Hallo hanriver,
willkommen hier im Forum! Es tut mir sehr leid, dass es Dir gerade so schlecht geht!
Was nun Deine Fragen und Deine Situation angeht:
Zunächst vorweg, bevor ich genauer auf einzelne Punkte eingehe, würde ich Dir raten, einmal in Ruhe zu sortieren, welche Entscheidungen und Schritte ....
1.) ...jetzt
kurzfristig in Deiner ganz
aktuellen Situation wichtig sind und welche ganz konkreten Schritte dafür jetzt notwendig sind und
2.) ...dann in Ruhe zu überlegen, was
langfristig für Dich wichtig und richtig ist.
Dadurch bekommst Du vielleicht ein bisschen Struktur in Deine Gedanken.
Zu 1.):
Zum ersten Punkt würde ich sagen, dass erstmal wichtig ist, wie Du jetzt ganz konkret Montag mit Deinem Arbeitgeber/ Deiner Ausbildungsstätte umgehst. Dazu würde ich sagen: Gleich Montag zum
Hausarzt gehen, die Situation besprechen, ggf.
Krankmeldung holen. Deinem Arbeitgeber musst Du erstmal keine Details mitteilen, der muss nur wissen, dass Du krankgeschrieben bist und der braucht die Krankmeldung. Das verschafft Dir erstmal
Zeit. In Deiner Situation könnte ich mir durchaus vorstellen, dass der Hausarzt Dich gleich für eine, zwei oder mehrere Wochen krankschreibt. In der Zeit kannst Du Dir überlegen, wie es da weitergehen soll.
Des Weiteren würde ich mit dem Hausarzt die
Therapiefrage besprechen. Der Hausarzt kann Dir eine Überweisung mit Dringlichkeitsvermerk geben. Auch hier gilt: Es kann sein, dass es erstmal nur kurzfristige Lösungen geben wird: Über die Terminservicestelle der Krankenkassen wird Dir ein Platz für ein paar Gespräche mit einem Therapeuten vermittelt, der Dir erstmal hilft, Dich zu stabilisieren und Dir zu helfen. Trotzdem ist hierbei wichtig zu wissen: Es geht hier um eine kurzfristige Stabilisierung, das sind oftmals keine richtigen Therapieplätze, es geht erstmal nur um eine Krisenhilfe, die oftmals nur über wenige Stunden geht. Aber wenn man Glück hat, bekommt man diese Termine bei einem Therapeuten, der auch einen richtigen Therapieplatz anbieten kann oder der einen zumindest auf die Warteliste nimmt, es kann aber auch sein, dass der ganz klar sagt, dass er keinen richtigen Platz für Dich hat. Aber Du bist zumindest kurzfristig erstmal versorgt, und das ist ja das, worum es mir in diesem Punkt erstmal geht: Das, was jetzt aktuell ansteht und vielleicht helfen könnte.
Zu 2.)
Die meisten Deiner Fragen bezogen sich ja auf eine langfristige Perspektive.
Dazu Folgendes:
Ganz grundsätzlich würde ich Dir auf jeden Fall raten, eine
Therapie anzustreben, ich persönlich bin der Meinung, dass Therapie sehr viel helfen kann. Wie genau, ist schwer in wenigen Worten zusammenzufassen, wie @cube_melon schon schrieb: das Thema ist sehr komplex.
Einen richtigen ambulanten
Therapieplatz bekommt man selten von jetzt auf gleich, da braucht man Geduld und Durchhaltevermögen. Man sollte dafür möglichst viele Therapeuten abtelefonieren und sich auf
Wartelisten setzen lassen.
Nicht abschrecken lassen von langen Wartezeiten! Denn zum einen vergeht die Zeit manchmal schneller als man denkt und zum anderen fallen auch Therapeuten manchmal Patienten früher weg als gedacht und dann kann es auch mal schneller gehen.
Wenn möglich, probatorische Sitzungen vereinbaren, das sind Sitzungen zum Kennenlernen, in denen Therapeut und Klient ausloten, ob sie miteinander arbeiten können und ob der Therapeut eine Therapie bei der Krankenkasse beantragt.
