Zitat von derhimmelmusswarten:Angenommen, wir hätten nun Krebs, nen Schlaganfall oder Hirntumor. Die Anteilnahme wäre riesig! Alle würden darüber reden, Mitleid zeigen, Hilfe anbieten. Dann wäre es kein Thema, dass der Partner daheim bleiben kann, um sich zu kümmern. Alle würden hoffen, dass man wieder gesund wird usw. Man würde geschont und umsorgt.
Meinst du wirklich? Die Realität sieht anders aus. Während meines Studiums habe ich mal Interviews bei Krebskranken gemacht - zum Thema Stigmatisierung durch diese Krankheit. Wir waren in mehreren Selbsthilfegruppen. Bei den meisten Betroffenen ist mit der Diagnose das soziale Umfeld weggebrochen, weil die anderen nicht wussten, wie sie mit den vermeintlich Todgeweihten umgehen sollten. Manche hatten Ansteckungsangst und haben, wenn sie denn doch mal zu Besuch kamen, aus Flaschen oder Dosen getrunken, um nicht das Geschirr der Kranken benutzen zu müssen. Einer Frau wurde auf die Brust gestarrt, ob man die Amputation sehen kann. Die war sogar froh, als die zweite Brust auch noch abgenommen werden musste, weil es dann wenigstens nicht mehr so auffällig war. Der Job ist regelmäßig weg, weil man ihn ja nicht mehr ausüben kann und der Arbeitgeber es sich aus wirtschaftlichen Gründen beim besten Willen i.d.R. nicht leisten kann zu warten. Und ich möchte mal den Arbeitgeber sehen, der es okay findet, wenn nicht nur der Erkrankte selbst, sondern dessen Partner zuhause bleibt. Das erleben Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen doch tagtäglich: entweder erwerbstätig sein
oder pflegen. D.h., man kann seinen gesamten Urlaub auf die Pflege verwenden, danach bleibt nur die Kündigung. Als unser Nachbar schwer krebskrank war, musste seine Frau trotzdem arbeiten gehen.
Zitat von derhimmelmusswarten:Ich glaube, es wird nie dazu kommen, dass solche Krankheiten wirklich gesellschaftlich anerkannt sind. Anderen Leuten ist es am Liebsten, damit nicht konfrontiert zu werden. Sie erwarten, dass man sich zusammen reißt und die Klappe hält. Damit will doch keiner was zu tun haben.
Meine Erfahrung ist da ganz anders. Ich bin von Anfang an offen damit umgegangen und das hat sich nicht einmal im Bewerbungsgespräch negativ ausgewirkt.
Zitat von derhimmelmusswarten:Würde man jemandem mit einer körperlichen Krankheit so etwas antun? Würde man von jemandem, der Krebs hat verlangen, sich gefälligst mal zusammen zu reißen und sich nicht so anzustellen? Würde man irgendwas von demjenigen verlangen? Nein.
Wahrscheinlich nicht. Aber nicht weil dann alle so nett und rücksichtsvoll sind, sondern weil sie den Betroffenen als Todeskandidaten abgeschrieben haben. Und eins verlangt man immer auch von schwerst Kranken: Dass sie sich um Heilung bemühen. Krebskranke, die OP, Chemo oder Bestrahlung ablehnen, bekommen vom Arzt zu hören, dass sie auf Knien angekrochen kommen werden, oder sind für Verwandte/Bekannte selbst schuld, wenn sie dann doch dran sterben.
Du beschwerst dich, wenn dir hier - auch unter Hinweis auf deine Verantwortung für deine Kinder - zur Konfrontation geraten wird. Hättest du Krebs, wärst du wegen jedem haarsträubenden Tipp aus der letzten Friseur-Frauenzeitschrift in der Defensive. Wie du dich fühlst, wollte auch keiner wissen. Alle würden von dir verlangen, dass du dich zumindest ein wenig zusammenreißt, um es deinen Kindern nicht noch schwerer zu machen. Klar würde hinter deinem Rücken getuschelt - wie lange du es noch machst, ob du eine sog. Krebspersönlichkeit hast, ob du die Krankheit durch deinen ungesunden Lebensstil bekommen hast usw.
Liebe Grüße
Christina