Zitat von HypoSarinchen:In meinen Augen eine realistischere Angst als viele seltenen Krankheiten hier....
Deine Meinung ist völlig ok, aber Du solltest versuchen, Folgendes zu verstehen:
Deine Perspektive, welche durch Deine individuellen Recherchen/negativen Erfahrungen dazu beigetragen haben, dass Du das, was Du denkst, als realistisch und eher richtig erachtest, ist sehr wahrscheinlich nicht objektiv, neutral und unvoreingenommen. Das ist so wichtig und alles, worum es hier geht.
Ich gehe da deshalb so darauf ein, weil ich selbst davon betroffen war und jahrelang gebraucht habe, es wieder in Ordnung zu bringen. Ich leide zwar an Hypochondrie, aber diese fällt unter die Hauptdiagnose Generalisierte Angststörung. Ich weiß also sehr wohl, was es heißt, nicht nur vor Krankheiten Angst zu haben, sondern auch vor vielen anderen Dingen, die in ähnliche Kerben schlagen wie das Thema, welches hier diskutiert wird.
Der Versuch einer Erklärung:
Es gibt grob drei Arten von Ängsten:
1. Ziemlich unrealistische Ängste.
Beispiel: Ich habe Angst, dass Außerirdische mit ihren Raumschiffen kommen, mich entführen oder die ganze Erde vernichten!
2. Neutrale, realistische Ängste, deren Eintrittswahrscheinlichkeit möglich ist, aber eben gering bis extrem gering ist.
Beispiele könnte ich hier zuhauf nennen, denn damit ist unser Forum hier hauptsächlich voll.
Es sind die üblichen, seltenen Krankheiten, Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst vor Einsamkeit und und und..., aber...SEHR WICHTIG(!)....ohne konkreten Anlass. Dies bedeutet, dass es keine eindeutigen und bewiesenen Hinweise gibt, welche das eintretende Angstereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen.
3. Sehr realistische und sozusagen berechtigte Ängste
Beispiel: Die Mutter leidet an Krebs im Endstadium. Man hat Angst, dass sie bald stirbt.Ok, nun schauen wir uns die drei Bereiche mal an.
Unser erstes Problem hier ist, dass wir fast alle es nicht schaffen (und genau das ist unsere Erkrankung), vernünftig einschätzen zu können, zu welcher der drei Ängste unsere individuelle Angst gehört.
Ich weiß, dass einige hier schon am liebsten kopfschüttelnd aussteigen möchten, weil ich es vor einigen Jahren auch noch so getan hätte. Diese Hürde, es nicht zu tun, ist aber sehr wichtig, den sonst ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man nie wieder gesund wird.
Wenn ich nun nicht einordnen kann, zu welcher der drei Ängste meine Angst gehört, dann ist das ein Problem. Dieses Problem muss ich zuerst akzeptieren und versuchen, einen Weg zu finden, damit ich zumindest die richtige Nummer oben ziehe. Dazu kann ein Therapeut gut sein, Freunde oder auch
vielleicht das Forum hier. Was definitiv eher nicht empfehlenswert ist:
Allein durch eigene, selektive Suche im Internet, durch Nachrichtenkonsum, Lesen von
ausgewählten Büchern oder Austausch in speziellen Foren mit Leute, die in einer Meinung zu 100% festgefahren sind, die Antwort zu suchen.
Das Internet ist für viele Menschen (nicht alle!), aber leider erst recht für uns psychisch Erkrankte, kein objektives Hilfsmittel, weil viele es falsch nutzen oder leider auch ohne psychische Erkrankung zu selektiv unterbewusst konsumieren. Wer diesen Fakt nicht anerkennt, hat ein sehr großes Problem und wird meiner Meinung und auch Erfahrung nach wenig Chancen auf Genesung haben.
Nachrichten sind auch oft nicht objektiv. Sie suchen sich sehr oft die Berichte und Themen heraus, welche Klicks und Einschaltquoten bringen. Bücher sind nicht alle objektiv. Wer Angst vor einem Finanzcrash hat, vor dem Zusammenbruch des Euro usw. der wird sich sehr wahrscheinlich kein objektives Werk zulegen, sondern eher solche Dinger hier:
https://www.amazon.de/Der-gr%C3%B6%C3%9...162sr=8-1https://www.amazon.de/Machtbeben-gr%C3%...116sr=1-1Wer Angst vor der Klimakrise hat, der hat ebenso die Wahl, zu welchen Werken er greift.
Ich erspare mir hier Links. Man kann totale Apocalypse-Weltuntergangsbücher wählen oder man wählt Bücher, welche den menschengemachten Klimawandel als kompletten Nonens abtun oder man wählt Bücher, die das Thema neutral, wissenschaftsbasiert aufbereiten.
Das Problem von uns Erkrankten hier ist, die völlig unvoreingenommene, 100% neutrale Wahl zu treffen. Wie können wir das tun, wenn wir doch schon vor dem Auswählen Ängste und Zweifel haben? Das ist sehr wichtig zu verstehen.Damit Ängste überhaupt zu Ängsten werden, bedarf es realistischer Szenarien, die überhaupt in der Möglichkeit an sich eintreten können. Warum hat fast niemand hier Angst vor den Aliens aus Punkt 1?
Weil die echte Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario existiert, fast unmöglich ist bzw. es noch so gut wie keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass es möglich ist (ja, falls hier jemand nun widersprechen will, dann bitte einen neuen Thread aufmachen und dort über das Thema Aliens diskutieren oder sich das passende Forum suchen im so objektiven Internet).
