenn ich zwischendurch immer wieder lange Phasen hatte, in denen ich ganz normal gelebt habe mit Partnerschaften, Karriere, etc.

Habe ich meiner Freundin davon berichtet oder war es absolut neu für sie? Ich habe ihr davon berichtet, aber es ging mir ja wieder gut. Bis auf meine Flugangst war ich nicht eingeschränkt, deshalb war das zwischen uns nie großes Thema. Ich selbst dachte ja auch, die ganz schlimme Phase wäre für immer überwunden. Diesen Mai bin ich dann halt hart auf dem Boden der Realität gecrasht, und mit mir zusammen meine Freundin...

Von meinem Therapeuten nicht ernst genommen fühle ich mich erst seit dieser Akutphase. Vorher war er zwar auch schon ein Ar***loch, der während der Sitzung mit Sarkasmus um sich wirft und Kette raucht, aber irgendwie hatte das was Konfrontatives, was mir in der Therapie gut getan hat, weil es mich aus meiner Komfortzone geholt hat. Wechseln kann ich jetzt aber nicht, da mein Kassen-Kontingent erschöpft ist und er mich quasi gratis weiter therapiert. Ich denke eine kognitive Verhaltenstherapie würde mir jetzt wo es akut ist mehr bringen, als dieses tiefenpsychologische langfristige Rühren in meiner Vergangenheit. Aber wie gesagt, im Moment ist er alles was ich habe, und wohl auch alles wozu ich bezahlbaren Zugang habe...eine private Therapie kann ich mir leider nicht leisten.

Bin ich zufrieden mit meinem Leben? Die Frage ist sicher schwierig. Meine Partnerschaft ist gut, ich denke auch, die Frau ist die richtige für mich. Und allgemein denke ich, die positiven Aspekte überwiegen. Das jetzt auszubreiten würde hier den Rahmen sprengen. Meine Auslöser kenne ich nicht. Der Arzt sagt, ich habe Angst vor Erfolg, vor dem endgültig im Leben ankommen, den Schwellenschritt gehen, die Männerrolle ausfüllen. Und weil ich in meinem Fernstudium letztes Semester zu erfolgreich war und eigentlich Nachwuchs mit der Freundin geplant hatte, war das alles zu viel Erfolg und Nachhaltigkeit für meine Psyche, deshalb musste sie das sabotieren. Das ist jetzt natürlich nur die Ultra-Kurzversion.

Die Situation mit dem Studium ist sicher ziemlich problematisch. Ich habe dafür meinen Job gekündigt und habe die letzten 1,5 Jahre erst vom Geld meiner Freundin mitgelebt (wir hatten das besprochen und uns dafür entschieden), dann war ich arbeitslos, dann krank geschrieben. Aber eben immer abhängig. Dazu durch Corona übelst isoliert, ich hatte auch lange zu große Angst vor den Impfungen. Also gar nicht vor dem Impfstoff, sondern davor, dass mich die Impfung psychisch total kaputtmacht, weil da jetzt eben dieser Wirkstoff in mir drin ist, und ich nichts mehr dagegen tun kann. Vermutlich Angst vor Kontrollverlust. Ich kann auch keine Retard-Medikamente nehmen, aber das nur am Rande. Mittlerweile bin ich aber doppelt geimpft. Ich konnte mich überwinden und hatte zum Glück auch nur mit wenig Impfreaktionen zu kämpfen.

Ursachen dürften in meiner nicht ganz optimalen Jugend liegen, Scheidung, neuer Partner der Mutter, Konflikte, familiäre psychische Gewalt, Dro. und falsche Freunde, da war einiges nicht in Ordnung. So ganz haben sich mir die Theorien meines Therapeuten aber da noch nicht erschlossen.

