Liebe Lena
Ich möchte hiermit mein Versprechen einlösen und Dir auf Deine Ausführungen und Fragen eingehender antworten.
Zitat von LenaPhobia: Am Ende wird es für mich etwas schwierig, genau zu verstehen, was du meinst, auch wenn mir Achtsamkeit ein Begriff ist.
Achtsamkeit bedeutet nicht nur, dass wir gegenüber anderen achtsam sind sondern auch uns selbst gegenüber.
Konkret: Darauf achten was in uns in ganz konkreten Situationen vorgeht, welche Gefühle in uns aufsteigen.
Unser Gehirn ist so konstruiert, dass es aus erlebten/vergangenen Erfahrungen Muster bildet, die durch bestimmte Schlüssel-Reize unserer Sinneswahrnehmungen dann immer wieder getriggert werden und uns automatisch, so wie wir es einmal gelernt und verinnerlicht haben, reagieren lassen. Werden zu zu sog.
Automatismen, die sich unserer bewussten Wahrnehmung entziehen, so wie das Kuppeln und Schalten im Automobil, wenn wir das Aufheulen des Motors hören wenn wir in einem zu kleinen Gang fahren der beim Beschleunigen wir einen Gang höher schalten. Müssten wir ständig erst unser Bewusstsein einschalten bei allem was wir tun, wir würden nichts gebacken kriegen oder irgendwann wahnsinnig werden ob der Menge an Überlegungen die wir ständig anstellen müssten. So gesehen ist das ein Riesen Vorteil fürs Überleben gewesen wenn wir an die gnadenlose Urzeit denken, in der der Mensch als
Mängelwesen noch mehr Beute als Jäger war.
Gleichzeitig sortiert, unterscheidet und selektiert das Gehirn unbedeutende und bedeutende Signale aus der Umwelt. Das was in unserem Bewusstsein ankommt (50 KByte/Sek) ist nur ein verschwindender Bruchteil dessen was an Sinneswahrnehmung jede Sekunde (100 MByte/Sek) auf unser Gehirn einströmt.
Diese Automatismen haben etwas von
Instinkten, die auch die Kreatur zu einem bestimmten Handeln veranlasst, oder besser, eben ohne ein Bewusstsein, über welches wir Menschen verfügen, dazu zwingt, wenn bestimmte Reize auf dessen Wahrnehmung einfliessen. Wie zum Beispiel der unmittelbar einsetzende Jagdinstinkt wenn Beute sichtbar/gewittert wird oder der Fluchtinstinkt bei allem was ihm unbekannt und/oder grösser, schlichtweg bedrohlich ist, erscheint oder nur sein könnte.
Wir können uns meist, bei den alltäglichen Dingen auf diese angeeigneten
Muster/Automatismen verlassen, wenn die äusseren Bedingungen und Umstände auch stets dieselben sind. Wenn wir z.B. mit dem Auto immer auf der gleichen Strecke zur Arbeit fahren steht uns dann sogar Zeit und Muße zur Verfügung über völlig andere Dinge nachzudenken oder uns mit den Beifahrern zu unterhalten, während unser innerer
Autopilot das Auto trotzdem sicher von A nach B lenkt.
Schwierig wird es erst dann, wenn die Strasse plötzlich, z.B. durch einen Unfall, gesperrt ist und wir unvermittelt einen neuen uns u.U. sogar völlig unbekannten Weg machen müssen, um pünktlich an die Arbeit zu kommen. Dann reichen die vorhandenen Muster im Kopf ggf. nicht mehr aus, um die Situation zu bewältigen. Es entsteht plötzlich unangenehme
Unsicherheit wie diese Situation denn nun möglichst
in Sicherheit verwandelt werden könnte.
Ohne unser Bewusstsein dazu zu schalten, nachzudenken und dann am Ende eine wohlüberlebte Entscheidung zu treffen, wird uns das nicht gelingen.
Ohne in neuen Situationen uns von den Automatismen in unserm Kopf zu lösen und unser Bewusstsein und den Verstand einzuschalten, drohen wir in ein Loch gar der
Angst anheim zu fallen, sind und bleiben wir in der Situation gefangen, wenn wir uns von der Situation sozusagen paralysieren lassen. Fallen in eine gedankliche Schockstarre.
Fragen wir dann nur nach aussen gerichtet, gar die himmlischen Kräfte, die Götter bemühend:
O mein Gott! Was soll ich nur tun?, dann werden wir wohl lange auf eine Antwort warten müssen, wenn wir auf diesem Weg denn überhaupt jemals eine bekommen.
Frage wir uns hingegen nach innen gerichtet:
Hm, was könnte ich tun? Welche Alternativen gibt es?Dann erscheinen uns meist viele Dinge vor dem geistigen Auge. Im Falle des Unfallstaus z.B.:
1. Den Chef oder die Kollegen anrufen, dass ich im Stau eines Unfalls stecke und weder vor noch zurück kann. Dann weiss im Betrieb wenigstens jemand Bescheid und wird so unnötiger Ärger und überflüssige Diskussionen vermieden.
