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Ein sehr elementarer Baustein bzw. Punkt bei unseren psychischen (Angst-)Erkrankungen/Depressionen ist das Thema FREMDSTEUERUNG im eigenen Leben.

Es ist bewiesen, dass dieser Punkt bei vielen Erkrankten die psychische Störung überhaupt erst ausbrechen lässt. Ich (Generalisierte Angststörung mit Hypochondrie und depressiven Episoden) musste diese Erfahrung leider selbst machen, sehe es aber auch und immer wieder bei erkrankten Bekannten, die mir diese Erkenntnis regelmäßig bestätigen. Zudem erkennen wir alle bei genauerem Hinsehen im Alltag auch bei „gesunden Personen“ in unserem Verwandten-, Bekannten- und Freundeskreis die ständige Präsenz dieses Phänomens in der heutigen Gesellschaft.
Das Thema „Fremdsteuerung im Leben“ wird in guten (Verhaltens-)Therapien oft ausführlich besprochen und aufgearbeitet. Leider musste auch ich die Erfahrung machen, dass in einigen Therapien leider kaum bis viel zu wenig auf das Thema eingegangen wird.

Ein kurzer Hinweis noch, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:
Es geht hier nicht um Fremdsteuerung im Sinne der „Ich-Störung“ (Depersonalisierung/Derealisation etc) sondern um alltägliche, äußere Einflüsse, welche oft unbemerkt und über längere Zeit Schaden anrichten bei uns und im klassischen Fall zum typischen „Burn-Out“ führen.

Fremdsteuerung findet sich in allen Bereichen des Lebens und auch dort, wo wir es auf den ersten Blick nicht vermuten oder erkennen, also nicht nur im Job, in der Familie/Verwandtschaft oder in Sachen Termindruck, sondern auch in Bereichen wie Konsum/Werbung, Geld, Internet/soziale Netzwerke, Vereine, Freundeskreis und natürlich der Gesellschaft an sich.

Ich dachte, ich erstelle mal einen extra Faden, in dem wir alle Erfahrungen zu dem Thema posten können, aber auch Tipps, wie man lernen und vermeiden kann, dass diese Sache das Leben zu negativ beeinflusst. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass man es kaum bis gar nicht schafft, seine psych. Erkrankung in den Griff zu bekommen, wenn man sich dem Thema nicht widmet. Dabei geht es übrigens nicht darum, der totale Egoist zu werden, also nur noch zu 100% an sich zu denken, allen anderen Menschen ein NEIN zu erteilen, sondern um ein vernünftiges Maß einzuhalten, seine Grenzen zu erschließen und einfach mal sein Leben in allen Bereichen zu überdenken und zu ändern, dort wo es nötig ist.

Ich hatte zuerst vor, an dieser Stelle etliche Beispiele für Fremdsteuerung zu posten, die ich selbst von mir kenne oder mir von anderen psychisch erkrankten Personen (u.a. aus einer Selbsthilfegruppe) erzählt worden sind. Einige Beispiele würden für manche sehr banal und lächerlich erscheinen, können aber tatsächlich als kleiner Baustein zusammen mit anderen Stressfaktoren im Leben je nach Charakter und Belastbarkeitsgrenze mehr negative Wirkung entfalten, als viele sich vorstellen können. Wie immer im Leben: Der eine hält mehr aus, der andere weniger. Jeder hat aber seinen Kippunkt, an dem es zu viel wird. Meist erkennt man diesen leider zu spät oder will es nicht akzeptieren.
Letztendlich habe ich mich aber entschieden, vorerst (!) nur drei Beispiele zu posten aus Job, Familie und Alltag, bei denen sich einige hier bestimmt selbst auch wiedererkennen. Die Beispiele verpacke ich mit fiktiven Personen. „Den Rest“ würde ich gerne mit Euch zusammen Stück für Stück „erarbeiten, weil der Eröffnungspost zu lang und unübersichtlich wird. Auch Lösungen und Tipps zu jeder „Fremdsteuerungsituation“ sind herzlich willkommen in diesem Faden.


Legen wir los.