@asdus krass das hätte ich genauso schreiben können. Ja Angst vor Kontrollverlust (im Urlaub - weit weg von Zuhause, der Sicherheit, wenn die Freundin geht, kommt sie hoffentlich auch wieder?, Autofahrten, Zug, Flug...) bei all den Dingen haben wir keine Kontrolle... da spielt Vertrauen eine große Rolle. Zu anderen Menschen, aber auch zu uns selbst. Woher kommt das? Waren wir viel auf uns selbst gestellt? War jemand da (unsere Mutter), wenn wir Probleme hatten? Wurden wir verlassen? Enttäuscht? Verletzt? Usw. All diese Dinge spielen sich noch im Unterbewusstsein ab. Wir brauchen doch nur jemanden der unsere Bedürfnisse erfüllen kann (zb. Sicherheit, Geborgenheit, Liebe usw). Leider kann uns das alles keiner mehr so geben/erfüllen wie wir das gebraucht hätten. Das macht natürlich Angst. Diese Abhängigkeit ist tückisch.
Verstehst du was ich meine?
Bei mir hat sich das über die Jahre gebessert. Aber nun kurz vor der 40 (scheinbar so ein anfälliges Alter für eine weitere Phase) hat mich das auch wieder zurückgeworfen. Dazu muss ich sagen, dass in den letzten 2 Jahren auch eins aufs andere kam und es echt nicht leicht war. Das alles zusammen hat mich wohl wieder zurückgeworfen. Aber nie mehr so schlimm wie vor 20 Jahren! Aber auch anders...
Aus Erfahrung kann ich nur sagen, dass man für sich selbst was verändern muss sonst ändert sich leider nix. So schwer wie es fällt Richtung Unabhängigkeit. Das kann man üben, Schritt für Schritt. Die Kontrolle wiedererlangen oder überhaupt erstmal zu erlangen. Vertrauen, vorallem Selbstvertrauen.

Ist die Idee ins Sauerland zu fahren, nicht so gesehen ein verhaltenstherapeutischer Ansatz? Ich finde das klingt doch gar nicht so schlecht

@MuMPiTz11 ja, schon. Und er meint es sicher auch therapeutisch gut. Mich überfordern solche Aussagen nur total, weil ich ja kaum um den Block laufen kann ohne Panikattacken, wenn meine Freundin im Büro ist. Die letzten Monate kam das nur ein, zwei Mal vor, aber spätestens ab November wird sie wieder 3 Tage die Woche ins 80km entfernte Bonn zur Arbeit fahren, und dann werden auch wieder Dienstreisen dazukommen, mit Übernachtungen. Ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll.

@Gaulin Ja, ich vermute auch, dass das im Augenblick etwas mit Vertrauen und Selbstvertrauen zu tun hat. Als ich 2013 meinen schweren Zusammenbruch mit Klapse hatte, war es genauso. Ich bin durchgedreht, wenn ich mich nicht durchgehend kontrolliert und betreut gefühlt habe. Sogar wenn in der Klinik Mitpatienten entlassen wurden, mit denen ich kaum etwas zu tun hatte, hat mich das in noch tiefere Löcher gerissen. Einfach, weil es Veränderung bedeutet hat, einen Bruch der Stabilität und Beständigkeit.

Wie ich mich damals erholt habe weiß ich leider nicht, es wurde nach Monaten aber schleichend besser. Und ich bin dann förmlich zum genauen Gegenteil mutiert, ich war Einsiedler, der sich soziale Kontakte ganz gezielt dosiert hat. Ich war auf niemanden mehr angewiesen, zu viel Kontakt war mir oft einfach zu viel. Und auch nachdem ich mit meiner Freundin zusammengezogen war, war es völlig selbstverständlich, dass jeder sein eigenes Leben lebt. Ich würde sogar sagen, wir haben mehr getrennt unternommen als zusammen, und das war total ok. Sie ist sogar alleine in Urlaub gefahren. Ich hatte dann mal ein paar Tage meine Ruhe, das war überhaupt kein Problem. Ich hatte ja auch einen ganz normalen Job und bin jeden Tag zur Arbeit gefahren.

Das fühlt sich JETZT alles so völlig undenkbar an. Ich bin wieder zu 100% abhängig. Der Gedanke, ich muss den Tag über allein sein, versetzt mich in Furcht und Panik, der Gedanke, ich muss über Nacht alleine bleiben, noch viel mehr.

Morgen ist es übrigens wieder so weit, die Freundin fährt ins Büro. Da weiß ich schon, wenn sie um 6:00 das Haus verlässt, stehe ich senkrecht im Bett und ab da wird sich das Panik-Karussell drehen. Es hilft mir dann auch nicht, mit ihr zu texten oder zu telefonieren. Wenn sie weg ist und ich alleine zu Hause zurückbleibe, fühlt sich das fast so an, als existiere sie gar nicht mehr. Und ich auch nicht. Da laufen wirklich ganz komische Filme ab, die ich mir kein bisschen erklären kann. Was du schreibst (wenn die Freundin geht, kommt sie hoffentlich auch wieder?) habe ich mir auch schon mal überlegt. Vielleicht ist es genau das. Rational weiß ich, natürlich kommt sie wieder. Und sie ist mir auch im Büro emotional genauso verbunden wie zu Hause. Aber vielleicht ist da wirklich so eine Art inneres Kleinkind in mir, das sich fragt, ob sie wiederkommt. Wie das Kind, das im Supermarkt seine Mutter nicht mehr findet und sich sofort grundlegend existenziell bedroht fühlt. So geht es mir auch. Totale kindliche Regression. Hast du irgendeinen Tipp für mich, wie ich damit umgehen kann? Wie ich das besser ertragen kann?

