ich glaube, dass die meisten Menschen Angst vor dem Älterwerden haben. Viele schon mit 40 oder 50, bei anderen setzt das Unbehagen erst mit 60 oder 70 ein. Die Strecke "nach hinten" wird immer kürzer, und wenn einem das so richtig bewusst wird, löst das Angst aus.
Ich bin sicher, dass jeder in irgendeiner Form irgendwann diese Angst spürt - aber man redet eben nicht darüber; wer gesteht sich schon diese "Schwäche" ein Statt dessen versucht man es mit Ablenkung oder Verdrängung, was ja auch manchmal ganz gut klappt. Diese Strategie funktioniert bei mir gar nicht. Vielleicht bin ich nicht oberflächlich genug. Jedenfalls habe auch ich schon viele Bücher zu diesem Thema verschlungen - wirklich geholfen hat das Lesen nicht. Viel Theorie - aber wie setzt man all das Wissen in die Praxis um? Ich könnte lange Vorträge halten, um anderen etwas zu erklären - nur bei mir selbst scheitere ich kläglich.
Jeder von uns trägt aus seinem Leben etwas davon. Der eine körperlich, der andere seelisch. Ich habe einmal ein schönes (christliches) Gleichnis gehört, in dem es darum ging, dass Jesus (oder Gott o.ä.) mit seinen Jüngern zu einem riesigen Haufen an Kreuzen kam und sagte, dass sich nun jeder ein Kreuz aussuchen dürfe. Da fing das große Meckern an, weil keinem ein Kreuz zu richtig gefiel. Das eine war zu schwer, das andere zu groß, das nächste aus dem falschen Material Am Ende aber trug jeder ein Kreuz davon, und zwar genau das, welches ER TRAGEN konnte.
Mir gefällt die Vorstellung, das für mich vorgesehene Kreuz tragen zu sollen. Es macht mich auf eine Art auch stark. Ich werde es schleppen, weil ich es kann.
Wir können ge- und erlebtes Leben nicht ausradieren. Es anzunehmen, so wie es war (und noch kommen wird) ist eine wichtige Aufgabe.
In schwierigen Zeit, wenn mir das Kreuz viel zu schwer wird, wünsche ich mir am meisten eine Art Geländer, woran ich mich festhalten kann. Das Geländer sollte ein Mensch sein, der mich stützt und hält, damit ich nicht falle.
Ich glaube, dass ein schützender Arm, eine Schulter zum Anlehnen, eine haltende Hand oft viel mehr bewirkt als alles andere. Jemand, der zuhört und versteht; jemand, der Sicherheit gibt; jemand, der einfach da ist.
Und vielleicht funktioniert das sogar auch umgekehrt: Vielleicht kann man sich sein angehäuftes Wissen (=Lebenserfahrung) zunutze machen, um anderen seine Hand zu reichen. Dann macht gelebtes Leben -mit all den Höhen und Tiefen- auch Sinn. Es MUSS junge und ALTE Menschen geben, eben damit Wissen und Erfahrung weitergegeben werden kann und nicht jedes Kind das Rad neu erfinden muss.
In anderen Kulturen werden die Alten -und deren Wort- oft viel mehr geschätzt, ja sogar verehrt. Bei uns ist das leider nicht (mehr) der Fall. Dadurch gerät man auch schnell ins Abseits und muss sich seinen Stand erkämpfen. Trotzdem bleibt uns Älteren ein entscheidender Vorteil, nämlich der, dass wir bereits einmal jung waren - die Jungen hingegen waren noch nie alt.
Machen wir also nicht den gleichen Fehler gegenüber uns selbst, das Alter nicht wert zu schätzen. Etwas zu sammeln, ist doch eigentlich eine schöne Leidenschaft - sammeln wir einfach Lebensjahre!
LG und einen schönen Tag
08.05.2021 07:21 • x 3 #261