Anton kann in seinem Job schlecht Nein sagen zu anstrengenden und teils überfordernden Dingen, die von ihm verlangt werden. Er ist daher auch im Urlaub immer für seinen Chef oder seine Arbeitskollegen erreichbar. Zudem schleppt er sich auch oft in die Arbeit, obwohl es ihm nicht gut geht/er krank ist. Dies könnte ja seiner Karriere schaden. Außerdem will er keine Schwäche zeigen. Auf der anderen Seite übernimmt er Arbeit von erkrankten Kollegen ohne Widerrede, obwohl dadurch seine Belastungsgrenze schon sehr oft überschritten wurde.


Julia fühlt sich verpflichtet, sich regelmäßig bei ihrer verwitweten Mutter zu melden, sei es durch mehrfache Besuche in der Woche, tägliche Telefonanrufe oder auch Nachrichten über das Smartphone. Dadurch leidet manchmal sogar ihre eigene Familie (Ehemann mit mehreren Kindern). An Weihnachten oder Geburtstagen erfüllt sie die Erwartungen der ganzen Verwandtschaft in Form von Feiern bei sich zuhause. Da Maria von ihren Eltern sehr perfektionistisch erzogen wurde (Sauberkeit, Ordnung, Pünktlichkeit etc), wird jede anstehende Feier eine ziemliche Belastung, da in ihren Augen alles perfekt sein muss (Essen, Sauberkeit der Wohnung, Zeitplanung usw).



Maria ist in den sozialen Medien sehr aktiv. Neben Facebook und Co, führt sie unzählige Gruppen in whatsapp (Freundeskreis, Schulen, Vereine). Julia fühlt sich verpflichtet, neue Nachrichten und Anfragen auf all ihren „Kanälen“ umgehen zu beantworten / zu erledigen. Ständiges Bimmeln und Aufploppen von Nachrichten auf ihrem Smartphone ist Alltag. Manchmal fühlt sich Julia dadurch sehr gestresst, aber ihr gleichzeitig schafft sie es nicht, einfach mal Pause zu machen und Nachrichten oder Posts unbeantwortet zu lassen, denn die anderen würden ja immerhin auf eine Antwort warten.


Soweit erst einmal die drei Beispiele. Spätestens jetzt dürfte klar sein, was mit dem Wort „Fremdsteuerung“ gemeint ist. Wie oben angemerkt hat sich dieses Thema in noch vielen weiteren Bereichen unseres Lebens „eingeschlichen“ und oft merken wir es nicht.
Ich bin gespannt, was hier noch für Beispiele und Erfahrungen folgen.

Gegen Ende noch ein paar persönliche Anmerkungen von mir:
Die Wortwahl Ich MUSS das oder das noch machen/tun/erledigen! kennt jeder zur Genüge aus dem Alltag. Kaum jemand denkt aber über diesen banalen Satz nach. Genau das wäre manchmal aber extrem sinnvoll.
MUSS man das wirklich alles oder glauben wir für uns innerlich nur, dass wir es müssen?
An dieser Stelle erinnere ich mich an ein lustiges Buch, welches ich vor einigen Jahren mal gelesen habe. „Sean Brummel: Einen sch. muss ich“. Dort wird das Thema auch auf sehr witzige Art aufgegriffen.

Und nun bin ich gespannt auf Eure Erfahrungen, Beispiele und Tipps zum Thema Fremdsteuerung im eigenen Leben.

LG
Hicks

Schlussbemerkung wie immer:
Jede Erkrankung ist anders.
Nicht bei jedem muss Fremdsteuerung ein Grund der Erkrankung sein.
Ich schildere hier nur meine persönlichen Erfahrungen (auch mit anderen Erkrankten) und das Erlernte aus mehreren Therapien. Ich bin kein Arzt oder Therapeut.

23.09.2023 18:49 • 03.10.2023 x 12 #1


287 Antworten ↓


Grade Heute habe ich darüber nachgedacht, das meine neugierige Kollegin,
mich schon am Mittwoch Morgen gefragt hat, wie es mir denn so in der Reha geht.
Das macht mir Streß, weil ich genau weiß, das sie es nur erfahren will, um darüber zu
reden und das möchte ich nicht. Heute habe ich gedacht, wenn sie wieder fragt,
ich sage, darüber möchte ich nicht reden. Es ist meins und geht ihr nichts an,
niemanden.