Ich habe ab 1.10. einen neuen Teilzeit-Job, vielleicht ist das genau das, was ich brauche, um mich wieder Richtung Unabhängigkeit zu entwickeln. Wieder eigenes Geld verdienen, weniger Abhängigkeit von der Freundin. Sich einbringen können, vielleicht auch berufliche Bestätigung. Und es zwingt mich (im positiven Sinne) wieder zu etwas Struktur. Man gibt mir Aufgaben und ich muss mich nicht durchgehend selbst mit Beschäftigung versorgen. Allerdings sind da so viele Ängste, die auf mich einregnen, dass ich noch gar nicht weiß, ob ich es bis zum 1.10. überhaupt durchhalte und ob ich dann auch den Job schaffe...

Ich fühle mich vom echten Leben einfach so komplett überrollt gerade. Als wäre ich dem nicht gewachsen. Überforderung. Alle machen weiter, nur ich sitze in meinen Ängsten fest, leide furchtbar und kann nicht mithalten. Und irgendwann verlieren sie die Geduld mit mir. Dann zerbricht meine Beziehung, Freunde gehen auf Distanz, ich bin dann ganz allein und hilflos.

Ich habe noch nicht verinnerlicht, dass ich mir selbst helfen muss, wahrscheinlich weil ich einfach nicht weiß, wie...

@asdus naja mein Rat ist, laut meiner eigenen Erfahrung, dass du dort durch musst. Undzwar deshalb, weil du dich auch daran gewöhnen wirst. Und du lernst das Vertrauen, indem du siehst, dass sie ja jedesmal wiederkommt. Das dauert eine ganze Weile, aber es wird besser und irgendwann selbstverständlich. Anders wird es nicht gehen. Fatal wäre, wenn du in die Vermeidung gehen würdest und deine Freundin dir zuliebe Zuhause bleibt. Denn dann wird deine Angst noch verstärkt und du verlässt dich noch mehr auf sie, dass sie nach deinen Bedürfnissen handelt. Das wäre ganz schlecht auf Dauer gesehen, auch wenn es diesmal deine gefühlte Rettung wäre. Du musst dich sozusagen dahin trainieren...

@Gaulin ja, das denke ich mir schon. Ich hab eben das Gefühl, ich kann gar nicht heilen, weil ich ständig wieder zur Verschlechterung gezwungen werde, weil mich diese Tage des Alleinseins wieder gefühlt um Wochen zurückwerfen. Aber dieses Bewusstsein ist vermutlich genau das, was meine Angst erreichen will. Dass ich im Alleinbleiben die absolute Bedrohung sehe.

Als ich damals aus der Klinik entlassen wurde, war es ganz ähnlich. Meine Mutter, die in der Türkei lebt, ist damals nach Deutschland gekommen und hat mehrere Monate bei mir gewohnt, hat mich auch täglich in der Klinik besucht. Für die Ärzte war das grundfalsch, die haben gesagt, sie müsste sofort wieder abreisen, statt mich rund um die Uhr zu betreuen. Als ich dann einen Tagesklinikplatz hatte, ist sie auch abgereist. Ich war mir SICHER, meine letzte Chance auf ein normales Leben wäre verloren, wenn sie abreist. Das war aber gar nicht so, ich habe es weggesteckt. Dabei hatte ich aber die Stabilität der Tagesklinik. Und da meine Mutter in ein anderes Land reisen konnte, war der Cut ja auch überhaupt erst möglich. (Meiner Freundin könnte ich gar nicht ausweichen bzw. sie mir, wir wohnen ja zusammen). Und das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir war während dieser Zeit auch toxisch. Einerseits war ich komplett auf ihre Anwesenheit angewiesen, andererseits habe ich mich aber auch total beengt gefühlt und hatte diese ungesunde Abhängigkeit ständig vor Augen. Mit meiner Freundin ist es ganz ähnlich. Ist sie weg, ist es schlimm. Ist sie da, ist mir diese Abhängigkeit bewusst und das ist auch unangenehm. Und ein Teil von mir macht sie sicher auf für mein Leid verantwortlich, weil sie ja geht und es mir dadurch schlecht geht. Ist irrational, aber das spielt sicher mit rein.