2. Den Kunden anrufen, dass man den vereinbarten Termin leider nicht halten kann und es später wird.
3. Einen Polizisten an der Unfallstelle fragen ob es eine alternative Route/Umleitung gibt.
4. Das Navi im Handy einschalten das mit den aktuellen Verkehrsmeldungen u.U. weitaus aktueller ist als das Navi an Bord und mir bereits eine Umfahrung empfiehlt.
5. ........usw. usf.
Gerade dann, wenn wir
fühlen völlig überwältigt, vereinnahmt, gar paralysiert zu werden, ist es wichtig dieses Gefühl zuzulassen
und wahrzunehmen. Erst einmal tief durchatmen und
sich die Zeit zu nehmen, die Stille zu ertragen, sich selbst in diesem Moment zu fragen:
Was passiert hier gerade wirklich? (Die Sache/Sachlage in den Vordergrund stellen.)
Was macht das gerade mit mir? (Warum triggert das (immer wieder) meine (schlechten) Gefühle, erschüttert mich das bis ins Mark?)
Bin
ich als Person tatsächlich betroffen und, wenn ja, wie und warum? (Nehme ich das jetzt (zu) persönlich?)
Ist es jetzt wirklich sinnvoll mich jetzt voll und ganz meinen Gefühlen hinzugeben, mich sprichwörtlich gehen zu lassen?
Oder wäre es besser mir meine (schlechten) Gefühle zwar zuzugestehen, sie als Warnung wie Wegweiser der immer gleichen
Sackgasse wahrzunehmen und zu verstehen, aber dann daraus eine von meinem bewussten Verstand geleitete,
angemessene Reaktion zu entwickeln, sprich
die Macht über mich selbst wieder zurückzugewinnen? Diese Fragen kommen dem Grundsatz gleich den Viktor Frankl einmal so ausdrückte:
Man muss sich auch von sich selbst nicht (immer) alles gefallen lassen!
Es gibt zwei Ängste die als die Ur-Ängste des Menschen bezeichnet werden könnten, wo alle übrigen ihren Ursprung haben/nehmen:
1. Die Angst vor dem Tod.
2. Die Angst vor dem Verlassen-Sein, der Ablehnung.
Ausser uns Menschen weiss kein Wesen auf Erden, das es irgendwann sterben muss. Alleine schon die Tatsache, dass wir irgendwann alle dem Unausweichlichen gegenüber stehen, treibt manche Menschen in den Wahn.
In diesem Wahn vergessen sie oft vollständig überhaupt zu leben und meiden jede Regung und Zuwendung zum Leben in ständiger Angst sterben zu müssen. Doch sei genau hier die Frage erlaubt, was für ein Leben sie dann überhaupt verlieren wenn sie nicht dazu imstande sind, ja es noch nicht mal erleben wollen oder besser können?
Das Leben ist lebensgefährlich und endet tödlich meinte einmal vor ein paar Jahren ein Psychologe in einem Interview.
Und so recht er damit hatte ist es ebenso wichtig das/sein Leben auch zu leben, denn man hat nunmal nur eines, das mit jedem Jahr, jedem Tag, jeder Stunde und jeder Sekunde unaufhaltsam dem Unabwendbaren entgegen geht.
Somit, dem schönen Ausdruck von
George Carlin, folgend es also wesentlich mehr Glück auf dem Lebensweg zu erleben geben dürfte wenn man sich die Frage stellt:
Wäre es nicht besser anstatt dem Leben immer mehr Jahre, den Jahren mehr Leben hinzuzufügen?Fast ebenso schlimm trifft uns die Angst vor dem Verlassen-Sein, der Ablehnung. Sie ist in der Vorhalle der Angst vor dem Tod anzutreffen. Denn Ablehnung zu erfahren, ausgestossen und verlassen werden, das ist in uns allen, als durch und durch soziale Wesen, angelegt, bedeutete in rauher Vorzeit den sicheren Tod.
Ich möchte nicht allzu sehr spekulieren, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass Du, auch wenn es Dir vielleicht nicht mehr bewusst ist, Du dich nicht mehr daran erinnern kannst, dass Du dich einmal zutiefst allein, verlassen, hilflos und ohnmächtig dem Schicksal ausgeliefert gefühlt hast. Das könnte sogar noch vor Deiner Bewusstwerdung geschehen sein. Ein sog.
Schlüsselerlebnis hattest, das sich tief in Deiner Psyche verankert hat und noch immer unbewusst präsent ist.
Das Kind das sich damals von allen verlassen, sich völlig allein, hilflos mit seiner Trauer oder Verzweiflung allein und im Stich gelassen fühlte, drängt nun in genau den Situationen wieder ans Tageslicht die Du beschrieben hast.