Damit Du Dir ein Bild davon machen kannst, aus welcher Perspektive ich Dir schreibe/
was meine Meinung beeinflusst:Ich habe inzwischen bereits jahrelange Therapieerfahrung, ambulant und in Kliniken, und ich habe auch verschiedene Lebensphasen mit und ohne Therapie erlebt. Stand voll im Berufsleben, mir und ohne Therapie, und kenne auch längere Auszeiten ohne zu arbeiten. Ich war auch im Personalmanagement, habe also auch schon über Einstellungen von Menschen entschieden. Ich habe lange junge Erwachsene auf ihrem Weg in die Berufswelt unterstützt (als ich noch gearbeitet habe), die letzten Jahre habe ich viel Zeit mit jungen Erwachsenen verbracht, nur völlig anders als früher: Ich habe mit ihnen zusammen in Gruppentherapien gesessen und mit ihnen zusammen Zeit in psychosomatischen Kliniken verbracht (auf der Station, auf der ich meine letzten Aufenthalte verbracht habe, waren viele junge Erwachsene, was an dem diagnostischen Schwerpunkt der Station lag).
Das sind die Erfahrungen, die meine Einstellungen maßgeblich geprägt haben.
Also aus dieser Perspektive zu Deinen weiteren Fragen:
Gesundheit ist wichtig. Auch schon in Deinem Alter. Bei vielen Erkrankungen ist es so, dass eine frühe Behandlung verhindert, dass die Erkrankung ggf. sehr viel schlimmer wird.
In frühen Stadien sind auch psychische Erkrankungen oftmals sehr gut zu behandeln.
Ich persönlich habe grundsätzlich positive Erfahrungen mit
Therapien gemacht, ambulant und stationär. Natürlich gab es auch mal schwere Phasen oder auch mal Therapeuten, mit denen es nicht so lief, aber insgesamt habe ich bereits deutliche Fortschritte machen können.
Ich kann cubes Worten nur voll und ganz zustimmen:
Zitat von cube_melon: Mit angepasster Therapie, der Einsicht über die eigenen Befindlichkeiten, Wille zur Veränderung und Motivation das so lange durchzuziehen, das eine grundlegende Stabilität und Resilienz (psychische Widerstandskraft) erlernt wurde, kann man sehr sehr vieles Überwinden.
Das ist auch meine Erfahrung.
Und was Deine
Ausbildung angeht: Da stehen Dir noch alle Möglichkeiten offen. Du musst nicht diese Ausbildung durchziehen.
Du bist noch sehr jung, Du hast noch Zeit. Womit ich jetzt nicht sagen möchte, dass Du die jetzige Ausbildung abbrechen sollst, das solltest Du mit Deinem Arzt besprechen (manchmal ist das der einzig mögliche Weg, manchmal ist es möglich, nach einer Erholungspause die Ausbildung weiterzuführen und auch begleitend eine Therapie zu machen).
Ich habe auch junge Erwachsne kennengelernt, die ihre Ausbildung unterbrechen konnten und erstmal einen Klinikaufenthalt gemacht haben,
es gibt viele Möglichkeiten.
Ich persönlich habe zu lange gewartet, eine Therapie zu beginnen. Wäre ich schon in Deinem Alter in Therapie gegangen, hätte mir das bestimmt so einiges erspart.
Als ich meine erste Therapie angefangen habe, war ich bereits schon mehrere Jahren voll berufstätig (in einem zusätzlich auch noch sehr anstrengenden und fordernden Beruf), ich habe die Therapie parallel zum Job gemacht (also abends nach Feierabend). das ging tatsächlich eine ganze zeitlang gut, wobei ich auch sagen muss, dass ich in der Therapie zu der Zeit nicht sehr in die Tiefe meiner Probleme gegangen bin, es war mehr eine Hilfe zur Alltagsbewältigung, aber für ein paar Jahre hat es funktioniert.
Aufgrund einiger persönlicher Schicksalsschläge bin ich dann irgendwann komplett ausgefallen, meine Psyche ist total eingebrochen, zusätzlich wurde ich schwer köperlich krank und konnte nicht mehr arbeiten. Ab dem Zeitpunkt habe ich dann meine Therapien abwechselnd in Kliniken und ambulant gemacht.