Ich hoffe, es gelingt uns, wieder ein gesundes Verhältnis zueinander aufzubauen. Hast du da Erfahrungen, ob sich so ein Abhängigkeitsverhältnis wieder zu einer Beziehung auf Augenhöhe umdrehen lässt? Du sagtest doch, du hättest ähnliches erlebt.

Ich verstehe diesen Mechanismus auch kein bisschen. Es macht doch NULL Unterschied, ob die Freundin im Wohnzimmer auf der Couch sitzt oder eben nicht.

@asdus ja das ist eben unser Kopf, unser Denken, unser Glauben, unsere Überzeugung. Deshalb ist es so schwer davon abzulassen und umzudenken. Wir fühlen ja schließlich so, das dauert leider...
Ich habe immer versucht für mich etwas zu finden was mir gut tut, mir Spaß macht und sicher ist es einfacher auch andere Leute um sich zu haben auf die man im Notfall zurückgreifen kann. Vorerst... denn die haben ja auch nicht immer Zeit, Lust oder könnten uns retten. Versuch mal zu analysieren was genau dir Angst macht, wenn du allein bist. Dann auch weiterdenken, nicht nur bis: Ich hab Angst, sondern was könntest du selbst tun, oder was kann denn realistischerweise im schlimmsten Fall passieren und was könnte man da tun usw. Nur um deine Katastrophengedanken in diesen Momenten zu entschärfen. Du darfst trotzdem Angst haben, das ist völlig ok. Versuche das zu akzeptieren, aber entschärfe die Katasteophe, das Drama. Versuche dich zu beruhigen ohne zu leugnen. Ablenkung ist auch gut, aber nicht verdrängen. Arbeite mit deiner Angst, auch damit ist alles möglich, auch wenn es sich schrecklich anfühlt (vorerst noch)...

@asdus schreib dir ruhig mal in Zeiten wo sie da ist auf, was für Vorteile das Alleinsein hat. Ruhig auch wenn du genervt bist, denn da hast du vermutlich die meisten Ideen. Diese Ideen kramst du dann vor, wenn du allein bist und deine Angst wieder anklopft. Klingt total banal, aber wirkt manchmal super.
Erlaube dir auch schlechte Tage, das ist normal. Abee insgesamt gesehen, denke ich, wird es dir besser gehen. Denn du wirst aktiv, tust etwas, das legt deinen Fokus auf Lösung. Allein das ist schon hilfreich. Bitte nicht nur darüber nachdenken. Versuch es einfach mal.

@Gaulin danke für deine ausführlichen Kommentare!

Zitat von Gaulin:
_Ich habe immer versucht für mich etwas zu finden was mir gut tut, mir Spaß macht


Ich habe mir mit einer Freundin zusammen letztens einen Werkzeugkoffer zusammengestellt. Darin sind Karteikarten mit Tätigkeiten, die ich zur Ablenkung/Umfokussierung heranziehen kann. Leider tue ich mich nur sehr schwer damit, tatsächlich in die Aktion zu kommen. Ich glaube das liegt daran, dass ich dann feststellen könnte, dass etwas eben nicht funktioniert, was ich mir als Notfallmaßnahme überlegt hatte, das löst dann sofort Verzweiflung aus und die Angst kann erst so richtig loslegen. Das sind scheinbar Widerstände, damit ich nur bloß nichts finde, was mir helfen könnte

Dinge, die mir wirklich Spaß machen und guttun kann ich gerade kaum identifizieren. Keines meiner Hobbies macht mir im Augenblick Spaß, ich bin emotional total taub. Zumindest für positive Emotionen. Freude, Stolz, Liebe, Wohlbefinden - das alles ist wie ausgeschaltet. Ich kann nur negative Emotionen empfinden, allen voran Angst, kommt mir zumindest so vor.

Eine Weile hat es mir geholfen, wie irre die Wohnung zu putzen (fand meine Freundin übrigens klasse), das hat leider auch seine Magie verloren. Das hat im Mai geholfen, als es nur die ständigen Panikattacken waren. Jetzt, mit der durchgehenden mir leider so vertrauten Derealisation/Depersonalisation scheint nichts, was ich tue, helfen zu können. Das einzige was hilft ist, wenn ich unvorbereitet aus meinem Trott gerissen werde, z.B. ein wichtiges unerwartetes Telefonat. Dann bin ich schlagartig völlig klar und quasi angstfrei...hält natürlich nicht an wenn der äußere Reiz weg ist. Was aber auch das Paradoxe an diesen Ängsten zeigt: Man steckt so tief in der Sch***e, dass man glaubt, kein normales Leben hinzubekommen, und dabei ist man ständig doch nur 3 Sekunden von der kompletten Heilung entfernt...