Früher konnte ich auch nicht nein sagen, aber ich habe es gelernt, war sehr mühselig,
habe auch immer gedacht, ich tue dem anderen weh, wenn ich nein sage, aber ist
das wirklich so, oder warum kann ich nicht nein sagen, oder schlecht nein sagen?

A


Fremdsteuerung im Leben - Erfahrungen, Beispiele und Tipps

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Zitat von Abendschein:
habe auch immer gedacht, ich tue dem anderen weh, wenn ich nein sage, aber ist
das wirklich so, oder warum kann ich nicht nein sagen, oder schlecht nein sagen?

Konnte ich früher auch sehr oft nicht, dieses Nein-Sagen.
Dabei wissen wir meistens gar nicht, ob ein Nein-Sagen den anderen wirklich kränken oder ihm weh tun würde. Wir vermuten es nur, haben als ANGST davor, Angst vor den möglichen Konsequenzen dieser Entscheidung für Nein, welche in uns wiederum ein schlechtes Gewissen oder emotionalen Stress fabrizieren kann.
Oder ist es nicht so?
Laut meiner Therapeutin damals ist diese Art Kette im Kopf (die wir natürlich in der jeweiligen Situation nicht sofort nachvollziehen können) ein Klassiker bei Leuten, die zu einer (Generalisierten) Angststörung neigen bzw. irgendwann dort landen.

@Hicks vielen lieben Dank für diesen interessanten thread und den Gedankenanstoß zu solchen Punkten.
Zählt aber zu dieser sogenannten fremdeinwirkung auch, wenn ich das für mich selbst als extrem wichtig erachte?
Ein kl. Beispiel: ich kann mich nicht auf die Couch legen und mittagsruhe halten, wenn in der Küche der ganze abwasch steht... oder der spüler ausgeräumt werden muss. Nur ich selbst will es erledigt wissen, meiner Familie wäre es tatsächlich egal...

Ich wurde auch definitiv nicht so erzogen, ich bin in keinem sauber geführten Haushalt aufgewachsen....

@Phoebe2022 das ist dann aber nicht fremd-bestimmt. Den Stress machst du dir ja selber.
Ich war auch mal so und konnte nichts mal liegen lassen oder 5 gerade sein lassen.

@UlliOnline
Eine ganz furchtbare Einstellung! Nach Geburt von K3 ist es schon besser geworden, also ich wische nicht mehr tgl durch zb aber trotz allem empfinde ich meinen Zwang diesbezüglich auch als sehr belastend.....

@Phoebe2022 mit der äußeren Ordnung (und Sauberkeit) wird oft die innere Un-Ordnung (Psyche) kompensiert.
Ist alles tippi-toppi geht es mir gut. Ist etwas nicht erledigt geht es mir schlecht.

@UlliOnline hm, dem würde ich wahrscheinlich zustimmen....

@Phoebe2022 das ist irgendwie leider so. Bei mir war es auch so als junge Frau und Mutter. Schrecklich war das.
Dann forsche mal, was dir so auf der Seele liegen könnte.
Gute Nacht

Sehr interessantes Thema @Hicks !

Mir fiel spontan dieser eine Kunde von mir ein. Lieb, aber sehr chaotisch und dementsprechend anstrengend. Er hat die dumme Angewohnheit, mich zu den unmöglichsten Zeiten zu kontaktieren.

Unter anderem am Wochenende. Samstags abends um 23:30 Uhr, Sonntag morgens um 7:30 Uhr beispielsweise. Er ist Asiate, da weiss man mit dem deutschen Konzept der 'heiligen Sonntagsruhe' anscheinend nicht so genau was anzufangen.

Ich habe ihm schonmal deutlich mitgeteilt, daß ich das nicht so toll finde. Und: er macht es trotzdem. Seine jedesmalige Einleitung Ich weiß ja, Sie wollen das nicht, aber ich hab da mal ne Frage/Anmerkung/Problem... finde ich ob ihrer Dreistigkeit ja schon wieder fast amüsant.