Und seitdem arbeite ich auch verstärkt an den Ursachen meiner Probleme.
Aktuell ist es noch immer so, dass ich weiterhin arbeitsunfähig bin und es nach Meinung meiner Ärzte und Behandler wahrscheinlich wohl auch nicht mehr werden werde.
Ich gehöre also zu den Menschen, die niemals sagen würden, dass man arbeiten muss. Es ist ok, wenn man es aus gesundheitlichen Gründen nicht kann. Völlig ok. Gesundheit geht vor.
Dadurch, dass ich jetzt aber auch viele Gruppentherapien mit jungen Erwachsenen hatte, weiß ich auch, dass Ausbildung und Arbeit gerade in diesem Alter auch eine sehr positive Ressource sein können. Wenn man es möchte, nicht, wenn man dazu gezwungen ist. Wenn man Freude daran finden kann. Wenn man ein Ziel hat, auf das man hinarbeiten kann. Wenn sie einem das Gefühl gibt, etwas zu erreichen, einem auch Erfolgserlebnisse beschert.
Eine Ausbildung/ein Arbeitsplatz können sich unter den richtigen Umständen also auch positiv auf die psychische Gesundheit auswirken.
Darum denke ich, dass Du gemeinsam mit Deinem Arzt besprechen solltest, welcher Schritt aktuell für Dich der richtige sein könnte.
Und ich wiederhole auch nochmal: Gesundheit geht immer vor! Und für mich klingt es so, als ob Du zumindest eine kleine Atempause brauchst, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Was ich auch wichtig zu berücksichtigen finde: Wir reden ja bei Dir von einer
Angsterkrankung, und Angst ist in der Therapie ein schwieriges Stück Arbeit. Denn leider ist es so, dass Angst ein Symptom ist, dass sich sehr raumgreifend verhält und das sich gerne ausbreitet/verschlimmert, wenn man sich ihm nicht entgegenstellt. Die Angst wird sich jeden Raum nehmen, den Du ihr zugestehst. Sie kann hinterhältig sein und sie wird versuchen, Dir noch weitere Räume Deines Lebens zu nehmen. Da sollte man auch immer ein Auge drauf haben. Du schreibst ja bereits, dass Du jetzt schon gar nicht mehr richtig lebst. Der Angst nachzugeben wird langfristig aber bedeuten, noch weniger zu leben, denn Angst breitet sich aus und nimmt Dir langfristig immer mehr Lebensbereiche weg, wenn Du Dich ihr nicht entgegenstellst.
Das muss jetzt nicht heißen, deswegen die Ausbildung fortzusetzen, das meine ich damit nicht, ich meine nur, dass Du der Angst nicht zu sehr das Feld überlassen solltest. Damit meine ich: sich in einem akzeptablen Rahmen der Angst entgegenstellen und sich bei Entscheidungen immer fragen:
Möchte ich das jetzt wirklich oder ist das meine Angst, die mir etwas einreden möchte?Zusammenfassend möchte ich sagen:Gesundheit geht immer vor und sollte immer Priorität haben. Therapie hilft sehr vielen Menschen, wieder Lebensqualität zu erlangen. Du solltest mit Deinem Arzt über eine Krankschreibung sprechen und mit ihm klären, wie er Dich dabei unterstützen kann, therapeutische Hilfe zu bekommen. Ob die Ausbildung aktuell (nach einer kurzen Atempause und mit begleitender therapeutische Hilfe) für Dich zu einer positive Ressource werden kann oder eine zu große Belastung ist und welche anderen Möglichkeiten es vielleicht gibt (Unterbrechung statt Abbruch o.ä.) solltest Du ebenfalls mit ihm besprechen.
Überfordere Dich nicht weiter, schütze Deine Gesundheit, sie ist kostbar, achte aber auch darauf, dass die Angst Dich nicht überlistet und Dir nicht zu viel vom Leben raubt, stell' Dich ihr entgegen, damit sie sich nicht immer weiter ausbreiten kann.
Alles Gute!
LG Silver