Zitat von Gaulin:
Versuch mal zu analysieren was genau dir Angst macht, wenn du allein bist.


Habe ich schon getan. Und ganz ehrlich: Ich kann es nicht richtig auslesen. Dass mir etwas passieren könnte und mich niemand findet, also die klassische Agoraphobie-Variante, das ist es nur sehr untergeordnet. Ich fühle mich halt irgendwie nicht existent, wenn ich alleine bin. So als wäre ich aus der Welt herausgefallen. Und ich fühle mich total überfordert mit meinen Angstsymptomen. 50% Nicht-Existenz-Angst, 40% Angst-vor-der-Angst und 10% Mir-passiert-unbemerkt-was-Angst. So würde ich es charakterisieren. Die Geschichte mit dem Vertrauen (ob sie wohl wiederkommt?) spielt vielleicht auch eine Rolle, die läuft dann aber kompett unbewusst ab, denn dazu kann ich in meinen Gedanken nichts finden.


Zitat von Gaulin:
schreib dir ruhig mal in Zeiten wo sie da ist auf, was für Vorteile das Alleinsein hat.


Das ist eine interessante Idee. Ich wüsste da aber nichts. Zumindest noch nicht, dafür ist das Alleinsein einfach noch zu bedrohlich für mich. Das einzige was ich da aufschreiben würde, ist, dass ich nicht bei allem beobachtet werde und dadurch Privatsphäre habe. Meine Privatsphäre ist mir aber herzlich egal, wenn die nagenden Ängste da sind, wenn ich alleine bin


Zitat von Gaulin:
Bitte nicht nur darüber nachdenken. Versuch es einfach mal.


Ich glaube, dass ich mit der Akzeptanz wirklich noch nicht da angekommen bin, wo ich sein sollte. Die Ängste einfach zuzulassen fällt mir unheimlich schwer, ich habe den Drang (ja fast schon Zwang), das zu analysieren und zu hinterfragen, Auslöser und Zusammenhänge zu finden. Damit halte ich mich aber vermutlich nur selbst in meinem Kopf gefangen...

@Gaulin gestern war seit längerem mal wieder so ein Tag, an dem meine Freundin ins Büro gefahren ist. Das ist dann halt direkt eine 12-Stunden-Aktion. Sie ist um 5:30 aufgestanden und war um 17:30 wieder zu Hause.

Ich habe das eigentlich ganz gut ausgehalten. Mir ging es nicht gut, aber es war schon schlimmer alleine. Konnte mich zumindest einigermaßen mit meinen Studienunterlagen ablenken/umfokussieren. Gegen Mittag habe ich so eine Art Tief, da fühle ich mich dann schlagartig matschig und kraftlos, fast so als würde ich aus heiterem Himmel eine Erkältung bekommen. Auch die Angstsymptome (Derealisation) verstärken sich dann. Woran das liegt, keine Ahnung. Essen hilft dann meistens. Das hatte ich gestern auch wieder, aber auch das habe ich bewältigt.

Problematisch wurde es erst kurz vor 3, da hätte ich sie nämlich bitten müssen, JETZT das Büro zu verlassen, um einen früheren Zug nach Hause zu nehmen. Geplant war regulär der Zug eine Stunde später. Als ich diese Frist habe verstreichen lassen, kam die Unruhe plötzlich auf. So im Sinne von du hättest es jetzt in der Hand gehabt, das Alleinsein um eine Stunde zu verkürzen, jetzt musst du diese Stunde länger aushalten, das wird bestimmt schlagartig extra-unangenehm und wird dir das Genick brechen. Ganz sonderbar...

Konnte mich aber dann mit Putzen/Studium/Chatten mit Bekannten wieder über die Zeit retten ohne Panikattacke o.ä. und als sie wieder zu Hause war, hab ich mich tatsächlich etwas stolz und zufrieden gefühlt, dass ich den ganzen Tag ohne größere Aussetzer geschafft habe. Vermutlich müsste das jetzt etliche Male so laufen, damit die Psyche sich wieder daran gewöhnt, dass auch alleine nichts passiert, oder?

@asdus ja genau das ist prima. Sei mal stolz auf dich. Ehe der Gewöhnungseffekt eintrifft dauerts, da brauchst du Geduld. Aber es wird immer besser werden. Find ich klasse!

A


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Mira Weyer
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