Überwiegend kommen Sprachnachrichten aufs Handy. Wie gehe ich nun damit um?

a) Ich könnte es ignorieren und erst am nächsten Arbeitstag drauf reagieren. Schaffe ich aber nicht wirklich. Einerseits bin ich zu neugierig, andererseits fühle ich mich irgendwie verpflichtet, mich zu äußern.

b) Sein Anliegen kurz und knapp beantworten, damit Ruhe ist. Ist meine momentane Lösung. Damit torpediere ich mich allerdings selber.

c) Nochmal eindringlich auf meine Notwendigkeit eines ungestörten Wochenendes verweisen und dann zu Möglichkeit a) übergehen. Wäre ne Idee, ich fürchte nur, es nützt nichts.

Hier können wir jetzt sicherlich lang und breit drüber diskutieren, was sein Anteil an der Geschichte ist und was meiner. Von 'Ausweichmanövern' wie 2. Handy, Blockliste oder so halte ich nicht viel. Ich fühle mich in meinem Bedürfnis 'ungestörtes Wochenende' nicht wahrgenommen. Andererseits möchte ich den Kunden nicht verärgern, indem ich forscher auftrete.

Spannendes Thema @Hicks vielen Dank. Hier muss ich unbedingt mitlesen.

Mit dem nein sagen hatte und hab ich immer noch so meine liebe Not. Für mich ist das in jedem Fall emotionaler Stress. Wobei ich die Erfahrung machen musste, wenn man langsam anfängt zu lernen nein zu sagen, ist es vielleicht nicht so, dass man den anderen kränkt oder verletzt, aber zumindest wird von der anderen Seite der Druck erhöht um doch noch seinen Willen zu bekommen. Da wird einem schon oft ein schlechtes Gewissen gemacht, immer wieder nachgebohrt, beleidigt getan und diskutiert. Ich hab dann eher den Eindruck, dass der andere nicht wirklich verletzt ist sondern vielmehr irgendwie glaubt einen Anspruch zu haben das Gewünschte zu bekommen.

Vielleicht liegt es daran, dass man ein nein von mir gar nicht gewöhnt ist und aus allen Wolken fällt, kaum fassen kann, dass ich nicht schon wieder einknicke. Keine Ahnung, ich hab immer den Eindruck andere werden da schneller ernst genommen als ich.

Meine zweite Erfahrung damit ist, dass Diskussionen und Erklärungen nicht nur überflüssig sind, sondern zumindest meinen emotionalen Stress massiv erhöhen. Ich fände es z.B. deutlich netter erklären zu können, warum ich gerade nein sage, es ist oft ein fataler Fehler. Es endet in einer Endlosschleife, bei der man maximal für Millisekunden auf einer sachlichen Ebene bleibt um dann gleich wieder in emotionale Erpressung abzudriften, die beleidigte Leberwurst zu spielen oder ausfallend zu werden. Was mich daran am meisten stört und so richtig sauer werden lässt, ist das Gefühl in meinem Bedürfnissen gar nicht wahrgenommen zu werden, nicht wichtig genug zu sein, das man sich meine Seite überhaupt man anhört.

Mein Weg ist inzwischen ohne Begründing nein sagen, Thema erledigt, versucht die andere Seite zu diskutieren ignorier ich das. Wenn nichts hilft distanziere ich mich zeitweilig von der Person. Ich frag mich, warum ich gefühlt immer die große Keule auspacken muss, haben die anderen bei mir so ein Anspruchsdenken, bin ich zu doof nein richtig zu kommunizieren?

Komischerweise kann ich das beruflich ganz gut, privat bin ich da scheinbar eine völlige Null. Wobei ich dazu sagen muss, ich habe selbst kaum bis keinen Kundenkontakt. Da sieht die Sache dann schon anders aus. Die Kollegen als den entsprechenden Abteilungen erleben da gelegentlich auch spannende Geschichten.

Mein Problem liegt eher im Gegenteil. Nein zu sagen war für mich immer viel einfacher als ja zu sagen Dadurch habe ich mir z.B. die Verbeamtung vermasselt. Ich war angestellte Lehrerin und als ein paar Jahre später die Möglichkeit der Verbeamtung bestand, wurde mir das verweigert, weil in meiner dienstlichen Beurteilung stand, dass ich wenig belastbar und nur begrenzt einsatzbereit bin. Auch privat sage ich meistens nein, wenn man etwas von mir will, was mir nicht gefällt oder wovor ich Angst habe oder befürchte, dass es mich psychisch überfordert. Ich habe halt eine ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung.