Ab Angstvariante 2 wird es interessant, denn diese Ängste sind real möglich. Dies bedeutet, dass wir wissen, dass Menschen schwere Krankheiten bekommen
können. Wir wissen, dass man seinen Job verlieren
kann. Wir wissen, dass unsere Kinder vom Gerüst fallen und sterben
könnten usw.
Angstvariante 3 ist dann der Fall, in der Menschen (ohne psychische Störung!) oft Angst haben. Diese Ängste sind absolut nachvollziehbar, denn hier ist die Eintrittswahrscheinlichkeit sehr hoch bzw. fast vorhersehbar.
Fast alle hier von uns sind (auch wenn das einige hier immer noch nicht wahrhaben wollen)
im Bereich Nr. 2, also in individuellen Ängsten, welche natürlich passieren
können,
weil es physikalisch, medizinisch, politisch oder was auch immer möglich ist,
deren Eintrittswahrscheinlichkeit aber einfach gering bis sehr gering ist. Die, die das nicht so sehen, werden sich im Punkt 3 vermuten und einteilen, denn für sie ist die Angst absolut berechtigt, viel wahrscheinlicher als die Angst eines anderen bei einem anderen Thema...eben völlig realistisch und gar nicht mal so unwahrscheinlich.
Ziel muss es also wie oben schon erwähnt sein, wirklich zu versuchen, auf absolut Null zu gehen, sämtliche, bisherige Lebenserfahrungen auszulöschen, alle Medien und Daten zu vermeiden, welche sehr wahrscheinlich nicht objektiv Einfluss auf unser neues, leeres Faß haben.
Genau das ist aber das Problem, welches wir haben.
Durch unsere Erkrankung (welcher übrigens fast immer eine pessimistische Ader zugrunde liegt - denkt mal darüber nach, ob ihr schon immer im Leben eher Pessimist oder Optimist wart!) ist es uns nicht neutral möglich, unsere Gedanken und Ängste realistisch zu bewerten. Das ist unsere Störung. Ergo ist es leider Gottes so, dass jeder hier, der sicher als psychisch krank diagnostiziert wurde und Ängste in einem bestimmten Bereich hat, aber selbst gleichzeitig behauptet, dass diese Ängste aber ausnahmsweise mal realistisch sind, immer noch nicht soweit, dass er seine psychische Erkrankung zu 100% akzeptiert hat. Ohne diese so wichtige Akzeptanz ist aber eine Aussicht auf Genesung/Heilung völlig aussichtslos! Da helfen auch keine Medikamente, Therapeuten oder sonstiger Hokus Pokus.
Ergänzung noch:
Man kann bestimmten Ängsten ausweichen. Manche Menschen meiden Aufzüge. Manche Menschen meiden Menschenmassen. Wer in einem sehr kriminellem Viertel wohnt und deswegen Angst hat, zieht oft weg in einen ruhigeren Bereich.
Viele von uns können nicht so leicht durch Unterlassen, Meiden von Orten, Umziehen etc ihr Angstthema lösen. Wir können unsere Hypochondrie nicht wegzaubern, indem wir uns täglich in eine Science Fiction Heilungskapsel legen, wie es sie im Film Elysium gibt. Was wir aber tun können und zumindest versuchen sollten:
1. Lernen, zu verstehen, dass der Faktor Zufall in jedem Leben eine riesengroße und völlig unterschätzte Rolle spielt. Was dem einen als Minderheit z.B. widerfahren ist, ist anderen Leuten z.B. nie passiert. Ist es dann ein Wunder, dass beide Menschen völlig andere Sichtweisen zu vielen Dingen haben bzw. der eine Angst vor Szenario Z, der andere aber überhaupt nicht?
2. Input zu vermeiden, welcher uns nicht gut tut in dem Sinne, dass er unsere Ängste noch verstärkt und sogar bestätigt. Bei mir waren es Medienkonsum, Nachrichten, Dr. Google, teils auch Kontakt zu falschen Leuten und noch einige andere Dinge.
3. Offen sein für die Meinungen anderer. Daher sollten hier sowohl die einen die Ängste von anderen (wie hier im Thread) nicht einfach abtun mit so ein Schmarrn, aber die anderen die einen nicht mit Worten a´la du hast ja keine Ahnung, das sind absolut realistische Ängste belehren.
Was ist objektiv? Was ist neutral? Was ist unvoreingenommen?
Keiner von uns weiß die Antwort darauf zu jedem Bereich und Thema. Das ist nun einfach mal so und sollte man akzeptieren. Fakt dürfte aber in einem Forum für psychische Erkrankungen doch sein:
Die Menschen, die hier Rat suchen, schreiben, diskutieren, helfen usw. und eben Ängste haben...sind nun einmal sehr sehr wahrscheinlich alles andere als mental stabil, emotional ausgeglichen, gelassen, nicht stimmungsschwankend, immer 100% aufnahmefähig und und und....Kann es vielleicht sein, dass wir mit unseren Ängsten usw. vielleicht auch nicht so ganz fähig sind, Dinge objektiv und unvoreingenommen....eben ohne mit Angst....einzuschätzen? Darüber sollte jeder hier einmal wirklich ausgiebig nachdenken.
Mir hat dieses Nachdenken (und wie gesagt - ich habe Jahre dafür gebraucht!) sehr sehr viel dazu geholfen, meine Erkrankung besser in den Griff zu bekommen, weil ich sie erst dann vollumfänglich verstanden habe.
Euch allen einen schönen und hoffentlich angstfreien Tag!