Werden die Muster von damals wieder getriggert, was u.U. zu denselben Gefühlsausbrüchen/Emotionen führt wie damals als Du keine anderen Möglichkeiten hattest all das zu kanalisieren bzw. zu kompensieren.
Erinnert mich Dein Symptom an ein Kleinkind dem sich meine liebe Frau und meine Wenigkeit neulich auf dem Jahrmarkt annahmen. Das mutterseelenallein auf dem Bürgersteig stand, nach seiner Mama
schrie so laut es nur konnte, dabei Rotz und Wasser geheult, ja kaum mehr Luft dadurch geholt bzw. bekommen hat. So etwas, solch ein traumatisches Erlebnis kann tiefe Spuren in der kindlichen Seele hinterlassen, die es zwar irgendwann vergessen und verdrängt hat, doch nichtsdestotrotz lange nachhallen können ohne dass ihm das selbst jemals erklärlich ist.....
Zitat von LenaPhobia: Kann ich es so verstehen wie in einer Exposition, dass man die Gefühle nicht wegdrücken und sich ablenken soll, sondern sie sich in jeder (bedrohlichen) Minute bewusst machen soll und sich dann vielleicht auf Dauer der Schrecken verliert?
Es ist, weil weder Du noch ich jemals wissen können was genau der Auslöser all dessen ist, daher absolut SINN-los
weiter im Nichts zu bohren oder darüber zu spekulieren oder gar sich in Schuldzuweisungen zu verlieren, was das genau, was der Auslöser war.
Ebenso sinnlos wie darüber zu spekulieren und sich daran festzubeissen warum und wer den blöden Nagel auf die Strasse geworfen oder verloren hat, der gerade meinen Reifen inkl. Felge ruiniert und meine Fahrt abrupt und unerwünscht unterbrochen hat.
mist happens! ;-)
Fakt ist: Dass Du heute eine ausgewachsene Frau bist. Mit Fähigkeiten und Fertigkeiten die das des damals verletzten Inneren Kindes bei weitem überragen!
Eine intelligente Frau mit akademischer Bildung die auf dem Weg ist ihren Doktortitel zu bekommen.
Bedeutet im Klartext, dass Du mit kognitiven Fähigkeiten, einem Verstand ausgestattet bist die/der es Dir (eigentlich) leicht machen sollte/n zu erkennen, dass es, wie Du es selbst ja schön beschreibst, eigentlich keine konkrete Bedrohung (mehr) gibt.
Dass Du (ich denke mir) wertvolle Freunde und Studien-Kollegen hast, die Du jederzeit kontaktieren kannst wenn es Dir schlecht geht und/oder ihren Rat benötigst oder Dir wünschst.
Wie beim Gitarre spielen oder jegliche sonstige Fertigkeiten die man sich aneignen möchte, muss man sich der Lern-Situation aussetzen. Und zwar bewusst. Wer auch immer z.B. ein Instrument spielen lernen, es gar zur Virtuosität im Spiel und Umgang mit Noten wie Instrument bringen will, wird niemals darum herum kommen tagtäglich zu üben.
Bei Dir sind es die Gefühle die in Dir aufsteigen mit denen Du (noch) nicht umzugehen weisst wie eben ein
Virtuose dieses Fachs.
Daher hast Du, um zum Schluss meiner Ausführungen zu kommen, Dir die Antwort oben ja selbst schon gegeben.
Das zeigt und bestätigt mir wie klug Du doch bist.
Indem Du Dich diesen Situationen aussetzt, lernst Du Deine Gefühle in jeder dieser Situationen immer besser wahrzunehmen.
Kannst sie hoch lassen, sie Dir bewusst machen.
Musst, ja kannst Dich auf diesem Weg Deinen Gefühlen gar nicht ausliefern wie bisher.
Behältst und beherrschst so stets Deine
Eigen-Macht. Je mehr Du dich darin übst, mit u.a. der oben angebotenen Selbst-Befragung, desto schneller wird sich der Schrecken in diesen Situationen verlieren.
Denn Du kannst fortan mit Verstand aufgrund Deines Bewusstseins auf Deine Gefühle antworten und bewusste Entscheidungen treffen.
Versöhne Dich mit Deinem verletzten Inneren Kind, indem Du ihm mitteilst:
Du bist nicht mehr allein! Ich bin immer für Dich da!Und wenn Du mal wieder weinen möchtest, dann nimm ich Dir das nicht übel. Lass es einfach raus und heul solange und soviel Du nur kannst damit die Tränen zu einer wahren Überschwemmung führen und mit ihr all der Müll der Vergangenheit ein für allemal in den Abfluss des Verzeihens gespült wird!In diesem Sinne ganz liebe Grüsse sendet, Inspiration und inneren Frieden wünscht Dir von Herzen
Achtsamkeit