Zitat von Phoebe2022:
Ein kl. Beispiel: ich kann mich nicht auf die Couch legen und mittagsruhe halten, wenn in der Küche der ganze abwasch steht... oder der spüler ausgeräumt werden muss. Nur ich selbst will es erledigt wissen, meiner Familie wäre es tatsächlich egal...

Jetzt muss ich lachen, weil das bei mir exakt genauso ist und (Du wirst lachen) bei vielen anderen Perfektionisten hier auch so. Du wirst es merken, wenn Du hier länger dabei bist und hier und da liest.

Es ist eine gute Frage, ob man dieses Verhalten unter Fremdsteuerung einordnet oder nicht. Ich nenne es immer Die Liste im Kopf, was noch erledigt /abgehakt werden MUSS. Man beachte auch hier wieder das Wörtchen MUSS!
Ich kann also nicht entspannen oder runterkommen, bevor bestimmte Dinge nicht erledigt sind. Das mit dem Geschirrspüler ist so witzig, weil genau das tatsächlich auch ein Beispiel bei mir aus dem Alltag ist. So krass ist das, wie sich die alltäglichen Ticks hier im Forum decken.

Bist Du sicher, dass dieses Verhalten von Dir (der Drang, alles sofort erledigen zu müssen usw) nicht doch auf eine Prägung Deiner Eltern etc zurückzuführen ist? Genau da müsstest Du in einer Therapie erforschen.
Bei mir ist es eindeutig so. Ich sehe es ja heute noch bei meiner Mutter - die ist da noch viel extremer. Sie weiß es mittlerweile, aber kann es nicht ändern. Ich schaffe das mittlerweile manchmal, aber immer noch zu wenig. Ich kann auch Rechnungen, die eintrudeln, nicht lange liegen lassen wie andere Leute, sondern muss sie meist sofort erledigen, wie auch jeden anderen Papierkram.

Zitat von UlliOnline:
das ist dann aber nicht fremd-bestimmt. Den Stress machst du dir ja selber.
Ich war auch mal so und konnte nichts mal liegen lassen oder 5 gerade sein lassen.

So gesehen ist dies also vielleicht keine direkte Fremdsteuerung von außen, aber doch auch irgendwie eine, welche zumindest mir durch meine Eltern einprogrammiert wurde. Hätten meine Eltern mir also (einfach gesagt) mehr Lässigkeit und Ruhe beigebracht, würde ich mich heute also in diesen Dingen nicht so stressen.
In der Therapie wurde es bei mir auch eher als eine Art Kontrollzwang ermittelt. Diesen Kontrollzwang haben sehr viele Menschen mit Angststörungen. Meist sind sie perfektionistisch veranlagt, immer sehr pünktlich, auf Ordnung getrimmt und auf Effektivität gepolt und damit sehr anfällig für Fremdsteuerung.

Zitat von weyoun:
Überwiegend kommen Sprachnachrichten aufs Handy. Wie gehe ich nun damit um?

a) Ich könnte es ignorieren und erst am nächsten Arbeitstag drauf reagieren. Schaffe ich aber nicht wirklich. Einerseits bin ich zu neugierig, andererseits fühle ich mich irgendwie verpflichtet, mich zu äußern.

b) Sein Anliegen kurz und knapp beantworten, damit Ruhe ist. Ist meine momentane Lösung. Damit torpediere ich mich allerdings selber.

c) Nochmal eindringlich auf meine Notwendigkeit eines ungestörten Wochenendes verweisen und dann zu Möglichkeit a) übergehen. Wäre ne Idee, ich fürchte nur, es nützt nichts.

Hier können wir jetzt sicherlich lang und breit drüber diskutieren, was sein Anteil an der Geschichte ist und was meiner. Von 'Ausweichmanövern' wie 2. Handy, Blockliste oder so halte ich nicht viel. Ich fühle mich in meinem Bedürfnis 'ungestörtes Wochenende' nicht wahrgenommen. Andererseits möchte ich den Kunden nicht verärgern, indem ich forscher auftrete.

Auch ein sehr gutes Beispiel für Fremdsteuerung. Danke dafür!
Du fühlst Dich also getriggert durch sein Verhalten, aber auch, weil Du keine für Dich passende Lösung findest, welche Dir innerliche Ruhe und Entspanntheit gibt ohne schlechtes Gewissen oder der Angst vor negativen Folgen. Kann man das ungefähr so zusammenfassen?

