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Hi
Ich war heute bei einer Verhaltenstherapeutin, und sie gab mir den Rat bei meinem anderen Therapeuten zu bleiben, weil wohl tatsächlich meine Vergangenheit aufgearbeitet werden muß.
Im Moment bin ich nur am heulen, weil ich nicht weiß was ich machen soll. Einerseits kommt alles von der Vergangenheit, andererseits wollte ich halt auch lernen mit der jetzigen Situation und Beschwerden umzugehen. Fühle mich gerade etwas fallengelassen.
Und dann versteh ich nicht warum das so ist, daß vieles was in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart falsch läuft, wo ich nichts dafür kann, wo mir andere zufügen, aber ich hab die Erkrankung bekommen, ich muß den ganzen Mist aushalten, wie ungerecht ist denn die Natur mit mir, ich verstehe das alles nicht. Ich fühl mich einfach nur bestraft, traurig und hoffnungslos. Partnerschafliche Probleme sollte ich bei ner Paartherapie aufarbeiten, aber wie wenn der Partner mit dem was er macht sagt er ist nicht schuld daran, bzw. das nicht als so schlimm bewertet wie ich? Wie soll ich meinem Kind beibringen, daß sie nicht mit dem Kopf immer durch die Wand soll, weil das auch zu meiner ganzen Erkrankung beisteuert? Wie soll ich heute nach 38 Jahren meinen Eltern erklären dass sie mich zur Oma abgeschoben haben? Wie soll ich meinen Stiefgeschwister erklären, daß ich mich als fünftes Rad am Wagen gefühlt habe? Ich kann doch meine Vergangenheit nicht zurückdrehen!
Hat jemand ähnliche Probleme und vielleicht schon ne Therapie hinter sich und kann mir erklären, wie man mit der allgemeinen Situation besser klarkommt, bzw. das was passiert ist, sich nicht alles so zu Herzen nimmt?

Tatjana

19.01.2010 13:20 • 19.01.2010 #1


1 Antwort ↓

Zitat von x.:
Ich war heute bei einer Verhaltenstherapeutin, und sie gab mir den Rat bei meinem anderen Therapeuten zu bleiben, weil wohl tatsächlich meine Vergangenheit aufgearbeitet werden muß.
Hm, mit solchen Therapeutenaussagen habe ich immer Schwierigkeiten, denn sie scheinen mir doch sehr in Klischees verhaftet.

Zitat von x.:
Im Moment bin ich nur am heulen, weil ich nicht weiß was ich machen soll. Einerseits kommt alles von der Vergangenheit, andererseits wollte ich halt auch lernen mit der jetzigen Situation und Beschwerden umzugehen. Fühle mich gerade etwas fallengelassen.
Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber: Kein Therapeut hat die Weisheit mit Löffeln gefressen, keiner kennt eine absolute Wahrheit. Es sind immer nur Einschätzungen vor dem eigenen Horizont des jeweiligen Therapeuten. Und manchmal haben die keine Zeit oder keine Lust, hören nur halb zu oder verstehen Dinge falsch, vielleicht erscheint ihnen jemand auf den ersten Blick auch zu kompliziert oder was auch immer und sie besinnen sich dann darauf, dass sie auf der Warteliste ja noch zehn andere haben. Das sagt natürlich keiner, sondern dann wird so getan, als könne man dich nach einem Gespräch einschätzen.

Grundsätzlich solltest du entscheiden, was dir wichtig ist. Das bestimmt dann die Therapieziele. Wenn du im Alltag mit deinen jetzigen Beschwerden zurecht kommen willst bzw. musst, d.h. wenn du Symptome abbauen willst, ist Verhaltenstherapie das Verfahren der Wahl. Denn das ist das einzige Verfahren, bei dem man den Umgang mit Symptomen erlernt. Aber Verhaltenstherapie ist mehr als das, wenn auch vielleicht nicht bei der Therapeutin, mit der du gesprochen hast. Normalerweise versucht man auch in der VT, die Bedeutung der Vergangenheit für die Störung zu berücksichtigen und sie aufzuarbeiten. Die Vorgehensweise ist einfach eine andere. Und wenn dir die tiefenpsychologische Therapie bisher nichts gebracht hat, liegt dir die sehr transparente und strukturierte Art der VT vielleicht mehr.

Zitat von x.:
Und dann versteh ich nicht warum das so ist, daß vieles was in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart falsch läuft, wo ich nichts dafür kann, wo mir andere zufügen, aber ich hab die Erkrankung bekommen, ich muß den ganzen Mist aushalten, wie ungerecht ist denn die Natur mit mir, ich verstehe das alles nicht.
Das wird in der VT und in der Tiefenpsychologie so gesehen: Du bekommst Symptome, weil du nicht anders kannst. Weil du vielleicht nicht nein sagen kannst, ohne den Verlust von Liebe und Anerkennung zu riskieren. Weil du vielleicht nicht sagen kannst, was du schei. findest usw.

Zitat von x.:
Partnerschafliche Probleme sollte ich bei ner Paartherapie aufarbeiten, aber wie wenn der Partner mit dem was er macht sagt er ist nicht schuld daran, bzw. das nicht als so schlimm bewertet wie ich?
Es geht nicht um Schuld oder Gerechtigkeit. Ihr könnt Dinge auch unterschiedlich bewerten. Worauf es ankommt, ist, dass jeder sagen kann, was er erwartet und wo seine Grenzen sind, und dass der andere das respektieren kann.

Zitat von x.:
Wie soll ich meinem Kind beibringen, daß sie nicht mit dem Kopf immer durch die Wand soll, weil das auch zu meiner ganzen Erkrankung beisteuert?
Gar nicht. Was zu deiner Erkrankung beisteuert, werden vielmehr deine Gedanken dazu sein, wenn dein Kind mit dem Kopf durch die Wand will.

Zitat von x.:
Wie soll ich heute nach 38 Jahren meinen Eltern erklären dass sie mich zur Oma abgeschoben haben? Wie soll ich meinen Stiefgeschwister erklären, daß ich mich als fünftes Rad am Wagen gefühlt habe? Ich kann doch meine Vergangenheit nicht zurückdrehen!
Es geht nicht um die anderen, es geht um dich. Du brauchst überhaupt niemandem etwas zu erklären. Du musst nur dir darüber klar werden, dass deine Erfahrungen noch in dir wirken und dein heutiges Verhalten beeinflussen. In der VT nennt man das die Lerngeschichte und sie bietet sich zur Aufarbeitung geradezu an. Wahrscheinlich hast du die negativen Erlebnisse dir angelastet (wie das die meisten Menschen tun würden), hast dich vielleicht schuldig oder minderwertig gefühlt, weil du zu deiner Oma gegeben wurdest usw. Die Aufgabe der Therapie ist es, das zu hinterfragen. Warst du schuld? Wohl nicht. Gibt es einen realistischen Grund, dich als minderwertig zu betrachten? Wohl auch nicht. Usw. Man würde Schritt für Schritt solche Erlebnisse aufdröseln und die Schlussfolgerungen, die du daraus abgeleitet hast, hinterfragen - heute, aus der Sicht der erwachsenen Tatjana. Damit wirst du dir hoffentlich bald sagen können, dass du viel netter, stärker oder besser bist als du bisher von dir gedacht hast. Und dann kannst du dich und deine Bedürfnisse besser vertreten, auch ohne Symptome.

Liebe Grüße
Christina





Prof. Dr. med. Thomas Hillemacher
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