Zitat von Minime:
Meine zweite Erfahrung damit ist, dass Diskussionen und Erklärungen nicht nur überflüssig sind, sondern zumindest meinen emotionalen Stress massiv erhöhen. Ich fände es z.B. deutlich netter erklären zu können, warum ich gerade nein sage, es ist oft ein fataler Fehler. Es endet in einer Endlosschleife, bei der man maximal für Millisekunden auf einer sachlichen Ebene bleibt um dann gleich wieder in emotionale Erpressung abzudriften,

Ganz genau. Auch das kenne ich.
Eigentlich müsste sich keiner rechtfertigen für seine Entscheidungen. Wir müssen nicht begründen, warum wir nein sagen, solange wir es höflich tun und kurz um Verständnis dafür bitten. Das sollte reichen. Oft reicht dies dem vernünftigen Gegenüber auch aus. Unserem Ich innen drin reicht es aber oft nicht aus wie es scheint. Wir haben den Drang, uns zu rechtfertigen.

Bei Krankmeldungen in der Arbeit ist das meist auch so bei manchen Menschen. Sie können nicht einfach krank sein, sondern müssen sich in der Arbeit erklären, damit auch möglichst jeder versteht, dass es ihnen wirklich auch schlecht genug ging. Damit will man dann alle möglichen Vermutungen der Arbeitskollegen/des Chefs beseitigen, dass man auch wirklich schwer krank war und nicht nur keinen Bock hatte oder hätte kommen können mit ein bisschen Husten.

@Hicks ich kenne kaum jemanden der diesen knall hat und es nervt mich selbst... zumal es innerhalb der familie auch immer wieder deshalb rummst...
1 Mann 3 Kinder und keiner sieht es so eng wie ich.. das macht mich sehr oft wahnsinnig

Mir wurde oft gesagt, ich soll mal Verantwortung abgeben, ok tat ich. Resultat? Irgendwas lief in meinen augen schief und das Experiment war gescheitert ...
Kontrollzwang? Ja vielleicht ein bisschen :p

Von zuhause habe ich es definitiv nicht weil meine Eltern nie besonders gründlich waren oder gar perfektionistisch.... wenn ich fotos aus meiner Kindheit seh, stellen sich mir teilweise die Nackenhaare auf aufgrund der hygienischen Bedingungen und Unordnung....

Zitat von Phoebe2022:
ich kenne kaum jemanden der diesen knall hat und es nervt mich selbst...

Es ist ein ähnlicher Knall wie andere Zwänge, welche viele Leute haben:

- Putzwahn (den habe ich Gott sei Dank nicht)
- Optimierungs-Drang (habe ich leider auch sehr )
- Sparsamkeits-Drang, obwohl man genug Geld hätte (da kenne ich sehr viele Leute)
- Konsum-Sucht (kennt jeder wohl aus dem Bekanntenkreis oder bei sich selbst)

All diese Dinge sind meist auf Prägungen der Eltern zurückzuführen. Aus Sicht der Betroffenen werden diese Verhaltensweisen glaube ich meist als normal empfunden. Entsprechend schätzt man Leute, welche sich anders verhalten als übertrieben oder chaotisch/schlampig/verschwenderisch etc ein.
Das ist super-interessant. Ich habe da auch ein paar Studien dazu gelesen. Problem ist leider, dass man extrem Kern-Prägungen und Eigenarten bei erwachsenen Menschen meistens nicht mehr ganz ändern kann.
Da setzt dann eine gute Verhaltenstherapie an. Sie kann zumindest helfen, Tipps oder auch Krücken zu finden, welche das Verhalten etwas in Zaum halten.


Zitat von Phoebe2022:
1 Mann 3 Kinder und keiner sieht es so eng wie ich.. das macht mich sehr oft wahnsinnig

Dein Mann wird aber sicherlich auch Eigenheiten haben, auf die er nicht so stolz ist oder?
In Bezug auf die Kinder versuchen meine Frau und ich sehr, darauf zu achten, dass wir unsere Übergenauigkeit (meine Frau ist da auch teils so, wenn ich auch nicht so extrem wie ich) nicht an unsere Kids weitergeben. Das ist nicht so einfach. Wenn ich sehe, wie es in deren Zimmern teils aussieht, dann muss ich mich wirklich oft zusammenreißen, aber ich bemühe mich da echt. Sie sollen auch mal Unordnung leben dürfen. Sie sollen auf keinen Fall zum Perfektionisten werden wie ich es geworden bin durch meine Eltern.
Wichtig zu verstehen ist hierbei, dass meine Eltern keine Schuld daran hatten. Sie prägten mich also nicht in schlechter Absicht, sondern unterbewusst. So gesehen konnten sie auch nichts für ihr Verhalten, weil deren Eltern auch entsprechende Macken hatten und diese weitergaben usw usw.

Zitat von Phoebe2022:
Von zuhause habe ich es definitiv nicht weil meine Eltern nie besonders gründlich waren oder gar perfektionistisch.... wenn ich fotos aus meiner Kindheit seh, stellen sich mir teilweise die Nackenhaare auf aufgrund der hygienischen Bedingungen und Unordnung....

Ok. Sehr interessant.
Dann wäre wie gesagt unbedingt herauszufinden, woher Du diesen Drang hast.
Manchmal überträgt sich so etwas auch vom Partner, aber Dein Mann ist ja auch nicht so.
Woher also kommt Dein Kontrollzwang?


Zitat von Phoebe2022:
Mir wurde oft gesagt, ich soll mal Verantwortung abgeben, ok tat ich. Resultat? Irgendwas lief in meinen augen schief und das Experiment war gescheitert ...

Ungefähr so wie:
Man stellt immer selbst die Mülltonnen raus, weil man Angst hat, dass der Partner es vergisst.
Tut man es einmal nicht (gibt also die Verantwortung ab), vergisst der Partner es und man wird bestätigt, dass es nicht funktioniert
Lacht nicht bei dem Beispiel. Ist bei uns daheim so gewesen. Meine Frau hat dann als Begründung, warum sie es vergessen hat, gesagt: Das liegt daran, dass ich mich schon so daran gewöhnt habe, dass du es immer machst, obwohl du es nie hättest machen müssen. Klingt lustig, aber sie hat Recht.
Dadurch, dass ich meine Frau in einigen Aufgaben gar nicht die Möglichkeit gab, es zu tun / auch mal zu erledigen, trat Gewöhnung für sie ein. Da könnte ich viele Dinge aufzählen im alltäglichen Leben. Den kompletten Papierkram und alles mit Finanzen etc übernehme zu 100% nur ich, obwohl sie es auch könnte. Ich gebe hier also die Kontrolle nicht aus der Hand. Krankhaft ist das leider.
Sponsor-Mitgliedschaft

@Phoebe2022
Ich glaube, dass unsere Ticks eher den Zwangsstörungen zuzuordnen sein könnten.
Die Unterscheidung zwischen Fremdsteuerung und Zwangsstörung ist nicht immer so einfach.

Lies mal hier:
https://www.mooci.org/krankheiten/zwangsstoerung/amp/

@Hicks Vielen Dank für dieses Thema. Es ist wirklich so, so, so, so wichtig für uns und bei mir tatsächlich seit drei Jahren Therapie der zentrale Dreh- und Angelpunkt.

Mein Vater hat es (ungewollt!) geschafft, meinen kompletten Ich-Raum zu zerstören. Wir wurden nie geschlagen, aber geschimpft und dann mit Liebes-Entzug gestraft. Manchmal hat er tagelang nicht mit mir geredet. Ich bin von Natur aus schon ein ängstlicher Typ, und das war für mich als Kind wirklich die Höchststrafe. Es war auch immer sehr unvorhersehbar, wie er reagieren würde, da seine Stimmung oft sehr schwankte. Dazu noch kommt, dass er grundsätzlich immer Recht hatte und alles besser wusste. Ich bin das Nesthäkchen der Familie und bin immer als klein und dumm behandelt worden, auch als ich älter war. Das Wort meines Bruders hatte immer mehr Gewicht, ich hatte grundsätzlich keine Ahnung.

Vermischt wurde das ganze noch mit einem sehr toxischen Glaubenssatz von mir, den meine Eltern mir vorgelebt haben. Sie haben sich selten gestritten (weil meine Mutter immer zurückgesteckt hat). Aber wenn, dann hat es richtig geknallt. Anschließend sind beide unabhängig voneinander zu mir gekommen, haben mir gesagt, wie unmöglich der andere doch ist und dass sie sich am liebsten scheiden lassen wollen.

Diese toxische Mischung hat in mir bewirkt, dass ich um des lieben Friedens willen nie meine Meinung äußere und meine Emotionen komplett in mich hineinfresse weil: Streit führt zu Trennung. Ich habe meinen kompletten Ich-Raum aufgegeben. Grenzen, die für andere natürlich sind, kenne ich nicht.

Mir wurde immer wieder gesagt: Du musst lernen, Nein zu sagen. Aber ich wusste nicht wie. Wenn mich bei meinem Mann etwas nervt und ich ärgerlich bin, schaffe ich es nicht zu sagen: Räum bitte Deinen Kram hier weg und leg ihn dahin, wo er hingehört. Ich bin einfach stumm. Es kommt kein Wort raus. Ich habe dafür keine Worte.

Dazu kommt, dass mein Mann unbewusst seit 30 Jahren genau in diese Lücke reingrätscht. Für ihn sind viele Dinge sehr bequem in unserem Zusammenleben, weil ich ihm da keine Grenzen setzen kann. Und um das Bild rund zu machen - er ist genau wie mein Vater: er weiß alles besser und lässt keine andere Meinung außer seiner gelten. Er in stundenlangen Monologen seine Ansichten aus, ob ich es hören möchte oder nicht. Ich werde auch in meiner Ehe nicht gehört und meine Meinung zählt nichts. Ich fresse Ärger und Frust in mich rein und finde keine Worte dafür.

Und genau das ist der Grund für meine Ängste und meine psychosomatischen Beschwerden. Der Druck geht bei mir über Durchfallattacken ab. Und meine Angsterkrankung hat mein Mann mittlerweile akzeptiert, so dass ich, wenn ich nicht sagen kann Ich möchte nicht den Rasenmähr von der Reparatur abholen, weil es für mich ein Umweg ist, bei Dir aber direkt auf dem Weg zur Arbeit liegt. ich sage: Ich weiß nicht, ob ich da zur Toilette kann wenn der Durchfall kommt. Es ist besser, wenn Du den Rasenmäher abholst.

Und auch im Beruf läuft es ähnlich. Ich bin Sekretärin und damit sehr fremdbestimmt durch meine Chefin. Ich kann schlecht meine Arbeitstage planen, da sie jederzeit mit einer wichtigen Aufgabe reingrätschen kann und einem 10 Minuten vor Arbeitsschluss noch etwas über den Zaun wirft, was unbedingt noch erledigt werden muss. Auch sie ist ein Mensch, dem die eigene Meinung über alles geht und der andere Ansichten selten gelten lässt. Auch hier werde ich nicht gehört und muss mir mühsam eine innere Haltung erarbeiten, aus der heraus ich sagen kann: Ich habe leider einen privaten Termin und muss in 10 Minuten gehen. Ich werde das gleich morgen früh als erstes erledigen.

Das ist alles nicht einfach und es erfordert viel, viel, viel Zeit, den Mut auch unbequemes anzuschauen und den absoluten Willen, das zu ändern. Das erste Jahr meiner Therapie stand unter dem Motto Verzweiflung, das zweite unter Mut und das dritte unter Vertrauen. Die zentrale Botschaft, die mein Therapeut mir seit drei Jahren einbläut ist: ICH DARF DAS.

Fremdgesteuert heißt für mich, sich mehr oder weniger jemandem zu unterwerfen. Keine eigene Meinung oder Wünsche haben *dürfen* und einer vermeintlich übergeordneten, höherrangigen Person zu gehorchen.
Oder es wird *gehorcht* um des lieben Friedens Willen.
Im Sinne von *der Klügere gibt nach*. Ob man dann tatsächlich klüger ist...kann man sich fragen.
Zudem kann auch jeder (theoretisch) selber entscheiden, wessen ERWARTUNGEN man erfüllen oder nachgeben MÖCHTE.
Habe ich leider erst leider sehr spät erkannt und mein Leben als Marionette an den Nagel gehängt.

A


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Mira Weyer
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